Hypoactive Sexual Desire Disorder

„Pink Viagra“ wenig wirksam


Solvejg Langer, Stuttgart

Flibanserin ist in den USA zur Behandlung von Frauen mit hypoaktiver Sexualfunktionsstörung zugelassen. Eine Metaanalyse von acht Studien ergab eine geringe Wirksamkeit bei einem eher ungünstigen Sicherheitsprofil.

Obwohl einige Gesundheitsinstitute bezüglich des Nutzen-Risiko-Verhältnisses Bedenken geäußert hatten, hat die FDA im August 2015 Flibanserin (häufig als „Pink Viagra“ bezeichnet) zur Behandlung der hypoaktiven Sexualfunktionsstörung (Hypoactive sexual desire disorder [HSDD]) bei prämenopausalen Frauen zugelassen.

Da man vermutet, dass Serotonin das sexuelle Verlangen unterdrückt, erhoffte man sich von der Therapie mit Flibanserin (5-HT1A-Rezeptoragonist und 5-HT2A-Rezeptorantagonist) eine Steigerung desselben. Ursprünglich war Flibanserin von Boehringer Ingelheim als Antidepressivum entwickelt worden, es konnte jedoch in Phase-II-Studien keine enstprechende Wirksamkeit nachgewiesen werden. Da sich unter Antidepressiva häufig die Libido verringert, wurde in diesen Studien auch erfragt, wie stark das sexuelle Verlangen der Patienten war. Dabei ergab sich, dass die Patienten unter Flibanserin mehr Lust hatten, als diejenigen, die Placebo erhielten. Dies führte in Folge zum Indikationsshift [1].

In einer Metaanalyse von fünf publizierten und drei nicht publizierten Studien mit insgesamt knapp 6000 Patientinnen wurden Effektivität und Sicherheit von Flibanserin zur Behandlung der HSDD bei prä- und postmenopausalen Frauen untersucht [2].

Studiencharakteristika

Alle ausgewerteten Studien waren randomisiert, doppelblind sowie Placebo-kontrolliert und schlossen ausschließlich Frauen ein, die seit mindestens einem Jahr eine heterosexuelle, monogame Beziehung führten.

In den meisten Studien wurde die einmal tägliche Gabe von 100 mg Flibanserin am Abend (von der FDA zugelassene Dosierung) getestet, alternative Therapieschemata waren die ein- oder zweimal tägliche Einnahme von 50 mg.

Primäre Endpunkte waren die Häufigkeit von befriedigendem Geschlechtsverkehr pro Monat und wie oft die Frauen Lust verspürten (eDiary desire score, Female sexual function index [FSFI] desire score). Sicherheitsendpunkte umfassten jegliche unerwünschte Ereignisse sowie mit der Studienmedikation assoziierte; zudem wurden die vier häufigsten unerwünschten Ereignisse gesondert ausgewertet (Schwindel, Schläfrigkeit, Übelkeit und Fatigue).

Ergebnisse

Unter 100 mg Flibanserin kam es im Vergleich zu Placebo gerade einmal zu einem halben Mal mehr befriedigendem Geschlechtsverkehr pro Monat (gepoolte Analyse; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,32–0,67). Auch im eDiary Desire Score und im FSFI Desire Score waren die Verbesserungen nur geringfügig (1,63 Punkte [95%-KI 0,45–2,82] und 0,27 Punkte [95%-KI 0,17–0,38]).

Anders als sein blaues Pendant wird Flibanserin nicht bei Bedarf eingenommen, sondern dauerhaft. Dementsprechend hoch ist auch das Risiko für Nebenwirkungen. Vor allem für Schwindel und Schläfrigkeit war das Risiko deutlich erhöht (4-mal höher als unter Placebo), ebenfalls häufig traten Übelkeit und Fatigue auf. Auch waren laut Beurteilung der Studienärzte mehr unerwünschte Ereignisse unter Flibanserin als unter Placebo auf die Studienmedikation zurückzuführen. Nur hinsichtlich schwerwiegender (lebensbedrohlicher oder tödlicher) Nebenwirkungen konnte kein Unterschied zwischen Flibanserin und Placebo festgestellt werden.

Da zudem Alkoholkonsum während der Therapie oder die Komedikation mit CYP3A4-Hemmern zu starkem Blutdruckabfall und Ohnmachtsanfällen führen kann, hat die FDA eine Black-Box-Warnung in den Beipackzettel aufgenommen, ein Hinweis für besonders schwerwiegende Nebenwirkungen.

Fragwürdige Zulassung?

In einem begleitenden Editorial kritisieren zwei Professoren der Universität Dartmouth, USA, die Entscheidung der FDA, Flibanserin trotz des fragwürdigen Sicherheitsprofils und des unzureichend nachgewiesenen Nutzens zugelassen zu haben [3]. Und das, obwohl die FDA aus genau diesen Gründen die Zulassung vorher zweimal abgelehnt hatte und die Firma für die erneute Beantragung keine neuen Daten zur Effektivität vorgelegt hat.

Naheliegend sei, dass die FDA sich dem Druck der Öffentlichkeit gebeugt hat: Nach Ablehnung der Zulassung war die Arzneimittelbehörde von verschiedenen Organisationen, Forschern und Ärzten, beispielsweise mit der Kampagne „Even the Score“ (http://eventhescore.org/), mit dem Vorwurf konfrontiert worden, sexistisch zu agieren. Man habe seit Jahren der Behandlung von sexuellen Dysfunktionen bei Männern den Vorrang gegeben und wolle nun Frauen dasselbe Recht verwehren.

Am Ende fassen die beiden Kommentatoren die Lage geradezu vernichtend, wie die Studienergebnisse zeigen, jedoch treffend, zusammen: „Die Flibanserin-Geschichte ist unbefriedigend!“

Quellen

1. Gellad WF et al. Evaluation of Flibanserin: Science and Advocacy at the FDA. JAMA 2015;314:869–70.

2. Jaspers L, et al. Efficacy and safety of flibanserin for the treatment of hypoactive sexual desire disorder in women – A systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 2016;176:453–62.

3. Woloshin S, Schwartz L. US Food and Drug Administration approval of flibanserin. Even the score does not add up. JAMA Intern Med 2016;176:439-42.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(03)