Alemtuzumab: Neue Option in der Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose


Kathrin Gerbershagen, Volker Limmroth, Köln, und Hans-Peter Hartung, Düsseldorf

Alemtuzumab, ein monoklonaler Antikörper gegen CD52, ist vor einem knappen Jahr von der Europäischen Kommission zur Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose zugelassen worden. In den Phase-III-Studien war die Substanz hochwirksam, zeigte aber auch ein komplexes Nebenwirkungsprofil, das ein langfristiges und umfangreiches Monitoring erfordert. Anders als erwartet erfolgte die Zulassung auch mit der Möglichkeit einer First-Line-Therapie, sodass Alemtuzumab auch zu Beginn der Erkrankung eingesetzt werden könnte. Der zukünftige Stellenwert der Substanz in der MS-Therapie wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Schlüsselwörter: Alemtuzumab, CD52, monoklonaler Antikörper, schubförmige multiple Sklerose, sekundäre Autoimmunerkrankungen
Psychopharmakotherapie 2014;21:191–7.

Alemtuzumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-kappa-Antikörper, der an CD52 bindet, ein Epitop, das auf T- und B-Lymphozyten, natürlichen Killer-Zellen sowie den meisten Monozyten, jedoch nicht auf hämatopoetischen Precursor-Zellen exprimiert wird. Die genaue Funktion von CD52 ist nicht abschließend geklärt, aber wahrscheinlich spielt es eine Rolle bei der Kostimulation von T-Zellen und deren Migration. Die Behandlung mit Alemtuzumab führt durch eine Antikörper-vermittelte zelluläre Toxizität zu einer raschen Reduktion aller CD52-exprimierenden Zellen. Die Rekonstitution der betroffenen Zellkompartimente braucht je nach verwendeter Dosis mehrere (oft viele) Monate, so für Monozyten und B-Zellen etwa drei Monate, für CD8+-T-Zellen bis zu 30 Monate und für CD4+-T-Zellen unter Umständen noch länger. Alemtuzumab erzielt daher therapeutische Effekte, wo die Reduktion von T- und B-Zellen aufgrund des pathophysiologischen Mechanismus sinnvoll ist. Seit Anfang der 90er-Jahre wurde Alemtuzumab neben der Therapie von Leukämien und der rheumatoiden Arthritis auch in der Behandlung der multiplen Sklerose (MS) untersucht und erwies sich insbesondere in der Therapie der schubförmigen Verlaufsform als hochwirksam, wenn auch mit einem komplexen Nebenwirkungsprofil. Seit September 2013 ist Alemtuzumab in der EU zur Behandlung der aktiven schubförmigen MS zugelassen. Aufgrund seines Nebenwirkungsprofils erfordert die Behandlung mit Alemtuzumab eine spezifische Begleitmedikation sowie ein spezielles Langzeitmonitoring. Zur Reduktion von Nebenwirkungen sollten weitere Applikationswege wie die subkutane Gabe untersucht werden, die für onkologische Indikationen bereits erfolgreich genutzt wird.

Die Entwicklung von Alemtuzumab

Schon 1983 berichtete die Arbeitsgruppe um den britischen Pathologen Herman Waldmann von der Entwicklung eines zunächst murinen monoklonalen Antikörpers zur Reduktion von T-Zellen um Abstoßungsreaktionen zu verringern [13]. Der Antikörper wurde nach dem Ort und Institut seiner Entwicklung (Cambridge Pathology) CAMPATH 1 genannt. Nach Reduktion der Fremdeiweiß-Anteile (Ratte) wurde der Antikörper CAMPATH 1H (H =humanisiert) genannt. Der rekombinante Antikörper konnte an T- und B-Zellen binden sowie an einige Monozyten, jedoch nicht an hämatopoetische Zellen, womit der Antikörper potenziell für alle klinischen Situationen genutzt werden konnte, in denen eine starke Depletion von Lymphozyten gewünscht war. Herman Waldmann gab die Lizenz für eine kommerzielle Entwicklung des Antikörpers an die später von Glaxo (jetzt GSK) übernommene Firma Burroughs Wellcome, die zunächst verschiedene Indikationen, darunter die rheumatoide Arthritis [17] untersuchte, jedoch ohne aus damaliger Sicht überzeugende Ergebnisse. Über Millennium kam Alemtuzumab später zu Ilex Oncology und von dort per Übernahme der Firma zu Genzyme. Die erste klinische Zulassung erhielt Alemtuzumab 2001 zur Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) zeitgleich in der EU und den USA.

