Brivaracetam – ein neues Antiepileptikum


Christian Brandt und Christian G. Bien, Bielefeld

Mit Brivaracetam ist ein neues Antiepileptikum zur Zusatzbehandlung fokaler Epilepsien bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 16 Jahren zugelassen worden. Brivaracetam bindet, wie Levetiracetam, an das synaptische Vesikelprotein SV2A. Brivaracetam weist allerdings im Tiermodell und bei Studien mit menschlichen Hirnschnitten eine höhere SV2A-Affinität auf. In mehreren multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft. Aus den Daten ergibt sich eine empfohlene Einstiegsdosis von 50 bis 100 mg, verteilt auf zwei Einzeldosen, gegebenenfalls mit Aufdosierung bis 200 mg Tagesdosis. Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schwindel werden in mehreren Studien als relevante Nebenwirkungen angegeben, psychische Nebenwirkungen traten im Vergleich zu den Zulassungsstudien von Levetiracetam seltener auf.
Schlüsselwörter: Fokale Epilepsie, Anfälle, Behandlung, SV2A-Liganden, Levetiracetam
Psychopharmakotherapie 2016;23:97–101.

Trotz einer Vielzahl „neuer“ Antiepileptika (AED; antiepileptic drugs) – so werden die Substanzen genannt, die seit 1992 eingeführt wurden – kann bei einigen Patienten, vermutlich bei etwa 20 bis 30% [2, 28], bislang kein guter Behandlungserfolg erzielt werden. Die neuen Antiepileptika sind vielfach besser verträglich als die älteren Substanzen und weniger anfällig für Interaktionen, haben aber auch – häufig kognitive oder psychische – Nebenwirkungen. Hier sind beispielweise kognitive Beeinträchtigungen unter Topiramat und Reizbarkeit und Depression unter Levetiracetam (LEV) zu nennen [4, 21]. Insofern besteht weiterhin Bedarf an gut wirksamen und gut verträglichen Antiepileptika. Zwei in den letzten Jahren neu eingeführte Substanzen – Retigabin [18] und Perampanel [15] – sind in Deutschland nicht mehr auf dem Markt, da ihnen in dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren der frühen Nutzenbewertung kein Zusatznutzen zuerkannt wurde, der eine aus Firmensicht sinnvolle Grundlage für Preisverhandlungen mit den Kostenträgern im Gesundheitswesen ermöglicht hätte.

Aktuell ist in der Europäischen Union Brivaracetam (Briviact®) zur Zusatzbehandlung fokaler Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 16 Jahren mit Epilepsie zugelassen worden [34]. Es ist verfügbar als Filmtabletten in Dosierungen von 10, 25, 50, 75 und 100 mg, als Lösung zum Einnehmen in einer Konzentration von 10 mg/ml und als Injektions- bzw. Infusionslösung in derselben Konzentration. Als Anfangsdosis werden 50 oder 100 mg Tagesdosis empfohlen, gegebenenfalls mit Aufdosierung bis 200 mg, verteilt auf zwei Tagesdosen. Die Filmtabletten enthalten Lactose. Die unterschiedlichen Darreichungsformen werden identisch dosiert.

Präklinische Daten

Brivaracetam (BRV) ist wie Levetiracetam ein Pyrrolidonderivat (Abb. 1). Brivaracetam ist eine Weiterentwicklung von Levetiracetam. Es weist gegenüber Levetiracetam eine chemische Modifikation auf. Beide Substanzen gehören zu einer neuen Klasse von Antiepileptika. Sie binden an das synaptische Vesikelprotein SV2A. Brivaracetam weist im Tiermodell und bei Studien mit menschlichen Hirnschnitten eine höhere SV2A-Affinität als Levetiracetam auf [10, 19]. Die Wirksamkeit von Brivaracetam erwies sich in Untersuchungen am audiogenen Epilepsie-Modell der Maus, an GAERS-Ratten (Genetic absence epilepsy rats of Strasbourg) sowie in Amygdala- und Cornea-Kindling-Modellen als stärker wirksam im Vergleich zu Levetiracetam [19]. Das Protein SV2A kommt in den Membranen präsynaptischer Vesikel vor, die Neurotransmitter freisetzen. Es liegt also nahe, einen regulierenden Effekt auf die Freisetzung erregender Neurotransmitter als Wirkungsmechanismus anzunehmen. Obwohl die Rolle von SV2A nicht völlig geklärt ist, gibt es Hinweise auf eine Bedeutung des Proteins bei der Entstehung einer Epilepsie: So weisen unter anderem SV2A-defiziente Mäuse eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber epileptischen Anfällen auf [12]. Levetiracetam beeinflusst außerdem spannungsabhängige Calcium-Kanäle sowie AMPA- und GABAA-Rezeptoren [23]. Auch Brivaracetam inhibiert an Hirnschnitten spannungsabhängige Calcium-Kanäle, dies dürfte aber klinisch nicht relant sein [23]. In verschiedenen Kindling-Modellen fanden sich Hinweise auf eine mögliche antiepileptogene Wirkung von Brivaracetam [7]. In einem Ratten-Modell posthypoxischer Myoklonien wies Brivaracetam eine höhere Potenz als Levetiracetam auf [33]. In vitro und im Nagermodell drang Brivaracetam schneller ins Hirn ein als Levetiracetam [22], korrespondierend zur höheren Lipophilie [16]. Verschiedene Tiermodelle kognitiver Funktionen gaben keinen Hinweis auf ungünstige Auswirkungen von Brivaracetam auf die Kognition [6].

