Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Nach der S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“ [2] sind die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer die Mittel der ersten Wahl für die Pharmakotherapie der generalisierten Angststörung (GAS). Der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin ist zur Behandlung depressiver Erkrankungen, von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie und der generalisierten Angststörung zugelassen [3].
Unterstützende Daten für die Wirksamkeit und Sicherheit von Duloxetin in der Behandlung älterer Patienten stammen von einer Post-hoc-Analyse relativ weniger Patienten mit generalisierter Angststörung aus früheren Placebo-kontrollierten Studien. In Anbetracht der kleinen Stichprobe in dieser Analyse wurde nun die vorliegende Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Duloxetin bei Patienten von ≥65 Jahren mit einer generalisierten Angststörung konzipiert. Die Phase-IV-Studie wurde von 47 Zentren in Europa, Nordamerika und Argentinien in der Zeit von Oktober 2010 bis Juli 2012 durchgeführt [1].
Methoden
Eingeschlossen wurden ambulante Patientinnen und Patienten im Alter von ab 65 Jahren mit einer generalisierten Angststörung nach DSM-IV-TR. Weitere Einschlusskriterien waren unter anderen:
- Wenigstens mäßig schwere Symptome nach der Clinical Global Impression Scale, Severity of Illness (CGI-S; Score ≥4)
- Score von ≥9 auf der Covi Anxiety Scale (CAS; Bereich 3–15)
- Score auf der Anxiety Subscale der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) von ≥10 (Bereich 0–21)
- Begleiterkrankungen mussten stabil und kontrolliert sein
- Score der Mini Mental State Examination (MMSE) durfte nicht unter 24 liegen (von maximal 30 Punkten; 26–18 Punkte: leichte Demenz).
Ausgeschlossen waren unter anderen Patienten mit einer weiteren Achse-I-Erkrankung (mit Ausnahme der sozialen Phobie), einer die Compliance störenden Achse-II-Erkrankung und einem Substanz-/Alkoholmissbrauch in den letzten sechs Monaten. Weiterhin war die Einnahme von Benzodiazepinen in den beiden Wochen vor Studieneinschluss nicht erlaubt.
Die Studie bestand aus drei Abschnitten: der Screening-/Washout-Periode (bis zu 30 Tage), der Therapieperiode (10 Wochen) und der Absetz-/Ausschleichperiode (2 Wochen). Die Studienvisiten wurden in den Wochen 2, 4, 7 und 10 durchgeführt. Die Patienten wurden randomisiert der Behandlung mit Duloxetin oder Placebo zugeteilt (1:1). Die Duloxetin-Patienten begannen mit der Einnahme von 30 mg/Tag (einmal täglich). Nach zwei Wochen wurde die Dosis in Abhängigkeit von der Wirksamkeit und Verträglichkeit der bisherigen Behandlung auf 60 mg/Tag erhöht. Bei den folgenden Visiten konnte die Dosis schrittweise auf 90 bzw. 120 mg/Tag gesteigert werden. Vertrugen Patienten die höhere Dosis nicht, erhielten sie die vorhergehende, die sie dann bis zum Behandlungsende beibehalten mussten. In der 14-tägigen Absetz-Periode wurde die Dosis gesenkt:
- Von 120 oder 90 mg/Tag auf 60 mg/Tag (1. Woche), dann auf 30 mg/Tag (2. Woche)
- Von 60 mg/Tag auf 30 mg, dann auf Placebo
- Von 30 mg/Tag sofort auf Placebo
Primärer Wirksamkeitsparameter war der Gesamtscore der HAMA. Als Ansprechen wurde eine mindestens 50%ige Reduktion des Scores bei Einschluss definiert, als Remission galt ein Score von ≤7.
Sekundäre Parameter waren unter anderem:
- Die Sheehan Disability Scale (SDS) mit ihren drei Domänen: Arbeit, soziales Leben und Familienleben
- Die Clinical Global Impression Scale, Teil Global Improvement (CGI-I)
- Die Selbstbeurteilungsskala Patient Global Impression of Improvement Scale (PGI-I)
Die Sicherheitskontrolle umfasste unter anderen die Registrierung der Abbruchraten, der unerwünschten Ereignisse, der schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse sowie der Vitalparameter und Laborwerte.
