Multiple Sklerose (MS)

Nachhaltige Hemmung von aktivierten Lymphozyten


Dr. Bettina Hellwig, Konstanz

Teriflunomid und der monoklonale Antikörper Alemtuzumab sind zur Basistherapie einer multiplen Sklerose (MS) indiziert. Sie wirken in erster Linie auf die aktivierten autoreaktiven T- und B-Lymphozyten und verändern so die Immunreaktion. Auf dem 31. Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) in Barcelona im Herbst 2015 wurden auf zwei von Genzyme unterstützten Veranstaltungen neue Daten vorgestellt.

Therapie nach Stufenschema

Eine immunmodulatorische Basistherapie wird heute bereits für Patienten mit einem klar definierten klinisch isoliertem Syndrom (CIS) empfohlen, wenn diese ein hohes Risiko haben, eine klinisch gesicherte multiple Sklerose zu entwickeln. Das ist der Fall, wenn im MRT mehrere zeitlich und räumlich disseminierte Läsionen nachweisbar sind. Außerdem deuten oligoklonale Banden im Liquor auf ein hohes Risiko hin, eine klinisch manifeste MS zu entwickeln.

Am besten wirken immunmodulatorische Basistherapeutika, wenn sie in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung eingesetzt werden, möglichst bei einem EDSS-Wert unterhalb von 3 (Expanded disability status scale nach Kurtzke, kennzeichnet das Ausmaß der Behinderung).

Bei einer milden bis moderaten Verlaufsform werden neben den Beta-Interferonen und Glatirameracetat (Copaxone®) die oralen Wirkstoffe Dimethylfumarat (Tecfidera®) und Teriflunomid (Aubagio®) zur Erstlinientherapie empfohlen; Alternativen sind Azathioprin sowie unter den besonderen Bedingungen des Off-Lablel-Use intravenöse Immunglobuline (IVIG).

Bei hoch aktiven Verlaufsformen oder wenn die Krankheit unter den oben genannten Basistherapeutika weiterhin aktiv bleibt, also Schübe auftreten und neue Entzündungsherde im MRT nachweisbar sind, sollte auf eine andere Basistherapie oder eine der stärker wirksamen Alternativen umgestellt werden. Das sind nach derzeitigem Stand das oral wirksame Fingolimod (Gilenya®) oder die monoklonalen Antikörper Natalizumab (Tysabri®) und Alemtuzumab (Lemtrada®).

Teriflunomid hemmt T- und B-Lymphozyten

Teriflunomid wird einmal täglich oral in einer Dosis von 14 mg eingenommen. Der Wirkstoff hemmt selektiv und reversibel das Enzym Dihydroorotat-Dehydrogenase (DHODH), das für die De-novo-Synthese von Pyrimidin-Ribonukleotiden verantwortlich ist. Da vor allem autoreaktive T- und B-Lymphozyten einen hohen Pyrimidin-Umsatz aufweisen, lässt sich durch Teriflunomid die Proliferation dieser Zellen hemmen, ohne die übrigen Immunzellen zu beeinträchtigen. Daraus resultiert eine deutliche Reduktion der Zahl autoreaktiver T- und B-Zellen, die ins ZNS einwandern können.

Am klinischen Entwicklungsprogramm zu Teriflunomid nehmen 5000 Patienten in 36 Ländern teil, einige wurden im Rahmen von Verlängerungsstudien bis zu neun Jahre lang behandelt. Teriflunomid reduzierte die Schubrate im Vergleich zu Placebo um 30 bis 50%; im direkten Vergleich war es vergleichbar wirksam wie Interferon beta-1a (Rebif®, dreimal wöchentlich s.c.).

Hirnatrophie wird verlangsamt

Eine neue Analyse der Daten aus der Phase-III-Studie TEMSO deutet darauf hin, dass Teriflunomid bei Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose den Prozess der Hirnatrophie aufhalten kann. Nach kernspintomographischen Daten verlangsamte Teriflunomid 14 mg oder 7 mg den Verlust an Hirnvolumen über einen Zeitraum von zwei Jahren im Vergleich zu Placebo signifikant: In Monat 12 betrug die mediane Abnahme des Hirnvolumens gegenüber dem Ausgangswert 0,39%, 0,40% beziehungsweise 0,61% unter Teriflunomid 14 mg, 7 mg oder Placebo. Damit war der Verlust an Hirnvolumen in beiden Teriflunomid-Gruppen geringer als in der Placebo-Gruppe: in der 14-mg-Gruppe um 36,9% (p=0,0001), in der 7-mg-Gruppe um 34,4% (p=0,0011).

