Dr.med.Marianne Schoppmeyer, Nordhorn
Aufgrund der Ergebnisse der Japan Alteplase Clinical Trial (J-ACT) [1] wird in Japan und anderen asiatischen Ländern Alteplase in einer Dosierung von 0,6 mg/kg Körpergewicht in der Therapie des ischämischen Schlaganfalls verwendet, während in Europa und den USA eine Dosierung von 0,9 mg/kg Körpergewicht üblich ist. In J-ACT traten weniger intrazerebrale Blutungen auf, als bei japanischen Patienten zu erwarten gewesen wären. Allerdings gab es keine randomisierte Vergleichsgruppe, sodass die Aussagekraft der Studie begrenzt ist.
Internationale Studie
Mit ENCHANTED (Tab. 1) wurde nun eine randomisierte Studie durchgeführt, um zu zeigen, dass eine niedrige Alteplase-Dosierung mindestens so effektiv ist wie die Standarddosis bei gleichzeitiger Reduzierung der Risiken. Dafür wurden 3310 Patienten mit akutem Schlaganfall auf die zwei verschiedenen Alteplase-Dosierungen (0,6 vs. 0,9 mg/kg Körpergewicht) randomisiert. 63% der Patienten stammten aus einem asiatischen Land, die weiteren Patienten aus Südamerika (10%) oder Europa und Australien (27%). Alle Patienten wurden innerhalb von 4,5 Stunden lysiert, nachdem eine intrazerebrale Blutung durch Computer- oder Kernspintomographie ausgeschlossen worden war. Das primäre Ziel der Studie war, eine Nichtunterlegenheit der niedrigen Alteplase-Dosis gegenüber der höheren Dosis nachzuweisen. Der primäre Endpunkt war ein Score von 2 bis 6 auf der modifizierten Rankin-Skala (Tab. 2) 90 Tage nach Therapie.
Tab. 1. Studiendesign von ENCHANTED (Enhanced control of hypertension and thrombolysis stroke study) [nach Anderson CS, et al.]
Erkrankung |
Ischämischer Schlaganfall |
Studienziel |
Nachweis der Nichtunterlegenheit einer Alteplase-Dosierung von 0,6 mg/kg Körpergewicht gegenüber einer Dosierung von 0,9 mg/kg Körpergewicht |
Studientyp |
Nichtunterlegenheitsstudie |
Studiendesign |
Multizentrisch, international, randomisiert, prospektiv, offen |
Intervention |
Alteplase 0,6 mg/kg Körpergewicht (n=1654) Alteplase 0,9 mg/kg Körpergewicht (n=1643) |
Primäre Endpunkte |
Modifizierter Rankin-Score 2 bis 6 am 90. Tag nach der Therapie |
Sekundäre Endpunkte |
Symptomatische intrazerebrale Blutung, Nachweis einer intrazerebralen Blutung in der Computertomographie, Tod, Behinderung, neurologische Verschlechterung, gesundheitsbezogene Lebensqualität, Einzug in ein Seniorenheim, Beanspruchung eines Pflegedienstes |
Sponsor |
National Health and Medical Research Council of Australia, the Stroke Association of the United Kingdom, the National Council for Scientific and Technological Development of Brasil, the Ministry for Health, Welfare, and Family Affairs of South Korea |
Tab. 2. Modifizierte Rankin-Skala [3]
Schweregrad |
Neurologisches Defizit |
0 |
Kein neurologisches Defizit nachweisbar |
1 |
Apoplex mit funktionell irrelevantem neurologischen Defizit |
2 |
Leichter Apoplex mit funktionell geringgradigem Defizit und/oder leichter Aphasie |
3 |
Mittelschwerer Apoplex mit deutlichem Defizit mit erhaltener Gehfähigkeit und/oder mittelschwerer Aphasie |
4 |
Schwerer Apoplex. Gehen nur mit Hilfe möglich und/oder komplette Aphasie |
5 |
Invalidisierender Apoplex. Patient ist bettlägerig bzw. rollstuhlpflichtig |
6 |
Apoplex mit tödlichem Ausgang |
Studienziel verfehlt
Unter der niedrigen Alteplase-Dosierung zeigten 855 von 1607 Patienten (53,2%) einen Score zwischen 2 und 6 auf der modifizierten Rankin-Skala. Nach Gabe der Standarddosis waren dies 817 von 1599 Patienten (51,1%). Die Nichtunterlegenheit der niedrigen Dosierung konnte mit diesen Daten nicht statistisch nachgewiesen werden (Odds-Ratio [OR] 1,09; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,95–1,25; p=0,51 für Nichtunterlegenheit).
Nach den Ergebnissen einer Post-hoc-Analyse scheinen von der niedrigen Alteplase-Dosis insbesonders Patienten zu profitieren, die mit Acetylsalicylsäure vorbehandelt sind.
Aber weniger intrazerebrale Blutungen
Dem verfehlten Studienziel steht die niedrigere Rate intrazerebraler Blutungen gegenüber. Im Vergleich zur Standarddosis führte die niedrigere Dosis von Alteplase bei nur 17 von 1654 Patienten (1,0%) zu einer intrazerebralen Blutung, während unter der Standarddosis 35 von 1643 Patienten (2,1%) betroffen waren (OR 0,48; 95%-KI 0,27–0,86; p=0,01).
Und niedrigere Mortalität
Auch die Mortalität lag bei Patienten, die die Standarddosis erhalten hatten, höher. Nach sieben Tagen waren 5,3% von ihnen verstorben, in der Patientengruppe mit niedriger Dosierung lediglich 3,6% (OR 0,67; 95%-KI 0,48–0,94; p=0,02). Nach 90 Tagen konnte dieser Vorteil noch tendenziell nachgewiesen werden. Es waren 8,5% der Patienten, die mit der niedrigen Alteplase-Dosis lysiert worden waren, verstorben – im Gegensatz zu 10,3% der Empfänger der Standarddosis (OR 0,80; 95%-KI 0,63–1,01; p=0,07). Alle weiteren sekundären Endpunkte zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den zwei Gruppen.
Fazit der Studienautoren
Nach Ansicht der Studienautoren ist die niedrigere Mortalität unter der niedrigen Alteplase-Dosis ein deutlicher Vorteil dieser Therapie. In einer Presseerklärung [2] zur Studie erklärt Prof. Craig Anderson: „Wenn wir die Dosis reduzieren, bleiben die meisten Vorteile der Therapie unter Standarddosis erhalten, aber wir haben signifikant weniger Blutungen und eine bessere Überlebensrate. Insgesamt könnte dieser Ansatz tausenden von Menschen das Leben retten.“
Quelle
Anderson CS, et al. Low-dose versus standard dose intravenous alteplase in acute ischemic stroke. N Engl J Med 2016;374:2313–23.
Literatur
1. Yamaguchi T, et al. Alteplase at 0.6 mg/kg for acute ischemic stroke within 3 hours of onset. Japan Alteplase Clinical Trial (J-ACT). Stroke 2006;37:1810–5.
2. Presseerklärung des George Institute for Global Health, Australia vom 10.05.2016: Major new global study identifies a safer treatment of acute stroke. Online unter www.georgeinstitute.org.au/media-releases/major-new-global-study-identifies-a-safer-treatment-of-acute-stroke (Zugriff am 07.07.2016).
3. Bonita R, et al. Modification of Rankin scale: Recovery of motor function after stroke. Stroke 1988;19:1497–500.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(05)