Epilepsie

Noch wenig Evidenz für den Nutzen von Cannabinoiden


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Präklinische Daten und Ergebnisse kleinerer klinischer Studien sprechen dafür, dass Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol manchen Epilepsie-Patienten helfen können. Hochwertige kontrollierte Studien für dieses Indikationsgebiet fehlen allerdings bislang. In größeren Studien soll derzeit zum Beispiel der Nutzen Cannabidiol-angereicherter Cannabis-Zubereitungen bei einigen schweren Epilepsie-Formen geprüft werden.

Trotz eines umfangreichen antikonvulsiven Therapiearsenals haben 30% der Epilepsie-Patienten weiterhin Anfälle. Nicht zuletzt deshalb suchen diese Patienten in digitalen sozialen Medien nach Therapiealternativen. Und dort hat die Empfehlung für eine Cannabis-Therapie schon seit einiger Zeit Hochkonjunktur. Den subjektiv positiven Fallberichten steht allerdings eine fehlende studienbasierte Evidenz gegenüber. Die Grundlagenforschung ist schon ein Stück weiter: Mit der Entdeckung des endogenen Cannabinoid-Signal-Systems in den 90er-Jahren begann die Erforschung vor allem von Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) sowie Cannabidiol und deren Zielstrukturen im Rahmen von neuronalen Dysfunktionen.

Pharmakologie: Cannabinoide dämpfen neuronale Erregbarkeit

Der bekannteste Cannabinoid-Rezeptor des zentralen Nervensystems ist der präsynaptische Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1R). Studien zeigen, dass das endocannabinoide System durch epileptische Anfälle aktiviert wird und dass die dadurch bedingte Hochregulation von CB1R anfallsreduzierend wirkt. Bei Patienten mit Epilepsie funktioniert dieser Rezeptor bzw. dieser Mechanismus vermutlich nicht optimal. Therapeutisch eingesetzt, ersetzen THC und synthetische CB1R-Agonisten die eingeschränkte Rezeptor-Hochregulation und reduzierten im Tierexperiment Anfallsfrequenz bzw. die Aktivierungsschwelle für Krämpfe.

Auch das nichtpsychoaktive Cannabidiol wirkt in Epilepsiemodellen antikonvulsiv, allerdings nicht über eine CB1R-Modulation, sondern über andere Mechanismen.

Evidenzbasierte Medizin: Anfallsreduktion beim Menschen

Die klinische Forschung schließt an diese Untersuchungen sowie auch alte medizinische Überlieferungen an. Erste klinische Berichte, teilweise von vor mehr als hundert Jahren, dokumentieren die antiepileptische Wirksamkeit von Cannabis, insbesondere im pädiatrischen Formenkreis. Ein aktueller Cochrane-Review kommt allerdings zu dem Schluss, dass ein evidenzbasierter Wirksamkeitsbeweis für Cannabinoide in der antiepileptischen Therapie bisher noch aussteht. Auch die American Academy of Neurology sieht bisher keine tragfähigen Beweise für eine antiepileptische Wirksamkeit der Cannabinoide.

Seit 2013 sammeln deshalb Epilepsiezentren prospektiv Daten über die Behandlung von Kindern und jungen Erwachsenen, die an einer schweren Epilepsie leiden, mit einem speziellen, gereinigten Cannabis-Extrakt (Epidiolex). Der Extrakt enthält 99% Cannabidiol und wurde im Rahmen eines Expanded-Access-Programms durch die Food and Drug Administration (FDA) für den Einsatz unter anderem bei Epilepsie legalisiert. Die ersten Berichte im offenen Einsatz zeigen eine gute Sicherheit und Wirksamkeit. Mehr Informationen speziell zu dem Präparat Epidiolex erhofft man sich nun durch zwei randomisierte, kontrollierte pädiatrische Studien. Indikationen sind das Dravet-Syndrom und das Lennox-Gastaut-Syndrom. Zusätzlich werden derzeit auch synthetische Cannabidiol-Derivate für die Epilepsie-Therapie entwickelt.

Sicherheit

Die meisten Erkenntnisse zur Sicherheit von Cannabis stammen aus Studien zum Einsatz als entspannende Freizeitdroge. Kurzfristig kann es unter dem Psychopharmakon zu einer Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung, des Urteilsvermögens und der motorischen Leistungen kommen. Zubereitungen mit hohem THC-Gehalt zeigen zusätzlich ein erhöhtes Psychose-Risiko. Langfristig werden etwa 9% der Konsumenten abhängig. Weitere Langzeitnebenwirkungen sind kognitive Minderleistungen sowie eine herabgesetzte Motivation. Möglicherweise führen vor allem Cannabis-Zubereitungen mit hohem THC-Gehalt bei jungen, vulnerablen Personen zu irreversiblen Beeinträchtigungen der Gehirnentwicklung.

Speziell in der Epilepsie-Therapie sollten zusätzlich pharmakokinetische Interaktionen beachtet werden: Cannabinoide inhibieren verschiedene Cytochrom-P450-Enzyme, die durch gängige Antiepileptika wie Carbamazepin, Topiramat oder Phenytoin induziert und durch Valproinsäure inhibiert werden.

Fazit

Die klinische Evidenz für den Einsatz von Cannabis und pharmazeutisch weiterentwickelte Rezepturen zur Reduktion von epileptischen Anfällen ist derzeit gering, Einzelfallberichte sind allerdings ermutigend. Die Entwicklung von Extrakten mit einem hohen Gehalt an nichtpsychoaktiven und nicht abhängigkeitsfördernden Cannabinoiden wie Cannabidiol und die Erprobung in kontrollierten klinischen Studien könnte dem traditionellen medizinischen Hanf vielleicht den Eintritt in die moderne Medizin erleichtern, zumindest in der Indikation Epilepsie.

Quelle

Friedman D, Devinsky O. Cannabinoids in the treatment of epilepsy. N Engl J Med 2015;373: 1048–58.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(01)