Huntington-Krankheit

Deutetrabenazin verbessert motorische Störungen


Dr. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn

Die Huntington-Krankheit (auch Chorea Huntington) ist eine erbliche degenerative Funktionsstörung des Gehirns, die durch Hyperkinesen, kognitive Einschränkungen und psychiatrische Symptome charakterisiert ist. Die unwillkürlichen Bewegungen belasten die Patienten erheblich und können bis zur Gehunfähigkeit führen. In der First-HD-Studie zeigte sich nun, dass eine Therapie mit Deutetrabenazin die unwillkürlichen Bewegungen der Patienten im Vergleich zu Placebo signifikant verringert und gut verträglich ist.

Tetrabenazin ist in Deutschland zur symptomatischen Therapie der hyperkinetischen Bewegungsstörungen bei Huntington-Krankheit zugelassen. Es hemmt die Aufnahme von Monoaminen in die präsynaptischen Vesikel, in dem es reversibel an den vesikulären Monoamintransporter 2 (VMAT2) bindet und die Verfügbarkeit von Monoaminen im Zytoplasma einschränkt. So reguliert Tetrabenazin das Niveau des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn. Es muss von den Patienten bis zu dreimal täglich eingenommen werden und ruft Nebenwirkungen wie Sedierung, Schwindel, Depression und Parkinson-Syndrom hervor, die in Zusammenhang mit den Spitzenkonzentrationen des Arzneistoffs stehen [3].

Deutetrabenazin mit veränderter Pharmakokinetik

Deutetrabenazin ähnelt strukturell Tetrabenazin: Wasserstoffatome sind durch Deuteriumatome ersetzt. Aus diesem Grund hat Deutetrabenazin eine geringe metabolische Variabilität mit niedrigeren Spitzenkonzentrationen sowie eine längere Plasmahalbwertszeit und muss daher geringer dosiert und nur zweimal täglich eingenommen werden. Die Studienautoren erhoffen sich von dieser pharmakokinetischen Veränderung eine bessere Verträglichkeit von Deutetrabenazin.

In die doppelblinde, Placebo-kontrollierte und randomisierte First-HD-Studie [2] wurden 90 Patienten mit nachgewiesener Huntington-Krankheit eingeschlossen. 45 Patienten erhielten Deutetrabenazin 6 mg/Tag mit einer wöchentlichen Steigerung von 6 mg/Tag bis zu maximal 48 mg/Tag oder einer adäquaten Kontrolle der Bewegungsstörungen. Das Medikament wurde in zwei täglichen Dosen verabreicht. Die Erhaltungsdosis nahmen die Patienten vier Wochen lang ein. Dann wurde die Medikation abgesetzt. Eine Woche später folgte eine klinische Untersuchung. 45 weitere Patienten erhielten ein Placebo.

Der primäre Endpunkt der Studie war die Veränderung des absoluten maximalen Chorea Scores der Unified Huntington Disease Rating Scale (UHDRS, Kasten) zwischen Studienanfang und Erhaltungstherapie (Tab. 1).

Verwendete Testverfahren

Die Unified Huntington’s Disease Rating Scale (UHDRS) ist eine Skala, die eine möglichst gut vergleichbare Bewertung des Schweregrades der Huntington-Krankheit in klinischen Studien zum Ziel hat. Sie ist in sechs Bereiche unterteilt (u.a. Motor Assessment).

Der Patient Global Impression of Change (PGIC) erfasst den Behandlungserfolg auf einer siebenfach gestuften Skala aus Sicht des Patienten („Sehr verbessert“ bis „Sehr viel verschlechtert“).

Der Clinical Global Impression of Change (CGIC) erfasst den Behandlungserfolg auf einer siebenfach gestuften Skala aus Sicht des Arztes („Sehr verbessert“ bis „Sehr viel verschlechtert“).

Der Short Form (36) Gesundheitsfragebogen (SF-36) ist ein Score-System zur Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Er dient der Therapie- und Verlaufskontrolle und setzt sich aus acht Einzelscores zusammen, von denen einer die körperliche Funktionsfähigkeit beurteilt.

Der Berg Balance Test beurteilt das Gleichgewichtsverhalten anhand von 14 kurzen, praktischen Tests.

