Multiple Sklerose

Cladribin zur Therapie der schubförmigen MS


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Auf den Jahrestagungen 2017 der amerikanischen und europäischen Neurologengesellschaft (AAN, EAN) wurden neue Daten aus dem klinischen Studienprogramm für Cladribin vorgestellt. Insgesamt liegen für Cladribin inzwischen Studiendaten über bis zu acht Jahre, entsprechend rund 10000 Patientenjahren vor. Ende August 2017 hat die Europäische Kommission den Arzneistoff zur Therapie der schubförmigen MS bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität zugelassen (Mavenclad®).

In der Phase-III-Studie CLARITY und ihrer Extensionsstudie über jeweils zwei Jahre reduzierte Cladribin 3,5 mg (siehe Kasten) die Schubrate bei den kontinuierlich damit behandelten Patienten auf 0,13 Schübe/Jahr (Jahr 1 und 2) bzw. 0,12 (Jahr 3 und 4). In der Gruppe der nach zwei Jahren von Placebo auf Cladribin 3,5 mg umgestellten Patienten sank die jährliche Schubrate um 60,7% von 0,26/Jahr auf 0,10/Jahr (p<0,0001) [5]. Bei Patienten mit hoher Schubaktivität und/oder Therapie-Non-Response war Cladribin 3,5 mg bei der Schubreduktion ebenso oder besser wirksam als bei der gesamten Studienpopulation [2].

Dosierung von Cladribin

Cladribin wird körpergewichtsadaptiert dosiert. Die Einnahme der Gesamtdosis von 3,5 mg/kg Cladribin für zwei Jahre erfolgt verteilt auf vier Zyklen (in Woche 1, 5, 48 und 52), wobei in jedem Zyklus 0,875 mg/kg in Form von 10-mg-Tabletten verteilt über vier bis fünf Tage eingenommen werden.

De Stefano et al. untersuchten in einer exploratorischen Analyse der CLARITY-Basisstudie die Wirkung von Cladribin 3,5 mg auf den jährlichen Hirnvolumenverlust und die Assoziation mit der Entwicklung der Behinderungsprogression. Dabei reduzierte Cladribin 3,5 mg im Vergleich zu Placebo den jährlichen Hirnvolumenverlust signifikant (p=0,010). Die Patienten erreichten damit annähernd den Hirnvolumenverlust gesunder Individuen. Nach Korrektur möglicher Gruppeneffekte korrelierte der jährliche Prozentsatz an Hirnvolumenverlust (PBVC/y [percentage brain volume change/year]) mit der kumulativen Wahrscheinlichkeit einer Behinderungsprogression (Hazard-Ratio 0,67; 95%-Konfidenzintervall 0,571–0,787; p<0,001). Nach Unterteilung in Tertilen hatte die Gruppe mit dem niedrigsten PBVC/y den höchsten Anteil von Patienten ohne Behinderungsprogression (89%) im Vergleich zu der Tertile mit dem höchsten PBVC/y (79%) (Abb. 1) [1].

Abb. 1. Prozentsatz an jährlichem Hirnvolumenverlust (in Tertilen) in Assoziation mit der kumulativen Wahrscheinlichkeit einer Behinderungsprogression (mod. nach [1])

Sicherheitsaspekte

In der CLARITY-Basisstudie waren Lymphopenien neben Kopfschmerzen und Nasopharyngitis die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen. Soelberg-Sorensen et al. untersuchten den Verlauf der absoluten Lymphozytenzahlen in der CLARITY-Basis- und Extensionsstudie. In der Basisstudie erreichten unter Einhaltung der Vorgaben zu den Mindest-Lymphozytenzahlen 89,1% der Patienten bis zum Ende des ersten Therapiejahres sowie 88,3% zum Ende des zweiten Jahres wieder Lymphozytenzahlen im Normbereich [6]. Eine weitere Sicherheitsauswertung zum Verlauf der absoluten Lymphozytenzahlen wurde bei allen Patienten durchgeführt, die Cladribin 3,5 mg (n=685) oder Placebo (n=435) in der CLARITY-Basis- oder Extensionsstudie sowie der sich daran anschließenden Sicherheits-Registerstudie PREMIERE (Prospective observational long-term safety registry) über mindestens zwei Jahre erhalten hatten. In Jahr 1 erreichten die medianen Lymphozytenzahlen unter Cladribin einen Nadir (1,00×109/l) innerhalb von neun Wochen nach der Behandlung und stiegen bis Jahresende (Woche 48) wieder auf 1,21×109/l an. Nach der zweiten Behandlung wurde im zweiten Jahr ein Nadir (0,81×109/l) nach 55 Wochen erreicht, gefolgt von einem Wiederanstieg auf 1,03×109/l bis Woche 96. Im weiteren Follow-up stiegen die medianen Lymphozytenzahlen in der Cladribin-Gruppe kontinuierlich wieder bis auf 1,76×109/l nach 6,5 Jahren (312 Wochen). Die medianen Lymphozytenzahlen unter Placebo lagen zwischen 1,69×109/l und 1,95×109/l [4].

Gegenwärtig wird Cladribin vom britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) evaluiert. Die Ergebnisse sollen Ende Februar 2018 vorliegen [3].

Quellen

3. Jahrestagung der European Academy of Neurology (EAN), Amsterdam, 24. bis 27. Juni 2017, und 69. Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN), Boston, 22. bis 28. April 2017.

Literatur

1. De Stefano N, et al. Mult Scler 2017; Jan 1:1352458517690269. doi: 10.1177/ 1352458517690269. [Epub ahead of print].

2. Giovannoni G, et al. EAN 2017, Abstract EP1157.

3. NICE Guidance: Multiple sclerosis – cladribine [ID64]. Im Internet abrufbar unter www.nice.org.uk/guidance/indevelopment/gid-tag392 (Zugriff am 21.08.2017).

4. Soelberg-Sorensen P, et al. AAN 2017, Abstract P5.379.

5. Soelberg-Sorensen P, et al. AAN 2017, Abstract P6.353.

6. Soelberg-Sorensen P, et al. EAN 2017, Abstract EP3120.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(05)