Erste praktische Erfahrungen mit Vortioxetin bei ambulanten und stationären Patienten


Here Folkerts, Wilhelmshaven, und Christoph Goemann, Hamburg

Vortioxetin gehört zur Gruppe der neuen multimodalen Antidepressiva; es wirkt über mehrere komplementäre pharmakologische Mechanismen, indem es verschiedene Serotoninrezeptoren moduliert und zusätzlich den Serotonintransporter inhibiert. Vortioxetin besitzt unter anderem Affinität zu den Serotoninrezeptor-Subtypen 5-HT1A, 5-HT1B, 5-HT7, 5-HT1D und 5-HT3 sowie zum Serotonintransporter SERT. In klinischen Studien zeigte Vortioxetin gute Wirksamkeit und Verträglichkeit bei der Behandlung von Depressionen. Anhand von mehreren Fallbeispielen wird hier gezeigt, dass diese positiven Ergebnisse auch im Praxisalltag bestätigt werden. Vortioxetin fand gute Akzeptanz bei den Patienten aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils und der guten Wirksamkeit.
Schlüsselwörter: Depression, Antidepressiva, multimodale Antidepressiva, Vortioxetin
Psychopharmakotherapie 2015;22:189–96.

Die Epidemiologie der Depression und ihre Bedeutung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass heute weltweit 350 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. Somit zählen Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Diese alarmierenden Zahlen sollten uns veranlassen, diese weltweit auftretende Erkrankung anzugehen. Die unipolaren Depressionen (Major Depression) figurieren als drittwichtigster Verursacher der weltweiten Gesundheitsbelastung (global burden of disease) (Abb. 1). Die WHO rechnet damit, dass sie 2030 an erster Stelle stehen werden und eine noch weiter wachsende Bedeutung erhalten.

Abb. 1. Konzept der Krankheitsbürde („Burden of Illness“ [10])

Eine Depression betrifft verschiedene Bereiche des Lebens: In Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung sind erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität (Beruf, Privates und Soziales) und entsprechende funktionelle Beeinträchtigungen bei der Arbeit und im Privatleben zu erwarten. Depressionen führen so zu erheblichen sozialen, psychischen und physischen Störungen bis hin zur Invalidität [10]. In den letzten Jahren ist es zu einer immer weiter zunehmenden Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen und Frühverrentungen aufgrund von depressiven Erkrankungen gekommen [22]. Somit haben depressive Erkrankungen auch eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung.

Die durchschnittliche Lebenszeitprävalenz der Depression (depressive Episode, Major Depression) liegt in den zehn Ländern mit den höchsten Einkommen bei 14,6%, die durchschnittliche 12-Monats-Prävalenz bei 5,5%. Dabei ist die Prävalenz für Frauen etwa doppelt so hoch wie für Männer. Das durchschnittliche Alter der Patienten bei der ersten Diagnose liegt in Deutschland bei 27,6 Jahren. Der Verlauf der Erkrankung ist gekennzeichnet durch ein hohes Rückfallrisiko: Mindestens 50% der Patienten erleben eine oder mehrere weitere Episoden in ihrem Leben [9].

Behandlung der unipolaren Depression

Behandlungsziel ist das Erreichen einer vollständigen Remission, besser noch die volle funktionale Wiederherstellung (Abb. 2). Die Realität in der klinischen Praxis sieht leider anders aus: Zwar sind die Responseraten (Reduktion der Symptomatik um 50% oder mehr auf den gängigen Depressions-Rating-Skalen wie MADRS oder HAMD) mit etwa 70% vergleichsweise gut (bei 70% aller Patienten, bei denen sich die Symptome in kurzer Zeit relevant bessern, geschieht dies innerhalb der ersten beiden Wochen [36]), die Remissionsraten (weitgehende Rückbildung der depressiven Symptomatik, z.B. HAMD-17 <7; innerhalb von 12–14 Wochen, STAR-D-Studie [19, 31]) liegen jedoch oft nur bei 30 bis 50% [19]. Etwa die Hälfte der depressiven Patienten, die per Definition gängiger Beurteilungsskalen (MADRS und HAM-D) eine Remission erreicht haben, empfindet dies selbst nicht so [38]. Dies unterstreicht, dass neue Entwicklungen in Hinblick auf Antidepressiva (aber auch in anderen Bereichen der Depressionstherapie) vonnöten sind.

Abb. 2. Entwicklung der Behandlungsziele der Depression

Die wichtigsten Strategien für die Behandlung von Depressionen sind laut der S3-Leitlinie/Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression der DGPPN [36] sowohl Psychopharmakotherapie als auch Psychotherapie und andere nicht pharmakologische somatotherapeutische Behandlungsverfahren wie die Elektrokrampftherapie (EKT) und die transkranielle repetitive Magnetstimulation (rTMS) [15].

In der Versorgungsrealität kommt der Psychopharmakotherapie eine herausragende Bedeutung zu. Die Psychopharmakotherapie spielt, zusammen mit der psychotherapeutischen Behandlung, vor allem bei den mittel- und schwergradigen depressiven Episoden eine zentrale und unverzichtbare Rolle.

