Sekundär progrediente multiple Sklerose

Hoch dosiertes Simvastatin verlangsamt die Hirnatrophie


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Bei Patienten mit einer sekundär progredienten multiplen Sklerose verlangsamte die zweijährige Einnahme von hoch dosiertem Simvastatin (80 mg/Tag) im Vergleich zu Plazebo die jährliche Rate der Gehirnatrophie um 43%. Diese Ergebnisse einer Phase-II-Studie können es rechtfertigen, eine Phase-III-Studie zu planen, um an einer großen Patientenzahl den Einfluss von Simvastatin auf die körperliche Behinderung zu untersuchen.

Die multiple Sklerose (MS) geht bei den meisten Patienten mit einer initial schubförmig verlaufenden Erkrankung in eine sekundär progressive Form über. Diese späte Phase der MS ist gekennzeichnet durch eine zunehmende körperliche Behinderung, verursacht wahrscheinlich durch einen neurodegenerativen Prozess mit axonaler Degeneration. Immunmodulatorische und -suppressive Interventionen beispielsweise mit Beta-Interferon, das in der ersten Phase der Erkrankung mit den hier vorherrschenden entzündlichen Prozessen wirksam ist, greifen in der zweiten, progredienten Phase nicht mehr [1].

Auf der Suche nach wirksamen Arzneistoffen wurden in kleineren experimentellen Studien mit CSE-Hemmern („Statinen“) teilweise ermutigende Resultate erzielt. CSE-Hemmer werden aufgrund ihrer Cholesterolsynthese-hemmenden Eigenschaften bei Hyperlipidämien und in der Sekundärprävention von myokardialen und zerebralen Ischämien eingesetzt. Sie verfügen aber auch über immunmodulatorische und neuroprotektive Eigenschaften, die sich günstig auf den degenerativen Prozess bei den MS-Patienten auswirken könnten.

Klinischer Endpunkt bei entsprechenden Arzneimittelstudien sollten die klassischen Behinderungsscores wie der EDSS-Score (Expanded disability status scale) sein. Allerdings benötigt man für Studien mit diesem Endpunkt eine große Patientenzahl, um statistisch aussagekräftige Resultate zu erhalten. Ein mittlerweile anerkannter Surrogatparameter für das Fortschreiten der Behinderung ist die per Kernspintomographie (MRT) ermittelte Hirnatrophie. Dieser Endpunkt wird vor allem in Phase-II-Studien eingesetzt, um an einem kleineren Patientenkollektiv geeignete Wirkstoffkandidaten für die großen Zulassungsstudien herauszufiltern. In der Studie MS-STAT zur Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit von hoch dosiertem Simvastatin wurde deshalb die Hirnatrophie als primärer Studienendpunkt gewählt [1, 2]. Die Phase-II-Studie wurde aus öffentlichen Mitteln und verschiedenen gemeinnützigen Stiftungen finanziert.

Methodik

Die an drei britischen Zentren doppelblind durchgeführte Phase-II-Studie umfasste 140 Patienten mit einer sekundär-progressiven MS, die einen EDSS-Score von 4,0 bis 6,5 hatten. Sie erhielten randomisiert über zwei Jahre entweder täglich 80 mg Simvastatin (n=70) oder Plazebo (n=70). Ermittelt wurde die über jeweils ein Jahr feststellbare Hirnatrophie, gemessen mittels volumetrischer MRT zu Beginn (Baseline) sowie nach 12 und nach 25 Monaten.

Ergebnisse

Bei den Patienten der Simvastatin-Gruppe schritt die Hirnatrophie signifikant langsamer voran als bei den Patienten der Plazebo-Gruppe (0,228% pro Jahr vs. 0,584% pro Jahr). Die adjustierte Differenz der Atrophierate zugunsten von Simvastatin betrug –0,254% pro Jahr (95%-Konfidenzintervall –0,422 bis –0,087; p=0,003); das entspricht einer Verringerung der jährlichen Atrophierate von 43%.

Simvastatin wurde gut vertragen, zwischen der Simvastatin- und Plazebo-Gruppe bestand kein Unterschied bei den schweren unerwünschten Ereignissen.

Diskussion

Hoch dosiertes Simvastatin reduzierte bei Patienten mit einer sekundär progredienten MS die Rate der Hirnatrophie um 43% im Vergleich zu Plazebo bei guter Verträglichkeit. Die Hirnatrophie wurde als Surrogatparameter für das Fortschreiten der Behinderung gewählt, um eine Studie mit wenig Patienten durchführen zu können. Die Ergebnisse sollten deshalb nicht überinterpretiert werden. Zwar bewerteten die Ärzte als sekundäre Endpunkte auch klinische Parameter wie den EDSS-Score und sahen hier einen leichten Vorteil für Simvastatin, allerdings war die Studie zu klein, als dass dieser Endpunkt statistisch sauber errechnet werden konnte. Keinen Effekt hatte Simvastatin auf die Rückfallhäufigkeit. Auch die gemessenen Entzündungsparameter veränderten sich langfristig nicht. Es ist also noch offen, durch welchen Mechanismus Simvastatin die Hirnatrophie verlangsamt, möglicherweise spielen zellprotektive Eigenschaften eine Rolle. Auf jeden Fall sind die Ergebnisse dieser Studie aber geeignet, um eine große Phase-III-Studie mit hoch dosiertem Simvastatin zu initiieren.

Literatur

1. Chataway J, et al. Effect of high-dose simvastatin on brain atrophy and disability in secondary progressive multiple sclerosis (MS-STAT): a randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet 2014;383:2213–21. Epub 19. März 2014.

2. Palace J, et al. Modifying disability in progressive multiple sclerosis. Lancet 2014;383: 2189–91. Epub 19. März 2014.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(05)