Generalisierter Krampfanfall unter Therapie mit Olanzapin und Venlafaxin mit letalen Komplikationen


Timo Krüger, Maria Jockers-Scherübl, Hennigsdorf, Renate Grohmann, Eckart Rüther, München, und Detlef Degner, Göttingen

Wir berichten über eine 76-jährige Patientin, die unter Psychopharmakotherapie mit Venlafaxin retard und Olanzapin einen Grand-mal-Anfall entwickelte. Aufgrund einer bestehenden schweren Osteoporose und der oralen Antikoagulation mit Dabigatran entwickelten sich daraus schwerwiegende Komplikationen, die zu einem letalen Ausgang dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung führten. Neben der Falldarstellung erfolgt eine Diskussion der Zusammenhangsbeurteilung unter Einbeziehung relevanter Literatur.
Schlüsselwörter: Venlafaxin, Olanzapin, Krampfanfälle, epileptische Anfälle, AMSP
Psychopharmakotherapie 2016;23:125–8.

Epileptische Anfälle gehören zu den eher typischen, wenngleich selten auftretenden unerwünschte Arzneimittelwirkung im Rahmen einer Psychopharmakotherapie. Diese sind als schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) einzuschätzen: Krampfanfälle können unter ungünstigen Konstellationen auch letale Folgen haben. Der im Folgenden dargestellte Fall zeigt unter einer pharmakologischen Behandlung mit Olanzapin und Venlafaxin einen wahrscheinlich medikamentös induzierten generalisierten Krampfanfall, der in der weiteren Folge zu multiplen Frakturen mit Blutungen führte, infolge dessen die Patientin verstarb.

Die Kasuistik wurde im Rahmen des multizentrischen AMSP-Projekts (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) dokumentiert und beurteilt. AMSP beobachtet seit 1993 systematisch Anwendungshäufigkeiten von Psychopharmaka im stationären Behandlungskontext sowie das Auftreten schwerer und ungewöhnlicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen.

In regionalen und überregionalen Konferenzen erfolgt eine Zusammenhangsbeurteilung.

Kasuistik

Die 76-jährige Patientin stellte sich mit einem ängstlich verzweifelten Zustandsbild bei situativer Konfliktsituation in unserer Klinik vor.

Die Tochter berichtete zudem, dass die Patienten schon seit etwa zwei Monaten depressiv verstimmt sei, sie komme kaum noch zur Ruhe.

Im psychopathologischen Befund zeigte sich ein schweres depressives Syndrom. Im Vordergrund der Beschwerden standen eine ängstlich-gedrückte Stimmung mit verminderter affektiver Schwingungsfähigkeit, Minderung der Konzentration und formale Denkstörungen in Form von Grübeln. Der Antrieb war vermindert. Es bestanden Lebensüberdruss-Gedanken, jedoch ohne akute Suizidalität.

Die Patientin hatte vor der aktuellen stationären Aufnahme niemals Kontakt zu einem Psychiater oder Psychotherapeuten. Auch epileptische Anfälle waren anamnestisch nicht bekannt.

Neben den psychischen Beschwerden bestand seit 1998 eine rheumatoide Arthritis. Durch diese Erkrankung war eine Einnahme von Glucocorticoiden sowie von Methotrexat (MTX) notwendig, sodass sich im Behandlungsverlauf eine Osteoporose gebildet hatte, die zu Frakturen mit nachfolgender Versteifung des rechten oberen Sprunggelenks (10/2014) und zu einer Kyphoplastie führte. Zudem bestand ein chronisches Schmerzsyndrom. Aufgrund rezidivierender tiefer Beinvenenthrombosen war eine orale Antikoagulation notwendig, die mit Dabigatran (Pradaxa®) durchgeführt wurde.

Trotz der umfangreichen Krankengeschichte war der internistische Untersuchungsbefund weitgehend unauffällig und die Patientin befand sich insgesamt in einem guten Allgemeinzustand; es fand sich lediglich ein ödematös geschwollener rechter Fuß. Aufgrund der Versteifung des rechten Fußes konnte die Patientin nur wenige Schritte am Rollator gehen. Zum Aufnahmezeitpunkt war die Patientin aufgrund der Schmerzen mit Oxycodon vorbehandelt.

Der neurologische Untersuchungsbefund war ohne fokal-neurologisches Defizit.

Das Routinelabor zeigte lediglich eine leichte Eisenmangelanämie.

