Multiple Sklerose

Neurodegenerative Prozesse im Fokus


Dr. Claudia Bruhn, Schmölln

Bei der Erforschung der schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose sind die neurodegenerativen Prozesse derzeit von besonderem Interesse. Dies erläuterten Experten im Rahmen eines von Teva Specialty Medicines organisierten Pressegesprächs im März dieses Jahres in Berlin.

Das Verständnis der Pathophysiologie der schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose (relapsing-remitting multiple sclerosis, RRMS) hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt [1]. Es konnte gezeigt werden, dass die bisherigen Standard-Marker der Krankheitsprogression – entzündliche Läsionen und Schübe – nicht für das volle Ausmaß der Hirnatrophie und der Behinderungsprogression verantwortlich sind. Vielmehr setzt wahrscheinlich schon zu Beginn des Krankheitsprozesses eine diffuse Neurodegeneration ein, die nur teilweise durch fokal-entzündliche Läsionen erklärt werden kann.

Neurodegeneration aufhalten

Bisher fokussierte die Diagnostik vor allem auf entzündungsbedingte fokale Läsionen der weißen Substanz, die mittels konventioneller MRT sichtbar gemacht werden können. „Heute wissen wir, dass es auch in der grauen Substanz zu Läsionen kommt“, berichtete Prof. Dr. Martin Marziniak, München. „Darüber hinaus gibt es in normal erscheinenden Bereichen der weißen Substanz diffuse Schäden, die durch ZNS-residente Zellen, vor allem aktivierte Mikroglia und Astrozyten, ausgelöst werden.“ Diese Schäden sind jedoch klinisch schwer zu fassen und mit konventioneller MRT nicht diagnostizierbar. Erst mit speziellen MRT-Verfahren wie der MTR(Magnetization transfer ratio)-Imaging-Technik oder der Messung der Hirnatrophie können sie entdeckt und quantifiziert werden.

Nach Marziniaks Ansicht werden Therapien benötigt, die auch diese diffusen Prozesse beeinflussen, da die Verlangsamung der Behinderungsprogression für die langfristige Lebensqualität der Patienten entscheidend ist. Der Immunmodulator Glatirameracetat ist neueren Untersuchungen zufolge in der Lage, auch die Neurodegeneration zu adressieren. In einer Untersuchung zeigte sich beispielsweise eine effiziente Reduktion der Hirnatrophie, die für das Fortschreiten der Behinderung von Bedeutung ist (Abb. 1).

Abb. 1. Prozentuale Reduktion des Hirnvolumens [mod. nach Khan O et al., Neurol Sci 2012;312:7–12]. *: hochgerechnet auf 5 Jahre; HD: Hochdosis; IFN: Interferon

Nutzen in der Langzeitbehandlung belegt

Wenn Wirkstoffe über viele Jahre angewendet werden sollen, müssen sie eine verlässliche Langzeit-Wirksamkeit besitzen. Aktuelle Daten einer Langzeit-Open-Label-Studie [2] zur Monotherapie mit Glatirameracetat bei RRMS zeigen, dass Patienten auch noch nach 20 Jahren von der Therapie profitieren: Von den kontinuierlich behandelten Patienten verblieben 23,3% schubfrei, weitere 47,3% erlitten keinen zweiten Schub. Die EDSS(Expanded disability status scale)-Daten zeigen, dass ein Fortschreiten der Erkrankung bei diesen Patienten weitgehend verhindert werden kann: bei 63% von ihnen lag der EDSS-Wert nach 20 Jahren noch immer unter 4.

Quellen

1. Dr. med. Ferenc Tracik, Berlin; Dr. med. Alexander Kulla, Utrecht; Prof. Dr. med. Bernd. C. Kieseier, Düsseldorf; Prof. Dr. med. Martin Marziniak, München. Pressegespräch „Glatirameracetat: Neue Sicht auf eine bewährte Therapieoption“, Berlin, 18. März 2014, veranstaltet von TEVA Pharma GmbH.

2. Ford C, et al. Twenty years of continuous treatment of multiple sclerosis with glatiramer acetate 20 mg daily: long-term clinical results of the US open-label extension study. Abstract auf dem ECTRIMS 2013 in Kopenhagen. Mult Scler 2013;19(Suppl 1):74–558.

Glatirameracetat in Deutschland

Derzeit ist Glatirameracetat in einer Formulierung mit 20 mg/ml zur einmal täglichen subkutanen Injektion verfügbar (Copaxone®). In den USA ist bereits ein neues Präparat mit 40 mg/ml erhältlich, das nur noch dreimal wöchentlich appliziert werden muss und dessen Zulassung auch in Europa angestrebt wird. Red..

Psychopharmakotherapie 2014; 21(05)