Multiple Sklerose

Daclizumab zur Therapie der schubförmigen MS


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Im Juli 2016 wurde Daclizumab, ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper gegen CD25, zur Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose bei erwachsenen Patienten zugelassen. Die Ergebnisse der zulassungsentscheidenden klinischen Studien und Aspekte der praktischen Anwendung wurden bei der Einführungs-Pressekonferenz im September vorgestellt und diskutiert.

Daclizumab (Zinbryta®) bindet an die Alpha-Untereinheit (CD25) des hochaffinen Interleukin-2-Rezeptors (IL-2R) und verhindert so die Bindung von Interleukin 2 an IL-2R und die daraus resultierende Aktivierung der proinflammatorischen T-Zellen. In der Folge kommt es zu einem Anstieg der lokalen IL-2-Konzentration und einer vermehrten IL-2-vermittelten Expansion von immunregulatorischen natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) vom Typ CD56bright . Unter der üblichen vierwöchentlichen Gabe von 150 mg Daclizumab s.c. steigt die Zahl der CD64bright-NK-Zellen über acht Wochen bis etwa auf das 3-Fache und dann langsam weiter bis auf einen Plateauwert, der nach etwa einem Jahr erreicht wird; nach Absetzen von Daclizumab ist dieser Effekt reversibel. Insgesamt werden durch Daclizumab Autoimmunprozesse moduliert, die für die Pathophysiologie der MS entscheidend sind.

Klinische Entwicklung

In randomisierten Doppelblind-Studien wurde Daclizumab mit Placebo (SELECT; n=621) und mit Interferon beta-1a i.m. (DECIDE; n=1841) verglichen. Einschlusskriterien waren ein Alter von 18 bis 55 Jahren, die bestätigte Diagnose einer schubförmig remittierenden MS, ein EDSS (Expanded disability status score) von 0,0 bis 5,0 und mindestens ein bestätigter Schub im Jahr vor der Randomisierung oder mindestens eine neue Gadolinium-aufnehmende (Gd+) Läsion im kranialen Kernspintomogramm (MRT) in den letzten sechs Wochen vor Randomisierung (in DECIDE: 2 Schübe innerhalb von 3 Jahren, davon 1 im Jahr vor Studienbeginn, oder 1 Schub und 1 neue MRT-Läsion innerhalb von 2 Jahren [1 der Ereignisse im Jahr vor Studienbeginn]).

In der SELECT-Studie wurde Daclizumab in den Dosierungen 150 mg und 300 mg s.c. alle vier Wochen untersucht. Mit der nun zugelassenen Dosierung von 150 mg ergab sich in der SELECT-Studie in Woche 52

  • im primären Endpunkt, der jährlichen Schubrate, eine Reduktion von 0,46 (Placebo) auf 0,21 und damit eine relative Reduktion um 54% (95%-Konfidenzintervall [KI] 33–68; p<,0001),
  • im Anteil der Patienten mit Behinderungsprogression (bestätigt nach 24 Wochen) eine Reduktion von 11,0% auf 2,6% (Hazard-Ratio 0,43; 95%-KI 0,09–0,63; p=0,0037),
  • in der Anzahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen eine Reduktion von 8,1 auf 2,4 (relative Reduktion um 70%; 95%-KI 59–78; p<,00001).

An die SELECT-Studie schloss sich die ebenfalls einjährige, doppelblinde SELECTION-Studie (n=517) an, in der Patienten aus der Placebo-Gruppe auf 150 oder 300 mg Daclizumab umgestellt wurden. Ab Jahr 3 wurden alle verbliebenen Patienten (n=410) in der SELECTED-Studie offen mit 150 mg Daclizumab behandelt. Bei den Patienten, die durchgehend mit 150 mg Daclizumab behandelt wurden, zeigte sich eine anhaltend niedrige jährliche Schubrate (0,15 in Woche 49–72; 0,13 in Woche 73–96; 0,09 in Woche 97–120; 0,05 in Woche 121–144). Auch die Zahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen blieb in dieser Population niedrig (Jahr 1: 1,73; Jahr 2: 1,21; Jahr 3: 0,56).

In der Phase-III-Studie DECIDE wurde Daclizumab in der Dosierung 150 mg s.c. alle vier Wochen eingesetzt und randomisiert, doppelblind mit Interferon beta-1a (IFN-β 1a; Avonex®) 30 µg 1-mal wöchentlich über 96 bis 144 Wochen (mit einer Nachbeobachtung über 24 Wochen) verglichen. Hier reduzierte Daclizumab im Vergleich zu IFN-β 1a

  • die jährliche Schubrate (primärer Endpunkt) von 0,39 auf 0,22 (relative Reduktion um 45%; 95%-KI 36–53; p<0,001,
  • den Anteil der schubfreien Patienten bis Woche 144 (sekundärer Endpunkt) um 41% (HR 0,59; 95%-KI 0,50–0,69; p<0,001),
  • den Anteil der Patienten mit Behinderungsprogression, bestätigt nach 24 Wochen, (tertiärer Endpunkt) um 27% (HR 0,73; 95%-KI 0,55–0,98; p=0,03).