Abb. 1. Brivaracetam und Levetiracetam

Klinische Daten

Pharmakokinetik

Brivaracetam hat ein lineares und vorhersagbares pharmakologisches Profil. Nach oraler Gabe wird es schnell absorbiert. Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Serumkonzentation liegt zwischen ein und zwei Stunden [24]. Die Plasma-Halbwertszeit liegt bei sieben bis neun Stunden, und die Proteinbindung ist niedrig [24, 32]. Das Fließgleichgewicht (Steady State) wird nach zwei Tagen erreicht [14]. Bei Leberinsuffizienz steigt die Halbwertszeit deutlich [30]. Bei Niereninsuffizienz, selbst bei schwerer, steigt die Serumkonzentration von Brivaracetam nicht wesentlich. Eine Dosisanpassung dürfte hier nicht erforderlich sein [27]. Weniger als 10% der Substanz werden unmetabolisiert im Urin ausgeschieden. Die drei wesentlichen Metaboliten sind pharmakologisch inaktiv [34]. Neben der Hydrolyse existiert ein weiterer Stoffwechselweg mittels Hydroxylierung über Cytochrom P450 (hauptsächlich CYP2C19). Bei einer Studie mit japanischen Freiwilligen war die Clearance bei langsamen Metabolisierern 30% geringer als bei extensiven Metabolisierern [32]. Brivaracetam kann bei einer Dosis von 200 mg/Tag die Serumkonzentration von Carbamazepin-Epoxid verdoppeln; andererseits reduzieren Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital die Brivaracetam-Plasmakonzentration um ein Viertel bis ein Fünftel [29]. Die Herstellerfirma hält Bestimmungen des Brivaracetam-Serumspiegels für nicht erforderlich. Ob diese Einschätzung im klinischen Einsatz Bestand hat oder ob sich nicht vielmehr wie bei anderen Arzneistoffen Indikationen zum therapeutischen Drug-Monitoring ergeben [3, 5], sollte geprüft werden. Die Möglichkeit zur Serumspiegelbestimmung besteht bereits in einzelnen Laboratorien (Antiepileptikalabor der Gesellschaft für Epilepsieforschung e.V., Bielefeld-Bethel, unveröffentlichte Daten).

Besondere Aufmerksamkeit erfahren bei neuen Arzneistoffen mögliche Wechselwirkungen mit oralen hormonellen Kontrazeptiva (OC). Brivaracetam in einer Tagesdosis von 100 mg hatte keine Auswirkungen auf die Plasmakonzentrationen von Ethinylestradiol und Levonorgestrel, die in einem Kombinationspräparat eingenommen wurden, und die Brivaracetam-Konzentration im Serum wurde ihrerseits nicht durch das OC beeinflusst [31].

Wirksamkeit

Bei einer Proof-of-Concept-Studie konnte eine gute Wirksamkeit von Brivaracetam auf die photoparoxysmale Reaktion bei Probanden mit einer photosensiblen Epilepsie gezeigt werden [14]. Bei der Prüfung im Photosensibilitätsparadigma handelt es sich um ein etabliertes Verfahren im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung eines potenziellen neuen Antiepileptikums, das schon vielfach eingesetzt wurde, auch bei Arzneistoffen, die für den Einsatz bei fokalen Epilepsien entwickelt werden [13].