Die Aufnahme erfolgte mit der Überlegung, dass es durch die stationäre Aufnahme zu einer Entlastung und so auch rasch zu einer Besserung des ängstlich-depressiven Syndroms kommen werde. Kurzzeitig erfolgte eine anxiolytische Therapie mit Lorazepam. Da sich der Zustand der Patientin jedoch nicht besserte, bestand die Indikation für eine spezifisch antidepressive Therapie mit Venlafaxin retard bis 112,5 mg (Abb. 1). Zur Entlastung der Patientin wurde auch die Anxiolyse mit Lorazepam bis maximal 2 mg pro Tag erneut aufgenommen. Aufgrund der Schlafstörungen erhielt die Patientin im Verlauf Amitriptylin, welches sie jedoch wegen starker Mundtrockenheit nicht vertrug; dieses wurde abgesetzt und auf Doxepin 25 mg umgestellt. Bei fehlender Wirksamkeit wurde dieses nach sechs Tagen abgesetzt. Augmentativ erfolgte nun eine Therapie mit Olanzapin. Wir begannen mit 5 mg zur Nacht mit dem Ziel, Schlafstörung und ausgeprägtes Grübeln zu verbessern. Bereits am zweiten Behandlungstag wurde die Dosis auf 2,5 mg reduziert. Am vierten Behandlungstag mit Olanzapin und unter jetzt 112,5 mg Venlafaxin retard ereignete sich das schwerwiegende, wahrscheinlich arzneimittelinduzierte Ereignis.

Abb. 1. Zeitlicher Behandlungsablauf

Die Patientin entwickelte am Abend, während sie mit einer Mitpatientin Schach spielte, im Rollstuhl erstmalig einen generalisierten Krampfanfall. Dieser wurde auch von dem Pflegepersonal beobachtet; zu einem Sturzereignis kam es nicht. Die Patientin war wenige Minuten postiktal umdämmert, klagte danach über Schmerzen im rechten Bein und linken Ellenbogen. Es erfolgte daher umgehend die chirurgische Vorstellung in unserer Rettungsstelle zur weiteren Diagnostik. Dort ereignete sich ein erneuter Grand-mal-Anfall.

In der folgenden Bildgebung zeigten sich multiple Frakturen (komplizierte mediale Schenkelhalsfraktur rechts, Patella-Querfraktur rechts, Tibiakopf-Fraktur rechts, Olecranon-Fraktur links), sodass eine Verlegung in die Abteilung für Chirurgie erfolgte. Eine abdominelle oder kranielle Blutung konnte bildgebend ausgeschlossen werden. Aufgrund erhöhter D-Dimere wurde auch eine Lungenarterienembolie ausgeschlossen. In der CT-Beckenübersicht wurden jedoch deutliche Hämatome dargestellt. Es kam zu einem deutlichen Hb-Abfall (siehe Abb. 1), sodass die Gabe von Erythrozytenkonzentraten sowie die Infusion von 3000 ml isotonischer Vollelektrolytlösung erfolgten. Zudem waren die Entzündungsparameter erhöht, weshalb eine kalkulierte Antibiotikatherapie mit Pipaeracillin/Tazobactam eingeleitet wurde. Aufgrund zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands erfolgte die Verlegung in ein Krankenhaus der Maximalversorgung. Dort wurde die Patientin intensivmedizinisch behandelt, jedoch kam es bereits am ersten Behandlungstag zu einem Kreislaufversagen. Zwar konnte die Patientin zunächst wieder reanimiert werden, jedoch kam es erneut zu einem Hb-Abfall und sie erlag den Komplikationen.

Zusammenhänge zwischen Psychopharmakotherapie und epileptischen Anfällen

Vermutungen zu kausalen Zusammenhängen ergeben sich aus klinischen Studien und Beobachtungen sowie Daten aus Zulassungsstudien. In der Allgemeinbevölkerung liegt die Inzidenz von Epilepsien bei 0,5 bis 1% [4]. Es ist ferner gut belegt, dass sowohl Epilepsien selbst mit einer erhöhten Inzidenz für psychische Störungen als auch psychiatrische Grunderkrankungen per se mit einer erhöhten Inzidenz von neu auftretenden Krampfanfällen einhergehen, sodass ein bidirektionaler Zusammenhang besteht [4]. Psychische Erkrankungen sind somit per se ein unabhängiger Risikofaktor für Krampfanfälle. Auch Begleiterkrankungen und deren spezifische Therapie haben einen Einfluss auf die Krampfschwelle. Damit muss das Auftreten von Krampfanfällen stets als komplexes Geschehen betrachtet werden.

Die Evidenzlage bezüglich des iktogenen Potenzials ist nur für wenige Substanzen gut belegt, beispielsweise für Clozapin aus der Gruppe der Antipsychotika oder Bupropion aus der Gruppe der Antidepressiva [10].

