Adhärenz, Therapiezufriedenheit und -information bei stationären psychiatrischen Patienten


Lisa Kristina Blindzellner, Maximilian Benedikt Kuhn, München, Sebastian Lenhart, Volker Lemsch und Margot Albus, Haar

In vorliegender Querschnittstudie befragten wir 244 stationäre psychiatrische Patienten des kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost. Wir untersuchten ihre Einstellung gegenüber der medikamentösen Therapie mithilfe des DAI(Drug attitude inventory)-10-Scores, ihre Zufriedenheit mit der Aufklärung in der Klinik und ihr objektives Wissen über die Medikation. Mittels statistischer Analyse durch Chi-Quadrat-Test konnten wir eine höchst signifikante positive Korrelation zwischen der Einstellung gegenüber der Therapie und der Benotung der Aufklärung feststellen, wohingegen das objektive Wissen über die Therapie mit beiden Variablen nicht signifikant assoziiert war. Wir schließen daraus, dass es für das Patientengespräch zur Pharmakotherapie zwischen Angehörigen der Heilberufe und Patient zwei wesentliche Ziele geben sollte: 1.) ein Bewusstsein und Verständnis des Patienten für die Krankheit und die Therapie zu schaffen und 2.) Informationen zur Therapie zu vermitteln. Ersteres führt zur einstellungsbezogenen Adhärenz des Patienten und zu Zufriedenheit mit der Aufklärung, Letzteres zu Compliance und so zu einer sicheren und wirksamen Therapie.
Schlüsselwörter: Adhärenz, Compliance, Therapiezufriedenheit, Psychiatrie
Psychopharmakotherapie 2016;23:204–8.

Compliance und Adhärenz beschreiben „das Ausmaß, in dem ein Patient seine Medikation wie verschrieben anwendet“. Adhärenz geht dabei über den Begriff der Compliance hinaus, indem es nicht nur das passive Befolgen der ärztlichen Anweisungen einbezieht, sondern auch das Einverständnis des Patienten mit der Therapie [5, 26].

Ein einfacher Vergleich unterschiedlicher Studien zu diesem Thema wird dadurch erschwert, dass in einigen Fällen die Begriffe Adhärenz und Compliance synonym gebraucht werden. Zudem sind die Mittel, mit denen Adhärenz und Compliance untersucht werden, unterschiedlich, sie reichen von physiologischen Untersuchungen und Auszählen der eingenommenen Tabletten bis hin zu Fragebögen zur Einstellung gegenüber der Therapie (vgl. für einen Überblick „Methods of Defining and Assessing Adherence“ in [28]). Die meisten Studien im englischsprachigen Raum benutzen heute den Begriff Adhärenz für jedwede Art der Therapietreue, während im deutschen Sprachraum oft noch der Begriff der Compliance Anwendung findet. Im folgenden Text werden wir Compliance als Begriff für das Ausmaß des Befolgens der ärztlichen Anweisungen verwenden, auch dann, wenn beim Patienten kein Einverständnis oder sogar eine Aversion gegen die Anwendung besteht – im Gegensatz dazu verwenden wir den Begriff einstellungsbezogene Adhärenz für das Einvernehmen des Patienten mit der Therapieentscheidung des Arztes, auch dann, wenn der Patient beispielsweise physisch nicht mehr in der Lage sein sollte, compliant zu sein. Für einen einfacheren Sprachgebrauch wollen wir als Synonym für einstellungsbezogene Adhärenz den Begriff Akkordanz in den Diskurs einführen. Adhärenz dagegen verwenden wir im Sinne einer Fusion der beiden Begriffe.

Mangelnde Adhärenz ist ein Therapieproblem, das bis zu 50% der Patienten betrifft [4]; insbesondere psychiatrische Patienten, die an einer Psychose [2], einer bipolaren Störung [13, 14] oder einer Depression leiden [7], scheinen betroffen. Bei psychotischen Patienten wurde mangelnde Adhärenz als wichtigste Ursache für Rezidive und stationäre Einweisungen identifiziert [21, 22, 27] und war beispielsweise mit längerer Hospitalisierung, gesteigerten Suizidraten und höherer Mortalität sowie erhöhtem Risiko für Gewalttaten und Festnahmen assoziiert [1, 15, 16]. Die Adhärenz zur Therapie zu verbessern wird daher gesundheitsökonomisch als einer der effektivsten und kostengünstigsten Wege betrachtet, die Kosten im Gesundheitssektor zu senken und das Wohlbefinden der Patienten zu steigern – nicht nur, aber gerade bei psychiatrischen Patienten [11].