Die medikamentöse Behandlung der Depression gilt gegenwärtig in erster Linie den affektiven Symptomen. Ansatzpunkt der Pharmakotherapie ist die Erhöhung der verfügbaren Menge an Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin über unterschiedliche Wirkungsmechanismen. Die ältesten unter diesen Arzneistoffen sind die trizyklischen Antidepressiva und die Monoaminoxidase(MAO)-Hemmer [5]. Für viele Stoffe aus der Gruppe dieser älteren Antidepressiva konnte eine gute Wirksamkeit belegt werden. Problematisch sind teilweise jedoch deren Nebenwirkungen, unter anderem die sexuelle Dysfunktion. So weisen beispielsweise die trizyklischen Antidepressiva neben der unmittelbaren Wirkung auf Serotonin und Noradrenalin mehrere weitere Wirkungsmechanismen auf, die nicht alle therapeutisch erwünscht sind, beispielsweise eine zusätzliche Affinität zu Muscarin-, Histamin-H1- und Adrenorezeptoren mit den hieraus resultierenden Nebenwirkungen. Da die Nebenwirkungen dieser älteren Substanzen zum großen Teil mit den nicht erwünschten Wirkungsmechanismen in Verbindung stehen, galt die Forschung im Bereich Antidepressiva lange Zeit der Entdeckung von hochselektiven Antidepressiva. Als First-Line-Therapie werden in der S3-Leitlinie/Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression [36] die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) aufgeführt.

Nach wie vor gilt, dass in der medikamentösen Behandlung der Depression zahlreiche Probleme zu bewältigen sind. Ein Hauptmanko ist, dass sich oft erst nach längerer Einnahme der Medikation eine Wirkung zeigt und auch die neueren SSRI und SNRI störende Nebenwirkungen, insbesondere Gewichtszunahme und gestörte Sexualfunktion haben. Diese Nebenwirkung tragen in einem nicht zu unterschätzenden Maße zu Therapieabbrüchen vonseiten der Patienten bei und somit auch zu schlechten Therapieergebnissen.

In testpsychologischen Untersuchungen objektivierbare kognitive Dysfunktionen – im Rahmen der Depression – können sowohl akut als auch in Remission in erheblichem Maß auftreten; sie prognostizieren schlechtere klinische Ergebnisse [1, 16, 25] und tragen zur Beeinträchtigung von Arbeitsfähigkeit und Alltagsfunktionalität bei [16, 19, 20, 36]. Gegenwärtige Behandlungsansätze wirken nicht speziell auf kognitive Dysfunktionen. In einer großen Gruppe (n=478 von 2876) von Patienten der STAR*D-Studie [31], die auf ein Antidepressivum angesprochen, jedoch keine Remission erzielt hatten, litten 71% an zurückbleibender verminderter Konzentrationsfähigkeit/Entscheidungsfähigkeit [25]. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt eine dreijährige prospektive Studie [11]; es zeigte sich, dass bei 94% der Patienten während der depressiven Phase kognitive Symptome vorhanden waren. Ebenso war nachweisbar, dass bei 44% der Patienten zwischen zwei depressiven Phasen kognitive Symptome existierten (Abb. 3).

Abb. 3. Häufigkeit von kognitiven Störungen bei Patienten mit Depressionen [mod. nach 11]

Neue pharmakologische Ansätze

Mittlerweile hat sich die Forschung auf Substanzen konzentriert, die mehrere therapeutische Wirkungsmechanismen besitzen, ohne das Nebenwirkungspotenzial von Substanzkombinationen oder der älteren Antidepressiva, beispielsweise der trizyklischen Antidepressiva. Für diese Art von Arzneimitteln hat sich die Bezeichnung „multimodal“ durchgesetzt [32]. Zu dieser neuen Gruppe von multimodalen Antidepressiva zählt die Substanz Vortioxetin (Handelsname Brintellix®) [23, 24, 34, 35].

Vortioxetin – ein multimodales Antidepressivum

Bei der Substanz Vortioxetin handelt es sich um einen Wirkstoff, der ein neuartiges pharmakologisches Profil besitzt und der Klasse der sogenannten „multimodalen Antidepressiva“ angehört. Vortioxetin agiert über zwei pharmakologische Wirkungsmechanismen, indem es verschiedene Serotoninrezeptoren moduliert und zusätzlich den Serotonintransporter inhibiert (Abb. 4). Es wird angenommen, dass die Affinität von Vortioxetin zu den Serotoninrezeptor-Subtypen 5-HT1A, 5-HT1B, 5-HT7 und 5-HT1D, 5-HT3 sowie zum Serotonintransporter (SERT bzw. 5-HTT) von klinischer Relevanz ist und am Wirkungsmechanismus von Vortioxetin in therapeutischen Dosen beteiligt ist [12]. Es ist zu vermuten, dass infolge dieser Effekte eine Konzentrationserhöhung mehrerer Neurotransmitter in für die Depression relevanten Hirnregionen resultiert. Die höchste Rezeptorbindungsaffinität besitzt Vortioxetin für den 5-HT3-Rezeptor, den es antagonisiert. Dies erhöht die Freisetzung von Noradrenalin und Acetylcholin, vor allem im präfrontalen Kortex, im Hippocampus und in der Amygdala [3, 6, 27, 28, 29, 33]. Vortioxetin hat eine multimodale Wirkweise, die Rezeptoraktivität und Wiederaufnahmehemmung kombiniert und so zur Modulierung der Neurotransmission in mehreren Systemen führt.