Mögliche Wirkungsmechanismen von Alemtuzumab in der Behandlung der MS

Die MS wird in allgemeiner Übereinstimmung auch heute noch als im wesentliche T-Zell-mediierte Autoimmunerkrankung betrachtet, auch wenn inzwischen durch experimentelle wie klinisch-therapeutische Erkenntnisse deutlich wurde, dass auch B-Lymphozyten eine wichtige Rolle in der Pathoimmunologie der MS spielen [14]. Während das intakte adaptive Immunsystem aus T- und B-Lymphozyten genau zwischen Eigen- und Fremdantigenen unterscheiden kann, entwickelt sich bei Autoimmunerkrankungen eine verminderte Toleranz gegen eigene Antigene. Für die Pathoimmunologie der MS wird die periphere Aktivierung von T-Zellen gegen Antigene des ZNS als zentraler Ausgangspunkt der Erkrankung gesehen [3,12]. Die Hochregulation von Adhäsionsmolekülen auf aktivierten T-Lymphozyten erleichtert wahrscheinlich die Transmigration durch die Blut-Hirn-Schranke und das Eindringen ins ZNS. Nach Aktivierung sind naive T-Zellen in der Lage, sich in weitere Subpopulationen zu differenzieren. Früher bestand allgemeine Übereinstimmung darin, dass insbesondere die Ausprägung von T-Helfer-Zellen (Th1-Zellen), die proinflammatorische Zytokine (TNF-α, IFN-γ u.a.) synthetisieren – im Gegensatz zu Th2-Zellen, die eher antiinflammatorische Zytokine wie Interleukin (IL) 4 synthetisieren –, inflammatorische Läsionen verursacht. In den letzten Jahren hat sich, allerdings nicht unumstritten, zunehmend die Ansicht durchgesetzt, dass Th17-Zellen eine entscheidende Rolle in der Entstehung der MS-Läsionen spielen. Th17-Zellen werden durch IL-23 stimuliert und sezernieren verschiedene proinflammatorische Zytokine [19, 22].

Alemtuzumab depletiert T- und B-Zellen für unterschiedliche Zeiträume und sorgt damit für niedrigere Lymphozytenzahlen im peripheren Blut nach Therapie, aber auch – und möglicherweise wichtiger – für eine komplexe Änderung der Zusammensetzung von Lymphozytensubpopulationen über die nächsten 12 bis 36 Monate. In der CAMMS223-Studie benötigten CD8+-Zellen eine mediane Zeit von 11 Monaten und CD4+-Zellen eine mediane Zeit von 12 Monaten, um wieder auf ein niedriges Normalmaß anzusteigen und dann auch „niedrig normal“ zu bleiben [6–9, 11, 20, 21]. Der Spiegel von IL-7, das naive T-Zellen und Effektor-T-Zellen zu Gedächtnis-T-Zellen entwickelt, stieg allerdings in einer Studie von Cox et al. 2005 [11] nach Behandlung mit Alemtuzumab deutlich an, um dann über Monate deutlich über den Baseline-Werten zu bleiben. Interessanterweise dominierten CD4-Gedächtnis-Zellen (CD+CD45RO+) den depletierten T-Zell-Pool in den ersten drei Monaten, während T-regulatorische Zellen (sogenannte Tregs; CD4+CD25high) in den ersten sechs Monaten deutlich überrepräsentiert waren [15]. Die Überrepräsentation von Tregs in dem sich rekonstituierenden T-Lymphozyten-Pool konnte später auch in den Phase-III-Studien nachgewiesen werden und muss als klarer Hinweis gewertet werden, dass die bloße quantitative Reduktion der Lymphozyten nicht simplifiziert als eigentlicher Mechanismus gesehen werden darf, sondern die „Re-Gruppierung“ der Lymphozyten-Subpopulationen einen wichtigen oder auch den entscheidenden Anteil an der Langzeitwirkung des Alemtuzumabs in der MS-Therapie hat [8, 12]. Dafür spricht auch eine relative Expansion der CD4+-Th2-Zellen mit einer Erhöhung der Produktion spezifischer immunregulatorischer Zytokine wie TGFβ-1 (Transforming growth factor) und IL-10, gleichzeitig kann eine Reduktion der CD4+Th1- und Th17-Zellen beobachtet werden.

Eine Studie von Thompson et al. (2010) wies außerdem deutliche Änderungen in der B-Zell-Subpopulation nach [26]. Die Rekonstitution der B-Zellen geschieht deutlich schneller als die der T-Zellen, hat sich nach drei Monaten oft wieder normalisiert und kann nach 12 Monaten sogar deutlich über dem Ausgangswert liegen. Allerdings ändert sich die Zusammensetzung der B-Zell-Subpopulationen. Während der reduzierte B-Zell-Pool zunächst von Übergangs-B-Zellen (sogenannten transitional-type 1 cells, CD19+/CD23/CD27), die direkt aus dem Knochenmark freigesetzt sind, sowie Gedächtnis-B-Zellen dominiert wird und die absolute B-Zell-Zahl nach drei Monaten wieder normal ist, bleiben die Gedächtnis-B-Zellen (CD27+) selbst nach 12 Monaten weiter reduziert und liegen nach 12 Monaten bei etwa 25% des Ausgangswerts. Der Plasmaspiegel des B-Zell aktivierenden Faktors (BAFF) steigt hingegen deutlich an, was mit einer Dominanz der CD19+/CD23+/CD27-Zellen übereinstimmt. Nach dieser Studie könnte also eine erhöhte Rate an unreifen B-Zellen in Kombination mit einer deutlichen Reduktion der Gedächtnis-B-Zellen zur Wirkung von Alemtuzumab beitragen.