Methoden

Ziel

Ziel der Studie war es, zu analysieren, ob in dem gewählten Patientenkollektiv statistische Korrelationen zwischen 1.) einstellungsbezogener Adhärenz, 2.) Zufriedenheit mit der Aufklärung über die Medikamente in der Klinik und 3.) objektivem Wissen über die Therapie bestehen.

Teilnehmer

In 19 Stationen des kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost wurden insgesamt 244 Patienten befragt, die aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung im April 2015 oder im August 2015 hospitalisiert waren. 216 Patienten beantworteten alle Fragen des Fragebogens und konnten damit in die Umfrage aufgenommen werden, 28 Patienten antworteten nur fragmentarisch und konnten so keinen Eingang in die Auswertungen finden.

Durchführung

Ein Bogen wurde erstellt, der den DAI-10-Fragebogen (Drug attitude inventory), eine Benotung der Informationsleistung des Klinikpersonals zur Therapie und einen leeren Medikationsplan in dieser Reihenfolge enthielt. Die Befragungen wurden von Pharmaziestudenten des 7. Semesters im Rahmen eines Wahlpflichtpraktikums, entweder allein mit dem Patienten oder, wenn vom Patienten gewünscht, in Gegenwart eines Angehörigen durchgeführt. Die Patienten wurden durch das Klinikpersonal nicht vorselektiert, sondern einzeln von den Studenten angesprochen und gebeten, an der Studie teilzunehmen. Wie in jeder freiwilligen Umfrage kann dadurch ein Teilnahme-Bias entstehen, wobei schwerer zugängliche Patienten in der Studie unterrepräsentiert sind.

Einverständniserklärung

Die Patienten wurden zunächst mündlich und schriftlich über die Studie informiert. Sie wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Name nur aufgenommen wird, um Medikationsinformationen aus ihrer Patientenakte auszulesen, und die Daten daraufhin anonymisiert werden. Insbesondere wurden die Patienten informiert, dass die Antworten nicht namentlich an die behandelnden Ärzte weitergeleitet werden. Wenn sie dem zustimmten, unterschrieben die Patienten eine Einverständniserklärung. Die Studie wurde mit der Klinikleitung, dem Personalrat und dem Datenschutzbeauftragten der Klinik abgestimmt.

Akkordanz: DAI-10

Verschiedenste Methoden wurden entwickelt, um Adhärenz, beziehungsweise einstellungsbezogene Adhärenz, dichotom erfassen zu können, darunter der von Hogan et al. entwickelte DAI-10 [9]. Dies ist einer der meistgenutzten Fragebögen bei der Befragung psychiatrischer Patienten, der ursprünglich für die Befragung psychotischer Patienten entwickelt wurde. Da die zugehörigen Fragen aber weit gefasst sind und nicht nur auf psychotische Patienten bzw. Antipsychotika, sondern auch auf andere psychotrope Medikamente zutreffen und Antipsychotika zudem zur Behandlung einer Reihe weiterer psychiatrischer Erkrankungen Anwendung finden, wurde der DAI-10 bereits in einigen Studien erfolgreich zur Untersuchung von Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen angewendet [3, 25] und hat sich zum Goldstandard der Adhärenz-Forschung in der Psychiatrie entwickelt. In unsere Befragung fanden ebenfalls Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen Eingang.

Der DAI-10 besteht aus zehn Teilfragen. Alle Fragen sollten mit Ja (J) oder Nein (N) beantwortet werden und wurden anschließend im Vergleich zum Muster eines vollständig adhärenten Fragebogens ausgewertet (1J, 2N, 3J, 4J, 5N, 6N, 7J, 8N, 9J, 10J). Übereinstimmung einer Frage mit dem Musterbogen ergab einen Wert von 1, Nichtübereinstimmung –1. Daraufhin wurde die Summe der Einzelwerte gebildet. Eine Summe größer als 0 wurde als „akkordant“, kleiner 0 als „nicht akkordant“ interpretiert; Personen mit einer Summe von 0 wurden als neutrale Gruppe bewertet.