Wie bei neuen Antiepileptika üblich, wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Brivaracetam in mehreren multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten klinischen Prüfungen (Studien; s. Tab. 1) geprüft. Den Vorgaben der amerikanischen Zulassungsbehörde einerseits und der europäischen andererseits entsprechend, wurden die mittlere Reduktion der Anfallsfrequenz sowie die 50%-Responderrate (also der Anteil der Patienten, die eine Reduktion der Anfallsfrequenz von mindestens 50% erlebten) als wichtigste Zielparameter festgelegt. Den jeweiligen Zielsetzungen der Studien entsprechend wurden unterschiedliche Dosierungen über verschiedene Zeiträume getestet. Signifikante Besserungen wichtiger Zielparameter wurden unter Dosierungen von 100 bis 200 mg [15, 26], bei einer Studie auch unter 50 mg [1] und bei einer weiteren mit einer allerdings kurzen Behandlungsdauer auch unter 5 und 20 mg erreicht [9]. Eine der frühen Brivaracetam-Studien [26] hatte die Besserung der Baseline-adjustierten Anfallsfrequenz gegenüber Placebo als primären Zielparameter. Hier handelte es sich um ein bisher nicht verwendetes Outcome-Kriterium, das zu einer Senkung der für die Studie erforderlichen Patientenzahl führen sollte. Für diesen vordefinierten Zielparameter wurde keine signifikante Überlegenheit von 50 mg/Tag gegenüber Placebo erreicht. Dies gelang allerdings bei 100 mg pro Tag. Bei zwei weiteren nachfolgenden Studien wurden wiederum keine signifikanten Veränderungen des neuartigen primären Zielparameters (Baseline-adjustierte Besserung der mittleren Anfallsfrequenz gegenüber Placebo) erreicht [17, 35]. Letztlich wurde wegen der frühen Studien mit dem neuartigen Zielparameter mehr Patienten in Studien untersucht als sonst im Rahmen von Antiepileptika-Zulassungen. Die klassischen Zielparameter von Antiepileptika-Studien wurden letztlich erreicht. Es liegen jetzt prospektiv-randomisiert gewonnene Erfahrungen bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit von 2414 Studienpatienten unter Brivaracetam vor (Tab. 1).

Tab. 1. Charakteristika der Placebo-kontrollierten Studien

Bezeichnung

Randomisierte
Patienten

Behandlungsdauer

Wirksamkeit ggü. Placebo

Wichtige
unerwünschte
Ereignisse

Quelle

N01253

400

12 Wochen

50 mg (aber nicht 5 und 20 mg) assoziiert mit signifikanter Reduktion der Anfallsfrequenz und Zunahme der 50%-Responder-Rate

Schläfrigkeit, Schwindel, Müdigkeit, Grippe, Schlaflosigkeit, Nasopharyngitis, Erbrechen, Durchfall, Infektionen der Harnwege und Übelkeit

[1]

N01193

210

7 Wochen

20 und 50 mg assoziiert mit signifikanter Reduktion der Anfallsfrequenz und 5, 20 und 50 mg auch Zunahme der 50%-Responder-Rate

[9]

N01358

768

12 Wochen

100 und 200 mg assoziiert mit signifikanter Reduktion der Anfallsfrequenz und Zunahme der 50%-Responder-Rate

Schläfrigkeit, Schwindel, Müdigkeit

[15]

N01254*

480

16 Wochen

Zielparameter nicht signifikant gegenüber Placebo verändert

Kopfschmerzen,
Schläfrigkeit, Schwindel

[17]

N01252

399

12 Wochen

100 mg reduzierten signifikant die Anfallsfrequenz

Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Schwindel und Müdigkeit

[26]

N01114

157

10 Wochen

Primäre Zielparameter (Besserung über die gesamte Behandlungsdauer) nicht signifikant, aber signifikante Besserungen in der Erhaltungsphase

Kopfschmerzen, Müdigkeit, Nasopharyngitis, Übelkeit, Schläfrigkeit und Schwindel

[35]

* Besonderheiten: Fokale und generalisierte Epilepsien

In die genannten Studien konnten Patienten mit fokalen Epilepsien eingeschlossen werden, bei einer auch solche mit generalisierten Epilepsien [17]. Bei einer Studie zu einer weiteren Indikation, nämlich Aktionsmyoklonien bei Unverricht-Lundborg-Erkrankung, wurde keine signifikante Besserung der Aktionsmyoklonien erreicht [11]. Veröffentlichungen zu den Langzeit-Follow-up-Studien, die sich an die oben genannten klinischen Prüfungen anschlossen, stehen noch aus.

