Depressionen

Milnacipran als neue Therapieoption


Abdol A. Ameri, Weidenstetten

Mit der Zulassung von Milnacipran in Deutschland erweitert ein bereits in vielen anderen Ländern bewährtes Antidepressivum die Behandlungsmöglichkeiten von Patienten mit Depression. Der selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) hat bei überwiegend renaler Elimination ein geringes pharmakokinetisches Interaktionspotenzial und kann auch bei älteren Patienten mit Polypharmazie eingesetzt werden. In Bezug auf seine antidepressive Wirksamkeit ist Milnacipran mit anderen Antidepressiva mindestens vergleichbar, so das Fazit eines Pressegesprächs der Firma Neuraxpharm.

Depressionen gehen häufig mit einer breiten Komorbidität und Polypharmazie einher. Derzeit gibt es keine ausreichende Evidenz für die Verwendung eines bestimmten Antidepressivums. Die Auswahl sollte individuell und unter Berücksichtigung potenzieller Interaktionen mit der Begleitmedikation erfolgen. Mit dem nun auch in Deutschland zugelassenen Milnacipran (Milnaneurax®) hat sich das Spektrum der Antidepressiva um eine interaktionsarme und gut verträgliche Substanz erweitert. In Frankreich und Österreich steht der Wirkstoff bereits seit vielen Jahren für Behandlung von Depressionen zur Verfügung. Milnacipran (Abb. 1) ist ein dualer Wiederaufnahmehemmer von Serotonin und Noradrenalin. In therapeutischer Dosierung hat der Wirkstoff keine klinisch bedeutsame Wirkung an alpha-1-adrenergen, H1-histaminergen, dopaminergen und serotonergen Rezeptoren sowie an Muskarinrezeptoren [1, 2]. Die Elimination erfolgt überwiegend renal (90%). Die Substanz kann daher ohne Dosisanpassung auch bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion eingesetzt werden [2].

Abb. 1. Milnacipran

Keine Beteiligung des CYP-Systems

Milnacipran wird nicht über das Cytochrom-P450-(CYP-)System verstoffwechselt und hat auf die CYP-Enzyme keine inhibitorische oder induzierende Wirkung. Im Vergleich zu vielen anderen Antidepressiva löst es daher deutlich weniger pharmakokinetische Interaktionen mit anderen Arzneistoffen aus [1, 2]. Die Eliminationshalbwertszeit von Milnacipran liegt bei acht Stunden, sodass eine zweimal tägliche Einnahme erforderlich ist. Die Standarddosis beträgt je 50 mg morgens und nachmittags, wobei es sich bewährt hat, die Behandlung mit zweimal täglich 25 mg zu starten und die Dosis nach einer Woche auf zweimal täglich 50 mg zu erhöhen. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz wird die Tagesdosis je nach Creatinin-Clearance auf zwei- oder einmal 25 mg reduziert [2].

Obschon die Substanz in einer randomisierten, doppelblinden, Placebo- und aktiv kontrollierten Parallelgruppenstudie selbst in supratherapeutischen Dosen von 600 mg keine signifikante Verlängerung des QT-Intervalls induzierte [4], wird bei Patienten mit vorbestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine regelmäßige Überwachung von Blutdruck und Herzfrequenz empfohlen [2].

Langjährige Erfahrungen

Nach den langjährigen Erfahrungen in Österreich weist Milnacipran in der Behandlung von Depressionen eine mit anderen Antidepressiva vergleichbare Wirksamkeit auf. Dabei ist es im Allgemeinen gut verträglich und löst keine relevante Gewichtszunahme, keine Störungen der Sexualfunktion und auch keine Absetzsymptome aus.

Die Wirksamkeit in der Behandlung depressiver Episoden ist durch die Ergebnisse älterer Studien gut belegt. Eine Metaanalyse der wichtigsten doppelblinden Studien mit Milnacipran (2-mal täglich 50 mg) im Vergleich zu den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern Fluoxetin (1-mal täglich 20 mg) und Fluvoxamin (2-mal täglich 100 mg) bei erwachsenen Patienten mit mittlerer bis schwerer Depression ergab eine signifikante Überlegenheit des SSNRI in Bezug auf die Ansprechrate, definiert als Anteil der Patienten mit einer Reduktion des HDRS(Hamilton depression rating scale)-Scores gegenüber Baseline um >50% (64% vs. 50%; p<0,001) [3].

Für welche Patienten kommt Milnacipran infrage?

Nach den Ausführungen von Prof. Kasper, Wien, ist Milnacipran für viele Patienten mit einer Depression geeignet. Da die Substanz keinen relevanten Einfluss auf die sexuelle Funktion, das Körpergewicht und die Vigilanz hat, können auch jüngere und aktive Patienten von der Therapie profitieren. Ebenso kann Milnacipran wegen des geringen pharmakokinetischen Interaktionsrisikos auch bei älteren, komedizierten Patienten eingesetzt werden. Depressive Patienten mit psychomotorischen Hemmungen haben möglicherweise einen besonderen Benefit von der noradrenergen Komponente des SSNRI.

Quelle

Dr.med. Gabriel Eckermann, Kaufbeuren, Prof. Dr.med. Siegfried Kasper, Wien „Milnaneurax®: Neues starkes Antidepressivum schließt Therapielücke in Deutschland“, München, 23. Juni 2016, veranstaltet von Neuraxpharm.

Literatur

1. Benkert O, Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 10. Aufl. Berlin: Springer, 2014:154.

2. Fachinformation Milnaneurax®, Stand April 2016.

3. Lopez-Ibor J, et al. Milnacipran and selective serotonin reuptake inhibitors in major depression. Int Clin Psychopharmacol 1996; 11(Suppl 4):41–6.

4. Periclou A, et al. Effects of milnacipran on cardiac repolarization in healthy participants. J Clin Pharmacol 2010;50:422–33.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(05)