Der englische Wortlaut des ursprünglichen DAI-10 wurde wie folgt ins Deutsche übersetzt:

1. „Für mich überwiegen die Vorteile der Medikamente die Nachteile“

2. „Ich fühle mich seltsam, ‚zugedröhnt‘, unter Medikamenten“

3. „Ich nehme die Medikamente aus meiner eigenen freien Entscheidung“

4. „Mit Medikamenten fühle ich mich entspannter“

5. „Mit Medikamenten fühle ich mich müde und schwerfällig“

6. „Ich nehme Medikamente nur, wenn ich mich krank fühle“

7. „Ich fühle mich mit Medikamenten normaler als ohne“

8. „Es ist unnatürlich, dass mein Geist und mein Körper von Medikamenten gelenkt wird“

9. „Meine Gedanken sind mit Medikamenten klarer“

10. „Medikamente einzunehmen wird mich davor schützen, einen Zusammenbruch zu erleiden“

Für den DAI-10 wurde gezeigt, dass er eine kurze und verlässliche Methode darstellt, einstellungsbezogene Adhärenz psychiatrischer Patienten zu erfassen [8, 19]. Wir konnten für unsere Befragung eine für einen Fragebogen aus nur zehn Einzelfragen akzeptable interne Konsistenz feststellen, mit einem Cronbach-α von 0,613.

Zufriedenheit mit der Information

Die Zufriedenheit der Patienten mit der Aufklärung durch Ärzte, Psychologen und Pflegepersonal zu ihrer Erkrankung und Therapie wurde in deutschen Schulnoten von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) bewertet. Der Wortlaut der Frage lautete: „In Schulnoten, wie zufrieden waren Sie mit der Aufklärung der Arzneimittel im Krankenhaus?“. Eine Note 1 oder 2 wurde von uns als „zufrieden mit der Information“, eine Note von 3 oder niedriger als „unzufrieden mit der Information“ bewertet.

Wissen über die Therapie

Die Patienten wurden aufgefordert, von ihrer momentanen Medikation Name des Wirkstoffs oder Handelsname, Indikation, Dosierungsintervall und Dosierung zu nennen. Das Patientenwissen über die Therapie wurde als Prozentzahl der gesamten Arzneimittel erfasst, von denen die Patienten mindestens eine der folgenden Angaben nennen konnten:

  • Namen des Wirkstoffs
  • Handelsnamen
  • Indikation UND Dosierung
  • Indikation UND Dosierungsintervall

Selbstmedikation und Bedarfsmedikation wurden nicht in die Bewertung einbezogen. Jegliche Hilfen wie gedruckte Medikationspläne, Mobiltelefone oder Notizen durften benutzt werden. Im Falle kleinerer Fehler (z.B. „Apiprazol“ anstelle von „Aripiprazol“) wurde von den Befragenden Unterstützung geleistet. Die zugrundeliegende Frage war: In welchem Maße ist ein Patient in der Lage, im Gespräch mit einem Angehörigen der Heilberufe seine Medikation zu rekonstruieren? Der vom Patienten ausgefüllte Medikationsplan wurde anschließend mit dem Medikationsplan der Patientenakte verglichen und es wurde der Prozentsatz der nach obigen Kriterien als richtig eingestuften Arzneimittel ermittelt, bezogen auf die Arzneimittelanzahl in der Akte oder die vom Patienten genannte, wobei die größere ausschlaggebend war. Ein Prozentsatz von 100% wurde als „ausreichend sachkundig“ oder „gutes Therapiewissen“ bewertet, ein Prozentsatz unter 100% als „unzureichend sachkundig“ oder „Therapiewissen verbesserungsbedürftig“.

Statistik

Da nicht von einer Gauß-Verteilung der Variablen ausgegangen werden konnte, benutzen wir den Chi-Quadrat-Test mithilfe von Microsoft® Excel®, um statistische Korrelationen zwischen den Variablen festzustellen. Von einer signifikanten Korrelation sprechen wir ab einem Signifikanzniveau von α=5%, von hoch signifikant ab α=1% und von höchst signifikant ab α=0,1%. Wenn nicht anders angegeben, handelt es sich um eine Korrelation zweier dichotomer Variablen (df=1) mit einem kritischen Wert für χ2 von 3,841 für α=5%, 6,635 für α=1% und 10,828 für α=0,1%.

