Respiratorische Insuffizienz mit Koma nach Lorazepam-Einnahme


Komplikation bei einer Patientin mit generalisierter Angststörung und fortgeschrittener COPD

Felix Krummenauer, Tom Bschor, Erika Valle, Berlin, Detlef Degner, Göttingen, Renate Grohmann, München, und Sermin Toto, Hannover

Eine 61-jährige Patientin mit fortgeschrittener chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) im Stadium GOLD 4, arterieller Hypertonie, Hypothyreose und generalisierter Angststörung entwickelte etwa 30 Minuten nach Einnahme von 1 mg Lorazepam rasch eine repiratorische Insuffizienz mit Koma bei massiv erhöhtem CO2 (CO2-Narkose) mit Intubationspflichtigkeit und intensivmedizinischer Behandlung. Die Patientin konnte noch am selben Tag extubiert und nach Ausschluss einer Infektexazerbation nach drei Tagen auf die psychiatrische Station rückverlegt werden. Bereits in den vergangenen zwei Jahren hatte sie ohne berichtete unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) Lorazepam bei starken Ängsten eingenommen. Die Weiterbehandlung erfolgte psychiatrisch-psychotherapeutisch sowie zusätzlich schlafunterstützend mit 15 mg/Tag Mirtazapin. Es kam zu keiner erneuten respiratorischen Insuffizienz.
Der Fall wurde der AMSP-Zentrale gemeldet und als wahrscheinliche UAW eingestuft.
Schlüsselwörter: Lorazepam, generalisierte Angststörung, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), respiratorische Insuffizienz, CO2-Narkose, unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW), AMSP
Psychopharmakotherapie 2017;24:283–5.

Im Folgenden soll ein Überblick über den vorliegenden Fall gegeben und der Einsatz von Benzodiazepinen bei generalisierter Angststörung, insbesondere bei komorbid chronisch obstruktiver Lungenerkrankung diskutiert werden.

Fallbericht

Eine 61-jährige Patientin wurde aufgrund einer seit zwei Jahren verstärkten generalisierten Angststörung (ICD-10: F41.1) mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten elektiv stationär aufgenommen.

Seit etwa zwei Jahren war sie ambulant mit Citalopram 30 mg/Tag und Mirtazapin 30 mg/Tag behandelt worden. Hierunter hatte sich bisher lediglich eine Schlafstabilisierung gezeigt, zu einer Besserung der Angstsymptome war es jedoch nicht gekommen. Eine ambulante Psychotherapie hatte noch nicht stattgefunden. Einmalig war die Patientin circa 12 Jahre zuvor tagesklinisch behandelt worden.

Um sich zu beruhigen, trank die Patientin über sechs Monate hinweg täglich 0,5 l Bier ohne Anzeichen für eine Abhängigkeit; weitere Suchtstoffe wurden nicht konsumiert. Bei der Mutter der Patientin habe eine Alkoholabhängigkeit bestanden.

An somatischen Erkrankungen bestand eine COPD im Stadium GOLD 4. Die Patientin nutzte seit circa drei Monaten ganztags ein Heimsauerstoffgerät mit 2 bis 2,5 l/min und nahm inhalativ täglich 1 Hub Indacaterol/Glycopyrronium 85/43 µg sowie viermal täglich 1 Hub Salbutamol/Ipratropium 2,5 mg/125 µg. Zur Behandlung einer arteriellen Hypertonie erhielt sie 80 mg/Tag Valsartan und 5 mg/Tag Amlodipin, außerdem 100 mg/Tag Acetylsalicylsäure (ASS). Eine Hypothyreose wurde mit 75 µg/Tag Levothyroxin substituiert, zur Ulkusprophylaxe nahm die Patientin 40 mg/Tag Pantoprazol ein.

Aktuell bestanden ganztags diffuse Angstgefühle mit Meidung, das Haus zu verlassen, eingeschränkter Körperpflege sowie Vermeidung, sich nach dem Essen hinzulegen aus einer Angst heraus, dann bei vollem Magen zu ersticken. Im Rahmen der COPD bestanden zusätzlich ganztags ausgeprägte Ängste, keine Luft mehr zu bekommen. Mehrmals täglich traten mehrminütige Panikattacken auf. Bei Aufnahme bestand zudem ein depressives Syndrom mit gedrückter Stimmungslage, Affektlabilität, Antriebs- und Interessenminderung, reduzierter Konzentration, psychomotorischer Unruhe sowie Durchschlafstörungen mit Früherwachen.