Abb. 4. Pharmakologisches Profil von Vortioxetin SERT: Serotonintransporter

Die multimodale antidepressive Wirkung von Vortioxetin führt wahrscheinlich zu einer Vielzahl an potenziellen klinischen Effekten. Laufende Studien untersuchen die Beziehungen zwischen den direkten Effekten auf Rezeptor-Zielstrukturen (Targets), den indirekten Effekten auf Neurotransmitter und möglichen klinischen Auswirkungen. Bislang beobachtete Effekte in klinischen Versuchen beinhalten Vorteile der Wirksamkeit wie verbesserte Stimmung, Auswirkungen auf kognitive Dysfunktionen bei Depressionen [26], anxiolytische Effekte [7] sowie eine bessere Verträglichkeit, beispielsweise im Auftreten einer Reihe von Nebenwirkungen (Insomnie, Somnolenz, sexuelle Nebenwirkungen [bis 15 mg] und Gewichtsveränderungen) auf Placebo-Niveau.

Praktische Erfahrungen in der Anwendung von Vortioxetin

Fallbericht 1

Ein 59-jähriger Geschäftsmann stellte sich ambulant in der Sprechstunde wegen einer Depression vor. Er berichtete von einer komplexen Vorgeschichte mit einer langjährig bestehenden depressiven Symptomatik. In der subjektiven Wahrnehmung des Patienten ist die Depression vor vielen Jahren entstanden, nachdem er durch einen Dosierungsfehler versehentlich eine Überdosis Insulin erhalten hatte und in ein hypoglykämisches Koma gefallen war. Dank des raschen Eingreifens der Ehefrau, die medizinisch geschult war, konnte dieser Zustand sehr schnell beendet werden. Da die Hypoglykämie rasch vorüberging, war keine stationäre internistische Behandlung nötig. Der Patient entwickelte aber nach diesem, schon einige Jahre zurückliegenden Vorkommnis anamnestisch eine mäßig bis mittelgradig ausgeprägte depressive Symptomatik und hatte subjektiv auch eine Zeit lang mit Konzentrationsstörungen zu tun. Zum Zeitpunkt des Erstkontakts lag eine mittelgradige Depression vor (HAMD-17-Score von 22 Punkten). Im subjektiven Erleben wurden dyskognitive Symptome geschildert, die testpsychologisch nicht zu objektivieren waren. Der Patient wurde jetzt erstmalig psychiatrisch behandelt und es erfolgte die initiale Verschreibung eines Antidepressivums. Vortioxetin wurde zunächst in einer Dosierung von 5 mg verordnet, nach zehn Tagen erfolgte die Erhöhung auf 10 mg. Nach vier Wochen der Behandlung mit Vortioxetin war der Befund deutlich gebessert (HAM-D-17-Score 12). Mittlerweile, nach zehn Wochen, ist eine Remission eingetreten. Abgesehen von Insulin besteht keine weitere Komedikation.

Die Indikation für Vortioxetin bestand darin, eine möglichst effektive und nebenwirkungsarme Substanz bei dieser Erstverordnung eines Antidepressivums einzusetzen. Die Einstellung auf Vortioxetin erfolgte wegen seines besonderen Wirkprofils in der Langzeitbehandlung [8] und wegen seiner potenziell positiven Beeinflussung von kognitiven Störungen im Rahmen von depressiven Erkrankungen, aber auch wegen des Wunsches des Patienten nach Nebenwirkungsarmut (insbesondere keine Sedierung und keine erhöhte Inzidenz von sexuellen Nebenwirkungen). Negative Einflüsse auf den Zuckerstoffwechsel waren in diesem Fall nicht festzustellen.

Fallbericht 2

Die 35-jährige Patientin befand sich erstmalig in stationärer Behandlung wegen einer mittelgradig ausgeprägten Depression. Die depressive Symptomatik bestand schon ein bis zwei Jahre. Subjektiv empfand sie eine geminderte Konzentrationsfähigkeit. Sie berichtete, sie sei im Jahre 2009 schon einmal unter dem Verdacht auf „Burn-out“ psychosomatisch in einer Klinik behandelt worden (ohne wesentlichen Effekt). Damals sei kein medikamentöser Ansatz verfolgt worden. Bei Aufnahme ergaben sich Hinweise auf eine familiäre Belastung mit Depressionen in der Familie. Es erfolgte die Verordnung von Vortioxetin in einer Dosierung von zunächst 5 mg. Die Dosierung wurde im Verlauf der Behandlung auf 15 mg gesteigert. Der Hamilton-Score bei Aufnahme (HAMD-17-Score 22) bildete die Schwere der Depression deutlich ab; bei Entlassung nach acht Wochen der stationären beziehungsweise teilstationären Behandlung war unter der Monotherapie mit Vortioxetin ein deutliches Ansprechen (HAMD-17-Score 13) erkennbar. Mittlerweile ist eine komplette Remission eingetreten. Die Patientin wird zusätzlich psychotherapeutisch behandelt.

