Multiple Sklerose (MS)

Innovative Wirkstoffe: Dimethylfumarat und pegyliertes Interferon beta-1a


Dipl.-Biol. Anne Bleick, Stuttgart

Seit 2014 stehen mit Dimethylfumarat (DMF) zur oralen Therapie und mit Peginterferon beta-1a zur subkutanen Injektion (s.c.) alle zwei Wochen zwei weitere Wirkstoffe zur Behandlung der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose (RRMS) zur Verfügung. Für DMF liegen mit den Interimsdaten der Langzeitstudie ENDORSE 5-Jahres-Werte vor, die eine anhaltend niedrige jährliche Schubrate von 0,14 zeigen. Auch zu Peginterferon beta-1a gibt es Interimsdaten, die die Wirksamkeit nach dreijähriger Behandlung widerspiegeln. Diese Daten wurden auf einem von Biogen veranstalteten Symposium im Rahmen des 88. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Düsseldorf vorgestellt.

Mit der Entwicklung innovativer Wirkstoffe wird auch das übergeordnete Therapieziel anspruchsvoller – es lautet jetzt Freiheit von Krankheitsaktivität (NEDA: no evidence of disease activity). Dazu gehören die klinischen Parameter Schubfreiheit und Freiheit von Behinderungsprogression sowie die möglichst unveränderten radiologischen Gradmesser Gadolinium-aufnehmende (Gd+), T1- und T2-Läsionen. Die Therapiesteuerung sollte durch die sensitive Detektion der genannten Parameter für Krankheitsaktivität sowie die Berücksichtigung der individuellen Lebensqualität und der persönlichen Präferenzen des MS-Patienten erfolgen.

Orale MS-Therapie mit Dimethylfumarat

Das orale Basistherapeutikum DMF (Tecfidera®) ist eine natürlich vorkommende Substanz aus dem zellulären oxidativen Energiestoffwechsel. Es wird nach der Resorption im Darm rasch und nahezu vollständig in den aktiven Metaboliten Monomethylfumarat (MMF) umgewandelt. Dieser wirkt immunmodulatorisch, indem er körpereigene Abwehrmechanismen gegen Entzündungen und oxidativen Stress aktiviert.

Unter 5-jähriger DMF-Therapie blieben mehr als 80% der Patienten ohne Behinderungsprogression und 60% ohne Schub. Diese Effekte wurden in der ENDORSE-Studie beobachtet; einer multizentrischen, dosisblinden Parallelgruppenstudie mit insgesamt 1736 Patienten, die zuvor an einer der beiden Zulassungsstudien DEFINE oder CONFIRM teilgenommen hatten. Auch die Läsionslast im MRT blieb anhaltend niedrig: 88% der Patienten blieben ohne neue Gd+-Läsionen, 73% ohne neue T1-Läsionen und 63% ohne neue oder sich vergrößernde T2-Läsionen. Die mittlere Zahl neuer Gd+-Läsionen lag bei 0,2 pro Jahr. Das heißt, DMF erwies sich bei allen drei Parametern des NEDA-Konzepts als wirksam.

Aus den klinischen Studiendaten ergab sich kein Signal für eine Erhöhung schwerwiegender Infektionen oder maligner Erkrankungen. Dies wurde auch durch die Daten aus dem Post-Marketing an den mittlerweile 155000 mit DMF behandelten Patienten bestätigt. In wenigen Fällen kam es unter DMF zu einer Lymphozytopenie. Deshalb sollten die Lymphozytenwerte unter DMF-Therapie regelmäßig kontrolliert werden. Patienten mit einer anfänglichen Flush-Problematik sollten langsam eindosiert werden. Therapiebegleitprogramme könnten helfen, die Abbruchrate maßgeblich zu redu- zieren.

Mit den Studiendaten von ENDORSE wurden verschiedene Subgruppenanalysen durchgeführt:

  • Bei neudiagnostizierten Patienten betrug die jährliche Schubrate ebenfalls 0,14. Der Anteil an Patienten, die nach fünf Jahren keine Behinderungsprogression zeigten, lag mit 92% bei den neudiagnostizierten Patienten höher als im Gesamtkollektiv.
  • Bei mit Interferonen vortherapierten Patienten zeigte sich bei der jährlichen Schubrate nach zwei Jahren eine 43%ige Reduktion in der DMF-Gruppe im Vergleich zu Placebo. Bei der mittleren Anzahl der neuen Gd+-Läsionen wurde nach zwei Jahren eine Reduktion um 85% durch DMF im Vergleich zu Placebo erzielt.

Diese hohen Effektstärken können als Hinweis für eine starke Wirksamkeit von DMF als Immunmodulator gedeutet werden.

Peginterferon beta-1a s.c. alle zwei Wochen

Die Pegylierung von Interferon beta-1a führt zu einem verzögerten Abbau des Wirkstoffs. Die pharmakodynamischen Eigenschaften werden jedoch nicht verändert.

