Antipsychotika

Bessere Lebensqualität unter Atypika


Dr. Petra Jungmayr, Esslingen

Die Lebensqualität schizophrener Patienten ist bei einer individualisierten Auswahl der Wirkstoffe unter Atypika signifikant höher als unter den klassischen Antipsychotika, wie eine deutsche multizentrische Doppelblindstudie zeigte. Unter klinischen Aspekten weisen die Atypika keine Vorteile auf und es treten mehr metabolische Nebenwirkungen auf.

Zwischen 2005 und 2008 verglichen drei nicht von der Industrie unterstützte Studien – CATIE (Clinical antipsychotic trials of intervention effectiveness), CUtLASS (Cost utility of the latest antipsychotic drugs in schizophrenia) und EUFEST (European first episode schizophrenia trial) – klassische Antipsychotika (=Antipsychotika der ersten Generation) mit den neueren Atypika (=Antipsychotika der zweiten Generation) und griffen bei ihrer Beurteilung unter anderem auch auf die Lebensqualität der Betroffenen zurück. Doch nach wie vor ist nicht eindeutig geklärt, ob bei der Behandlung schizophrener Patienten die neueren Atypika den älteren klassischen Antipsychotika überlegen sind, zumal die drei obigen Studien methodische Schwächen aufwiesen. In einer aktuellen Studie einer deutschen Arbeitsgruppe wurde nun erneut ein Vergleich der Lebensqualität unter der Behandlung mit Atypika und klassischen Substanzen durchgeführt, wobei im Gegensatz zu den obigen Studien die vom Patienten beurteilte Lebensqualität im Vordergrund stand [1].

NeSSY-Studie

Die „Neuroleptic Strategy Study“ (NeSSy) war als randomisierte, doppelblinde Studie konzipiert, die zwischen 2010 und 2013 an 14 psychiatrischen Krankenhäusern in Deutschland durchgeführt wurde. An ihr nahmen 149 an Schizophrenie erkrankte Patienten (ICD-10: F20.X) im Alter von 18 bis 65 Jahren teil, bei denen eine Indikation zur medikamentösen Neueinstellung oder eine Umstellung aufgrund unbefriedigender Ergebnisse oder Nebenwirkungen erforderlich war. Unterstützt wurde die Studie vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung). In der Studie wurden zwei klassische Antipsychotika (6–12 mg Flupentixol und 3–6 mg Haloperidol) mit drei Atypika (10–20 mg Aripiprazol, 10–20 mg Olanzapin, 400–800 mg Quetiapin) verglichen. Die Besonderheit daran war, dass innerhalb einer Wirkstoffklasse eine gewisse Individualisierung der Therapie möglich war, sodass die Auswahl der Arzneistoffe individuell auf den Patienten abgestimmt werden konnte (Kasten). Das heißt, trotz Randomisierung und Doppelblindheit bestand die Möglichkeit einer patientenorientierten Entscheidung.

Patientenorientierte Randomisierung

Die Randomisierung für die Neuroleptic Strategy Study (NeSSy) erfolgte in zwei Schritten.

Im ersten Schritt wurden dem Patienten zwei zufällig ausgewählte der sechs möglichen Paarungen von klassischem Antipsychotikum und atypischem Antipschotikum zugewiesen. Der behandelnde Arzt wählte hieraus diejenige Paarung aus, die ihm in Bezug auf beide Antipsychotika besser für den Patienten geeignet erschien.

Im zweiten Schritt wurde der Patient doppelblind auf eines der beiden Antipsychotika dieser Paarung randomisiert.

Studienendpunkte

Primäre Studienendpunkte waren die Behandlungszufriedenheit des Patienten (gemessen mithilfe von SF-36; Short form 36 health survey) und die Erfolgskontrolle durch den behandelnden Arzt (CGI-I; Clinical global impression-improvement). Diese Werte wurden als AUC (Area under the curve) auf einer logarithmisch umgewandelten Zeitskala gemessen. Sekundäre Endpunkte beinhalteten das subjektive Wohlbefinden unter Neuroleptika (SWN-K), die persönliche und soziale Leistungsfähigkeit (PSP), die Psychopathologie, gemessen mithilfe der PANSS (Positive and negative syndrome scale) und die Sicherheit der Therapie (u.a. unerwünschte Wirkungen, Drop-out-Raten). Die Behandlungsdauer umfasste 24 Wochen; 69 Probanden wurden der Gruppe der klassischen Antipsychotika, 80 der Atypika-Gruppe zugeteilt. 136 randomisierte Patienten (63 der klassischen Gruppe, 73 der Atypika-Gruppe) erhielten mindestens eine Dosis der Studienmedikation. Die Anzahl der Studienabbrecher war in beiden Gruppen hoch: 83% der klassischen Antipsychotika-Gruppe und 71% der Atypika-Gruppe.