Die Indikation für Vortioxetin bestand darin, bei der Erstverordnung eines Antidepressivums eine effektive und nebenwirkungsarme Substanz zu wählen, um die Adhärenz in der Erhaltungsbehandlung zu fördern. Nach den positiven Studienergebnissen von Katona [21] bzw. McIntyre [26] war weiter davon auszugehen, dass sich die subjektiv erlebten kognitiven Störungen zurückbilden würden. Dies ist mittlerweile eingetreten. Die Patientin hat ihre berufliche Tätigkeit zwischenzeitlich wieder aufgenommen.

Fallbericht 3

Die 39 Jahre alte Patientin kam zur stationären Behandlung mit einer im Vordergrund stehenden therapieresistenten schweren Depression. Sie war bereits in mehreren anderen Kliniken vorbehandelt worden. Neben der Depression bestanden in gewissem Umfang Zwangssymptome (Zwangshandlungen) und anamnestisch eine aktuell aber nicht relevante Essstörung. Die Patientin kam in die hiesige Klinik zur Durchführung einer Elektrokrampftherapie (EKT). Initial bestand eine sehr stark ausgeprägte depressive Symptomatik (HAMD-17-Score 27). Nach Abschluss der EKT-Serie mit gutem Erfolg und Remission der Depression stellte sich die Frage der pharmakologischen Erhaltungsbehandlung. Es erfolgte die Einstellung auf Vortioxetin mit 5 mg, später steigernd bis auf 15 mg. Neben Vortioxetin wurde ein Lithiumpräparat (675 mg Lithiumcarbonat) sowie Quetiapin 300 mg verordnet. Nach Ende der fünfmonatigen stationären Behandlung konnte die Patientin in remittiertem Zustand mit einem HAMD-17-Score von 12 Punkten entlassen werden; die Remission hält an.

Vortioxetin wurde ausgewählt, weil bei dieser hochgradig therapieresistenten Patientin eine effektive antidepressive Substanz notwendig war. Zudem gibt es Hinweise in der Literatur, eine bisher erfolglose antidepressive Pharmakotherapie nach erfolgreicher EKT zu wechseln [30]. Aus den Zulassungsstudien von Vortioxetin [2] ist bekannt, dass ebenbürtig zu Venlafaxin (225 mg) recht gute Remissionsraten von etwa 50% erreicht werden. Darüber hinaus war bei der Patientin bekannt, dass sie sehr sensibel auf Nebenwirkungen reagiert und somit war es zur Sicherstellung der notwendigen pharmakologischen Erhaltungsbehandlung in besonderer Weise von Bedeutung, eine sehr gut verträgliche Substanz einzusetzen. Die Kombination von Vortioxetin mit Lithium und Quetiapin bedarf zwar einer gewissen Vorsicht, erwies sich bei unserer Patientin aber als unproblematisch.

Fallbericht 4

Die 64-jährige Patientin ist schon seit sehr vielen Jahren wegen rezidivierender Depressionen mittel- bis schwergradiger Ausprägung mit im Vordergrund stehenden starken Ängsten in ambulanter und zeitweilig stationärer psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung (in der Vergangenheit). Wegen des hohen Grades der Therapieresistenz wurden neben verschiedenen Psychotherapiezyklen auch diverse Psychopharmaka und mehrere Zyklen von Elektrokrampftherapie in Narkose, Magnetstimulation als auch zuletzt die Vagusnervstimulation (VNS) eingesetzt (2013). Zuletzt befand sich die Patientin bis März 2013 in stationärer Behandlung. Die Medikation mit Tranylcypromin (60 mg) musste wegen des Interaktionspotenzials abgesetzt werden. Es bestand dann eine komplexe Pharmakotherapie mit Quetiapin (375 mg), Valproinsäure (900 mg), Aripiprazol (20 mg) sowie 150 mg Bupropion. Bupropion wurde Ende des Jahres 2013 auf 300 mg erhöht. Es kam jedoch zu einer weiteren Verschlechterung der klinischen Gesamtsituation, deshalb wurde nach zehn Wochen Vortioxetin in einer Dosierung von 10 mg angesetzt (HAMD-17 22 Punkte). Bupropion war mittlerweile abgesetzt worden. Klinisch hat sich der Zustand der Patientin unter Vortioxetin (mittlerweile 15 mg) deutlich verbessert. Von einer vollständigen Remission kann aber zum Berichtszeitpunkt (nach etwa acht Monaten Einnahme) noch nicht gesprochen werden, dies wäre bei dieser ausgesprochen therapieresistenten Depression auch nicht zu erwarten gewesen. Sie hat gegenwärtig einen HAMD-17-Score von 14. Die Verträglichkeit von Vortioxetin war bei der Patientin insgesamt ausgesprochen gut und die Substanz wird von der Patientin (die aufgrund ihrer jahrelangen Depression bereits Erfahrung mit zahlreichen anderen Substanzen hat) sehr gut toleriert und positiv bewertet. Die kognitiven Symptome im Rahmen der Depression sind im subjektiven Erleben der Patientin rückläufig.