Bereits kurz nachdem die Patientin von ihrem Ehemann zur Aufnahme auf die Station gebracht wurde, wurde sie zunehmend dyspnoisch. Der Ehemann konnte berichten, dass sie, um Ängste vor der Wegstrecke zu überstehen, etwa 30 Minuten vor Ankunft in der psychiatrischen Klinik 1 mg Lorazepam per os eingenommen hatte. Sieben Stunden später musste sie bei starker Dyspnoe und zunehmender Vigilanzminderung auf die Intensivstation im Hause verlegt werden. Dort zeigte sich die periphere Sauerstoffsättigung bei 78% bei zyanotischer, mittlerweile komatöser Patientin. In der arteriellen Blutgasanalyse zeigte sich eine Hyperkapnie mit >150 mmHg CO2-Partialdruck, was die Diagnose der respiratorischen Insuffizienz bestätigte. Der pH-Wert lag initial bei 7,06.

Unter nichtinvasiver Beatmung mit 60% inspirativem Sauerstoffanteil (FiO2) sowie Inhalation mit Prednisolon zeigte sich keine Besserung, sodass die Patientin intubiert und kontrolliert beatmet wurde. Hierunter besserten sich die Blutgase rasch, sodass noch am selben Tag extubiert und die Patientin unter Sauerstoff per Nasensonde mit einer Laufrate von 2,5 l/h und CPAP-Gerät pulmonal stabil gehalten werden konnte. Laborchemisch und mittels Röntgen-Thorax konnte eine Infektexazerbation der COPD ausgeschlossen werden.

Nach dreitägigem Aufenthalt auf der Intensivstation wurde die Patientin auf die psychiatrische Normalstation zurückverlegt. Die Weiterbehandlung erfolgte vorwiegend psychotherapeutisch. Die vorbestehende Medikation mit Citalopram wurde wegen fehlender Wirkung abgesetzt. Mirtazapin wurde zum Schlafanstoß in reduzierter Tagesdosis von 15 mg weitergegeben, worunter sich der Schlaf stabilisierte.

Diskussion

Lorazepam gehört zur Gruppe der Benzodiazepine und wirkt anxiolytisch, sedierend, antikonvulsiv, hypnotisch und muskelrelaxierend über die Verstärkung der GABA-Wirkung am GABAA-Rezeptor im ZNS. Gerade aufgrund ihres anxiolytischen Effekts werden Benzodiazepine bei psychischen Erkrankungen häufig verwendet. Die aktuelle S3-Leitlinie empfiehlt jedoch, Benzodiazepine aufgrund ihrer gravierenden UAW bei Angsterkrankungen nur in begründeten Ausnahmefällen anzuwenden [2].

Bei Patienten mit einer COPD ist der Einsatz von Benzodiazepinen zur Behandlung von Schlafstörungen, refraktärer Dyspnoe oder komorbiden depressiven und Angsterkrankungen umstritten. Letztere betreffen immerhin 10 bis 19% der COPD-Patienten [8]. Etwa einem Drittel, je nach Studie bis zu 69%, der COPD-Patienten werden Benzodiazepine verschrieben, wohingegen rund 52% der Patienten mit psychischen Erkrankungen derartige Substanzen erhalten [7, 11].

Bei der Patientin im vorliegenden Fallbericht besteht eine COPD im Endstadium GOLD 4. Hierbei kommt es bei massiv eingeschränkter Einsekundenkapazität (30% vom Soll) häufig zu Exazerbationen im Sinne von akuten oder chronischen respiratorischen Insuffizienzen sowie peripheren Ödemen als Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz [10].

Das Auftreten von respiratorischer Insuffizienz ist eine bekannte UAW von Benzodiazepinen, besonders bei vorbestehender COPD [1, 3, 6]. Der Einsatz von Benzodiazepinen führt nachweislich zu verminderter Ventilation, Hypoxämie, Hyperkapnie sowie Kraftverlust der Atemmuskulatur [4, 9]. Zudem treten genannte UAW gerade bei älteren Patienten mit COPD aufgrund der veränderten Pharmakokinetik und der resultierend verlängerten Halbwertszeit von Benzodiazepinen häufiger auf [11]. Bei fortgeschrittener COPD führt der Einsatz von Benzodiazepinen gar zu einem Anstieg der Mortalität [5]. In der Fachinformation von Lorazepam wird darauf hingewiesen, dass die Substanz bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung nur unter besonderer Vorsicht angewendet werden darf [6].

Im vorliegenden Fall stellte der Einsatz von Lorazepam eine Bedarfsmedikation bei generalisierter Angststörung dar, die schon zuvor selten und niedrig dosiert eingesetzt worden war. Trotzdem kam es bei zugrunde liegender COPD im Stadium GOLD 4 zur respiratorischen Insuffizienz mit Intensivpflichtigkeit. Als möglicher Grund ist in erster Linie die Verschlechterung der COPD seit drei Monaten anzusehen; die Patientin benötigte seither neu ein Sauerstoffgerät zu Hause. Es war nicht zu eruieren, ob sie seitdem schon einmal Lorazepam zu Hause eingenommen hatte. Der letzte Alkoholkonsum vor der Einnahme von Lorazepam war rückblickend nicht zu erfahren.

