Altersdepression

Methylphenidat verbessert die antidepressive Wirksamkeit von Citalopram


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurden die Behandlungserfolge bei älteren Patienten mit einer Major Depression in drei Behandlungsgruppen verglichen: Methylphenidat (MPH) plus Placebo, Citalopram plus Placebo und Citalopram plus MPH. Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung des Scores der Hamilton Depression Rating Scale (HAMD) vom Einschluss bis zum Endpunkt (Woche 16). Weiterhin wurden die Verbesserungen anhand der Clinical Global Impression Scale, Teil Verbesserung (CGI-I) beurteilt. Mit Citalopram plus MPH war die Änderung signifikant größer als mit Citalopram plus Placebo (p=0,02) oder MPH plus Placebo (p=0,005). Auch der CGI-I-Score verbesserte sich unter Citalopram plus MPH signifikant stärker als in den beiden anderen Gruppen (jeweils p=0,001).
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. D. Angersbach, Wolfratshausen

Ältere Patienten scheinen eine geringere Ansprechrate bei der antidepressiven Therapie zu zeigen als jüngere, das heißt, sie haben niedrige Remissions- und Responseraten und eine höhere Rückfallquote. Weiterhin ist eine Altersdepression häufig mit kognitiven Störungen verbunden, die dann auch zu Beeinträchtigungen der Alltagsaktivität führen. In der vorliegenden Studie wurde die Wirksamkeit einer Kombinationsbehandlung von Citalopram, einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), und Methylphenidat im Vergleich zur Einzelgabe der beiden Wirkstoffe untersucht. Methylphenidat setzt zentralnervös Adrenalin und Dopamin frei und hemmt auch deren Wiederaufnahme. Die Substanz zeigte eine Wirksamkeit in der Verbesserung exekutiver Dysfunktionen, wie Aufmerksamkeitsdefizit und Apathie, und war auch in einigen wenigen offenen und kontrollierten Studien in der Behandlung der Altersdepression wirksam. Die vorliegende Studie wurde in der Zeit von August 2008 bis September 2012 durchgeführt.

Methoden

Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 65 Jahren mit einer aktuellen Episode einer unipolaren depressiven Erkrankung nach DSM-IV-TR-Kriterien, einem HAMD-24-Score von 16 (mäßig krank) und einem Score bei der Mini-Mental State Examination (MMSE) von 26 (keine bis leichte Demenz). Ausschlusskriterien waren psychiatrische Erkrankungen in der Vorgeschichte (außer Depression), ernsthafte, nicht kontrollierte körperliche Erkrankungen sowie akutes suizidales und gewaltbereites Verhalten. Die Einnahme psychotroper Medikamente innerhalb von zwei Wochen vor Einschluss war nicht erlaubt. Primäre Wirksamkeitsparameter waren die Änderung des HAMD-Scores vom Einschluss bis zum Endpunkt (Woche 16) und die Response-Rate (50% Reduktion des HAMD-Scores) in Woche 4.

Zu den sekundären Wirksamkeitsparametern zählte die Beurteilung der Apathie mithilfe der Apathy Evaluation Scale. Des Weiteren wurden die kognitiven Leistungen beim Einschluss und am Endpunkt eingeschätzt. Sie umfassten unter anderen Sprachverständnis (Boston naming test, Verbal fluency task), Verarbeitungsgeschwindigkeit (Trail making test, WAIS-III digit span test), Arbeitsgedächtnis (California verbal learning test-II, Rey-Osterrieth complex figure test) und wahrnehmungsgebundenes logisches Denken (WAIS-III block design task).

Die Studienmedikation wurde in Kapseln (20 mg Citalopram, 2,5 mg Methylphenidat, Placebo) verabreicht. Die Einnahme erfolgte zweimal täglich (9 Uhr vormittags, 15 Uhr nachmittags) in flexiblen Dosen: Citalopram 20 bis 60 mg/Tag, Methylphenidat 5 bis 40 mg/Tag. Die Höhe der Dosis richtete sich nach Wirksamkeit und Verträglichkeit. Eine Aufdosierung wurde vorgenommen, wenn der CGI-I-Score der Clinical Global Impression Scale für die Zustandsverbesserung (CGI-I) 3 betrug (minimal besser bis viel schlechter) und keine ernsthaften unerwünschten Wirkungen aufgetreten waren. Die Methylphenidat-Dosis wurde wöchentlich um 2,5 mg/Tag erhöht. Die Höchstdosis war nach vier Wochen erreicht. Bei weiterhin unzureichender Wirksamkeit der Behandlung konnte die Citalopram-Dosis ab Woche 4 von 20 auf 40 mg/Tag und in Woche 8 auf 60 mg/Tag gesteigert werden. Bei Unverträglichkeit der Behandlung konnte die Methylphenidat-Dosis auf 5 mg/Tag und die Citalopram-Dosis auf 20 mg/Tag (Mindestdosen) gesenkt werden. Die Assessments wurden in den ersten vier Wochen wöchentlich, danach 14-täglich vorgenommen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 143 Patienten eingeschlossen (Citalopram plus Placebo, n=48; Methylphenidat plus Placebo, n=48; Citalopram plus Methylphenidat, n=47).