Die zuletzt veröffentlichte der oben genannten Studien bei Patienten mit fokalen Anfällen ist gleichzeitig die größte [15]. Die Erfüllung der Ein- und Ausschlusskriterien wurde in dieser Studie durch eine zentrale Instanz geprüft und nicht nur durch den individuellen Prüfarzt, um die Aussagekraft der Studie zu erhöhen. 768 Patienten wurden randomisiert. Die 50%-Responder-Rate, also der Anteil, der Probanden, die eine Reduktion der Anfallsfrequenz um mindestens 50% gegenüber der Baseline erlebten, betrug 21,6% für Placebo, 38,9% für Brivaracetam 100 mg/Tag und 37,8% für Brivaracetam 200 mg/Tag. Die mediane Reduktion der Frequenz einfach-fokaler Anfälle betrug 14,9%, 25,4% und 31,5% für Placebo, Brivaracetam 100 mg/Tag und Brivaracetam 200 mg/Tag, die mediane Reduktion komplex-fokaler Anfälle 21,4%, 39,3% bzw. 41,5% und die Reduktion sekundär generalisierter tonisch-klonischer Anfälle 24,7%, 62,5% bzw. 82,1%. Unter Brivaracetam 100 mg/Tag waren während der Behandlungsphase 5,2% der Patienten anfallsfrei, unter Brivaracetam 200 mg/Tag 4,0% und unter Placebo 0,8%. Von besonderem Interesse ist die Wirksamkeit in der Gruppe von Patienten, die zuvor bereits Levetiracetam eingenommen hatten. 412 Probanden dieser Studie waren bereits zuvor mit Levetiracetam behandelt worden, das aber – das war ein Kriterium für den Einschluss in die Studie – wieder abgesetzt worden war, und zwar bei knapp zwei Dritteln wegen mangelnder Wirksamkeit und bei knapp einem Fünftel wegen Nebenwirkungen. Ein wichtige Frage ist, ob die Wirksamkeit von Brivaracetam unterschiedlich ist bei Patienten, die bereits Levetiracetam wegen Wirkungslosigkeit abgesetzt hatten, im Vergleich zu denen, die es wegen Nebenwirkungen abgesetzt hatte, und wiederum im Vergleich zu den Patienten, die noch gar nicht mit Levetiracetam behandelt worden waren. Die Wirksamkeit von Brivaracetam wurde für alle Gruppen nachgewiesen, wenn auch deutlicher bei den „Levetiracetam-naiven“ Patienten gegenüber denen, die schon Levetiracetam eingenommen hatten, und unter diesen wiederum deutlicher bei denen, die Levetiracetam wegen Nebenwirkungen abgesetzt hatten, im Vergleich zu denen, die es wegen Wirkungslosigkeit abgesetzt hatten [15].

Sicherheit und Verträglichkeit

Wichtige Nebenwirkungen, die in mehreren der oben genannten Studien gefunden wurden, waren Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schwindel [1, 15, 26]. Bei einer Studie mit gesunden Freiwilligen wurde keine Verlängerung der QT-Zeit unter Brivaracetam 75 mg und Brivaracetam 400 mg im Vergleich zu Placebo gefunden [25]. Eine Studie mit akuter Dosierung von zweimal 10 mg Brivaracetam im Vergleich zu moderaten Dosen von Levetiracetam und Lorazepam zeigte im Vergleich zu Placebo keine Verschlechterung in einer Testbatterie aus elektrophysiologischen und neuropsychologischen Messungen. Die Studie dürfte aufgrund der geringen Brivaracetam-Dosierung und auch aufgrund der fehlenden Langzeitdaten kaum Aussagekraft für die Praxis haben [20]. Aufgrund der psychischen Nebenwirkungen, insbesondere Aggressivität und Depressivität, die unter Levetiracetam beschrieben wurden, richtet sich besonderes Augenmerk auf die Häufigkeit derartiger Nebenwirkungen unter Brivaracetam. In der aktuell veröffentlichten Studie erlebten 10,3% der Patienten unter 100 mg Brivaracetam psychiatrische unerwünschte Ereignisse, 11,3% unter Brivaracetam 200 mg und 7,7% unter Placebo [15]. Insbesondere wurden Angst (1,1% unter Placebo, 2,2% unter Brivaracetam insgesamt), Schlafstörungen (1,1% gegenüber 2,0%) und Depression (0,4% gegenüber 0,8%) genannt. In den Placebo-kontrollierten Studien mit Levetiracetam waren unter Verum 13,5% nichtpsychotische Verhaltensstörungen im Vergleich zu 6% unter Placebo registriert worden [8]. Hierunter fielen Agitation, antisoziale Reaktion, Angst, Apathie, Depersonalisation, Depression, emotionale Labilität, Euphorie, Feindseligkeit, Nervosität, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen. Beim Vergleich dieser Zahlen ist besonders der Unterschied zwischen Placebo- und Verum-Gruppen zu beachten, der für Levetiracetam deutlich größer ist.

