Lang wirkende Opioide

Sterblichkeit durch unerwünschte Wirkungen erhöht


Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Die Verordnung lang wirkender Opioide für nicht durch Krebs bedingte chronische Schmerzen geht im Vergleich zur Verordnung von analgetisch wirkenden Antiepileptika und zyklischen Antidepressiva mit einer signifikant erhöhten Sterblichkeit einher. Dies ergab eine retrospektive Kohortenstudie mit Versicherungsdaten aus Tennessee.

Schön länger ist bekannt, dass eine Zunahme von Opioid-Verordnungen mit einem Anstieg an Todesfällen durch Überdosierung einhergeht. Aber nicht nur Überdosierungen, sondern auch verschiedene unerwünschte Wirkungen wie Atmungsstörungen, kardiovaskuläre Reaktionen, psychomotorische, endokrine, gastrointestinale oder immunologische Effekte können das Sterberisiko der Patienten erhöhen.

Daher wurde in einer retrospektiven Kohortenstudie mit Versicherungsdaten aus Tennessee das Sterberisiko von Patienten untersucht, die wegen nicht durch Krebserkrankungen bedingten chronischen Schmerzen lang wirkende Opioide, analgetisch wirkende Antikonvulsiva oder niedrig dosierte zyklische Antidepressiva erhielten (Tab. 1).

Tab. 1. Studiendesign [Ray WA, et al. 2016]

Erkrankung

Chronische, nicht Krebs-bedingte Schmerzen

Studiendesign

Retrospektive Kohortenstudie

Studienteilnehmer

Patienten, die zwischen 1999 und 2012 eine Therapie mit lang wirkenden Opioiden, Antiepileptika oder zyklischen Antidepressiva begonnen hatten

Kohorten
(gematcht)

  • Opioid-Verschreibung (n=22912)
  • Vergleichsverordnung (n=22912)

Endpunkt

Gesamtsterblichkeit

In der Studie wurden die Daten der Patienten analysiert, die zwischen 1999 und 2012 eine Therapie mit lang wirkenden Opioiden, Antiepileptika oder zyklischen Antidepressiva begonnen hatten. Um Medikations-assoziierte Todesfälle besser erkennen zu können, waren Patienten mit Krebserkrankungen ausgeschlossen. Die Todesursachen wurden anhand der Totenscheine analysiert.

Im Untersuchungszeitraum gab es 23308 neue Verschreibungen für lang wirkende Opioide und 131883 neue Verschreibungen für die Vergleichsmedikamente. Nach dem Matching enthielt die analysierte Kohorte 22912 neue Verschreibungen für Opioide und eine gleiche Zahl an Vergleichsverordnungen.

Häufigste Indikation chronische Rückenschmerzen

Die Patienten waren im Mittel 48 Jahre alt, 60% waren Frauen. Die meisten litten unter chronischen Rückenschmerzen (75%), anderen muskuloskeletalen Schmerzen (63%) und abdominalen Schmerzen (18%). Viele Patienten waren zuvor mit kurz wirkenden Opioiden behandelt worden. Am häufigsten wurden Morphin SR (sustained release), Gabapentin und Amitriptylin verordnet.

Bei Patienten in der Opioid-Gruppe waren nach einer Nachbeobachtungszeit von 176 Tagen 185 Todesfälle aufgetreten, unter der Vergleichsmedikation war es nach einer Nachbeobachtungszeit von 128 Tagen zu 87 Todesfällen gekommen (Tab. 2). Das Hazard-Ratio für die Gesamtsterblichkeit betrug 1,64 mit einer Risikodifferenz von 68,5 zusätzlichen Todesfällen pro 10000 Personenjahre bei Opioidgebrauch. Das erhöhte Sterberisiko unter Opioiden war vor allem auf die außerhalb des Krankenhauses aufgetretenen Todesfälle zurückzuführen, wovon 120 versus 53 Todesfälle nicht auf einer Überdosierung beruhten (Tab. 2). An kardiovaskulären Ursachen starben 79 Patienten der Opioid- und 36 Patienten der Kontrollgruppe. Das Sterberisiko unter Opioiden war vor allem in den ersten 30 Tagen der Therapie mit einem HR von 4,16 hoch (53 vs. 13 Todesfälle).

Tab. 2. Sterblichkeit [nach Ray WA, et al. 2016]

Opioid-Gruppe

Vergleichsgruppe

Hazard-Ratio (95%-Konfidenzintervall); p-Wert

Todesfälle

Inzidenz1

Todesfälle

Inzidenz1

Gesamt

185

167,1

87

107,9

1,64 (1,26–2,12); p<0,001

Außerhalb des Krankenhauses

154

139,1

60

74,4

1,9 (1,40–2,58); p<0,001

  • Überdosierung (unbeabs.)

34

30,7

7

8,7

3,37 (1,47–7,70); p=0,004

  • Andere Ursache

120

108,4

53

65,7

1,72 (1,24–2,39); p=0,001

  • Kardiovasulär

79

71,4

36

44,6

1,65 (1,10–2,46); p=0,02

  • Respiratorisch

10

9,0

3

3,7

3,00 (0,81–11,09); p=0,10

  • Äußere Ursache (außer Überdosierung)

19

17,2

11

13,6

1,15 (0,54–2,47); p=0,72

  • Andere

12

10,8

3

3,7

3,72 (1,04–13,30); p=0,04

Im Krankenhaus

31

28,0

37

33,5

1,00 (0,59–1,69); p>0,99

1 pro 10000 Personenjahre

Fazit

Die Studienergebnisse unterstützen die vor Kurzem publizierten Leitlinien der Centers for Disease Control and Prevention, dass für chronische nicht Krebs-bedingte Schmerzen bevorzugt nichtopioidhaltige Analgetika eingesetzt werden sollten. Bei einem Teil der Patienten überwiegt jedoch der Nutzen einer Therapie mit lang wirkenden Opioiden das leicht erhöhte Sterberisiko. Die Therapieentscheidung muss daher auf einer sorgfältigen Prüfung von Ursachen und Schwere der Schmerzen sowie einer Diskussion mit dem Patienten über Nutzen und Risiken der Therapie basieren.

Quelle

Ray WA, et al. Prescription of long-acting opioids and mortality in patients with chronic noncancer pain. JAMA 2016;315:2415–23.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(05)