Somnambulismus unter Olanzapin


Kasuistik aus dem Projekt „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ e.V. (AMSP)

Jessica Baumgärtner, Max Schmauß, Augsburg, und Susanne Stübner, München

Wir berichten über einen Fall von Somnambulismus unter Olanzapin bei einem 50-jährigen Patienten mit einer schizoaffektiven Störung, gegenwärtig schizomanisch (ICD-10 F25.0). Bereits vormals war der Patient mit Olanzapin 20 mg/Tag behandelt worden und hatte dies gut vertragen. Nach erneutem Beginn einer antipsychotischen Medikation mit Olanzapin im Rahmen der jetzigen dritten stationär psychiatrischen Aufnahme und Aufdosieren auf 25 mg/Tag kam es nach zwei Tagen zu nächtlichen Episoden eines Somnambulismus. Nach umfassender organischer Diagnostik unter Berücksichtigung möglicher Differenzialdiagnosen wurde Olanzapin ausschleichend abgesetzt und eine Umstellung auf Risperidon vorgenommen, worunter es zum Sistieren des Schlafwandelns kam. Der Fall dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung wurde am Bezirkskrankenhaus Augsburg im Rahmen des Projekts Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP) e.V. erfasst und eingehend diskutiert.
Schlüsselwörter: Somnambulismus, Schlafwandeln, Parasomnien, Olanzapin, Antipsychotika, Neuroleptika, unerwünschte Arzneimittelwirkung, Arzneimittelsicherheit, AMSP
Psychopharmakotherapie 2016;23:27–9.

Methodik

AMSP ist ein offenes, fortlaufendes und multizentrisches Projekt, das seit 1993 Anwendungen (zwei Stichtage/Jahr) sowie schwere und ungewöhnliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) bei stationär behandelten psychiatrischen Patienten unter naturalistischen Bedingungen erfasst. Die kausale Attribuierung erfolgt in drei verschiedenen Wahrscheinlichkeitsgraden (W1: möglich; W2: wahrscheinlich; W3: sicher) nach eingehender Diskussion und unter Berücksichtigung aller verfügbaren klinischen Daten [3].

Somnambulismus – Definition, Ätiologie und klinisches Bild

Schlafwandeln zählt zu den Parasomnien und ist gekennzeichnet durch komplexe Verhaltensmuster mit Umhergehen, die zumeist aus den Tiefschlafstadien 3 und 4 heraus auftreten. Die höchste Inzidenz wird im Kindesalter zwischen 4 bis 8 Jahren angegeben, die Prävalenz in der Bevölkerung beträgt 1 bis 15%. Prädisponierende Faktoren sind Schlafentzug, Stress, Fieber, Alkoholkonsum, Einnahme von Antipsychotika, Benzodiazepinen, Antihistaminika oder Stimulanzien. Weiterhin wird ein familiär gehäuftes Auftreten beobachtet. Das klinische Bild wird in Lehrbüchern [z.B. 4] durch teils komplexe motorische Aktivität, gestörte Wahrnehmung, eingeschränkte Urteilsfähigkeit, meist fehlende Reaktion auf äußere Reize und weitgehende Amnesie für die Episode beschrieben.

Kasuistik

Es handelte sich um einen 50-jährigen Patienten mit der Diagnose einer schizoaffektiven Störung, gegenwärtig manisch (ICD-10 F25.0). Der Patient war erstmals 1982 erkrankt. Während eines mehrere Jahre zurückliegenden Voraufenthalts war der Patient bereits mit Olanzapin bis zu 20 mg/Tag behandelt worden. In den Krankenakten und nach Angaben des Patienten war es nicht zu UAW unter Olanzapin gekommen.

An somatischen Begleiterkrankungen bestand eine Hypothyreose, weshalb eine Substitution mit Levothyroxin 50 µg/Tag erfolgte.