Vortioxetin wurde aus verschiedenen Gründen bei dieser Patientin eingesetzt. Zum einen bestanden im Rahmen der Depression ausgeprägte kognitive Störungen, die bei der Patientin immer wieder Ängste auslösten, sie könne an einer Demenz erkrankt sein. Hierfür gab es allerdings klinisch keine Hinweise. Darüber hinaus wünschte die Patientin ausdrücklich, keine primär sedierende Substanz zu bekommen (mit sedierenden Antidepressiva hatte sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht). Ein weiterer Grund für den Einsatz von Vortioxetin war die deutlich ausgeprägte Angstsymptomatik. In der Studie von Alvarez et al. [2] ergab sich eine durchschnittliche Verringerung des HAMA-Gesamt-Scores in allen aktiven Behandlungsgruppen; im Vergleich zu Placebo lag die Verbesserung der klinischen Symptomatik deutlich über der von Placebo (sekundärer Endpunkt).

Fallbericht 5

Der 42-jährige Biologe befindet sich seit einigen Monaten wegen einer mittelgradig ausgeprägten Depression mit somatischen Symptomen (ICD-10 F32.11) in ambulanter Behandlung. Es besteht bereits langjährig eine wechselnd ausgeprägte depressive Symptomatik, die andernorts psychiatrisch und psychotherapeutisch behandelt wurde. Der Patient hat mehrere Zyklen Psychotherapie (Verhaltenstherapie) und eine längerfristige Sertralin-Therapie hinter sich. Nach einer erneuten beruflichen Niederlage kam es zu einer depressiven Dekompensation und zur vollstationären Aufnahme. Initial war der HAMD-17 mit 25 Punkten deutlich ausgeprägt. Im stationären Verlauf wurde zunächst die langjährige Therapie mit Sertralin (100 mg) auf Venlafaxin retard 150 mg umgestellt. Insgesamt kam es allenfalls zu einer gewissen Milderung der depressiven Symptomatik. Problematisch war, dass bei dem Patienten eine Blasenentleerungsstörung mit Restharnbildung (bis zu 200 ml) auftrat; zudem stellten sich sexuelle Dysfunktionen (erektile Dysfunktion) ein. Die initiierte urologische Untersuchung erbrachte zunächst keine eindeutige Ursache. Venlafaxin wurde abgesetzt und Agomelatin 25 mg angesetzt. Auch unter dieser Behandlung blieb eine Restharnbildung deutlich erkennbar. Somit wurde auch Agomelatin entsprechend dem Rat der Urologie abgesetzt. Darüber hinaus war der Patient mittlerweile gegenüber der Pharmakotherapie skeptisch geworden. In der weiterführenden urologischen Diagnostik zeigte sich, dass bei dem Patienten eine sogenannte Balkenblase vorlag als Ausdruck einer bereits längerfristigen Abflussstörung und bereits länger bestehendem muskulärem Umbau. Schließlich konnte eine mechanische Beeinträchtigung im Bereich der Harnröhre festgestellt werden. Vonseiten der Urologie wurde Tamsulosin 0,4 mg zur Verbesserung der lokalen Situation verordnet. Nach dem Absetzen der antidepressiven Pharmakotherapie (und trotz fortgesetzter Psychotherapie und Magnetstimulation) kam es wieder zu einer deutlichen Verschlechterung der depressiven Symptomatik. In dieser Situation entschlossen wir uns zum Einsatz von Vortioxetin mit 5 mg, insbesondere wegen des günstigen Nebenwirkungsprofils. Es kam nicht zu erneuten Blasenentleerungsstörungen oder zur Bildung von Restharn. Die relative Verengung der Harnröhre war unter Vortioxetin funktionell nicht mehr relevant. Die depressive Symptomatik besserte sich deutlich und mittlerweile – nach Ablauf von sechs Wochen – konnte eine Remission der depressiven Symptomatik mit einem HAMD-17 von 10 Punkten erreicht werden. Vortioxetin wurde ohne Nebenwirkungen vertragen; weder kam es zu einer erneuten Ausbildung von Restharn noch zur Ausbildung einer erektilen Dysfunktion.

Die entscheidende Indikation für Vortioxetin bei diesem Patienten mit urologischen Problemen war der Umstand, dass neben der zu erwartenden guten Wirksamkeit eine besondere Nebenwirkungsarmut in Hinblick auf sexuelle Dysfunktionen und Blasenentleerung gewünscht war, um eine antidepressive Pharmakotherapie durchführen zu können.