An der zweijährigen Zulassungsstudie ADVANCE für Peginterferon beta-1a (Plegridy®) nahmen insgesamt 1512 Patienten mit RRMS teil. Im ersten Jahr wurden die Patienten auf drei Therapiearme randomisiert: Placebo oder 125 μg Peginterferon beta-1a s.c. alle zwei Wochen oder alle vier Wochen. Im zweiten Jahr wurde der Placebo-Arm auf die beiden anderen Arme rerandomisiert. Unter der zulassungsrelevanten zweiwöchigen Applikation zeigte sich im ersten Jahr eine signifikante (p=0,0007) Reduktion der jährlichen Schubrate um 36% sowie eine signifikante (p=0,0069) Reduktion der Behinderungsprogression um 54% im Vergleich zu Placebo. Dieser Effekt war bereits nach 12 Wochen signifikant (p=0,045): In der Placebo-Gruppe hatten nach 12 Wochen 47 von 500 Patienten (9,5%) einen Schub und in der 2-wöchigen Peginterferon-beta-1a-Gruppe 30 von 512 (6,0%). Die jährliche Schubrate reduzierte sich auf 0,18 im zweiten Jahr (Tab. 1).

Tab. 1. Multiple Sklerose – adjusierte jährliche Schubrate über drei Jahre unter Peginterferon beta-1a in den Studien ADVANCE und ATTAIN [mod. nach Kremenchutzky M, et al. AAN 2015. S4.002]

Adjustierte jährliche Schubrate

Peginterferon beta-1a
alle zwei Wochen

Peginterferon beta-1a
alle vier Wochen

Placebo*

ADVANCE

Jahr 1

0,241

0,275

0,418

Jahr 2

0,179

0,287

ATTAIN

Jahr 3

0,207

0,270

>3 Jahre

0,209

0,279

* Patienten, die im ersten Jahr Placebo erhielten, wurden im zweiten Jahr in die Arme Peginterferon beta-1a alle zwei oder alle vier Wochen randomisiert.

Die MRT-Untersuchungen nach einem Jahr ergaben signifikante (p<0,0001) Effekte bei allen untersuchten Parametern durch Peginterferon beta-1a s.c. alle zwei Wochen gegenüber Placebo: Der Unterschied bei der durchschnittlichen Anzahl der Gd+-Läsionen betrug 86%, bei neuen hypointensiven T1-Läsionen 53% und bei neuen oder sich neu vergrößernden hyperintensiven T2-Läsionen (67%). Die mittlere Anzahl neuer oder sich neu vergrößernder T2-Läsionen war im zweiten Jahr geringer als im ersten (1,9 vs. 4,1); die Gd+-Läsionen blieben stabil bei 0,2.

An die Zulassungsstudie schloss sich die ebenfalls zweijährige ATTAIN-Studie mit insgesamt 1076 Patienten an, deren Interimsdaten erbrachten, dass nach dreijähriger Peginterferon-beta-1a-Therapie alle zwei Wochen noch nahezu 70% der Patienten schubfrei und nahezu 91% der Patienten ohne Behinderungsprogression waren.

Fazit

Dimethylfumarat (DMF) ist sowohl für therapienaive als auch vortherapierte Patienten eine wirksame Option zur Langzeitbehandlung. Mit über fünf Jahren kontinuierlicher DMF-Therapie waren mehr als 80% der Patienten ohne Behinderungsprogression und 60% ohne Schub. Die im MRT gemessene Läsionslast (Gd+, T1, T2) war anhaltend niedrig. Weltweit werden bereits mehr als 155000 Patienten mit DMF behandelt.

Für Peginterferon beta-1a s.c. alle zwei Wochen liegen mittlerweile Ergebnisse über drei Jahre vor, die eine stabile Langzeitwirksamkeit zeigen: Mehr als 80% der Patienten waren nach drei Jahren noch frei von klinischer Krankheitsaktivität in Form von Schüben oder Behinderungsprogression.

Quellen

Prof. Martin Stangel, Hannover, Prof. Martin Marziniak, München, Prof. Sven Meuth, Münster, Prof. Ralf Linker, Erlangen, Symposium „MS Patient Journey – Teil 1: Therapieentscheidungen treffen – Therapieziele erreichen“, veranstaltet von Biogen GmbH im Rahmen des 88. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Düsseldorf, 24. September 2015.

Prof. Ralf Linker, Erlangen, Prof. Sven Meuth, Münster, Presse-Dinner „Dimethylfumarat und Peginterferon beta-1a: Wirksame MS-Therapien zur individuellen Behandlung der schubförmigen MS“ veranstaltet von Biogen GmbH im Rahmen des 88. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Düsseldorf, 24. September 2015.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(02)