Zusammenfassend bewirkt Alemtuzumab eine drastische Reduktion insbesondere von T- und B-Lymphozyten, aber ebenso wichtig wie die eigentliche Zellzahl-Reduktion ist die sich verändernde Zellzusammensetzung im Zuge der Rekonstitution, die wie im Fall der Gedächtnis-B-Zellen deutlich länger anhält als die quantitative Normalisierung der Zellgruppe [12, 18].

Erste Fallberichte in der Behandlung der MS

Bereits Anfang der 1990er-Jahre widmete sich die neuroimmunologische Arbeitsgruppe um Alastair Compston der Substanz, um die potenzielle Nutzbarkeit in der Behandlung der MS zu untersuchen. Die ersten sieben Patienten wurden bereits 1992 in Cambridge mit selbst hergestelltem Campath 1H (anti-CDw52) behandelt [20, 21]. Eine genaue Dosisbestimmung erfolgte in diesen ersten Studien nicht. Auch eine scharfe Trennung zwischen Patienten mit rein schubförmigen Verlauf und Patienten mit primär oder sekundär chronisch progredienten Verlaufsformen fand nicht statt. Die Patienten erhielten damals eine 10-tägige Infusionstherapie mit monatlichen Magnetresonanztomographie-(MRT-)Untersuchungen für drei bis vier Monate sowie vor Therapie und sechs Monate später. Die MRT-Parameter waren deskriptiv und nicht standardisiert wie in neueren MS-Studien (z.B. Zahl der Gadolinium [Gd] aufnehmenden Herde, Zahl der neuen und sich vergrößernden T2-Läsionen). Vor Behandlung wurden 28 Gd-aufnehmende Areale auf sieben Scans und 51 aktive Läsionen auf weiteren 18 Scans identifiziert, drei Monate nach Behandlung waren es nur noch 15 aktive Läsionen auf 20 Scans und nach sechs Monaten nur noch zwei aktive Läsionen auf 23 Scans. Diese wenn auch statistisch nur deskriptiven Ergebnisse interpretierten die Autoren, bei aller Vorsicht bei fehlenden klinischen Parametern, als Zeichen einer hohen Wirksamkeit in der Behandlung der MS. Die Tatsache, dass im peripheren Blutbild parallel eine drastische Reduktion der Lymphozyten beobachtet werden konnte, sprach aus der Sicht der Autoren ferner dafür, dass aktive Läsionen von der Zahl der zirkulierenden aktivierten Lymphozyten abhängen. Als nachteilig wurde eine temporäre Zunahme der bestehenden (neurologischen) Symptome nach den ersten Infusionen für einige Tage beobachtet.

Die nächsten 14 Patienten [21] wurden 1993 in der gleichen Abteilung therapiert. Auch diesmal handelte es sich im Wesentlichen um Patienten mit sekundär oder primär chronisch progredientem Verlauf. Neben einem signifikanten Progress in den letzten zwei Jahren mussten die Patienten allerdings aktive Herde aufweisen, um in die Studie eingeschlossen werden zu können. Die Dosierungen waren recht unterschiedlich und variierten zwischen 60 mg (5 Tage jeweils 2 mg und weitere 5 Tage mit jeweils 10 mg i.v.) und 120 mg (10 Tage 12 mg i.v.). Zwei Patienten erhielten ferner 500 mg Methylprednisolon vor den Infusionen. Ziel dieser Arbeit war weniger, die klinische Effektivität von Alemtuzumab zu evaluieren, sondern die Klärung der Frage, welche Zytokine und Botenstoffe möglicherweise an der temporären Symptomzunahme nach Gabe des Antikörpers beteiligt sind. Es wurden daher die Spiegel von Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α), IL-6, C-reaktivem Protein (CRP), TGF-β und anderen untersucht, ohne die Symptomverstärkung jedoch einem Zytokin klar zuordnen zu können [21].

Erste Studien mit definierten Outcome-Parametern

Über weitere 27 Patienten wurde Ende der 1990er-Jahre berichtet, die klinisch und kernspintomographisch über einen Zeitraum von 18 Monaten untersucht wurden [10]. Auch hier zeigte sich eine deutliche Reduktion der Erkrankungsaktivität. Eine klare Differenzierung zwischen den verschiedenen Verlaufsformen sowie die Verwendung klinischer Effektivitätsparameter erfolgten erst später bei 58 Patienten, die bis 2002 behandelt wurden. Als klinischer Parameter wurden nun erstmals auch die jährliche Schubrate und die Behinderungsprogression erfasst. Die jährliche Schubrate reduzierte sich hoch signifikant von 2,2 auf 0,19. Die Behinderungsprogression nahm jedoch bei den Patienten mit chronischer MS weiter zu, während sich Patienten mit einem rein schubförmigen Verlauf im Durchschnitt sogar hinsichtlich des bestehenden Behinderungsgrads um 1,2 Punkte in der EDSS (Expanded disability status scale) verbesserten. Diese Verbesserung der Behinderungsprogression war in geringem Umfang sogar noch nach 36 Monaten (ohne erneute Therapie) feststellbar. Daraus schlossen die Autoren, dass die mit der Alemtuzumab-Behandlung einhergehende Reduktion der Lymphozyten den besten klinischen Effekt zu Beginn der Erkrankung und insbesondere bei Patienten mit schubförmiger Verlaufsform hätte [7].