Praktische Empfehlungen und Hinweise zum Einsatz von Vortioxetin – orientiert an der aktuellen Fachinformation

Indikation und Dosierung

  • Vortioxetin wird angewendet zur Behandlung von Episoden einer Major Depression bei Erwachsenen. Es liegen laut Mitteilung des Herstellers [24] gegenwärtig keine Informationen und Daten über die Sicherheit und Effizienz der Anwendung bei Jugendlichen vor.
  • Die Filmtabletten können mit oder ohne Nahrung eingenommen werden.
  • Die Anfangs- und empfohlene Dosis von Vortioxetin bei Erwachsenen unter 65 Jahren beträgt 10 mg Vortioxetin einmal täglich. Bei unseren stationären Patienten mit einem höheren Schweregrad der Depression lagen wir überwiegend mit der Dosierung im Bereich von 15 mg.
  • Abhängig vom Ansprechen des Patienten bzw. in Abhängigkeit von der Verträglichkeit kann die Dosis auf maximal 20 mg Vortioxetin einmal täglich erhöht oder auf minimal 5 mg Vortioxetin einmal täglich gesenkt werden.
  • Die niedrigste wirksame Dosis von 5 mg Vortioxetin einmal täglich sollte bei Patienten 65 Jahren immer als Anfangsdosis verwendet werden. Vorsicht ist geboten, wenn Patienten 65 Jahren mit Dosen über 10 mg Vortioxetin einmal täglich behandelt werden. Die Effektivität von Vortioxetin bei älteren Patienten 65 Jahren ist durch die Zulassungsstudien gut belegt und konnte auch in der praktischen Anwendung nachvollzogen werden [24]. Besondere Probleme bei älteren Patienten waren hier weder bei stationären noch ambulanten Patienten bislang zu beobachten.
  • Cytochrom-P450-Inhibitoren: Abhängig vom Ansprechen des Patienten kann bei gleichzeitiger Anwendung eines starken CYP2D6-Inhibitors (z.B. Bupropion, Fluoxetin, Paroxetin) eine niedrigere Dosierung von Vortioxetin in Betracht gezogen werden.
  • Cytochrom-P450-Induktoren: Abhängig vom Ansprechen des Patienten kann bei gleichzeitiger Anwendung mit einem Breitband-Cytochrom-P450-Induktor (z.B. Rifampicin, Carbamazepin, Phenytoin) eine Dosisanpassung von Vortioxetin in Betracht gezogen werden. In der praktischen Anwendung der Substanz waren bislang keine relevanten Probleme mit Medikamenteninteraktionen zu beobachten.

Besondere Patientengruppen, Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung

  • Krampfanfälle sind ein potenzielles Risiko bei der Anwendung von Antidepressiva. Deshalb sollte laut Empfehlung des Herstellers eine Behandlung mit Vortioxetin bei Patienten mit Krampfanfällen in der Vorgeschichte oder bei Patienten mit instabiler Epilepsie vorsichtig eingeleitet werden. Die Behandlung sollte bei allen Patienten, bei denen Krampfanfälle auftreten oder bei denen die Häufigkeit der Krampfanfälle zunimmt, beendet werden.
  • Unter Behandlung mit Vortioxetin kann ein Serotonin-Syndrom oder malignes neuroleptisches Syndrom auftreten. Das Risiko für ein Serotonin-Syndrom oder ein malignes neuroleptisches Syndrom erhöht sich mit gleichzeitiger Anwendung von serotonergen Wirkstoffen (z.B. Johanniskraut, Tramadol, Sumatriptan und andere Triptane), Arzneimitteln, die den Serotoninstoffwechsel beeinträchtigen (einschließlich MAO-Hemmern), Antipsychotika und sonstigen Dopaminantagonisten. Die Anwendung von Vortioxetin zusammen mit einem irreversiblen MAO-Hemmer ist kontraindiziert [13, 24].
  • Sowohl das Serotonin-Syndrom als auch ein malignes neuroleptisches Syndrom sind in meiner klinischen Wahrnehmung ausgesprochen seltene Vorkommnisse; unter Vortioxetin haben wir bei der Anwendung an mittlerweile mehr als 50 Patienten bislang keine diesbezüglichen Probleme gesehen. Im Übrigen wurde hier ein malignes neuroleptisches Syndrom schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr beobachtet.
  • Anormale Blutungen, beispielsweise Ekchymosen, Purpura und sonstige hämorrhagische Ereignisse wie gastrointestinale oder gynäkologische Blutungen, wurden in seltenen Fällen in Verbindung mit der Anwendung von Antidepressiva mit serotonerger Wirkung (SSRI, SNRI) berichtet. Vorsicht ist geboten bei Patienten, die Antikoagulanzien und/oder Arzneimittel einnehmen, die bekanntermaßen die Thrombozytenfunktion beeinflussen (z.B. atypische Antipsychotika und Phenothiazine, die meisten trizyklischen Antidepressiva, nichtsteroidale Antirheumatika, Acetylsalicylsäure) und bei Patienten mit bekannten Blutungsneigungen/-störungen. Bei gesunden Probanden wurde laut Mitteilung der Firma keine Wirkung von Mehrfachdosen Acetylsalicylsäure 150 mg/Tag auf die Pharmakokinetik von Mehrfachdosen Vortioxetin beobachtet.
  • Daten für Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen und schweren Leberfunktionsstörungen sind nicht oder nur in begrenztem Umfang verfügbar. Deshalb ist Vorsicht bei der Anwendung geboten. Bei Patienten mit leichten oder mittelschweren Leberfunktionsstörungen gibt es keine relevanten Einschränkungen.
  • Elektrokrampftherapie: Der Firma Lundbeck liegen bislang keine klinischen Erfahrungen mit dem gleichzeitigen Einsatz von Vortioxetin und EKT vor; deshalb ist Vorsicht geboten. In der hiesigen Klinik haben wir mittlerweile aber erste Patienten, bei denen es zu einem gleichzeitigen Einsatz von Vortioxetin und EKT gekommen ist, ohne dass Probleme aufgetreten sind. Im Regelfall ist aus hiesiger Sicht die Kombinationsbehandlung zwischen einem serotonerg wirkenden Antidepressivum und EKT als unproblematisch zu betrachten; besonders hohe Dosierungen sind aber zu vermeiden (erhöhte Inzidenz von Nebenwirkungen des Antidepressivums wegen kurzzeitiger Erhöhung der Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke).
  • Vortioxetin darf während der Schwangerschaft nicht angewendet werden, es sei denn, dass eine Behandlung mit Vortioxetin aufgrund des klinischen Zustands der Patientin erforderlich ist [24].
  • Es ist davon auszugehen, dass Vortioxetin nicht nur im Tierversuch, sondern auch beim Menschen in die Muttermilch übergeht, sodass Vortioxetin nicht bei stillenden Müttern eingesetzt werden sollte.