Es erfolgte die Meldung an die AMSP-Zentrale, woraufhin das Ereignis als schwere unerwünschte Arzneimittelwirkung abschließend bewertet und den zuständigen Behörden gemeldet wurde. Der Fall zeigt, dass die Indikation zum Einsatz von Benzodiazepinen bei dieser für unerwünschte Arzneimittelwirkungen sensiblen Patientenpopulation streng gestellt und engmaschig kontrolliert werden muss. Auch eine früher gute Verträglichkeit bietet keine ausreichende Sicherheit vor möglichen gefährlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie der hier illustrierten respiratorischen Insuffizienz, insbesondere da immer von einer Progredienz der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung ausgegangen werden muss.

Interessenkonflikterklärung

F. Krummenauer, T. Bschor, E. Valle, D. Degner, R. Grohmann: keine Interessenkonflikte.

S. Toto: kein Interessenkonflikt im Zusammenhang zu dem geschilderten Fall. In den letzten zwei Jahren neurowissenschaftliche Vorträge/Workshops für Janssen-Cilag, Lundbeck, Otsuka, Servier.

Literatur

1. Alonso T, Garcia E, Segrelles G, Zamora E. Respiratory acidosis secondary to drug therapy. Arch Bronconeumol 2015;51:204–5.

2. Bandelow B, Wiltink J, Alpers G. Deutsche S3-Leitline Behandlung von Angststörungen. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html (zuletzt abgerufen: 2.10.2017) 2014.

3. Chen SJ, Yeh CM, Chao TF, et al. The use of benzodiazepine receptor agonists and risk of respiratory failure in patients with chronic obstructive pulmonary disease: A nationwide population-based case-control study. Sleep 2015;38:1045–50.

4. Cohn MA, Morris DD, Juan D. Effects of estazolam and flurazepam on cardiopulmonary function in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Drug Saf 1992;7:152–8.

5. Ekstrom MP, Bornefalk-Hermansson A, Abernethy AP, Currow DC. Safety of benzodiazepines and opioids in very severe respiratory disease: national prospective study. BMJ 2014;348:g445.

6. Fachinformation Tavor, Firma Pfizer GmbH.

7. Halvorsen T, Martinussen PE. Benzodiazepine use in COPD: empirical evidence from Norway. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2015;10:1695–702.

8. Maurer J, Rebbapragada V, Borson S, et al. Anxiety and depression in COPD: current understanding, unanswered questions, and research needs. Chest 2008;134:43–56.

9. Murciano D, Armengaud MH, Cramer PH, et al. Acute effects of zolpidem, triazolam and flunitrazepam on arterial blood gases and control of breathing in severe COPD. Eur Respir J 1993;6:625–9.

10. Vogelmeier C, Buhl R, Criee CP, et al. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD). Pneumologie 2007;6 e1–40.

11. Vozoris NT, Fischer HD, Wang X, et al. Benzodiazepine use among older adults with chronic obstructive pulmonary disease: a population-based cohort study. Drugs Aging 2013;30:183–92.


Dr. med. Felix Krummenauer, Prof. Dr. med. Tom Bschor, Erika Valle, Schlosspark-Klinik, Abteilung Psychiatrie, Heubnerweg 2, 14059 Berlin, E-Mail: felix.krummenauer@schlosspark-klinik.de

Priv.-Doz. Dr. med. Detlef Degner, Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen

Dr. med. Renate Grohmann, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Nußbaumstraße 7, 80336 München

Dr. med. Sermin Toto, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover

Respiratory insufficiency leading to coma after intake of lorazepam in a patient with generalized anxiety disorder and advanced chronic obstructive pulmonary disease

A 61-year-old patient with advanced chronic obstructive pulmonary disease GOLD 4, hypertension, hypothyreosis and generalized anxiety disorder quickly developed a respiratory insufficiency approximately 30 minutes after oral intake of 1 mg lorazepam, leading to CO2 narcosis, intubation and intensive care treatment. The patient was extubated on the same day and was transferred back to the psychiatric ward after exacerbation due to pulmonary infection was ruled out. The patient had been taking lorazepam for anxiety as needed for the past two years before the adverse event, without having experienced any serious side effects. Treatment was continued with a combination of psychotherapy and 15 mg mirtazapin per day to regulate symptoms of insomnia. There was no additional event of respiratory insufficiency observed during inpatient treatment. The case was reported to and discussed within the AMSP project (AMSP e.V.), analyzed and classified as a probable adverse drug reaction/interaction (ADR).

Key words: Lorazepam, generalized anxiety disorder, chronic obstructive pulmonary disease (COPD), respiratory insufficiency, CO2 narcosis, adverse drug reaction and interaction (ADR), AMSP project


Psychopharmakotherapie 2017; 24(06):283-285