Phase II: CAMMS223-Studie

Auf Basis der Ergebnisse dieser frühen kleinen Studien wurde entschieden, Alemtuzumab zunächst nur bei Patienten mit schubförmiger Verlaufsform zu untersuchen [6]. Weiterhin wurde entschieden, bereits eine große Phase-II-Studie nicht gegen Plazebo, sondern direkt gegen eine Vergleichssubstanz durchzuführen. Zum Zeitpunkt der Planungen wurde Interferon beta-1a 44 μg (Rebif®) als wirksamste Therapie in der Behandlung der schubförmigen MS betrachtet, sodass die Konzeption einer Phase-II-Studie trotz der unterschiedlichen Darreichungsformen als randomisierte dreiarmige Studie mit zwei Alemtuzumab-Dosierungen gegen Interferon beta-1a 44 μg entstand. Das Ergebnis war die CAMMS223-Studie: eine verblindete (aber nicht doppel-blinde) Studie über drei Jahre bei bisher unbehandelten MS-Patienten (EDSS 3) mit schubförmiger Verlaufsform. Damit wurden insbesondere Patienten in der frühen Phase ihrer Erkrankung eingeschlossen. Als Alemtuzumab-Dosierungen wurden für das erste Jahr 12 mg bzw. 24 mg an jeweils aufeinander folgenden fünf Tagen sowie erneut an drei Tagen in Jahr 2 gewählt; die Vergleichsgruppe erhielt Interferon beta-1a 44 μg s.c. dreimal pro Woche. In der 2002 begonnenen CAMMS223 wurden mit einer Randomisierung von 1:1:1 insgesamt 334 Patienten eingeschlossen.

Ergebnisse

Alemtuzumab reduzierte jeweils hochsignifikant die Quote der bestätigten Behinderungsprogression im Vergleich zu Interferon (9,0% vs. 26,2% [gepoolte Daten für Alemtuzumab]). ebenso wie die jährliche Schubrate (0,10 vs. 0,36). Der mittlere EDSS-Wert besserte sich unter Alemtuzumab um 0,39 Punkte, während er sich in der Interferon-Gruppe im Durchschnitt um 0,38 Punkte verschlechterte. Auch hinsichtlich aller MRT-Parameter war die Alemtuzumab-Gruppe signifikant besser als die Interferon-Gruppe. Selbst hinsichtlich der Hirnatrophie zeigte sich ein signifikanter Unterschied (Zunahme des Hirnvolumens unter Alemtuzumab, Abnahme unter Interferon). Zwischen beiden Alemtuzumab-Gruppen zeigten sich keine Unterschiede in den Wirksamkeits-Parametern. Spezifische infusionsbedingte Nebenwirkungen wurden durch die Gabe von Methylprednisolon unmittelbar vor den Infusionen wirksam unterdrückt. Hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils fiel jedoch die Induktion sekundärer Autoimmunerkrankungen unter Alemtuzumab auf. So traten bei bis zu 23% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe Schilddrüsenerkrankungen auf (nur 3% unter Interferon) und bei bis zu 3% Thrombozytopenien (ITP=idiopathische thrombozytopenische Pupura, auch: immunogene thrombozytäre Purpura; unter Interferon nur 1%). Auch die allgemeine Infektionsrate war unter Alemtuzumab etwas höher als unter Interferon (66% versus 47%). Aufgrund der ITP-Fälle wurde 2005 entschieden, die weiteren Alemtuzumab-Gaben in der Studie zu stoppen.

Die in CAMMS223 eingeschlossenen Patienten wurden auch nach drei Jahren weiterbeobachtet, wobei insgesamt 198 Patienten (davon 41% der Interferon-Patienten, n=47, und 67% der Alemtuzumab-Patienten, n=151) in die Extensionsphase überführt werden konnten [8]. Über fünf Jahre reduzierte sich das Risiko einer bestätigten Erkrankungsprogression gegenüber Interferon beta-1a 44 μg um gut 72% und die Schubrate um etwa 68%. Die jährliche Schubrate betrug von Baseline bis nach fünf Jahren unter Alemtuzumab 0,11, unter Interferon beta-1a jedoch 0,35. Schwere Infektionen traten unter Alemtuzumab bei 7% versus 3% unter Interferon beta-1a auf. Schilddrüsenerkrankungen wurden unter Alemtuzumab bei 30% der Patienten, aber nur bei 4% unter Interferon beta-1a gesehen. Immunthrombozytopenien traten bei 3% unter Alemtuzumab und zu 0,9% unter Interferon beta-1a auf.