Die Abnahme des HAMD-Scores vom Einschluss bis zum Endpunkt war in allen drei Gruppen signifikant (p<0,001), wobei die Änderung im Score unter Citalopram+Methylphenidat größer war als unter Citalopram + Placebo (p=0,02) und unter Methylphenidat + Placebo (p=0,005; Abb. 1).

Abb. 1. Änderung des mittleren Scores der Hamilton Depression Rating Scale vom Einschluss bis zum Endpunkt. Signifikanzen: Citalopram + Placebo vs. Methylphenidat + Placebo, p<0,05 (*); Citalopram + Placebo vs. Citalopram + Methylphenidat, p<0,05 (#); Methylphenidat + Placebo vs. Citalopram + Methylphenidat, p<0,05 () [nach Lavretsky et al.]

Die Änderung des Scores bis Woche 4 war unter Citalopram + Methylphenidat signifikant größer als unter Citalopram + Placebo (p=0,03), jedoch nicht größer als unter Methylphenidat + Placebo. Nach Woche 4 änderte sich der Score unter Citalopram + Methylphenidat im Vergleich zu Methylphenidat + Placebo stärker (p=0,04), aber nicht im Vergleich zu Citalopram + Placebo.

Die Remissionsraten (HAMD-Score 6) waren am Studienende 29,2% (Methylphenidat + Placebo), 41,7% (Citalopram + Placebo) und 61,7% (Citalopram + Methylphenidat; p ,003 vs. Methylphenidat + Placebo, p=0,07 vs. Citalopram + Placebo). Auch im CGI-I verbesserten sich unter der Kombinationstherapie mehr Patienten (Score 1 bis 2=sehr stark oder stark verbessert) als unter den Monotherapien (p=0,001), zwischen denen es keine Unterschiede gab. Die kognitiven Funktionen zeigten variable Verbesserungen innerhalb der Behandlungsgruppen. Unter Methylphenidat + Placebo verbesserte sich insbesondere die exekutive Funktion und unter Citalopram + Placebo die Aufmerksamkeit. Keine Verbesserungen zeigten sich innerhalb der Gruppen bei Gedächtnis und den wahrnehmungsgebundenen Funktionen.

Die Gruppen unterschieden sich nicht in der Anzahl der unerwünschten Wirkungen, der Abbruchrate oder den Gründen für einen Abbruch. Nach Meinung der Autoren verbessert die untersuchte Kombination die Wirksamkeit einer Behandlung der Altersdepression.

Kommentar

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Methylphenidat die Responder- und Remitterrate in der Kombination mit Citalopram erhöht und – auch in Monotherapie – zu einem schnelleren Ansprechen der Therapie führt. Das legt die Auswertung der Änderung des HAMD-Scores in den ersten vier Wochen nahe. Wie viel der gezeigten Wirksamkeit tatsächlich auf Methylphenidat zurückzuführen ist, hätte eine Placebo-Kontrollgruppe zeigen können. Offensichtlich hatten die Autoren jedoch bei ihrem dreiarmigen Design bereits Probleme, eine (knapp) ausreichende Zahl an Patienten einzuschließen. Wie bei anderen kontrollierten Studien, lassen sich die Ergebnisse nur bedingt auf den Behandlungsalltag übertragen, da nur Patienten mit einer mäßig schweren Depression, ohne psychische Begleiterkrankung und ohne Substanzmissbrauch in der Vorgeschichte behandelt wurden. Diese Kriterien erfüllten nicht viele Patienten: Nach einem Telefonscreening erwiesen sich 510 Patienten als geeignet, von denen nach einem weiteren Screening nur 143 eingeschlossen und behandelt wurden.

Anders als in dieser Studie werden im Behandlungsalltag zudem die Dosierungsangaben des Herstellers strenger beachtet, nach denen die maximale Dosis von Citalopram bei älteren Patienten (65 Jahre) nicht über 20 mg/Tag liegen sollte [1]. In der Studie betrug die höchste Dosis 60 mg/Tag, unter der auch die höchste Remitter-Rate auftrat.

Quelle

Lavretsky H, et al. Citalopram, methylphenidate, or their combination in geriatric depression: A randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Am J Psychiatry 2015;172:561–9.

Literatur

Fachinformation Cipramil® 20/40 mg, Filmtabletten, November 2014.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(01)