Aufgrund des manischen und paranoiden Syndroms und der Vorgeschichte mit guter Response wurde der Patient auch bei dem jetzigen Aufenthalt mit dem Antipsychotikum der zweiten Generation Olanzapin behandelt. Vorübergehend erhielt der Patient aufgrund von ausgeprägten Ein- und Durchschlafstörungen Prothipendyl bis zu 80 mg/Tag, was eine Woche vor Auftreten der UAW bei klinischer Besserung abgesetzt werden konnte. Nur zwei Tage nach Erhöhung der Olanzapin-Tagesdosis von 20 auf 25 mg trat eine nächtliche Episode eines Somnambulismus mit kurzdauernder Verwirrtheit, Desorientiertheit, Nesteln und nachfolgender Amnesie für das Ereignis auf. In der darauf folgenden Nacht zeigte sich eine erneute Episode. Der Patient stand auf dem Gang, urinierte in eine Ecke, zog sich das T-Shirt aus und an, antwortete auf Ansprache kurz und verwirrt und ging dann in sein Zimmer. Eine Stunde später kam der Patient auf das Pflegepersonal zu, zeigte sich allseits orientiert, konnte sich aber an das vorherige Ereignis nicht erinnern.

Da ein Zusammenhang mit der antipsychotischen Medikation vermutet wurde, erfolgte fünf Tage später eine Reduktion der Olanzapin-Dosierung auf 20 mg/Tag. Nach zwei weiteren Tagen nahm der Patient eine Wochenendbeurlaubung wahr und wurde nachts vom Rettungsdienst, den die Ehefrau gerufen hatte, wieder in die Klinik zurückgebracht. Die Ehefrau berichtete, dass der Patient schweißgebadet aufgewacht und erneut verwirrt in Erscheinung getreten sei.

Fortan wurde Olanzapin weiter reduziert und abgesetzt und eine überlappende Umstellung auf Risperidon vorgenommen. In den darauf folgenden Nächten wurde vonseiten des Pflegepersonals ein etwas unruhiger und unterbrochener Schlaf dokumentiert, Episoden eines Somnambulismus waren jedoch nicht mehr zu verzeichnen.

Es erfolgte eine eingehende Suche nach den auslösenden Faktoren. Gegen ein Delir sprach das ausgestanzt nächtliche Auftreten und zudem, dass der Patient nach Erwecken durch laute Ansprache oder Berührung nach einer kurzen Reorientierungsphase Bewusstseinsklarheit zeigte und zu allen Qualitäten orientiert war. Auch ein komplex fokales Anfallsereignis wurde erwogen. Unter Berücksichtigung der möglichen Differenzialdiagnosen erfolgte eine umfassende klinische Diagnostik. Hierbei war ein unauffälliges Labor zu verzeichnen, das EKG zeigte bis auf vereinzelte supraventrikuläre Extrasystolen keinen wegweisenden Befund. Im EEG fanden sich Zeichen einer Vigilanzschwankung, aber keine epilepsietypischen Potenziale und kein Herdbefund. Weiterhin wurde ein kranielles MRT ergänzt, was keine Hinweise für eine frische Ischämie, Blutung oder Raumforderung ergab. In der bildgebenden Darstellung der intra- und extrakraniellen Gefäße fanden sich keine Pathologien.

Diskussion

Die Symptomatik des Patienten konnte aufgrund der genauen Beobachtung und ausführlichen Dokumentation des Pflegepersonals eindeutig als Somnambulismus eingeordnet werden.

Aufgrund des zeitlichen Verlaufs mit Auftreten der UAW nach Aufdosieren von Olanzapin auf eine Tagesdosis von 25 mg, sowie nicht fehlenden wegweisenden Befunden der organischen Diagnostik mittels Laboruntersuchung, EKG, EEG und kraniellem MRT inklusive Gefäßdarstellung, war von einem Zusammenhang mit der Einnahme von Olanzapin auszugehen. Im Rahmen eines therapeutischen Drug-Monitorings (TDM) waren Olanzapin-Spiegel im unteren therapeutischen Bereich zu verzeichnen. Sieben Tage vor Auftreten der UAW lag der Spiegel von Olanzapin bei einer verordneten Tagesdosis von 20 mg bei 23,0 ng/ml (Referenz 20–80 ng/ml), fünf Tage nach Absetzen von Olanzapin und Abklingen der UAW war noch ein Spiegel von 20 ng/ml nachweisbar. Werte außerhalb des therapeutischen Referenzbereichs wurden nicht dokumentiert. Prothipendyl war bereits eine Woche zuvor abgesetzt worden und kann aufgrund der kaum vorhandenen Kumulation und einer Halbwertszeit von zwei bis drei Stunden eher nicht angeschuldigt werden.

In der AMSP-Fallkonferenz wurde ein wahrscheinlicher Zusammenhang (W2) zwischen Auftreten der UAW und Olanzapin angenommen, da der zeitliche Zusammenhang mit der Aufdosierung klar belegt und die Symptomatik nach Reduktion und Absetzen von Olanzapin vollständig rückläufig und nicht mehr aufgetreten waren.