Nebenwirkungen, Sicherheit

  • In den Zulassungsstudien war erwartungsgemäß, entsprechend dem pharmakologischen Profil, Übelkeit die häufigste Nebenwirkung. Für Dosen von 20 mg Vortioxetin einmal täglich waren die Inzidenzen für Übelkeit und Obstipation bei Patienten 65 Jahren (42% bzw. 15%) höher als bei Patienten <65 Jahren (27% bzw. 4%). Die Übelkeit war in den Zulassungsstudien im Allgemeinen mild beziehungsweise moderat, trat während der ersten zwei Wochen auf und war im Regelfall transient. Die Häufigkeit des Auftretens von Übelkeit erscheint nach den Ergebnissen der Zulassungsstudien dosisabhängig zu sein und steigt ab einer Dosierung von 15 mg. Im Gegensatz zu den Zulassungsstudien hat es bei unseren ersten 50 Patienten mit Vortioxetin keine nennenswerten Probleme mit Übelkeit gegeben (Tab. 1).
  • Vortioxetin hat in den Zulassungsstudien die Inzidenz von Schlaflosigkeit oder Somnolenz im Vergleich zu Placebo nicht erhöht. Bei unseren bislang 50 Patienten mit Vortioxetin gab es ebenfalls keine derartigen unerwünschten Ereignisse.
  • In klinischen Placebo-kontrollierten Kurz- und Langzeitstudien wurden potenzielle Absetzsymptome nach einem abrupten Abbruch der Behandlung mit Vortioxetin systematisch evaluiert. Bei der Inzidenz oder Art der Absetzsymptome nach entweder einer Kurzzeitbehandlung (6 bis 12 Wochen) oder einer Langzeitbehandlung (24 bis 64 Wochen) mit Vortioxetin wurde kein klinisch relevanter Unterschied gegenüber Placebo festgestellt. Wir haben bisher zwei Patienten gehabt, bei denen die Substanz problemlos abrupt abgesetzt werden konnte. Dennoch ist gerade bei längerer Einnahmedauer ein Ausschleichen zu empfehlen.
  • Die Inzidenz der gemäß Selbsteinschätzung berichteten sexuellen Nebenwirkungen war in klinischen Kurzzeit- und Langzeitstudien mit Vortioxetin gering und ähnlich wie bei Placebo. In Studien unter Verwendung des ASEX-Fragebogens (Arizona sexual experience scale, ASEX) zeigte die Inzidenz der behandlungsbedingten sexuellen Dysfunktion bei Dosen von 5 bis 15 mg/Tag Vortioxetin keinen klinisch relevanten Unterschied gegenüber Placebo für die Symptome der sexuellen Dysfunktion. Bei der Dosis von 20 mg/Tag wurde im Vergleich zu Placebo ein Anstieg verzeichnet. Da wir bei unseren Patienten zumeist im Dosisbereich bis 15 mg behandelt haben, war auch bei unseren ersten Vortioxetin-Patienten erwartungsgemäß keine erhöhte Inzidenz sexueller Nebenwirkungen zu beobachten.
  • Vortioxetin hatte im Vergleich zu Placebo in Kurz- und Langzeitstudien keine Wirkung auf das Körpergewicht, die Herzfrequenz oder den Blutdruck. In klinischen Studien wurden keine klinisch signifikanten Veränderungen an Leber oder Niere beobachtet. Ebenso zeigte Vortioxetin bei Patienten mit Depression keine klinisch signifikante Wirkung auf EKG-Parameter, darunter die QT-, QTc-, PR- und QRS-Intervalle. Auch bei unseren Patienten gab es diesbezüglich keine Probleme.

