10 GESENT-Thesen angesichts der sich abzeichnenden Versorgungslücken bei innovativen Neuro-Psychopharmaka


GESENT e.V. hat sich bei der Gründung zum Ziel gesetzt, eine akademische Plattform zu bieten, welche für die forschenden Arzneimittelhersteller, Regulierungsbehörden bzw. -organe, Kliniker/Grundlagenwissenschaftler und Laienorganisationen als Forum wissenschaftlicher Diskussionen zum Thema „effiziente und rasche Arzneimittelentwicklung sowie -vermarktung unter Einhaltung aller gebotenen Sicherheitsmaßnahmen“ dienen soll. In diesem Sinne wurden bereits zwölf GESENT-Kongresse unter Einbeziehung aller Player abgehalten. Es ist aber keine Frage, dass sich im Laufe der Jahre durch Gesetzesänderungen sowie Veränderungen in den Anspruchserwartungen von Patienten, deren Laienorganisationen und den Rahmenbedingungen der ärztlichen Versorgung die Interaktionen der beteiligten Gruppen dramatisch verändert haben. Die Zeit ist also reif, die Ziele von GESENT e.V. neu zu justieren. Eine Befragung der Mitglieder von GESENT e.V. hat eine ganze Reihe von Vorschlägen erbracht, welche vom Vorstand auf Prioritäten geprüft wurden. Eine Auswahl von zehn Vorschlägen wurde getroffen – 10 Thesen – Themen, welche in den nächsten Jahren bevorzugt bearbeitet werden sollen. Sie sind im Folgenden kurz beschrieben. Natürlich hoffen wir auf eine rege Mitwirkung der oben angesprochenen Beteiligten.

10 GESENT-Thesen

1. Die undifferenzierte mediale Schwarz-Weiß-Darstellung „Psychopharmaka = schlechte Nutzen-Risiko-Bilanz, Psychotherapie = gut für alle“ mit globalem Negativ-Image auch der forschenden pharmazeutischen Industrie muss einer seriösen Darstellung weichen. Pharmakotherapie kennt keine sozialen und kulturellen Grenzen, ist jederzeit überall verfügbar (s. Sprachbarrieren, Wartezeiten auf Psychotherapieplatz, hohe Patientenselektion).

2. Die ärztliche Therapiefreiheit ist durch Fremdbestimmung ausgehöhlt, erschwert, eingeschränkt, ja eliminiert worden. Bürokratisch-ökonomische Zwänge und nicht klinisch-praktische Gesichtspunkte bestimmen die Medikamenten-Verordnung. Analog finden Patientenwünsche und -erwartungen kaum Beachtung.

3. Niedergelassene Ärzte (Kassen-/Vertragsärzte) werden gezwungen, nur die billigsten Generika zu verordnen, im Zweifelsfall nimmt der Apotheker einen Austausch vor. Die Ärzteschaft resigniert, das Interesse an Neuentwicklungen ist weitgehend erloschen.

4. Der ständige Wechsel der „verordneten“ Medikamente (Namen, Packungen) irritiert die Patienten und verschlechtert die Einnahmezuverlässigkeit (Compliance, Adhärenz).

5. Die Ausgaben/Krankheitskosten psychiatrischer Krankheiten werden durch stringente Arzneimittelpreisregulation via einseitiger „Nutzenbewertung“ aus gesamtvolkswirtschaftlicher Perspektive nicht gesenkt, da unter anderem längere Behandlungszeiten, stationäre Wiederaufnahmen und Non-Compliance infolge höherer Fehlzeiten und Produktivitätsausfällen zu höheren indirekten Krankheitskosten führen. Im Rahmen der Kosten-/Ökonomie-Diskussionen muss medial beispielsweise auf die praktisch unbekannte Tatsache hingewiesen werden, dass Psychopharmaka zu den billigsten Medikamenten gehören – die Tagestherapiekosten für Antidepressiva liegen beispielsweise bei etwa 30 Cent!

6. Gerade für psychisch Kranke ist die fehlende „Versorgungsgerechtigkeit“ eklatant: Für Chemotherapeutika/Zytostatika werden horrende Summen für einen relativ kleinen Patientenkreis mit eventuell kurzer Lebenserwartung ausgegeben, für Patienten mit den oft chronisch verlaufenden, häufigen neuro-psychiatrischen Volkskrankheiten (Demenzen, Depressionen, Psychosen) gibt es keine neueren, „teureren“ Medikamente.

7. Die festgelegten Zusatznutzen-Kriterien sind fraglich Patienten-relevant. So werden keine klinischen Subgruppen bei der Wirksamkeitsbeurteilung berücksichtigt, zum Beispiel Depressions-Subtypen oder häufige Komorbidität (Depression und Angst, Depressive mit Schmerzen).

8. Anträge für klinische Studien oder Feldstudien in Praxen sind mit exorbitantem bürokratischem Aufwand und juristischen Verklausulierungen verknüpft, sodass sie nur noch von hochselektierten Forschungszentren gestellt werden. Versorgungsforschung wird nicht gefördert – die entscheidend wichtigen Daten und Erfahrungen aus der „Real World“ fehlen.

9. Die Beurteilung des Mehrwerts neuer Arzneimittel muss im Diskurs von betroffenen Patienten, Behandlern/Ärzten, Krankenkassen, Gremien/Institutionen und Herstellern erfolgen.

10. Hürden und Kriterien für Zulassung und Kostenerstattung neuer Medikamente müssen revidiert werden, zum Beispiel zugunsten partieller, zeitlimitierter Zulassungen.

GESENT e.V., Schwanenhof 4, 97070 Würzburg, www.gesent.de, E-Mail: info@gesent.de

Psychopharmakotherapie 2017; 24(05)