Resultate

Überblick

Von den 216 ausgewerteten Patienten waren 102 (47%) männlich und 114 (53%) weiblich. Ihr Alter reichte von 18 bis 90 Jahre, mit einem Median bei 43 (43,5 männlich bzw. 42,5 weiblich) und dem ersten und dritten Quartil bei 32 bzw. 54 Jahren. 38% der Patienten waren in der Lage, ihre Medikation fehlerfrei wiederzugeben und wurden so als „ausreichend sachkundig“ klassifiziert. 74% hatten einen DAI-10 über 0 – mutmaßlich „akkordant“, 15% einen DAI-10 unter 0 – mutmaßlich „nicht akkordant“. In der neutralen Gruppe (DAI =0) befanden sich 24 (11%) der Patienten. 53% bewerteten die Information durch das Klinikpersonal mit 1 oder 2 – „zufrieden mit der Information“.

Geschlecht

Es konnten keine signifikanten Korrelationen zwischen dem Geschlecht und einer anderen untersuchten Variable festgestellt werden.

Alter (und Polypharmazie)

Höheres Alter war statistisch mit schlechterem Medikationswissen und einer höheren Anzahl an Medikamenten assoziiert. Außerdem besteht eine Korrelation zwischen Unzufriedenheit mit der Information und jüngerem Alter (1. Quartil <32, χ2=15,7, höchst signifikant; 2. Quartil <43, χ2=4,15, signifikant). Zwischen Adhärenz und Alter konnte keine klare Korrelation festgestellt werden.

Medikationswissen/Zufriedenheit mit Information/einstellungsbezogene Adhärenz

Zwischen dem Medikationswissen und der einstellungsbezogenen Adhärenz besteht keine signifikante Korrelation (DAI >0, χ2=0,235; DAI <0, χ2=0,261), ebenso wenig zwischen Medikationswissen und Zufriedenheit mit der Information (χ2=0,003).

Es zeigte sich eine höchst signifikante Korrelation zwischen höherer einstellungsbezogener Adhärenz und höherer Zufriedenheit mit der Aufklärung (DAI >0, χ2=29,8; DAI <0, χ2=11,6). Schlüsselt man die DAI-10-Fragen einzeln auf, so korrelierten adhärente Antworten auf Frage 4 höchst signifikant, adhärente Antworten auf die Fragen 5, 7 und 8 hoch signifikant. Die Fragen 3, 6, 9 und 10 waren statistisch signifikant, die Fragen 1 und 2 nicht signifikant korreliert.

Diskussion

Limitierungen

Aus den vorliegenden Daten kann nicht darauf geschlossen werden, ob die beobachteten statistischen Korrelationen einen Kausalzusammenhang widerspiegeln oder gar, welche Variable Ursache und welche Wirkung darstellt. Geschlecht und Alter können aufgrund größtenteils fehlender statistischer Korrelationen für die unten diskutierten Zusammenhänge als Störfaktor ausgeschlossen werden. Für den Zusammenhang zwischen Zufriedenheit mit der Information und einstellungsbezogener Adhärenz erscheint eine „zugängliche Persönlichkeitsstruktur“ als mögliche Störvariable. Diese würde dazu führen, dass die Patienten schneller und einfacher vom Klinikpersonal von den Vorteilen der Therapie überzeugt werden und dieses Informationsgespräch im Nachhinein auch als zufriedenstellender bewerten.

Das Resultat der Variable „Zufriedenheit mit der Therapie“ könnte durch persönliche Erfahrungen und Bedeutungen von Schulnoten beeinflusst worden sein: Mag für den einen eine Note 4 noch immer positiv konnotiert sein, betrachten andere eine Note 2 bereits als negativ. Für zukünftige Studien kann eine bessere Vergleichbarkeit eventuell durch Likert-Skalen oder neutrale Ziffern-Skalen von 1 bis 10 erreicht werden.

Für die Variable „Akkordanz“ wäre wohl die Anwendung eines DAI-10 mit Likert-Skala mit der Möglichkeit zur Abstufung von Antworten eine alternative, eventuell präzisere Weiterentwicklung (vgl. zur Anwendung [25]). Dabei stellt sich gleichwohl die Frage nach der mathematischen Gewichtung der Antworten bei der Auswertung.