Tab. 1. Nebenwirkungsprofil von Vortioxetin im Vergleich mit Placebo und Venlafaxin XR 225 mg; Nebenwirkungen (NW) mit einem Auftreten von 5% in jeder Gruppe während der sechswöchigen Behandlungsphase (APTS; % Patienten) [nach 2]

Bevorzugte Bezeichnung

Placebo
(n=105)

Vortioxetin 5 mg
(n=108)

Vortioxetin 10 mg
(n=100)

Venlafaxin XR 225 mg
(n=113)

Patienten mit 1 NW

61,0

67,6

74,0

75,2

Übelkeit

9,5

29,6***

38,0***

33,6***

Kopfschmerzen

24,8

21,3

25,0

28,3

Hyperhidrose

1,9

2,8

10,0*

15,0***

Erbrechen

1,0

1,9

9,0**

3,5

Trockener Mund

6,7

7,4

8,0

16,8*

Diarrhö

4,8

8,3

7,0

4,4

Schwindel

7,6

6,5

7,0

12,4

Nasopharyngitis

8,6

7,4

7,0

3,5

Erschöpfung

5,7

3,7

6,0

9,7

Insomnie

4,8

6,5

6,0

12,4

Obstipation

1,0

0,9

3,0

9,7**

Sehtrübung

1,9

1,9

1,0

5,3

Anorgasmie

0

0

0

6,2*

Verzögerte Ejakulation (Männer)

0

0

0

7,8

Erektionsstörungen (Männer)

0

0

0

7,8

Tremor

2,9

4,6

0

5,3

APTS: All Patients Treated Set; alle randomisierten Patienten, die mindestens eine Studienmedikation erhalten haben. Anzahl der Männer: Placebo n=36, Vortioxetin 5 mg n=38, Vortioxetin 10 mg n=35, Venlafaxin XR (extended release [Retardtabletten]) n=51; *p<0,05; **p<0,01; ***p<0,001 vs. Placebo

Schlussbemerkungen

Mit Vortioxetin ist im Dezember 2013 eine neue multimodal wirksame Substanz in der Indikation der Major Depression bei Erwachsenen zugelassen worden; die Wirkung von Vortioxetin wurde im Rahmen der Zulassungsstudien spezifisch auf kognitive Dysfunktionen im Rahmen der Depression untersucht. Die antidepressive Wirksamkeit von Vortioxetin konnte in mehreren randomisierten, doppelblinden Studien [4, 14, 18] belegt werden. Die Substanz kann nach den bisherigen Daten für sich in Anspruch nehmen, eine hohe Effektivität (Response, Remission) aufzuweisen.

In unseren ersten Erfahrungen mit der Substanz zeigte sich eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit, sowohl bei leicht depressiven Patienten, die ambulant behandelt wurden, als auch bei schwergradig depressiv erkrankten Patienten.

Bei unseren ersten klinischen Erfahrungen mit Vortioxetin zeigte sich eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit, entsprechend der Studienlage. Übelkeit kam nur selten vor; wenn sie auftrat, war sie mild ausgeprägt und ging im Verlauf der Behandlung zurück. In keinem Fall war bislang das Absetzen von Vortioxetin wegen Nebenwirkungen erforderlich.

Wir sahen eine große Offenheit und gute Akzeptanz unserer Patienten für eine neue Substanz; das günstige Nebenwirkungsprofil und die gute Wirksamkeit dürften hierzu einen erheblichen Beitrag geleistet haben.

Vortioxetin ist nach unseren ersten Erfahrungen eine wertvolle Bereicherung der Therapieoptionen bei insgesamt guter Wirksamkeit. Letztendlich wird sich die Substanz im klinischen Alltag bei größeren Gruppen von depressiven Patienten beweisen müssen. Die neue Substanz hat eine multimodale Wirkweise [32] und zeigt eine breite antidepressive Wirksamkeit [13], auch bei älteren Menschen. Zusätzlich ergeben sich aus der Studienlage und auch aus den ersten klinischen Erfahrungen Hinweise auf eine Wirksamkeit bei kognitiven Dysfunktionen im Rahmen einer Depression. Die Substanz zeigt ein vorteilhaftes Verträglichkeitsprofil und verbessert die allgemeine Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der Patienten [14].

Interessenkonflikterklärung

HF hat Honorare für Vorträge, wissenschaftliche Tätigkeit in Advisory/Expert Boards erhalten von den Firmen Lundbeck, Otsuka, Servier, Pfizer und Novartis.

CG ist Medical Advisor der Scientific Unit bei Lundbeck GmbH, Deutschland.

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Prof. Dr. Here Folkerts, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Klinikum Wilhelmshaven, Friedrich-Paffrath-Straße 100, 26389 Wilhelmshaven, E-Mail: here.folkerts@klinikum-whv.de

Dr. med. Christoph Goemann, Lundbeck GmbH, Ericusspitze 2, 20457 Hamburg, E-Mail: goem@lundbeck.com

First experience with vortioxetine in outpatients and hospitalized patients

Vortioxetine is one of the new multimodal antidepressants; it works through a combination of two complementary mechanisms of action: serotonin receptor activity modulation and serotonin reuptake inhibition. vortioxetine has binding affinity to the serotonin receptor subtypes 5-HT1A, 5-HT1B, 5-HT7, 5-HT1D, and 5-HT3 (among others) as well as to the serotonin transporter SERT. In clinical trials Vortioxetine was effective and well tolerated in the treatment of major depression. The authors present several case histories demonstrating that these positive results are corroborated in everyday medical practice. There was a high level of acceptance of vortioxetine among patients due to the excellent safety profile and good efficacy.

Key words: Depression, antidepressants, vortioxetine

Psychopharmakotherapie 2015; 22(04)