Die Phase-III-Studien: CARE-MS I und CARE-MS II

Die Konzeption der Phase-III-Studien [5, 9] war im Wesentlichen identisch mit der von CAMMS223. Erneut wurde bewusst auf eine Plazebo-kontrollierte Studie verzichtet und beide Studien wurden gegen eine aktive Vergleichssubstanz konzipiert. Das Studiendesign war damit fast identisch: Alemtuzumab in einem 2- oder 3-armigen Design in den Dosierungen 12 mg und 24 mg (jeweils an 5 Tagen hintereinander zu Beginn von Jahr 1 und an 3 Tagen zu Beginn von Jahr 2) gegen Interferon beta-1a 44 μg. Wesentlicher Unterschied waren jedoch die Patientenpopulationen: Während in der CARE-MS-I-Studie 581 Patienten, die bisher keine immunmodulatorische Dauertherapie erhalten hatten, untersucht wurden, untersuchte die CARE-MS-II-Studie 840 Patienten, die unter einer bestehenden immunmodulatorischen Therapie noch Krankheitsaktivität zeigten. Detaillierte Unterschiede zwischen den beiden CARE-MS-Studien sind in Tabelle 1 aufgelistet.

Tab. 1. Übersicht über das Studiendesign der Phase-II- und Phase-III-Studien zur Prüfung von Alemtuzumab in der Behandlung der schubförmigen MS [5, 6, 9]

CAMMS223

Phase II

CARE-MS I

Phase III

CARE-MS II

Phase III

Patienten [n]

334

581

840

Dauer der Studie

[Jahre]

3

(+ Verlängerung)

2

2

Patientenpopulation

  • Therapienaive RRMS-Patienten
  • EDSS ≤3
  • Beginn ≤3 Jahre
  • Anreichernde Läsion erforderlich
  • Therapienaive RRMS-Patienten
  • EDSS ≤3
  • Beginn ≤5 Jahre
  • RRMS mit Aktivität unter Basistherapie
  • EDSS ≤5
  • Beginn ≤10 Jahre

Behandlungsarme

  • Alemtuzumab 12 mg
  • Alemtuzumab 24 mg
  • Interferon beta-1a s.c. 44 μg
  • Alemtuzumab 12 mg
  • Interferon beta-1a s.c. 44 μg
  • Alemtuzumab 12 mg
  • Alemtuzumab 24 mg
  • Interferon beta-1a s.c. 44 μg

Kombinierte Endpunkte

  • Schubrate
  • Fortschreiten der
    Behinderung
  • Schubrate
  • Fortschreiten der Behinderung
  • Schubrate
  • Fortschreiten der Behinderung

EDSS: Expanded disability status scale; RRMS: schubförmige MS

CARE-MS I

CARE-MS I [5] wurde als zweiarmige Studie, an der Patienten zwischen 18 und 50 Jahren mit einer bisher unbehandelten schubförmigen MS teilnehmen durften, konzipiert. Die Patienten wurden randomisiert und in einem 2:1-Verhältnis entweder der Alemtuzumab-Gruppe (12 mg pro Tag i.v. gemäß beschriebenem Schema) oder Interferon-beta-1a-Gruppe (44 μg s.c. 3-mal/Woche) zugeordnet. Der primäre Endpunkt war die Schubrate sowie die Zeit zur in sechs Monaten bestätigten Behinderungsprogression. Sekundäre und tertiäre Endpunkte waren verschiedene Kernspinparameter.

Ergebnisse

187 Patienten (96%), die Interferon beta-1a erhalten hatten, und 376 Patienten (97%), die Alemtuzumab erhalten hatten, konnten in die Analyse eingeschlossen werden. 40% der Patienten unter Interferon beta-1a erlebten mindestens einen Schub im Vergleich zu 22% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe (p<0,0001). Dies entsprach einer Reduktion des Schubrisikos um 54,9% zugunsten der Alemtuzumab-Gruppe. In der Interferon-Gruppe blieben 59% der Patienten nach zwei Jahren schubfrei, während 78% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe schubfrei blieben. Auch dieser Unterschied war statistisch hoch signifikant. 11% in der Interferon-Gruppe wiesen eine bestätigte Erkrankungsprogression auf, während nur 8% in der Alemtuzumab-Gruppe Progressionen zeigten. Dieser Unterschied war statistisch jedoch nicht signifikant.

Auf der Nebenwirkungsseite zeigten 90% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe infusionsassoziierte Reaktionen, von denen etwa 3% als schwerwiegend eingeordnet wurden. Infektionen, die im Wesentlichen als mild oder moderat eingestuft wurden, traten bei 67% der Patienten unter Alemtuzumab, allerdings nur bei 45% der Patienten unter dem Interferon auf. 16% der Alemtuzumab-Patienten entwickelten Herpes-Infektionen, im Vergleich zu nur 2% in der Interferon-Gruppe. Nach zwei Jahren hatten etwa 18% der Alemtuzumab-Patienten Schilddrüsen-assoziierte Nebenwirkungen, während dies nur 6% der Patienten unter der Interferon-Therapie aufwiesen. In der Alemtuzumab-Gruppe zeigten sich auch weitere sekundäre Autoimmunerkrankungen, so entwickelten drei Patienten eine Immunthrombozytopenie, die jedoch gut auf Cortison ansprach.