Diskussion

Ein statistischer Zusammenhang zwischen Zufriedenheit mit der Information und einstellungsbezogener Adhärenz (=Akkordanz) konnte klar nachgewiesen werden. Es bleibt aber reine Spekulation, ob beispielsweise Patienten, die mit der Information in der Klinik zufrieden sind, eine höhere Akkordanz zeigen oder akkordante Patienten sich besser informiert fühlen.

Interessant erscheint auch der Zusammenhang zwischen niedrigerem Alter und geringerer Zufriedenheit mit der Aufklärung. Ursachen für diesen Zusammenhang zu ergründen führt hier zu weit, wäre aber gleichwohl ein lohnender Ansatzpunkt für kommende Studien.

Weiterhin wäre interessant zu erarbeiten, ob und, wenn ja, welchen Einfluss der Therapieverlauf auf die hier untersuchten Parameter hat. Unsere Umfrage stellt eine Momentaufnahme dar, die keine Rückschlüsse über den Erfolg vorangegangener oder momentaner psychiatrischer Therapie zulässt und auch keine über die aktuelle Krankheitslast.

Der fehlende Zusammenhang zwischen Medikationswissen und Zufriedenheit mit der Information lässt den Schluss zu, dass für die Patienten ein klarer Unterschied besteht zwischen Vermittlung von Therapieinformationen, die zu einem besseren Medikationswissen führen, und „zufriedenstellender Information“.

Höchst signifikant mit der Zufriedenheit der Aufklärung korreliert war die Bejahung der Frage 4 („mit Medikamenten fühle ich mich entspannter“). Hoch signifikant war die Bejahung der Frage 7 („ich fühle mich mit Medikamenten normaler als ohne“) sowie die Verneinung der Fragen 5 und 8 („mit Medikamenten fühle ich mich müde und schwerfällig“ bzw. „es ist unnatürlich, dass mein Geist und mein Körper von Medikamenten gelenkt wird“). Nicht signifikant verknüpft war die Beantwortung der Fragen 1 und 2 („für mich überwiegen die Vorteile der Medikament die Nachteile“ bzw. „ich fühle mich seltsam, ,zugedröhnt‘, unter Medikamenten“). Die für die Angehörigen der Heilberufe intuitive Nutzen-Risiko-Abwägung einer Arzneimitteltherapie und deren direkte Nebenwirkungen (z.B. Sedierung) sind demnach weniger stark mit der Aufklärungszufriedenheit verknüpft als eher emotional besetzte Begriffe wie Entspannung, Normalität und Natürlichkeit.

Das völlige Fehlen eines statistischen Zusammenhangs zwischen Medikationswissen und Akkordanz ist für Angehörige der Heilberufe kontraintuitiv. Dieser fehlende Zusammenhang erlaubt uns, zwei Kausalbeziehungen zu verneinen: Auf der einen Seite führt Akkordanz nicht zu Medikationswissen und damit Compliance, auf der anderen Seite führt Medikationswissen nicht zu einer höheren Bereitschaft zur Therapie. Hier zeigt sich die klare Trennung zwischen den beiden Teilbereichen der Adhärenz: der Compliance und der Akkordanz. Es lassen sich zwei Extrembeispiele von Patienten entwerfen:

  • Der compliante Typus ist mit seinen Medikamenten und Einnahmeschemata gut vertraut, aber ohne Verständnis für die Gründe der Therapie und Einsicht in diese
  • Der akkordante Typus ist einsichtig, dass seine Erkrankung eine Therapie erfordert, besitzt aber kein praktisches Wissen über deren Durchführung

Daraus ergeben sich für das betreuende Klinikpersonal, aber auch für die später in der ambulanten Versorgung zuständigen Ärzte und Apotheker zwei Phasen des Patientengesprächs, wie sie auch beispielsweise in der wissenschaftlich gut untersuchten Methode der motivierenden Gesprächsführung praktiziert werden [17]:

  • Phase 1 des Patientengesprächs hat das Ziel, mithilfe einer dirigierenden Gesprächstechnik intrinsische Motivation zur Durchführung der Therapie aufzubauen, indem sowohl Vorurteile und Ängste des Patienten wie auch Vorteile der Therapie adressiert werden und so Ambivalenzen abgebaut werden. Es soll eine Einsicht des Patienten in Krankheit und Therapie gefördert werden. Die Wirksamkeit solcher Interventionen, zum Beispiel Psychoedukation, auf die Adhärenz (spezifischer die Akkordanz) ist wissenschaftlich gut belegt [6, 18, 23]. Aufgrund des von uns festgestellten Zusammenhangs besteht Anlass zur Vermutung, dass insbesondere diese erste Phase des Patientengesprächs von den Patienten als „zufriedenstellende Information“ empfunden wird und in der Folge zu Akkordanz führt (vgl. auch [28]).
  • Phase 2 des Patientengesprächs dient dazu, Therapieinformationen zu vermitteln. Dabei wird insbesondere die Art der Anwendung, Häufigkeit und Dauer der Therapie adressiert. Diese Phase ist hochrelevant für eine sichere und effektive Therapie und resultiert in verbesserter Compliance [20, 24]. Wie wir zeigen konnten, führt jedoch eine Vermittlung von Therapiewissen nicht zu verbesserter Akkordanz.

In zurückliegenden Studien zum Thema Compliance und Adhärenz konnte eine Zahl von Faktoren identifiziert und klassifiziert werden, die diese Variablen beeinflussen [10, 12]. Mit Bezug auf die Klassifizierung von Jin et al. kann eine Untergliederung in Faktoren vorgenommen werden, die von Patienten, Therapie, Gesundheitssystem und sozioökonomischem Status abhängen [10]. In einer lösungsorientierten Analyse werden sich Verantwortliche im Gesundheitssystem vor allem auf einfach veränderliche Therapie- und Patienten-abhängige Faktoren konzentrieren, da durch Beschäftigung mit diesen die höchste Adhärenz-Rendite erreicht werden kann. Dies betrifft im Besonderen Akkordanz und Therapiewissen. Anhand der vorliegenden Daten zeigte sich eine klare Trennung zwischen diesen beiden Faktoren. In den letzten Jahren hat sich zusehends der weiter gefasste Begriff der Adhärenz durchgesetzt, der neben Compliance auch Akkordanz miteinbezieht. Ein interessanter Ansatzpunkt für weitere Studien wäre, inwiefern sich diese Veränderungen bereits in den Patientengesprächen in der Praxis niederschlagen, das heißt, wie groß der Stellenwert der Vermittlung von Akkordanz im Gegensatz zur Vermittlung von Therapiewissen tatsächlich ist.

Danksagung

Unser Dank geht an Prof. Dr. Christian Wahl-Schott und Dr. Cornelia Vetter-Kerkhoff für die Organisation des pharmazeutischen Wahlpflichtpraktikums von Seiten der Ludwig Maximilians-Universität, München. An Lisa Kristina Blindzellner, Maximilian Benedikt Kuhn, Julia Tanja Lamm und Christina Seitz für die Durchführung der Befragungen. Last but not least we thank Prof. Dr. A. George Awad for his advice and the allowance to use the DAI-10.

Interessenkonflikterklärung

Maximilian Kuhn: Beschäftigung bei Amgen GmbH.

Lisa Blindzellner: Beschäftigung bei Pfizer Deutschland GmbH.

Sebastian Lenhart, Volker Lemsch und Margot Albus erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.

Literatur

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Sebastian Peter Lenhart, Apotheke des kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost, Ringstraße 10, 85540 Haar, E-Mail: sebastianpeter.lenhart@kbo.de

Lisa Kristina Blindzellner, Maximilian Benedikt Kuhn, München

Volker Lemsch, Prof. Dr. Dr. Margot Albus, M.Sc., kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost, Ringstraße 10, 85540 Haar

Adherence, satisfaction with informing and knowledge of therapy among hospitalized psychiatric patients

In this cross-sectional study we surveyed 244 hospitalized psychiatric patients of the kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost, assessing their predictive attitudinal adherence via the DAI-10 (drug attitude inventory-10) count, their contentment with informing about their medication and their knowledge of therapy. By statistical analysis via χ2-test, we found a significant positive correlation between attitudinal adherence and content with informing; the knowledge of therapy correlated with neither of both. We assume that two main aims of doctor-patient consultation exist: providing information about the therapy and raising awareness for the therapy/encouraging the patient to undergo the therapy, respectively. The first results in compliance and medication knowledge. The latter results in attitudinal adherence and is associated with content with informing.

Key words: adherence, compliance, treatment satisfaction, psychiatry

Psychopharmakotherapie 2016; 23(05)