Sekundär progrediente multiple Sklerose

Simvastatin reduziert die Hirnatrophie und verbessert zum Teil kognitive Funktionen


Prof. Dr. H.-C.Diener, Essen

In einer randomisierten Studie, deren Ergebnisse 2014 und 2017 publiziert wurden, führte eine 24-monatige Behandlung mit hoch dosiertem Simvastatin bei Patienten mit sekundär progredienter multipler Sklerose zu einer Reduktion der Hirnatrophie sowie des Behinderungsgrades und verbesserte einige kognitive neuropsychiatrische Parameter und die Lebensqualität.
Mit einem Kommentar von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Hintergrund

Es gibt verschiedene Verlaufsformen der multiplen Sklerose (MS). Die häufigste Form ist die schubförmige MS mit Remissionen. Eine seltene Form ist die primär progrediente MS. Bei einem Teil der Patienten mit schubförmiger MS kann diese sekundär in eine progrediente MS übergehen, bei der eine langsame Verschlechterung der neurologischen Ausfälle besteht und es aufgepfropft immer noch zu einzelnen Krankheitsschüben kommen kann. Die immunmodulatorische Therapie, die bei der schubförmigen MS gut wirksam und etabliert ist, ist bei der sekundär progredienten MS deutlich weniger wirksam. Einige der Immunsuppressiva sind sogar unwirksam. Daher besteht eine dringende Notwendigkeit, weitere therapeutische Ansätze zu finden.

Simvastatin ist nicht nur ein Cholesterinsenker, sondern hat auch pleiotrope Effekte im Zentralnervensystem. Deswegen wurde in England im Jahr 2008 eine randomisierte Studie zum Nutzen einer hohen Dosis von Simvastatin bei Patienten mit sekundär progredienter MS begonnen.

Studiendesign

Es handelte sich um eine doppelblinde Studie, die zwischen 2008 und 2011 durchgeführt wurde und in die Patienten mit einer sekundär progredienten MS eingeschlossen wurden (Tab. 1). Sie erhielten über einen Zeitraum von zwei Jahren entweder 80 mg/Tag Simvastatin oder Placebo.

Tab. 1. Studiendesign [ClinicalTrials.gov]

Erkrankung

Sekundär progrediente multiple Sklerose

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Simvastatin zur Reduktion der Hirnatrophie

Studientyp/Phase

Intervention/Phase II

Studiendesign

Randomisiert, parallel, verblindet, Placebo-kontrolliert

Eingeschlossene Patienten

140

Intervention

  • Simvastatin 80 mg (n=70)
  • Placebo (n=70)

Primärer Endpunkt

Zerebrale Atrophie und Entzündungsherde (mittels quantitativer MRT-Analyse)

Sponsor

Imperial College London

Studienregister-Nr.

NCT00647348
(ClinicalTrials.gov)

MRT: Magnetresonanztomographie

Der primäre Endpunkt der Studie war das Ausmaß der Hirnatrophie, gemessen mit wiederholten Kernspintomographien. Sekundäre Endpunkte waren kognitive Funktionen, gemessen mit dem National Adult Reading Test, Wechsler Abbreviated Scale of Intelligence, Graded Naming Test, Birt Memory and Information Processing Battery und Visual Object and Space Perception Battery. Die Funktion des Frontalhirns wurde mit dem Frontal Assessment Battery and Paced Auditory Serial Addition Test erfasst und psychiatrische Auffälligkeiten mit der Hamilton Depression Rating Scale und dem Neuropsychiatric Inventory Questionnaire. Die Lebensqualität wurde mit der 36-Item Short Form Survey (SF-36) Version 2 untersucht. Die Untersuchungen erfolgten nach 12 und 24 Monaten.

Ergebnisse

Der erste Teil der Studie mit den Ergebnissen zur Hirnatrophie wurde 2014 publiziert [1]. In die Studie wurden 140 Teilnehmer eingeschlossen. Die Patienten waren im Mittel 51 Jahre alt und 70% waren Frauen. Etwa 20% hatten noch in den letzten 24 Monaten erkennbare Schübe. Die MS bestand im Mittel seit 20 Jahren. Die sekundär progrediente Verlaufsform bestand im Mittel seit sechs bis sieben Jahren. In den MR-Aufnahmen ergab sich eine signifikant reduzierte Zunahme der Hirnatrophie in der Simvastatin-Gruppe und eine 43%ige Reduktion der noch auftretenden MS-Schübe (s. Psychopharmakotherapie 2014;21:224).

In der zweiten Analyse, die 2017 publiziert wurde [2], zeigten 45% der Patienten beim Studieneinschluss bereits eine gestörte Funktion der Frontalhirnfunktion und zwischen 10% und 33% der Patienten Einschränkungen des verbalen und nichtverbalen Gedächtnisses. Über die Zeit hinweg verschlechterten sich beide Funktionen signifikant. Für die meisten kognitiven Parameter ergab sich kein Nutzen von Simvastatin. Die Lebensqualität war allerdings in Bezug auf die physische Komponente des SF-36 in der Simvastatin-Gruppe signifikant besser.

Kommentar

Die MS-STAT-Studie bei 140 Patienten mit sekundär progredienter MS zeigt einen signifikanten Effekt einer hohen Dosis von Simvastatin im Vergleich zu Placebo für das Fortschreiten der Hirnatrophie, für die Reduktion der noch verbleibenden Krankheitsschübe und für die Lebensqualität. Auf den Gesamtbehinderungsgrad und eine Vielzahl von kognitiven Parametern hatte die Therapie keinen Einfluss. Obwohl Simvastatin sehr gut vertragen wurde, sind die absoluten Therapieeffekte so gering, dass es zweifelhaft ist, ob diese Therapie den Patienten tatsächlich nützt.

Quellen

1. Chataway J, et al. Effect of high-dose simvastatin on brain atrophy and disability in secondary progressive multiple sclerosis (MS-STAT): a randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet 2014;383:2213–21.

2. Chan D, et al. Effect of high-dose simvastatin on cognitive, neuropsychiatric, and health-related quality-of-life measures in secondary progressive multiple sclerosis: secondary analyses from the MS-STAT randomised, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2017;16:591–600.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(06):289-296