Aktuelles zur Schizophreniebehandlung


Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Haag i. OB/München

Depressionen, „Burn-out“ und Demenzen sind in letzter Zeit die Brennpunkte unseres Fachgebiets. Die Beschäftigung mit schizophrenen Psychosen ist in den Hintergrund getreten, obwohl sie fraglos zu den „Kernerkrankungen“ der Psychiatrie zählen. In Deutschland leidet fast eine Million Menschen an einer Schizophrenie, eine zumeist schwere Erkrankung, die in rund 80% der Fälle einen chronischen Verlauf nimmt und gravierende Folgen für die Betroffenen im persönlichen und beruflichen Bereich, aber auch gesundheitsökonomisch für die Gesellschaft mit sich bringt. Neuroleptika/Antipsychotika gehören zu den vielverordneten Medikamenten, Innovationen stehen seit Jahren aus. Für Substanzen, die zum Beispiel in den USA eingeführt sind, wird in Europa/Deutschland keine Zulassung beantragt, einer neuen Substanz (Lurasidon) wurde „kein Zusatznutzen“ attestiert – sie wurde aufgrund ökonomischer Kalkulationen in Deutschland nicht eingeführt. Lediglich im Bereich der Depot-Antipsychotika gibt es Neuerungen für die Substanzen Aripiprazol und Paliperidon.

Vor knapp zwei Jahren haben wir das PPT-Schwerpunktheft „Depot-Antipsychotika“ vorgelegt [4]. Es war vor allem zwei Fragen gewidmet: Wird das Problem der Non-Adhärenz/-Compliance durch Depot-Antipsychotika verbessert? Besitzen Depots Vorteile gegenüber der üblichen oralen Medikation und kommt es so zu einer Reduktion von Rezidiven und Krankenhausaufnahmen?

Ersteres hat sich leider nicht bewahrheitet, die Studiendaten zu Letzterem sind unterschiedlich bzw. kontrovers. In randomisierten kontrollierten Studien (RCT) fand sich kein Vorteil, in naturalistischen „Real-World“-Studien durchaus – die divergierenden Resultate weisen auf die Bedeutung unterschiedlicher Methodologien hin [1–4]. Bemerkenswert ist die Publikation von Schlier et al. zur Frage, inwieweit in Anti-Stigma-Kampagnen eingesetzte unterschiedliche Erklärungsmodelle die Attitüden zur Krankheit Schizophrenie verbessern können [5]: Sie fanden keine Evidenz dafür, dass Vulnerabilitäts-Stress- Modelle Vorteile gegenüber monokausalen Modellen (biogenetisch oder psychosozial) aufwiesen, und plädieren für neue Forschung auf diesem Gebiet.

Jüngst wurde im Übrigen in einer Studie bestätigt, dass entsprechend den auch in Deutschland gemachten Erfahrungen – und mit bescheidenen Mitteln praktiziertem Vorgehen – die „Verstärkung“ durch (Geld-)Prämien einen positiven Effekt auf die Verbesserung der Compliance aufwies [6].

Das vorliegende Heft beginnt mit der wichtigen Fragestellung der Frühdiagnostik und -Behandlung von Schizophrenien. Leopold et al., Berlin, führen hierzu aus, dass in Deutschland bei Patienten mit Erstmanifestation eine durchschnittliche Dauer der unbehandelten Psychose (DUP) von rund einem Jahr besteht und die Mehrzahl der Betroffenen die Therapie vorzeitig beendet. Sie plädieren dafür, in spezifischen Frühinterventionszentren für Psychosen die Behandlungssituation zu verbessern. Internationale Daten zeigen, dass hierdurch Verbesserungen der Symptomschwere, der Funktionalität und des Wohlbefindens erreicht werden und die Rate der Krankenhausaufenthalte und der Rückfälle sowie die Kosten gesenkt werden können.

Bodatsch, Oberhausen, und Kuhn, Köln, widmen sich dem wichtigen Thema der Differenzialindikation medikamentöser Erhaltungstherapie. Der heterogene Verlauf sowie frühere, mittlere und spätere Erkrankungsstadien erfordern ein differenziertes Regime. An die Medikation sind im individuellen Krankheitsverlauf wechselnde Anforderungen zu stellen; die Autoren präsentieren hierzu unter anderem eine interessante Tabelle zur Krankheitsstadien-gerechten Entscheidungsgrundlage für den Einsatz verschiedener Antipsychotika-Formulierungen.