In der Fachinformation wird das Auftreten von Parasomnien unter Olanzapin nicht explizit aufgeführt. Die weitere Literaturrecherche ergab Einzelfallberichte eines Somnambulismus unter psychotroper Medikation, vor allem unter Antipsychotika der zweiten Generation.

Schlafwandeln unter Olanzapin findet in Kasuistiken von Kolivakis et al. (2001) [5], Chiu et al. (2008) [1] und Faridhosseini et al. (2012) [2] Erwähnung, wobei jeweils ein Zusammenhang zwischen Beginn bzw. Dosiserhöhung von Olanzapin und dem Auftreten der UAW gesehen und ein Rückgang der Symptomatik nach Reduktion bzw. Absetzen von Olanzapin beschrieben wurde.

Die Kasuistiken verdeutlichen, dass Parasomnien als Ursache für gestörten und wenig erholsamen Schlaf bei Patienten, die mit Antipsychotika der zweiten Generation behandelt werden, bedacht werden sollten, ohne dabei wichtige Differenzialdiagnosen, zum Beispiel komplex fokale Anfallsereignisse oder Delirien, sowie potenziell prädisponierende Faktoren außer Acht zu lassen. Die Änderungen der Anwendungsgewohnheiten gehen auch mit einem veränderten Spektrum unerwünschter Arzneimittelwirkungen einher, auf die es zu achten gilt.

Interessenkonflikterklärung

Dr. J. Baumgärtner steht in keinem Interessenkonflikt.

Prof. Dr. M. Schmauß: Honorare für Vorträge und Advisory-Boards von Aristo Pharma, Lundbeck GmbH, Merz Pharmaceuticals, Otsuka GmbH, Takeda.

Priv.-Doz. Dr. S. Stübner steht in keinem Interessenkonflikt.

Literatur

1. Chiu YH, Chen CH, Shen WW. Somnambulism secondary to olanzapine treatment in one patient with bipolar disorder. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2008;32:581–2.

2. Faridhosseini F, Zamani A. A case report of somnambulism associated with olanzapine. Iran J Psychiatry Behav Sci 2012;6:72–4.

3. Grohmann R, Engel R, Rüther E, Hippius H. The AMSP drug safety program: Methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11.

4. Hufschmidt A, Lücking CH, Rauer S. Neurologie compact. 6. Auflage. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2013:305–30.

5. Kolivakis TT, Margolese HC, Beauclair L, Chouinard G. Olanzapin-induced somnambulism. Am J Psychiatry 2001;158:1158.

Dr. med. Jessica Baumgärtner, Bezirkskrankenhaus Augsburg, Dr.-Mack-Straße 1, 86156 Augsburg, E-Mail: jessica.baumgaertner@bkh-augsburg.de

Priv.-Doz. Dr. med. Susanne Stübner, Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost, Vockestraße 72, 85540 Haar bei München, E-Mail: susanne.stuebner@kbo.de

Prof. Dr. med. Max Schmauß, Bezirkskrankenhaus Augsburg, Dr.-Mack-Straße 1, 86156 Augsburg, E-Mail: m.schmauss@bkh-augsburg.de

Somnambulism under treatment with olanzapine

We report on a case of somnambulism seen in a 50 year old patient treated with olanzapine. The substance was given due to an acute maniac episode within the scope of a schizoaffective disorder.

During an earlier episode the patient had already been treated with olanzapine 20 mg/d, which was well tolerated. In the course of the current stay the dosage of olanzapine was increased to 25 mg/d. Two days later, the patient became disorientated at night, left his bed and showed disorganized behavior. Afterwards he could not remember anything of what had happened during those disturbed nights. The patient had never experienced somnambulism before. Other causes as epileptic seizures or organic brain damages could be excluded.

After decreasing the dosage and gradually discontinuing olanzapine the symptoms ceased. For further treatment risperidone was then given.

The case has been documented within the drug safety program „ArzneimittelsicherheitinderPsychiatrie“ (AMSP).

This clinical phenomenon seems to be well known but occurs in rare cases; literature research has revealed sporadic case reports of somnambulism under treatment of second generation antipsychotics.

Key words: Somnambulism, parasomnia, olanzapine, antipsychotics, adverse drug reaction, AMSP

Psychopharmakotherapie 2016; 23(01)