Krampfanfälle unter antipsychotischer Therapie

Für Clozapin ist ein Zusammenhang zwischen bestehender Therapie, auch bei therapeutischen Plasmaspiegeln, und dem Neuauftreten epileptischer Anfälle gut dokumentiert. So ist Clozapin die einzige Substanz mit einer „Black-Box“-Warnung durch die FDA [10]. Bei den meisten anderen Antipsychotika sind die Zusammenhänge weniger deutlich. So findet sich in den Fachinformationen der meisten Antipsychotika lediglich eine generelle Mahnung zur Vorsicht – so auch bei Olanzapin: Krampfanfälle werden als gelegentlich (1/1000 bis <1/100) auftretendes Ereignis benannt. Es wird empfohlen, Olanzapin unter Vorsicht einzusetzen, wenn Krampfanfälle in der Vorgeschichte bekannt sind oder andere Umstände die Krampfschwelle beeinflussen [6]. Neben Fallberichten zu Krampfanfällen im Zusammenhang mit Olanzapin finden sich auch Daten, dass es unter einer neu begonnenen Therapie mit Olanzapin zu EEG-Veränderungen kommen kann. Diese sind jedoch meist unspezifisch und zeigen nur selten epileptiforme Potenziale [2]. Die EEG-Veränderungen scheinen dosisabhängig aufzutreten, insbesondere ab einer Dosis von 20 mg/Tag scheint das Risiko für EEG-Auffälligkeiten zuzunehmen [3].

Aufgrund dieser Befunde und der strukturellen Ähnlichkeit zu Clozapin sehen einige Autoren auch ein erhöhtes Risiko für Krampfanfälle unter Therapie mit Olanzapin [1]. Eine diesbezügliche Auswertung der Zulassungsstudien ergab für epileptische Anfälle unter Olanzapin eine Inzidenz von 0,9% (vgl. Clozapin 3,5%) [1].

Krampfanfälle unter antidepressiver Therapie

Die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen antidepressiver Therapie und dem Risiko für Krampfanfälle ist widersprüchlich; es gibt auch Hinweise auf antikonvulsive serotonerge und noradrenerge Effekte [5].

Im Rahmen des AMSP-Projekts wurden die Häufigkeiten von Krampfanfällen in Zusammenhang mit einer antidepressiven Therapie ausgewertet. In einem multizentrisch überwachten Kollektiv von 142090 Patienten wurde bei 0,05% (Kombinationstherapie) bis nur 0,02% (Monotherapie) ein Antidepressivum angeschuldigt [5].

Hill et al. [4] konnten in einer Kohortenstudie zeigen, dass die Gabe von Antidepressiva verschiedener Klassen über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren mit einem generell erhöhten Risiko für Krampfanfälle einhergeht. Das höchste Risiko wurde in dieser Untersuchung neben Trazodon (Hazard-Ratio [HR] 5,41) für Venlafaxin (HR 2,84) gefunden. Für einen Behandlungszeitraum von fünf Jahren mit Venlafaxin errechneten die Autoren eine Number needed to harm (NHH) von 156. Bezogen auf einen Beobachtungszeitraum von einem Jahr liegt die NNH von Venlafaxin bei 745. In absoluten Zahlen heißt dies, dass innerhalb eines Jahres unter Therapie mit Venlafaxin 2,2 von 1000 Patienten einen Krampfanfall entwickeln, in einem 5-Jahres-Zeitraum sind es 9,9 von 1000 [4].

In den Zulassungsstudien trat bei 8 von 3082 Patienten ein Krampfanfall auf (0,26%) [9].

In den Fachinformationen werden Krampfanfälle als selten auftretende UAW (1/10000 bis <1/1000) aufgeführt [8].

Diskussion

Im Rahmen der AMSP-Fallkonferenz wurde ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen erstmaligem Krampfanfall und der Gabe von Olanzapin angenommen; es besteht eine enge zeitliche Beziehung zwischen Therapiebeginn und dem Ereignis, und es handelt sich um eine bekannte Nebenwirkung, wenngleich die Dosierung eher ungewöhnlich niedrig ist. Es liegen allerdings weitere Risikofaktoren vor.