Lambert et al., Hamburg, präsentieren in ihrem Beitrag das „Hamburger Modell“ der integrierten Versorgung unter dem Titel „Langzeittherapie in der Schizophrenie – Integration in die Gesellschaft“. Fraglos stellen die klinische Stabilität und die Belastbarkeit der Patienten eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration dar. Patienten, die im Hamburger Modell mindestens vier Jahre behandelt wurden, brachen signifikant seltener die Behandlung ab und es kam zu deutlichen und stabilen Verbesserungen der Psychopathologie, der Krankheitsschwere, des Funktionsniveaus und der Lebensqualität. Auch die medikamentöse Adhärenz wurde signifikant verbessert, sodass auch bei Patienten mit schweren psychotischen Störungen eine multidimensionale Verbesserung beziehungsweise Stabilisierung der Erkrankung erreicht werden konnte. Das Hamburger Modell leitet sich vom Assertive Community Treatment ab („aufsuchende, intensive und langfristige Behandlung für Menschen mit schweren und persistierenden psychischen Erkrankungen“). Im Hamburger Modell wurde es zum „Therapeutischen Assertive Community Treatment (TACT)“ modifiziert:

Zur Erhöhung der Qualität wurde die Indikation auf schwere psychotische Störungen spezialisiert, die Teams bestehen fast ausschließlich aus Psychiatern und Psychologen mit großer Erfahrung in der Behandlung von Psychosen, die TACT-Teams sind in ein Netzwerk von Institutionen und niedergelassenen Psychiatern eingebunden.

Laux, Haag/München, fasst in seinem Beitrag zusammen, dass nach wie vor nur knapp 10% der schizophrenen Patienten auf ein Depot eingestellt werden und Non-Compliance weiterhin ein zentrales Problem der Behandlung darstellt. Als eine Ursache für die nicht-kontinuierliche Behandlung ist die Sektorisierung des deutschen Versorgungssystems anzusehen. Eine große referierte Studie zur Versorgung aus sektorenübergreifender Perspektive von fast 38000 Schizophrenie-Fällen zeigte unter anderem, dass etwa die Hälfte der Patienten binnen vier Wochen nach Entlassung aus stationärer Behandlung keine Anschlussbehandlung durch Fachärzte fand. Je nach Arztdichte bestehen erhebliche regionale Unterschiede, ohne vertragsärztliche Anschlussbehandlung war die stationäre Wiederaufnahmerate unmittelbar nach Entlassung signifikant höher. Hinsichtlich der Verordnung von Depot-Antipsychotika zeigten sich deutliche Unterschiede in den Versorgungs-Sektoren (ambulant Hausarzt, Facharzt; PIA; stationär; Heim).

Die Gesundheitspolitik hat jüngst Eckpunkte für die Vergütung stationärer Leistungen in der Psychiatrie (PEPP) verabschiedet, wonach die sektorenübergreifende Versorgung durch Einführung von Home Treatment verbessert werden soll. Abgesehen von Fragen nach den personellen Ressourcen und der Finanzierbarkeit bleibt abzuwarten, ob die aufgezeigten „Schnittstellenprobleme“ hierdurch eine Verbesserung erfahren werden.

Ein weiterer Beitrag des Heftes von Ehret, Berlin, und Lohmüller, Hamburg, gibt die Ergebnisse einer nichtinterventionellen, prospektiven Langzeitstudie zu Piribedil wieder. Der Nicht-Ergot-Dopaminagonist mit noradrenergem Effekt ist seit Jahren in Deutschland aufgrund von Kurzzeit-RCTs zugelassen. Die nichtinterventionelle Studie wurde in 97 Facharztpraxen mit n=819 durchschnittlich 70 Jahre alten Patienten durchgeführt. Zu Recht finden Langzeitstudien aus der Praxis, wenn sie wie in diesem Fall mit etablierten Skalen evaluiert werden, vermehrt Beachtung. Es konnte gezeigt werden, dass Piribedil bei den Parkinson-Patienten die Vigilanz erhöhte, Depression und Apathie gingen zurück.

Neben diesen interessanten Originalarbeiten finden sich wie immer Beiträge zur Pharmakovigilanz (Wechselwirkungen) sowie Berichte von Kongressen, Symposien und aus der internationalen Literatur.

Literatur

1. Kirson NY, Weiden PJ, Yermakov S, et al. J Clin Psychiatry 2013;74:568–75.

2. Kishimoto T, Nitta M, Borenstein M, et al. J Clin Psychiatry 2013;74:957–65.

3. Kishimoto T, Robensadh A, Leucht C, et al. Schizophr Bull 2014;40:192–213.

4. Laux G. Neue Ära der Depot-Antipsychotika? Psychopharmakotherapie 2014;21:83–4.

5. Schlier B, Schmick S, Lincoln TM. No matter of etiology: biogenetic, psychosocial and vulnerability-stress causal explanations fail to improve attitudes towards schizophrenia. Psychiatry Res 2014;215:753–9.

6. Pavlickova H, Bemner SA, Priebe S. The effect of financial incentives on adherence to antipsychotic depot medication: does it change over time? J Clin Psychiatry 2013;76: 1029–34

Psychopharmakotherapie 2016; 23(02)