CARE-MS II

CARE-MS II [9] war eine zweijährige, dreiarmige, randomisierte kontrollierte Phase-III-Studie, in der erwachsene Patienten im Alter von 18 bis 55 Jahren mit einer schubförmigen MS eingeschlossen wurden, die mindestens einen Schub unter einer bestehenden Interferon-beta- oder Glatirameracetat-Therapie erlitten hatten. Die Patienten wurden im Verhältnis 1:2:2 in die folgenden Studienarme randomisiert: Interferon beta-1a 44 μg s.c. 3-mal/Woche, Alemtuzumab 12 mg pro Tag an fünf aufeinander folgenden Tagen oder Alemtuzumab 24 mg an fünf aufeinander folgenden Tagen. Die Alemtuzumab-Gabe wurde zu Beginn des zweiten Jahrs an drei aufeinander folgenden Tagen wiederholt. Der Studienarm mit der höheren Alemtuzumab-Dosierung (24 mg) wurde im Dezember 2008 beendet, um die Randomisierung in die beiden anderen Studienarme zu beschleunigen. Die Entscheidung wurde durch das Steering Committee gefällt, ohne die Sicherheitsdaten bzw. Wirksamkeitsdaten der Studie zu begutachten. Die Randomisierung erfolgte ab diesem Zeitpunkt im Verhältnis 2:1 zugunsten der Alemtuzumab-Gruppe (12 mg). Primäre Endpunkte waren die Schubrate sowie die Zeit der 6-monatigen Bestätigung einer Behinderungsprogression.

Ergebnisse

202 Patienten (87%) wurden in die Interferon-beta-1a-Gruppe und 426 Patienten (98%) in die Alemtuzumab-Gruppe (5-mal 12 mg) randomisiert. Während in der Interferon-Gruppe 51% der Patienten einen Schub erlitten, betraf dies nur etwa 35% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe. Dies entsprach einer 49,4%igen Reduktion des Schubrisikos zugunsten der Alemtuzumab-Gruppe. Darüber hinaus waren 47% der Patienten in der Interferon-beta-1a-Gruppe während der zwei Jahre schubfrei, während dies 65% in der Alemtuzumab-Gruppe waren (p<0,0001). 20% der Patienten in der Interferon-beta-1a-Gruppe zeigten darüber hinaus eine anhaltende bestätigte Progression der Behinderung, während dies nur bei 13% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe der Fall war (p=0,008). Dies entsprach einer 42%igen Reduktion des Risikos einer Erkrankungsprogression zwischen den beiden Gruppen zugunsten von Alemtuzumab.

Wie in der CARE-MS-I-Studie wiesen etwa 90% der Alemtuzumab-Patienten infusionsassoziierte Reaktionen auf, 77% Infektionen (66% unter der Interferon-Therapie), allerdings nur von gering- bis mittelgradiger Intensität ohne tödliche Fälle. Allerdings zeigten auch 16% unter der Alemtuzumab-Therapie eine Schilddrüsenerkrankung und etwa 1% eine Immunthrombozytopenie.

Wirksamkeit von Alemtuzumab in der MS-Therapie

Die beschriebenen Phase-II- und Phase-III-Studien zeigen, dass Alemtuzumab im Vergleich zur aktiven Vergleichssubstanz Interferon beta-1a 44 μg eine überzeugende und wirksame Substanz bezüglich der koprimären Endpunkte Schubrate und Behinderungsprogression darstellt.

Die Schubrate war in den drei beschriebenen Studien signifikant gegenüber Interferon beta-1a verringert. In Bezug auf die Behinderungsprogression konnte dies in der CAMMS223- und in der CARE-MS-II-Studie gezeigt werden; in der CARE-MS I ließ sich kein signifikanter Unterschied nachweisen, was wahrscheinlich den niedrigen Behinderungsprogressionsraten in der Interferon-Gruppe geschuldet sein dürfte (11%), die weit unterhalb der in früheren Studien beobachteten Raten lag (18–20%).

Sicherheit und Verträglichkeit von Alemtuzumab in der MS-Therapie

Infusionsassoziierte Symptome

Bereits in den ersten Fallstudien, aber auch in den Phase-II- und -III-Studien waren die infusionsassoziierten Symptome die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen [5, 6, 9, 20, 21]. Weitere wichtige Nebenwirkungen waren sekundäre Autoimmunerkrankungen und Infektionen, die jedoch fast ausschließlich von milder bis mäßiger Ausprägung waren [1, 5, 6, 9, 20, 21]. Die infusionsassoziierten Symptome wie Zunahme bestehender Symptome, Kopfschmerzen, Temperaturerhöhung und Ähnliches während oder innerhalb von 24 Stunden nach einer Infusion waren bereits in den ersten Fallberichten ausführlich beschrieben worden [20, 21]. Hier beschrieben Moreau et al. (1996) auch die ersten Fälle, die unter der Gabe von Methylprednisolon (fast) komplett symptomfrei hinsichtlich infusionsassoziierter Symptome blieben [21]. Die Gabe von 1000 mg Methylprednisolon wurde daher auch als Begleitmedikation für die Phase-II- und -III-Studien übernommen. Zwar wurden auch hier weiterhin infusionsassoziierte Symptome beobachtet, diese waren in ihrer Ausprägung jedoch mild. Die Frequenz der infusionsassoziierten Symptome war bei der ersten Infusion am höchsten und nahm mit jeder weiteren Infusion deutlich ab [20, 21].