Der signifikante Unterschied bestand auch noch in Monat 24. Hier betrug die mediane Abnahme des Hirnvolumens gegenüber dem Ausgangswert 0,90%, 0,94% beziehungsweise 1,29% unter Teriflunomid 14 mg, 7 mg oder Placebo. Damit war der Verlust an Hirnvolumen in beiden Teriflunomid-Gruppen geringer als in der Placebo-Gruppe: in der 14-mg-Gruppe um 30,6% (p=0,0001), in der 7-mg-Gruppe um 27,6% (p=0,0019).

Zu den wichtigsten Nebenwirkungen von Teriflunomid gehören reversible Störungen des Haarwachstums, erhöhte Leberwerte, gastrointestinale Beeinträchtigungen und Veränderungen des Blutbilds. Eine erhöhte Infektionsrate wurde nicht festgestellt. Teriflunomid wirkt möglicherweise teratogen. Die Inzidenz schwerwiegender unerwünschter Ereignisse war unter Teriflunomid und unter Placebo vergleichbar.

Alemtuzumab führt zur Lymphozyten-Depletion

Auch der monoklonale Antikörper Alemtuzumab wirkt auf T- und B-Lymphozyten. Er bindet selektiv an das Glykoprotein CD52, das auf der Oberfläche von T- und B-Lymphozyten in großer Menge vorkommt.

Alemtuzumab führt zu einer nachhaltigen und über Monate andauernden Depletion von T- und B-Zellen, von denen man annimmt, dass sie für den schädigenden Entzündungsprozess bei MS verantwortlich sind. Unspezifische Immunzellen wie NK-Zellen werden nicht beeinträchtigt. Auf die akute antiinflammatorische Wirkung des Antikörpers folgt eine anhaltende T- und B-Zell-Repopulation. Auf diese Weise scheint wieder ein ausgewogeneres Immunsystem zu entstehen, wodurch die MS-Krankheitsaktivität reduziert wird.

Der Antikörper wird in zwei Behandlungszyklen mit fünf und dann drei Infusionen im Abstand von zwölf Monaten verabreicht. Bei den meisten Patienten konnten so anhaltende Therapieerfolge erzielt werden, die über einen Zeitraum von fünf Jahren anhielten.

Alemtuzumab war in klinischen Studien bei RRMS-Patienten mit aktiver Erkrankung über einen Zeitraum von zwei Jahren dem Basistherapeutikum Interferon beta-1a (dreimal wöchentlich s.c.) in den meisten Endpunkten signifikant überlegen.

Lang anhaltende Behandlungserfolge

An der Phase-III-Zulassungsstudie CARE-MS I nahmen 581 therapienaive Patienten teil. Alemtuzumab senkte die jährlichen Schubraten signifikant stärker als Interferon beta-1a: Unter Alemtuzumab blieben 77,6% der Patienten zwei Jahre lang schubfrei, unter Interferon waren es 58,7% (p<0,0001). Die Verlangsamung der Behinderungsprogression zeigte keine statistisch signifikanten Unterschiede.

In CARE-MS II (Patienten hatten auf eine andere Therapie nur unzureichend angesprochen) senkte Alemtuzumab die jährlichen Schubraten ebenfalls signifikant stärker als Interferon beta-1a, hier verlangsamte sich auch die Behinderungsprogression im Vergleich zu Interferon beta-1a statistisch signifikant. In der Interferon-beta-1a-Gruppe erlitten 104 Patienten Schübe (51%; 201 Ereignisse), in der Alemtuzumab-Gruppe waren es 147 (35%; 236 Ereignisse; relatives Risiko 0,51; 95%-KI 0,39–0,65; p<0,0001). Das entspricht einer 49,4%igen Verbesserung unter Alemtuzumab. 94 (47%) Patienten in der Interferon-beta-1a-Gruppe waren nach zwei Jahren schubfrei, in der Alemtuzumab-Gruppe waren es 278 (65%; p<0,0001).

