Bipolar-I-Störung

In der Phasenprophylaxe kommt Lithium dem Behandlungsziel am nächsten


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer naturalistischen Studie wurden Patienten mit Bipolar-I-Störung, die sich nach einer depressiven oder manischen Episode unter der prophylaktischen Therapie mit Lithium, Carbamazepin oder Valproinsäure stabilisiert hatten, bis zu zehn Jahre weiter beobachtet. Dabei zeigte sich, dass Lithium relativ am besten prophylaktisch wirksam war.
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. D. Angersbach, Wolfratshausen

Therapieziele der phasenprophylaktischen Behandlung einer bipolaren Erkrankung sind die Verhinderung, Verkürzung und Abschwächung der wiederkehrenden Krankheitsepisoden. Die am häufigsten in der prophylaktischen Therapie eingesetzten Substanzen sind die Stimmungsstabilisierer, von denen Lithiumsalze bereits in den 60er-Jahren verwendet wurden. Später folgten die Antikonvulsiva Carbamazepin (CBZ) und Valproinsäure (VPA). In der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bipolarer Störung werden die Studienergebnisse mit diesen Therapien bewertet und ihre Verwendung diskutiert [1]. Danach können in einer einschränkenden Empfehlung Carbamazepin und Valproinsäure in der Phasenprophylaxe bipolarer Störungen eingesetzt werden. Die Ergebnisse der Lithium-Studien fand die Bewertungskommission überzeugender und empfahl, dass Lithium zur Prophylaxe eingesetzt werden soll. Die vorliegende Studie hatte das Ziel, die prophylaktische Wirksamkeit von Lithium, Valproinsäure und Carbamazepin in der Verhinderung manischer, depressiver und gemischter Rezidive bei Patienten mit einer Bipolar-I-Störung zu untersuchen.

Methoden

Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren, die in der Zeit zwischen Juli 1984 und Oktober 2005 mit der Foundation of Depression and Manic Depression Kontakt aufnahmen, wurden in einer Klinik für affektive Störungen in den USA untersucht. Bei den für die Studie geeigneten Patienten trafen die diagnostischen Kriterien des DSM-III, DSM-III-R und DSM-IV für eine rezidivierende bipolare Störung zu. Alle Patienten hatten zuvor wenigstens eine behandlungsbedürftige manische Episode, das heißt, alle eingeschlossenen Patienten waren an einer Bipolar-I-Störung erkrankt. Die Patienten mussten wieder genesen und unter einer Monotherapie mit Lithium, VPA oder CBZ über wenigstens sechs Monate euthym sein. Die Therapie mit dem jeweiligen Stimmungsstabilisator wurde weitergeführt; als Beginn der prophylaktischen Phase galt der Zeitpunkt, zu dem der Patient sechs Monate unter der jeweiligen Therapie stabil war. Alle Patienten wurden dann bis zu einem Rezidiv oder dem Ende der Studie weiterverfolgt. Bei jeder Visite wurden Anzahl und Schweregrad der depressiven und manischen Symptome mithilfe der DSM-IV-Kriterien beurteilt.

Patienten: Insgesamt eigneten sich 225 Patienten für die Aufnahme in die vorliegende Analyse. Davon erhielten 98 Patienten Lithium (43,6%), 77 Patienten VPA (34,2%) und 50 Patienten CBZ (22,2%). 85 Patienten erhielten eine begleitende Psychotherapie. Die Patienten wurden über einen Zeitraum von bis zu 124 Monaten verfolgt.

Ergebnisse

Von den 225 Patienten hatten 103 einen Rückfall in eine manische oder depressive Episode (46%), 52 Patienten (23%) schieden aus der Studie aus und 70 (31%) verblieben in der Studie. Patienten, die Lithium einnahmen erlitten signifikant seltener ein Rezidiv als diejenigen, die CBZ oder VPA erhielten (p=0,05). Insgesamt erlitten 36 Patienten unter Lithium einen Rückfall (38%), verglichen mit 42 Patienten unter VPA (55%) und 25 unter CBZ (50%). Die mediane Zeit bis zum Eintritt eines Rückfalls betrug unter Lithium 81 Monate, unter VPA 36 und unter CBZ 42 Monate.

Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls war signifikant erhöht, wenn vor Aufnahme in die Studie eine gemischte Episode vorlag (p<0,001). Etwa 38% der Patienten mit einem Rückfall hatten zuvor eine gemischte Episode, während nur 10% der Patienten ohne Rückfall eine gemischte Episode hatten. Das Rückfallrisiko war unabhängig von Geschlecht, begleitender Psychotherapie oder Anzahl vorheriger Episoden. Weiterhin zeigte sich, dass Patienten unter Lithium vor Beginn der Beobachtungszeit, das heißt dem Beginn der Prophylaxe-Phase, weniger depressive Symptome hatten als Patienten unter CBZ (p=0,001) oder VPA (p=0,086). Auch waren die Symptome unter Lithium weniger schwer als unter CBZ (p=0,001) oder VPA (p=0,076).

Die Analyse zeigte weiterhin, dass Patienten mit einem Rückfall vor Beginn der Beobachtungszeit unabhängig vom jeweiligen Stimmungsstabilisierer schwerere depressive oder manische Symptome hatten (p<0,001). Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls hing zudem signifikant von der Anzahl depressiver (p=0,007) und manischer Symptome (p=0,02) ab. Die Autoren betonen abschließend noch einmal die Überlegenheit von Lithium in dieser Studie, weisen aber darauf hin, dass der behandelnde Arzt vor der Auswahl eines Prophylaktikums die Langzeitnebenwirkung der infrage kommenden Medikamente abwägen sollte.

Kommentar

Die Studie wurde nicht randomisiert, doppelblind und Placebo-kontrolliert durchgeführt und ist insofern naturalistisch. Auch blieb den behandelnden Ärzten neben der Auswahl auch die Dosierung des eingesetzten Medikaments überlassen. Vermutlich wurden die verwendeten Dosierungen dokumentiert, aber in der vorliegenden Analyse nicht ausgewertet, sodass der interessierte Leser beispielsweise nicht erfährt, mit welchen Lithium-Serumspiegeln die schönen Ergebnisse in dieser Gruppe erreicht wurden. Auch berichten die Autoren nicht, nach welchen Kriterien die Patienten für den Einschluss in die vorliegende Analyse ausgewählt wurden. Unter diesen Aspekten erscheint das Ergebnis des Wirksamkeitsvergleichs weniger gut belegt. Aufschlussreicher und möglicherweise von größerer Bedeutung für die Beurteilung und Behandlung bipolarer Patienten ist hingegen die Analyse der Risikofaktoren für ein erneutes Rezidiv.

Quelle

Peselow ED, et al. Prophylactic efficacy of lithium, valproic acid, and carbamazepine in the maintenance phase of bipolar disorder: a naturalistic study. Int Clin Psychopharmacol 2016;31:218–23.

Literatur

1. DGBS e.V. und DGPPN e.V.: S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Langversion 1.0, Mai 2012.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(05)