Methylphenidat und kardiovaskuläre Risiken

Besondere Vorsicht geboten bei Kindern mit kongenitalen Herzfehlern


Reimund Freye, Baden-Baden

In einer südkoreanischen Studie wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Methylphenidat und kardiovaskulären Ereignissen bei jungen Patienten mit ADHS gibt. Dabei wurde das Design einer selbstkontrollierten Fallserienanalyse gewählt, weil es im Vergleich zu Kohorten-Studien eher geeignet sei, Fehlerquellen auszuschließen. Gefunden wurde ein spürbarer Anstieg von Arrhythmien während der Medikationsexposition, insbesondere wenn die Patienten unter kongenitalen Herzfehlern litten. Für Myokardinfarkte, Hypertonie, ischämischen Insult und Herzinsuffizienz wurde kein signifikanter Anstieg eruiert.

Die Analyse der Autoren beruht auf Daten der südkoreanischen Krankenversicherungen. Ausgewählt wurden die Patienten, bei denen im Zeitraum von Anfang 2008 bis Ende 2011 die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) gestellt wurde und die höchstens 17 Jahre alt waren. Von ihnen wurden diejenigen selektiert, denen Methylphenidat (MPH) erstmals verschrieben worden war. In einem weiteren Auswahlschritt wurden nur noch die Patienten inkludiert, bei denen im Beobachtungszeitraum zugleich ein erstmaliges kardiovaskuläres Ereignis aufgetreten ist. Von den eingangs einbezogenen 144258 Patienten trafen alle diese Kriterien schließlich auf 1224 junge Menschen mit ADHS zu.

Jeder Patient ist seine eigene Kontrolle

Das Studiendesign einer selbstkontrollierten Fallserienanalyse ist die Betrachtung jedes einzelnen Falls im zeitlichen Verlauf, wobei jeweils die Zeit der MPH-Exposition sowie die Zeit ohne Arzneimitteleinnahme protokolliert wird. Entscheidend für diese Analyse war, wann das kardiovaskuläre Ereignis auftrat. Nahmen die Patienten während der Zeit des Ereignisses gerade Methylphenidat ein oder nicht?

Die Argumentation für diese Art der Analyse lautet, dass in den großen Kohorten-Studien, die Populationen miteinander vergleichen, die entweder Methylphenidat erhielten oder eben nicht, zu viele unbekannte Faktoren, im Sinne von Confoundern (Störvariablen), mit hineinspielen und somit das Ergebnis verfälschen. Daher, so die Autoren, fänden sich lediglich in verschiedenen Fallberichten kardiovaskuläre Zwischenfälle im Zusammenhang mit dem Stimulans. Die Fallserienanalyse hingegen reduziere die Fehlerquellen, da jeder Patient als seine eigene Kontrolle fungiert.

Als kardiovaskuläres Ereignis wurden Arrhythmie, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz gewertet. Dabei wurde nach dem Start der Medikation nochmals in verschiedene Zeitintervalle differenziert: Tag 1 bis 3, 4 bis 7, 8 bis 14, 15 bis 28, 29 bis 56 und länger als 56 Tage.

Ergebnisse

Von den inkludierten 1224 Kindern und Jugendlichen wurden bei 864 Arrhythmien diagnostiziert, 396 wiesen Bluthochdruck auf, 52 erlitten einen Herzinfarkt, 67 einen Schlaganfall und 44 entwickelten eine Herzinsuffizienz.

Das Risiko für eine Herzrhythmusstörung war in allen betrachteten Zeitintervallen signifikant erhöht, besonders jedoch in den Tagen 1 bis 3 nach Beginn der Einnahme von Methylphenidat, erst im Zeitraum ab Tag 57 war die Erhöhung nicht mehr signifikant. Die Wahrscheinlichkeit eines Bluthochdrucks war unter Methylphenidat nicht erhöht, sofern alle Zeitperioden einbezogen wurden, jedoch konnten höhere Werte im Zeitraum 4 bis 7 Tage nach Start der Behandlung gemessen werden.

Auch bezüglich eines Myokardinfarkts war keine signifikante Risikosteigerung bei Betrachtung der gesamten Expositionszeit zu beobachten, aber es ergab sich eine signifikante Zunahme der Wahrscheinlichkeit nach Ablauf der ersten Woche und blieb bis zum Ende des zweiten Monats signifikant bei kontinuierlicher Einnahme von Methylphenidat. Allerdings ist bei dieser Subgruppe zu beachten, dass bei ihnen die Komorbidität Depression besonders häufig auftrat; 29% der Jugendlichen mit Myokardinfarkt waren gleichzeitig depressiv.

Das absolute Risiko bei Einnahme von Methylphenidat ist gering

Die Subgruppenanalyse ergab eine besonders hohe Anfälligkeit der Patienten mit angeborenem Herzfehler für die Entwicklung von Arrhythmien; bei ihnen war die Inzidenzrate um das 3,5-Fache erhöht. Diese Vorbelastung spielte jedoch bei allen anderen Endpunkten keine Rolle. Ebenso wenig hatte die Höhe der Tagesdosis einen Einfluss auf die Ereignisrate.

Diese Analyse, resümieren die Autoren, ist geeignet, ein relatives Risiko zu identifizieren, dennoch bleibt das absolute Risiko bei diesem Patientenkollektiv gering. Eine Limitierung dieser Studie ist die bei dieser Klientel häufige Komedikation mit Antidepressiva, Antipsychotika und Antikonvulsiva, die einen Einfluss auf die Endpunkte haben könnten.

Da global Methylphenidat immer häufiger verschrieben wird, ist der Benefit des Stimulans mit eventuellen Risiken besonders abzuwägen. Insbesondere sollte dies bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern der Fall sein, da sie einem besonders hohen Risiko für Herzrhythmusstörungen unterliegen. Lässt sich bei diesen Patienten die Einnahme von Methylphenidat nicht vermeiden, ist ein engmaschiges Monitoring indiziert.

Quelle

Shin J-Y, et al. Cardiovascular safety of methylphenidate among children and young people with attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD): nationwide self controlled case series study. BMJ 2016;353:i2550.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(06)