Studienergebnisse

Die Lebensqualität war bei den Patienten, die ein Atypikum erhalten hatten, höher als bei den Patienten unter einer Therapie mit klassischen Antipsychotika. So waren die AUC-Werte der Lebensqualität (SF-36) unter Atypika signifikant höher als unter den klassischen Antipsychotika (85,1 [Standardabweichung, SD, 14,7] vs. 79,7 [SD 17,3]; p=0,0112) (Tab. 1).

Tab. 1. Primäre Studienergebnisse der Neuroleptic Strategy Study (NeSSy) [Gründer et al. 2016]

Klassische Antipsychotika

Atypika

p-Wert

n

Mittelwert (95%-KI)

n

Mittelwert (95%-KI)

Primärer Studienendpunkt (Gesamtanalyse)

  • SF-36

60

79,7 (75,2–84,2)

67

85,1 (81,5–88,7)

0,0122

  • CGI-I

63

3,39 (3,16–3,61)

73

3,26 (3,04–3,47)

0,3423

Primärer Studienendpunkt (per protocol)

  • SF-36

26

85,6 (79,18–92,02)

37

89,6 (85,8–93,5)

0,3464

  • CGI-I

26

2,77 (2,50–3,03)

37

2,81 (2,55–3,08)

0,7579

SF-36: Short form 36 health survey; CGI-I: Clinical global impression-improvement

Die Veränderungen bei der CGI-I unterschieden sich in den beiden Gruppen nicht signifikant. Beide AUC-Werte nahmen ab und betrugen (3,39 [SD 0,89]) unter den klassischen Antipsychotika und 3,26 [SD 0,92] unter Atypika (p=0,3423) (Tab. 1).

Keine signifikanten Unterschiede fanden sich für psychopathologische Parameter, gemessen mit der PANSS, für die persönliche und soziale Leistungsfähigkeit (PSP) und für das subjektive Wohlbefinden unter Neuroleptika (SWN-K). Unterschiede zeigten sich hingegen beim Body-Mass-Index, der unter Atypika stärker anstieg als unter den klassischen Antipsychotika: So nach Woche 6 unter den klassischen Antipsychotika um 0,05 kg/m² (SD 0,71) und unter Atypika um 0,54 kg/m² (SD 1,32); p=0,0021 sowie nach Woche 24 um 0,13 kg/m² (SD 1,31) unter klassischen Antipsychotika und unter Atypika um 0,68 kg/m² (SD 1,50); p=0,0041. Dieser Anstieg war im Wesentlichen auf den Anstieg des Body-Mass-Index bei den Patienten, die mit Olanzapin oder mit Quetiapin behandelt wurden, zurückzuführen.

48% der klassischen Antipsychotika-Gruppe klagten über mindestens eine unerwünschte Wirkung vs. 57% in der Atypika-Gruppe. Die meisten Nebenwirkungen waren zentralnervöser oder psychischer Natur und traten unter der klassischen Antipsychotika-Therapie bei 60% (zentralnervös) bzw. 33% (psychisch) auf vs. 45% (zentralnervös) bzw. 38% (psychisch) unter Atypika. Ein Patient verstarb nach Absetzen von Olanzapin, wahrscheinlich aufgrund von Drogenmissbrauch.

Kommentar zur Studie

Kommentatoren dieser in Lancet Psychiatry publizierten Studie loben das Studiendesign, das trotz Verblindung eine gewisse Individualisierung ermöglichte, und unterstreichen die praxisbezogene Auswahl der eingesetzten Wirkstoffe [2]. Als weiteres Plus wird die Wahl des primären Studienendpunkts – die vom Patienten eingeschätzte Lebensqualität – hervorgehoben, insbesondere ihre Quantifizierung mithilfe der AUC, die die durchschnittliche Lebensqualität eines jeden Patienten reflektiert. Es konnte gezeigt werden, dass eine Therapie aus der Patientenperspektive Vorteile gegenüber einer Vergleichstherapie haben kann, während aus der Sicht des Arztes die negativen Aspekte – in diesem Fall die Zunahme des Body-Mass-Index – stärker bewertet werden. Da jedoch der Patient die Medikation akzeptieren muss, ist auch dessen Beurteilung von Bedeutung. Dieser Tatsache wurde mit dieser Studie Rechnung getragen.

Quellen

1. Gründer G, et al. Effects of first-generation antipsychotics versus second-generation antipsychotics on quality of life in schizophrenia: a double-blind, randomised study. Lancet Psychiatry 2016;3:717–29.

2. Leucht S, et al. Second-generation antipsychotics and quality of life in schizophrenia. Lancet Psychiatry 2016;3:694–5.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(05)