Ergebnisse
Patienten. Insgesamt wurden 291 Patienten eingeschlossen (Duloxetin: n=151, Placebo: n=140). Die Studie beendeten 76,2% der Duloxetin- und 75,0% der Placebo-Patienten. Eine körperliche Begleiterkrankung hatten 83,2% aller Patienten, am häufigsten eine Hypertension (44%). Von den Duloxetin-Patienten erhielten am Ende 31,8% die niedrigste Dosis, 34,4% erhielten 60 mg/Tag, 23,8% 90 mg/Tag und 9,9% 120 mg/Tag.
Wirksamkeit. Unter Duloxetin nahm der HAMA-Score im Vergleich zu Placebo signifikant stärker ab (–15,9 vs. –11,7; p<0,001). Die signifikanten Unterschiede begannen ab Woche 4 und setzten sich bis zum Endpunkt fort (Abb. 1).
Abb. 1. Mittlere Änderung des HAMA-Scores vom Einschluss bis zum Endpunkt (MMRM[Mixed effect model for repeated measures]-Analyse) [nach 1]
Die Behandlung mit Duloxetin führte im Vergleich zu Placebo auch in den übrigen Parametern zu signifikanten Verbesserungen. So besserten sich die globalen funktionellen Beeinträchtigungen, beurteilt mithilfe der SDS, signifikant (p<0,001). Dasselbe traf auf die Responderrate (71,3% vs. 45,5%; p<0,001) und Remitterrate zu (44,8% vs. 29,5%; p<0,001). Signifikant mehr Duloxetin- als Placebo-Patienten hatten sich im CGI-I-Score stark oder sehr stark verbessert (62,9% vs. 45,0%; p<0,001). Auch die Patienten beurteilten mithilfe der PGI-I, dass es ihnen unter Duloxetin besser geht (2,5 vs. 3,1; p<0,001).
Verträglichkeit. Unerwünschte Ereignisse wurden von 50,7% der Placebo- und von 60,3% der Duloxetin-Patienten berichtet. Deutlich häufiger als unter Placebo traten unter Duloxetin folgende Ereignisse auf: Übelkeit (11,3% vs. 6,4%; nicht signifikant), Kopfschmerz (10,6% vs. 6,4%; nicht signifikant), Obstipation (9,3% vs. 3,6%; nicht signifikant), Mundtrockenheit (7,3% vs. 1,4%; p=0,021) und Somnolenz (6,0% vs. 2,1%; nicht signifikant). In der Duloxetin-Gruppe gab es drei schwerwiegende unerwünschte Ereignisse: Hospitalisierung mit Angina pectoris, Hospitalisierung mit hypertensiver Krise und Darmverschluss mit Todesfolge. Alle drei Ereignisse wurden von den Studienärzten nicht im Zusammenhang mit der Behandlung gesehen. Am Ende der Studie hatten sechs Duloxetin-Patienten (4,4%) erhöhte Aspartat-Aminotransferase-Werte (Placebo 0%; p=0,033).
Nach Beurteilung der Autoren war die Duloxetin-Behandlung bei älteren Patienten anxiolytisch wirksam und verbesserte die Lebensqualität und die allgemeinen Funktionen. Das Sicherheitsprofil sei vergleichbar mit dem früherer GAS-Studien.
Kommentar
Die Studie kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Duloxetin die Symptome der generalisierten Angststörung bei älteren Patienten verringert. Dafür spricht, dass nicht nur die Änderungen des primären Wirksamkeitsparameters, sondern auch die der sekundären Wirksamkeitsparameter (insgesamt 11) signifikant von Placebo verschieden waren. Dies gilt auch für die Besserung der globalen Funktionen der Patienten. Vor allem die Patienten selbst sehen sich deutlich gebessert. Die Studie war allerdings von zu kurzer Dauer, denn der HAMA-Score war am Endpunkt nicht stabil, sondern nahm auch in den letzten Wochen weiter ab. Es bleibt daher unklar, wie weit sich der Zustand der Patienten bei ausreichend langer Behandlung noch gebessert hätte. Die Ergebnisse der Studie können nicht ohne weiteres auf die allgemeine Patientenpopulation übertragen werden, da häufige psychische Begleiterkrankungen ausgeschlossen waren.
Literatur
1. Alaka KJ, et al. Efficacy and safety of duloxetine in the treatment of older adult patients with generalized anxiety disorder: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Int Geriatr Psychiatry 2014;29:978–86.
2. Bandelow B, et al. S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“. (Stand 15.4.2014).
3. Fachinformation Duloxetin Lilly 30 mg/60 mg, Dezember 2014.
Psychopharmakotherapie 2015; 22(04)