Tab. 1. Studiendesign von FIRST-HD [nach Huntington Study Group, 2016]

Erkrankung

Huntington-Erkrankung

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Deutetrabenazin bei choreatischen Symptomen

Studienphase

Phase III

Studiendesign

Randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert

Eingeschlossene Patienten

90 Patienten

Intervention

  • Deutetrabenazin (n=45)
  • Placebo (n=45)

Primäre Endpunkte

Veränderung des totalen maximalen Chorea Scores

Sekundäre Endpunkte

  • Anteil der Patienten, die einen Therapieerfolg nach dem Patient Global Impression of Change (PGIC) aufweisen
  • Anteil der Patienten, die einen Therapieerfolg nach dem Clinical Global Impression of Change (CGIC) aufweisen
  • Veränderungen beim SF-36
  • Veränderungen beim Berg Balance Test

Studienregisternummer

NCT01795859 (ClinicalTrials.gov)

Ergebnisse

In First-HD verbesserten sich die choreatischen Störungen der Studienteilnehmer, die Deutetrabenazin eingenommen hatten, signifikant gegenüber der Placebo-Gruppe. Im UHDRS war der maximale Score in der Verum-Gruppe von 12,1 (95%-Konfidenzintervall [KI] 11,2–12,9) auf 7,7 (95%-KI 6,5–8,9) um 4,4 Punkte reduziert (ein niedriger Score repräsentiert ein besseres Beschwerdebild der Chorea). In der Placebo-Gruppe betrug dieser Score 13,2 (95%-KI 12,2–14,3) und verbesserte sich um 1,9 Punkte auf 11,3 (95%-KI 10,0–12,5). Damit beträgt der statistisch signifikante mittlere Unterschied zwischen den beiden Gruppen –2,5 Punkte (95%-KI –3,7 bis –1,3; p<0,001) (Abb. 1).

Abb. 1. Maximaler Score der choreatischen Bewegungsstörung [nach 2] TMC: total maximum chorea; UHDRS: Unified Huntington’s Disease Rating Scale

In der Deutetrabenazin-Gruppe zeigte sich ebenfalls in drei der vier sekundären Endpunkte eine statistische Signifikanz. Einen Therapieerfolg, gemessen mit dem Patient Global Impression of Change (PGIC), zeigten in der Deutetrabenazin-Gruppe 23 Patienten gegenüber 9 Patienten in der Placebo-Gruppe (51% vs. 20%, p=0,002). Wurde der Clinical Global Impression of Change (CGIC) zugrunde gelegt, hatten sich in der Deutetrabenazin-Gruppe 19 Patienten verbessert gegenüber 6 Patienten in der Placebo-Gruppe (42% vs. 13%, p=0,002). Auch im motorischen Teil des SF-36 schnitt die Deutetrabenazin-Gruppe gegenüber der Placebo-Gruppe mit einem Therapie-Vorteil von 4,3 Punkten (95%-KI 0,4–8,3; p=0,03) besser ab. Damit waren die Gesamtbeurteilungen sowohl der Patienten als auch der Kliniker deutlich besser in der Deutetrabenazin-Gruppe als in der Placebo-Gruppe. Lediglich im Berg Balance Test zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Unerwünschte Wirkungen wie Depressionen, Angst und Akathisie (psychomotorische Unruhe) waren unter Deutetrabenazin und Placebo ähnlich häufig.

Geringere Einnahmefrequenz vorteilhaft

First-HD zeigt eine signifikante Verbesserung choreatischer Bewegungsstörungen gegenüber Placebo. Gleichzeitig muss Deutetrabenazin im Gegensatz zu Tetrabenazin nur zweimal täglich eingenommen werden. Dies ist insbesondere für Huntington-Patienten mit Schwierigkeiten beim Schlucken, mit Verhaltensauffälligkeiten oder kognitiven Defiziten von Vorteil.

Offene Fragen bleiben

Über eine vergleichende Bewertung von Deutetrabenazin und Tetrabenazin lässt sich jedoch anhand First-HD keine sichere Aussage treffen. Ebenso ist unklar, ob die positiven Wirkungen von Deutetrabenazin auch über einen längeren Zeitraum als zwölf Wochen anhalten. Diese Fragen sollen in der zurzeit laufenden Studie ARC-HD (Alternatives for reducing chorea in huntington disease) geklärt werden. In dieser Open-Label-Studie werden Patienten eingeschlossen, die von Tetrabenazin auf Deutetrabenazin wechseln oder die Deutetrabenazin als Erstlinientherapie erhalten [1].

Quelle

1. Geschwind MD, Paras N. Deutetrabenazine for treatment of chorea in huntington disease. JAMA 2016;316:33–5.

2. Huntington Study Group: Effect of deutetrabenazine on chorea among patients with huntington disease. A randomized clinical trial. JAMA 2016;316:40–50.

Literatur

3. Poon LH Role of tetrabenazine for Huntington’s disease-associated chorea. Ann Pharmacother 2010;44:1080–9.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(02)