Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München
Seit Einführung der Forderung nach Evidenzbelegen im Gesundheitssystem haben Metaanalysen einen hohen Stellenwert in der Wirksamkeitsbeurteilung bekommen. Institutionen wie Cochrane machen diese besonders deutlich. Evidenzbasierte Leitlinien, auch die deutschen S3-Leitlinien, sehen die aus Metaanalysen abgeleitete Evidenz als besonders hochrangig an.
Bei klassischen Metaanalysen kann nur „direkte Evidenz“, also beispielsweise aus allen randomisierten Studien, die Medikament A mit Medikament B bzw. A mit C in einer bestimmten Indikation verglichen haben, ermittelt werden. Stehen aber viele Medikamente für diese Indikation zur Verfügung, gibt es meistens nicht für alle Medikamente solche direkten Vergleiche. Die seit etwa einem Jahrzehnt in der Psychopharmakologie eingeführten Netzwerk-Metaanalysen schließen diese Lücke, indem sie B vs. C indirekt aus A vs. B und A vs. C („indirekte Evidenz“) ableiten.
Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass die gesamte Evidenz über eine Fragestellung verwendet werden kann, und dass entsprechende Wirksamkeits-Hierarchien aufgestellt werden können. Der Nachteil besteht darin, dass das Heranziehen indirekter Evidenz eine Annahme mehr erfordert, nämlich dass die indirekte Evidenz valide ist. Diese Methode ist noch stör-/Bias-anfälliger als übliche Metaanalysen, deren methodologische Problematik immer wieder – auch in der PPT – thematisiert wurde.
Wichtig ist, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass Metaanalysen, auch Netzwerk-Metaanalysen, keinen höheren Grad der Erkenntnis darstellen, sondern lediglich eine statistische Zusammenfassung von Daten auf einfache Kenngrößen („Effektstärke“, „effect size“) sind. Deshalb können sie auch nicht die eigentliche empirische Forschung ersetzen. Sie können aber sinnvolle und prüfbare Hypothesen für die empirische Forschung aufstellen. Auch kann ihr Ergebnis mit früheren Metaanalysen und vor allem mit allgemeiner klinischer Erfahrung verglichen werden. Gerade unter letzterem Aspekt sind die Ergebnisse der jüngsten Netzwerk-Metaanalyse zu den Antidepressiva in der Indikation Depression (MDD) interessant.
Wesentliche Ergebnisse dieser Metaanalyse hinsichtlich Wirksamkeit und Akzeptanz der Antidepressiva von Cipriani et al. 2018 sind in diesem Heft der PPT in der Rubrik „Referiert und kommentiert“ detailliert dargestellt, sodass hier darauf verwiesen werden kann. Es sei daran erinnert, dass von Cipriani et al. (2009) auch die erste Netzwerk-Metaanalyse zu den Antidepressiva durchgeführt und publiziert wurde und Vergleiche der Ergebnisse von großem Interesse sind. Es sei betont, dass es sich bei der Forschergruppe um eine in der Metaanalyse-Forschung wichtige und erfahrene Gruppe handelt und dass die Netzwerk-Metaanalyse sachgerecht und auf hohem methodischen Standard mit Kontrolle relevanter Einflussgrößen durchgeführt wurde. Die riesige Datenbasis (552 RCT, 116477 Studienteilnehmer in die Analyse einbezogen; primäre Ausgangsbasis 28552 Studien!) ist bemerkenswert und eine strategische Meisterleistung.
Die Hauptergebnisse sind nicht überraschend, aber beruhigend. AD sind wirksamer als Placebo. Je älter die Studie, desto größer die Unterschiede gegenüber Placebo. Agomelatin, Amitriptylin, Escitalopram, Mirtazapin, Paroxetin, Venlafaxin und Vortioxetin zeigten sich wirksamer als andere Antidepressiva. In Bezug auf Akzeptanz schnitten Agomelatin, Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin und Vortioxetin besser ab als andere Antidepressiva. Diese Ergebnisse sind weitgehend mit klinischer Erfahrung gut vereinbar. Den Kliniker interessieren allerdings darüber hinausgehend unter anderem noch syndromale Aspekte, wie beispielsweise Beeinflussung kognitiver Störungen, somatischer/schmerzhafter Störungen, von Angstsymptomatik, von Schlafstörungen und Andere.
Psychopharmakotherapie 2018; 25(02):51-51