Entwicklung sekundärer Autoimmunerkrankungen

Die häufigste autoimmunologische Nebenwirkung waren Schilddrüsenerkrankungen mit bis zu 30% in der Extensionsphase der CAMMS223-Studie nach insgesamt fünf Jahren (im Vergleich zu 4% in der Interferon-Gruppe). Insbesondere wurden sowohl Basedow’sche Erkrankungen wie auch Hashimoto-Thyreoiditiden beobachtet. Die Schilddrüsenerkrankungen traten nicht zu Beginn der Therapie auf, sondern bis zu fünf Jahre nach Therapiebeginn, sodass ein kontinuierliches Monitoring notwendig erscheint [1, 5, 6, 9]. Interessanterweise ist das sekundäre Auftreten von Autoimmunerkrankungen nicht bei Studien mit Alemtuzumab in anderen Indikationen beschrieben worden, sodass es sich hierbei möglicherweise um eine MS-spezifische Nebenwirkung handelt [16, 18, 23–25]. Neben den Schilddrüsenerkrankungen trat bei bis zu 1% der Patienten eine immunogene Thrombozytopenie (ITP) auf [5, 6, 9]. Auch hier traten die Thrombozytopenien – anders als bei sonst bekannten Medikations-induzierten ITP, die wenige Tage nach Erstgabe eines Medikaments auftreten – mit Verzögerung von mehreren Monaten auf, sodass die Thrombozytenzahl ebenfalls kontinuierlich beobachtet werden muss. Wie sonstige ITP auch, ließen sich die Thrombozytopenien jedoch durch die einfache Gabe von Glucocorticoiden behandeln. Prozentual war die ITP-Rate in der CAMMS223-Studie mit 3% höher als in den Phase-III-Studien (1%). Von den sechs ITP-Patienten in der CAMMS223-Studie waren vier in der 24-mg-Gruppe und zwei in der 12-mg-Gruppe. Hier gab es auch einen ITP-assoziierten Todesfall durch eine intrazerebrale Blutung [6]. Bei der Aufarbeitung des Todesfalls zeigte sich jedoch, dass klinische Zeichen einer Thrombozytopenie in Form von kutanen Petechien bereits mehrere Wochen zuvor aufgetreten waren, sodass die Diagnose der ITP zu spät gestellt wurde und auch das therapeutische Eingreifen zu spät kam. Das Auftreten der ITP unter Alemtuzumab bei MS-Patienten ist somit möglicherweise auch dosisabhängig. Die niedrigere ITP-Rate in der Phase-III-Studie resultiert daher möglicherweise durch den insgesamt höheren Anteil von Patienten mit einer niedrigeren Alemtuzumab-Dosierung (12 mg) [1]. Insgesamt sind auch drei Fälle eines Goodpasture-Syndroms (eines durch Antikörper gegen die glomeruläre Basalmembran vermittelten Syndroms) berichtet worden, wobei nur ein Fall im Rahmen der klinischen Studien beobachtet wurde und die beiden anderen Fälle außerhalb klinischer Studien auftraten [4].

Infektionen

Die Zahl der beobachteten Infektionen war in den Alemtuzumab-Gruppen etwas höher als in der Interferon-Gruppe, die Infektionen waren jedoch mild bis mäßig in ihrer Ausprägung. Kutane Herpes- und Pilz-Infektionen waren in den Phase-III-Studien die häufigsten Infektionen. Eine prophylaktische Behandlung mit Aciclovir reduzierte die Frequenz der Herpes-Infektionen [5, 9].

Monitoring

Das komplexe Nebenwirkungsprofil erfordert sowohl vor und während der Infusionen als auch danach regelmäßiges und langfristiges Monitoring. Vor Gabe der Medikation muss klinisch wie labortechnisch eine akute Infektion ausgeschlossen werden. Die intravenöse Gabe der Substanz erfordert ferner eine Prämedikation mit Cortison. Die aus den allerersten Behandlungen genutzte Praxis [21] einer Prämedikation mit 1000 mg Methylprednisolon wurde in die Zulassungsstudien übernommen und damit auch Bestandteil der Zulassung. Danach müssen an den ersten drei Behandlungstagen jeweils 1000 mg Methylprednisolon vor der Gabe von Alemtuzumab infundiert werden. Die Glucocorticoid-Infusion sollte etwa über eine Stunde laufen. Danach kann die eigentliche Alemtuzumab-Infusion erfolgen, die mindestens über vier Stunden, am besten über einen Infusomaten oder Perfusor gegeben wird. Nach Infusion sollte der Patient noch weitere zwei Stunden nachbeobachtet werden, insbesondere um Unverträglichkeitsreaktionen mit zusätzlicher Gabe von Antihistaminika und Antiemetika behandeln zu können. Für einen Infusionstag muss daher eine Betreuungszeit des Patienten von rund acht Stunden eingeplant werden. Zur Vorbeugung der Reaktivierung viraler Infektionen, insbesondere Herpes zoster, sollte mit Start der Behandlung eine Komedikation mit Aciclovir für einen Zeitraum von vier Wochen erfolgen. Aufgrund der ausgeprägten Lymphozytendepletion und einer möglichen Thrombozytopenie muss eine allgemeine Laborkontrolle monatlich, die Überprüfung der Schilddrüsen-Parameter alle drei Monate erfolgen. Da die Zulassungsstudien und Extensionsphase der Phase-II-Studie zeigten, dass sekundäre Autoimmunerkrankungen auch fünf Jahre nach Erstgabe auftreten können, muss das Labor-Monitoring bisher über 48 Monate nach der letzten Behandlungsphase erfolgen (Tab. 2). Die Laborkontrollen müssen nicht zwingend im behandelnden Zentrum durchgeführt werden, sondern können auch über den Hausarzt oder niedergelassenen Neurologen erfolgen. Hier bleibt allerdings noch zu klären, ob niedergelassene Kollegen, die nicht primär behandelnde Ärzte waren, alle Laborkosten ersetzt bekommen.