Auch wenn den Verfassern dieser Übersicht nicht bekannt ist, ob die erfassten Störungen denen entsprechen, die in den Brivaracetam-Studien als psychiatrische unerwünschte Wirkungen gezählt worden waren, und obwohl ein direkter Vergleich unterschiedlicher Studien nicht zulässig ist, deutet sich eine bessere psychische Verträglichkeit von Brivaracetam an. Bei einer Studie mit 29 Teilnehmern, die zuvor alle an nichtpsychotischen Verhaltensstörungen unter Levetiracetam gelitten hatten, besserten sich nach Umstellung auf Brivaracetam diese Nebenwirkungen deutlich bei 93% der Probanden, bei 62% waren sie zum Ende der Studie komplett remittiert. Die Aussagekraft der Studie hat einige Einschränkungen, zum Beispiel die kleine Probandenzahl, den offenen, also unverblindeten Charakter und eine wenig differenzierte Begrifflichkeit der nichtpsychotischen Verhaltensstörungen und eine mögliche Rückkehr zum Mittelwert (Regression to the mean) als Erklärung für die Besserung [36]. Zumindest aber handelt es sich unserer Kenntnis nach um die einzige Studie mit einer Umstellung von Levetiracetam auf Brivaracetam.

Zusammenfassung

Mit Brivaracetam (Briviact®) steht ein neues Antiepileptikum zur Behandlung fokaler Epilepsien zur Verfügung. Es stellt eine neue Behandlungsoption dar und berechtigt als „Weiterentwicklung“ des vielfach eingesetzten Levetiracetam zu Hoffnungen, insbesondere im Hinblick auf eine bessere psychische Verträglichkeit. Ein Vorteil ist die Verfügbarkeit in Formulierungen zur oralen Einnahme wie zur intravenösen Verabreichung. Wie bei allen neuen Arzneistoffen muss der Einsatz im praktischen Alltag, insbesondere in der Langzeitbeobachtung zeigen, ob das Medikament die Hoffnungen erfüllt. Multizentrische, randomisierte, doppelblinde Placebo-kontrollierte Studien sind der Goldstandard bei der Zulassung neuer Antiepileptika, aber sie haben auch Nachteile, unter anderem die Kürze der Beobachtungszeit, aber auch das mittels umfangreicher Ein- und Ausschlusskriterien ausgewählte Patientenkollektiv. Insofern ist die klinische Beobachtung von großer Bedeutung und die Ergänzung durch offene Nachbeobachtungen wünschenswert.

Interessenkonflikterklärung

C. Brandt: Honorare für die Beratung oder Teilnahme an einem Expertenbeirat von Desitin und Eisai; Vortrags- und Autorenhonorare von Desitin, Eisai, Otsuka und UCB; Unterstützung für Kongressbesuche von Pfizer; Forschungsbeihilfe von UCB

C. Bien: Honorare für die Beratung oder Teilnahme an einem Expertenbeirat von Eisai und UCB; Vortrags- und Autorenhonorare von Biogen, Desitin, Diamed, Eisai, Fresenius Medical Care und UCB; Unterstützung für Kongressbesuche von Desitin, Eisai, Grifols und UCB; Forschungsbeihilfe von Astellas, Diamed, Fresenius Medical Care und Octapharma

Literatur

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Dr. med. Christian Brandt, Ltd. Abteilungsarzt der Abt. f. Allgemeine Epileptologie, Epilepsiezentrum Bethel, Krankenhaus Mara gGmbH, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Behtel, Maraweg 21, 33617 Bielefeld, E-Mail: christian.brandt@mara.de; Prof. Dr. med. Christian Bien, Chefarzt, Epilepsiezentrum Bethel

Brivaracetam – a new antiepileptic drug

Brivaracetam, a new antiepileptic drug, has been approved for the adjunctive treatment of focal epilepsy in adults and adolescents over 16 years. Brivaracetam binds – like levetiracetam – to the synaptic vesicle protein SV2A. However, brivaracetam has been shown in animal models and in studies using human brain slices to have a higher SV2A affinity. Efficacy and safety have been tested in several multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled trials. The data lead to a recommended initial dose of 50 to 100 mg, divided into two daily doses. Up-titration to 200 mg daily dose is possible. Headache, fatigue and dizziness have been reported in several studies as relevant side effects, psychiatric side effects were – compared to the pivotal studies of levetiracetam – seen less frequently.

Key words: Focal epilepsy, seizures, treatment, SV2A ligands, levetiracetam

Psychopharmakotherapie 2016; 23(03)