40 Patienten (20%) unter Interferon hatten eine Behinderungsprogression, verglichen mit 54 (13%) unter Alemtuzumab (Hazard-Ratio 0,58; 95%-KI 0,38–0,87; p=0,008), das entspricht einer 42%igen Verbesserung in der Alemtuzumab-Gruppe.

Mehr als 90% der Patienten, die in den CARE-MS-Studien mit Alemtuzumab behandelt worden waren, nahmen an der Verlängerungsstudie teil. Sie konnten eine weitere Behandlung mit Alemtuzumab erhalten, wenn bei ihnen mindestens ein Schub oder mindestens zwei neue oder sich vergrößernde Hirn- oder Rückenmarksläsionen auftraten.

Bei den Patienten mit schubförmig remittierender MS hielten die Behandlungserfolge auch in den drei Jahren der Verlängerungsstudie (Jahr 3, 4 und 5) an. Nach den ersten beiden Behandlungsphasen (in Monat 0 und 12) erhielten 68% der Alemtuzumab-Patienten aus CARE-MS I und 605 aus CARE-MS II in den darauffolgenden vier Jahren (bis einschließlich Monat 60) keine weitere Behandlung mit Alemtuzumab. Die niedrigen jährlichen Schubraten bei den Patienten, die in CARE-MS I (0,18) oder CARE-MS II (0,27) Alemtuzumab erhalten hatten, hielten von Jahr 3 (0,19 bzw. 0,22) bis einschließlich Jahr 5 (0,15 bzw. 0,18) an. Bis einschließlich Jahr 5 trat bei 80% beziehungsweise 76% der Patienten, die in CARE-MS I oder CARE-MS II Alemtuzumab erhalten hatten, kein über sechs Monate bestätigtes Fortschreiten der Behinderungsprogression gemessen am EDSS-Wert ein. Unter den Patienten, die vor ihrer Behandlung mit Alemtuzumab in CARE-MS I oder CARE-MS II einen gewissen Grad an Behinderung aufgewiesen hatten, zeigten 33% beziehungsweise 43% eine über mindestens sechs Monate bestätigte Verbesserung im EDSS-Score sowie eine Verlangsamung der Hirnatrophie im Vergleich zum Ausgangswert vor Beginn der Therapie. In Jahr 3, 4 und 5 betrug der mediane jährliche Hirnvolumenverlust höchstens 0,20% und war damit niedriger als während der zweijährigen Zulassungsstudien.

In den drei Jahren der Verlängerungsstudie (Jahr 3, 4 und 5) war bei den meisten Patienten keinerlei Hinweis auf eine Krankheitsaktivität im MRT zu beobachten (70 bis 72%, CARE-MS I; 68 bis 70%, CARE-MS II). Bis einschließlich Jahr 5 war die Inzidenz der meisten unerwünschten Ereignisse während der Verlängerungsstudie ähnlich wie in den Zulassungsstudien oder sogar niedriger.

Zu den möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen gehören infusionsassoziierte Reaktionen, Infektionen und Pneumonitis. Weil sich durch die Behandlung das Risiko für einige B-Zell-vermittelte Autoimmunerkrankungen (z.B. Schilddrüsenerkrankungen, Autoimmunzytopenien, Nephropathien) erhöht, müssen die Patienten ab Behandlungsbeginn bis 48 Monate nach der letzten Infusion monatlich kontrolliert und die Blutwerte überwacht werden.

Quellen

Comi G, Mailand, Reder AT, Chicago, Kappos L, Basel, Wiendl H, Münster, Symposium „Preserving brain and function; evolution from T and B cell pathophysiology to treatment“, veranstaltet von Genzyme im Rahmen des 31th Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), Barcelona, 8. Oktober 2015.

Schippling S, Zürich, Meuth S, Münster, Dinner Lecture „Diagnose MS? Prognosefaktoren für die Entscheidung der Therapie“, veranstaltet von Genzyme im Rahmen des 31th Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), Barcelona, 9. Oktober 2015.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(02)