Tab. 2. Übersicht über das notwendige Monitoring während und innerhalb der 5 Jahre nach dem ersten Infusionszyklus

Zeitraum

Monitoring

Infusionstage

Monitoring während (4 Stunden) und 2 Stunden nach der Infusion bezüglich infusionsassoziierter Symptome

Monat 1–Monat 60

Monatliche Kontrollen bezüglich Blutbild, Creatinin und Urinanalyse

3-monatliche Kontrollen bezüglich Schilddrüsenwerten

Zulassungssituation 2014 und Ausblick

Seit Herbst 2013 ist Alemtuzumab durch die Europäische Kommission für die Behandlung der aktiven schubförmigen multiplen Sklerose zugelassen. „Aktiv“ ist dabei als klinisch oder kernspintomographisch aktiv definiert; Alemtuzumab ist somit faktisch als First-Line-Therapie zugelassen und kann sogar zu Beginn der Erkrankung gegeben werden. Das KKNMS (Kompetenznetz Multiple Sklerose) hingegen schränkt in seinen Empfehlungen zur praktischen Indikation von Alemtuzumab diese breite Zulassung aufgrund der vorliegenden Zulassungsstudien CARE-MS I und II ein. Die Empfehlung geht dahin, Alemtuzumab in der Regel als Zweitlinienmedikament bei aktiver RRMS einzusetzen und nur bei besonders aktiven Verläufen auch bei therapienaiven RRMS-Patienten. Die FDA hat dagegen die Zulassung in den USA zunächst zurückgewiesen und weitere Studiendaten angefordert. Inzwischen ist Alemtuzumab auch in Kanada, Australien, Brasilien, Mexiko und Argentinien zugelassen, in Kanada explizit nur nach Versagen einer Vortherapie, ansonsten vergleichbar wie in der EU.

Mit der Zulassungsformulierung der European Medicines Agency (EMA) passt Alemtuzumab nicht in den bisherigen Therapie-Algorithmus, der in First-Line- und Second-Line- bzw. Basistherapie/Eskalationstherapie unterschied. Dieser bisherige Algorithmus war historisch gewachsen und hatte sich im Wesentlichen an Wirksamkeit und Sicherheitsdaten orientiert. Die nächsten Monate und Jahre werden daher zeigen, welchen Platz Alemtuzumab durch die real gelebte Therapiewelt in dem bisherigen Algorithmus erhalten wird. Mittel- und langfristig wäre eine Weiterentwicklung des Algorithmus im Sinne einer an Biomarkern orientierten individualisierten Therapie sinnvoll. Der Einsatz der Substanz macht in jedem Fall ein umfangreiches monatliches Sicherheitsmonitoring für mindestens 48 Monate erforderlich.

Interessenkonflikterklärung

KG: Honorare für die Beratung oder Teilnahme an einem Expertenbeirat von Genzyme und Novartis; Honarare für Vorträge oder/und schriftliche Veröffentlichungen von Bayer, Biogen, Genzyme, Novartis und Teva; sonstige Unterstützung (z.B. Ausrüstung, Personal) von Bayer, Biogen, Genzyme, Grünenthal und Teva

VL: Honorare oder Forschungsbeihilfe von Allergan, Biogen Idec, Bayer, Genzyme, Merz, Novartis und Roche

HPH: Keine Angaben

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Prof. Dr. Volker Limmroth, Priv.-Doz. Dr. med. Kathrin Gerbershagen, Klinik für Neurologie und Palliativmedizin, Klinikum Köln-Merheim, Ostmerheimer Straße 200, 51109 Köln, E-Mail: Limmrothv@kliniken-koeln.de

Prof. Dr. Hans-Peter Hartung, Neurologische Klinik und Zentrum für Neuropsychiatrie, Heinrich-Heine-Universität, Universitätsklinikum Düsseldorf, Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf

Alemtuzumab: A new option in the therapy of relapsing-remitting multiple sclerosis

Alemtuzumab, a monoclonal antibody against CD52 has recently been approved by the EMA for the treatment of relapsing remitting multiple sclerosis. In both phase III trials the substance proved to be highly efficacious but also showed a complex adverse event profile requiring both a longterm and specific monitoring. Interestingly, the approval encompassed the option of first-line-treatment paving the way to use the drug in early stages of the disease. The future place of the drug for the treatment of MS is still to be determined within the next months.

Key words: Alemtuzumab, CD52, monoclonal antibody, relapsing-remitting Multiple Sclerosis, autoimmune adverse events

Psychopharmakotherapie 2014; 21(05)