Ein MRT in Woche 96 ergab in der Daclizumab-Gruppe im Vergleich zu IFN-β 1a deutlich weniger neue oder sich vergrößernde T2-hyperintense Läsionen (4,3 vs. 9,4; p<0,001), weniger Gd+-Läsionen (0,4 vs. 1,0; p<0,001) und weniger neue T1-hypointense Läsionen (2,13 vs. 4,43; p<0,0001) (vgl. Psychopharmakotherapie 2016;23:30–1).

Verträglichkeitsdaten

Häufige Nebenwirkungen sind erhöhte Leberwerte, Hautreaktionen und Infektionen (Tab. 1). Häufigste Ursache für einen Studienabbruch waren hepatische Ereignisse oder Hautreaktionen.

Tab. 1. Verträglichkeitsdaten bei Behandlung mit Daclizumab (150 mg s.c. alle 4 Wochen) im Vergleich mit Placebo (SELECT) und Interferon beta-1a 30 µg i.m. alle 4 Wochen (DECIDE) [Präsentation Ziemssen]

Parameter

SELECT (1 Jahr)

DECIDE (2 bis 3 Jahre)

Daclizumab (n=208)

Placebo (n=204)

Daclizumab (n=919)

Interferon beta-1a (n=922)

Leberwerte* 1–3 x ULN

26%

31%

10%

9%

>5 ULN

4%

>1%

6%

3%

Alle hepatischen Ereignisse

9%

6%

16%

14%

Abbruch wegen hepatischer Ereignisse

N.B.

N.B.

5%

4%

Hautreaktionen

18%

13%

37%

19%

Schwerwiegende Hautreaktionen

>1%

0%

2%

<1%

Abbruch wegen Hautreaktionen

N.B.

N.B.

5%

<1%

Infektionen

50%

44%

65%

57%

Schwerwiegende Infektionen

3%

0%

4%

2%

Abbruch wegen Infektionen

N.B.

N.B.

<1%

<1%

*ALT (Alanin-Aminotransferase) oder AST (Aspartat-Aminotransferase); N.B.: nicht beschrieben; ULN: obere Grenze des Normbereichs

Die Ursache der Leberwerterhöhungen ist unklar, weil Daclizumab nicht hepatisch abgebaut wird; diskutiert wird eine immunologische Ursache. Die Mehrzahl der erhöhten Serum-Transaminasen waren asymptomatisch und klangen innerhalb von 30 Tagen spontan ab. Es war keine Häufung zu einer bestimmten Behandlungsphase zu beobachten, das heißt, die Leberwerterhöhungen können zu jeder Zeit auftreten. Deshalb sollten die Leberwerte vor Therapiebeginn und monatlich während der Therapie sowie bis zu vier Monaten nach der letzten Gabe von Daclizumab kontrolliert werden. Bei Transaminasenwerten über dem 3-Fachen des Normwerts (>3 ULN) wird die Behandlung unterbrochen. Bei ALT oder AST >5 ULN (oder ALT oder AST >3 ULN und Bilirubin >2 ULN) muss die Therapie beendet werden.

Hautreaktionen wie Ausschlag, Ekzem, Akne oder seborrhoische Dermatitis sind für die Patienten oft störend, allerdings reversibel und in der Regel mit Glucocorticoiden gut behandelbar. Ausschlag, Dermatitis, Ekzemen oder Psoriasis in der Vorgeschichte scheinen die Neigung zu Hautreaktionen zu erhöhen.

Daclizumab führt zwar zu einer leichten Abnahme der Lymphozytenzahl. Die klinischen Studien haben aber keine Hinweise auf opportunistische Infektionen ergeben.

Bei Schwangeren liegen nur sehr begrenzte Erfahrungen mit Daclizumab vor. Aus tierexperimentellen Studien gibt es keine Hinweise auf schädigende Wirkungen in Bezug auf die Reproduktionstoxizität. Daclizumab soll in Schwangerschaft und Stillzeit nur angewendet werden, wenn sein möglicher Nutzen die potenziellen Risiken für den Fötus rechtfertigt.

Fazit

Daclizumab erweitert mit einem neuen Wirkungsmechanismus die Optionen zur Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose. Die Zulassung erlaubt den Einsatz sowohl bei therapienaiven Patienten mit schubförmiger MS als auch bei Patienten, die mit ihrer bisherigen Therapie unzureichend eingestellt sind. Das monatliche Applikationsintervall könnte etlichen Patienten entgegenkommen. Inwieweit die Vorgabe der monatlichen Leberwertkontrolle und die verbreiteten Hautreaktionen die Akzeptanz der Therapie beeinflussen, wird sich zeigen.

Quelle

Prof. Dr. med. Tjalf Ziemssen, Dresden, Priv.-Doz. Dr. med. Björn Tackenberg, Marburg, Launch-Fachpressekonferenz „Zinbryta®: Neues Wirkprinzip in der Therapie bei schubförmiger Multipler Sklerose“, München, 8. September 2016, veranstaltet von Biogen.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(06)