Daher wurde auch die antidepressive Medikation mit Venlafaxin retard mit einem wahrscheinlichen Zusammenhang für den Krampfanfall mitangeschuldigt. Auch hier handelt es sich um eine bekannte UAW. Da zehn Tage zuvor die Dosis erhöht wurde, ist auch hier ein zeitlicher Zusammenhang denkbar. Im Rahmen des therapeutischen Drug-Monitorings wurde unter einer Dosierung von 75 mg/Tag im Steady-State der Venlafaxin-Spiegel bestimmt. Dieser lag mit einem Summenspiegel von 301 µg/l (therapeutischer Bereich: 100–400 µg/l) im „mittleren“ Bereich. Es ist zu vermuten, dass unter der danach erfolgten Aufdosierung auf 112,5 mg/Tag der Spiegel im hochnormalen Bereich lag, was die Krampfschwelle gesenkt haben könnte. Ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang wird in der Literatur beschrieben [4].

Weitere Umstände können zu einer erhöhten Vulnerabilität für Krampfanfälle beigetragen haben: Lorazepam wurde zwar nicht lange gegeben und lege artis langsam reduziert, jedoch zwei Tage vor dem Ereignis abgesetzt, was zu einer Senkung der Krampfschwelle beigetragen haben könnte. Bei der Komedikation könnte auch Prednisolon (lt. Fachinformation: „Manifestation einer latenten Epilepsie“) [7] eine Rolle gespielt haben.

Der letztlich fatale Ausgang der UAW ist offensichtlich ursächlich auf die Osteoporose im Zusammenhang mit der oralen Antikoagulation zu sehen. Da zum Zeitpunkt der UAW noch kein orales Antidot gegen Dabigatran verfügbar war, ist es nicht gelungen, die inneren Blutungen zu stillen. Mittlerweile ist mit Idarucizumab (Praxbind®) ein spezifischer monoklonaler Dabigatran-Antikörper verfügbar und durch die EMA zugelassen.

Interessenkonflikterklärung

TK: Keine

MJS: Vortragshonorare von Janssen und Lilly

RG: Vortragshonorare von Pfizer Österreich

ER: Keine

DD: Keine

Literatur

1. Alper K, Schwartz KA, Kolts RL, Khan A. Seizure incidence in psychopharmacological clinical trials: an analysis of Food and Drug Administration (FDA) summary basis of approval reports. Biol Psychiatry 2007;62:345–54.

2. Degner D, Nitsche MA, Bias F, Rüther E, et al. EEG alterations during treatment with olanzapine. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2011;261:483–8.

3. Degner D, Reulbach U, Rüther E, Nitsche MA. Stellenwert des EEG während einer Therapie mit Antipsychotika der zweiten Generation, speziell Olanzapin. Psychopharmakotherapie 2013;20:53–7.

4. Hill T, Coupland C, Morriss R, Arthur A, et al. Antidepressant use and risk of epilepsy and seizures in people aged 20 to 64 years: cohort study using a primary care database. BMC Psychiatry 2015;15:315.

5. Köster M, Grohmann R, Engel RR, Nitsche MA, et al. Seizures during antidepressant treatment in psychiatric inpatients – results from the transnational pharmacovigilance project „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) 1993–2008. Psychopharmacology (Berl) 2013;23:191–201.

6. Lilly Deutschland GmbH. Fachinformationen Zyprexa, Stand April 2014.

7. Merck dura. Fachinformationen Prednisolon dura, Stand Mai 2008.

8. Pfizer Pharma GmbH. Fachinformationen Trevilor retard, Stand November 2015.

9. Rudolph RL, Derivan AT. The safety and tolerability of venlafaxine hydrochloride: analysis of the clinical trials database. J Clin Psychopharmacol 1996;16(Suppl 2):54S–9S; discussion: 59S–61S.

10. Steinert T, Baier H, Fröscher W, Jandl M. Epileptische Anfälle unter der Behandlung mit Antidepressiva und Neuroleptika. Fortschr Neurol Psychiatr 2011;79:138–43.

Dr. med. Timo Krüger, Priv.-Doz. Dr. Maria Jockers-Scherübl, Oberhavel-Kliniken Hennigsdorf, Abteilung für Psychiatrie, Marwitzer Straße 91, 16761 Hennigsdorf, E-Mail: timo.krueger@oberhavel-kliniken.de

Dr. Renate Grohmann, Prof. Dr. Eckart Rüther, LMU München, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Nußbaumstraße 7, 80336 München

Priv.-Doz. Dr. med. Detlef Degner, Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Georg-August-Universität, Von Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen

Development of epileptic seizures under therapy with olanzapine and venlafaxine ER with fatal outcome

A 76 year old patient was treated with venlafaxine ER followed by an augmentation with olanzapine. Few days after exposure she developed new-onset generalized seizures. Due to somatic comorbidities such as osteoporosis and an oral anticoagulation with dabigatran the adverse event resulted in a fatal outcome.

Key words: Venlafaxine, olanzapine, epileptic seizures, seizures, AMSP

Psychopharmakotherapie 2016; 23(03)