Ist eine Zunahme der Placebo-Response die Ursache für den großen Anteil negativer Antidepressiva-Studien?


Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München

Immer wieder ist in Publikationen zu lesen, dass eine Zunahme der Placebo-Response in Antidepressiva-Studien die Ursache für den großen Anteil negativer Studien ist. Geht man jedoch dieser Frage auf der Basis der in den letzten Jahren publizierten Metaanalysen zu dieser Problematik nach, so kommt man zu dem Ergebnis, dass es zwar eine Zunahme der Placebo-Response in Antidepressiva-Studien im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte gibt, dass diese aber parallel zu einer Zunahme der Verum-Response läuft. Das heißt, die Differenz zwischen Verum- und Placebo-Response ist mehr oder weniger gleich geblieben und kann die Zunahme negativer Antidepressiva-Studien nicht erklären.

Diese summarische, sich auf alle Studien beziehende Aussage schließt allerdings keinesfalls aus, dass im Einzelfall eine Studie durch eine zu hohe Placebo-Response, der keine analog hohe Verum-Response gegenübersteht, zu einem Negativ-Ergebnis führen kann. Das heißt, auch weiterhin muss darauf geachtet werden, alle Faktoren, die zu einer erhöhten Placebo-Response führen, möglichst weitgehend auszuschließen. Eine Reihe von Faktoren ist bekannt, die die Response in der Placebo-Gruppe einseitig erhöhen kann, beispielsweise die Intensität psychosozialer bzw. psychotherapeutischer Interventionen, das Ausmaß unspezifischer Komedikationen (Hypnotika, Anxiolytika) und Ähnliche.

Insgesamt ist die Wirksamkeitsdifferenz zwischen Verum- und Placebo-Gruppe relativ klein, wie neuere Metaanalysen gezeigt haben, beispielsweise 15% in der Responder-Rate oder 2 bis 3 HAMD-Punkte bei Mittelwertsvergleichen. Daraus folgt, dass die Chance, einen statistisch signifikanten Unterschied nachzuweisen, sehr begrenzt ist. Daraus erklärt sich, dass nur etwa ein Drittel aller Antidepressiva-Studien ein positives Ergebnis zeigen, während zwei Drittel entweder keine signifikante Differenzierung zwischen Verum und Placebo erbringt (negative Studie) oder im Falle von Drei-Arm-Studien (experimentelles AD vs. Placebo vs. Standard AD) auch keine Differenzierung zwischen Standard-Antidepressivum und Placebo aufweisen („failed study“).

Wenn man verstehen will, warum neue Antidepressiva häufig nicht die Zulassung erreichen, muss man verschiedenen Szenarien bedenken, unter anderem:

  • Einige der neuen Antidepressiva könnten eine zu geringe Wirksamkeit haben, um sich angesichts der fehleranfälligen Rahmenbedingungen von randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) ausreichend konsistent über verschiedene Studien von Placebo differenzieren zu lassen.
  • In einzelnen Studien kann die Response in der Placebo-Gruppe zu hoch sein oder es können sonstige methodische Probleme vorliegen, die eine statistisch signifikante Differenzierung erschweren/unmöglich machen. Je mehr solche Studien im Gesamtdatensatz für ein neues Antidepressivum enthalten sind, desto problematischer.
  • Angesichts der in der Regel internationalen Studiendurchführung kann es zu regionalen Unterschieden (regionale Heterogenität) kommen, die das Gesamtergebnis aller Studien ungünstig beeinflussen, wie beispielsweise für die Vortioxetin-Studien dargestellt wurde.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(02)