Neuro-Psychopharmakologie in der Krise!


Stellungnahme des Vorstands der GESENT e.V.*

Das bevorstehende 10-jährige Bestehen von GESENT, der deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Neurotherapeutika, sowie die kritische Lage der Neuro-Psychopharmakologie hat uns veranlasst, mittels Newsletter wichtige Personen und Institutionen des Gesundheitswesens in prägnanter Form auf leicht übersehene oder unterschätzte Brennpunkte hinzuweisen.

Lange Zeit galt Deutschland als „Die Apotheke der Welt“ – Firmen wie Hoechst, Tropon, Promonta, Boehringer Mannheim, Galenus Mannheim, Hormosan, Thomae, Nattermann, Knoll, Cassella, ASTA Pharma, Wander, Schering, Arzneimittelwerke Dresden, Ciba-Geigy, MSD, UCB, Upjohn, Wyeth, Merck Serono, Solvay, Desitin etc. waren führend in Forschung und Entwicklung und im Weltmarkt vertreten. An diese Zeiten erinnern sich nur noch die Älteren. Der Pharmamarkt wird heute von einigen wenigen US-amerikanischen, britischen und schweizerischen Firmen bestritten. Die risikoreiche Entwicklung eines neuen Pharmakons kostet heute ca. 1 Mrd. Euro. Die bürokratischen Hürden und Zulassungsvoraussetzungen sind immens. Die Re-Finanzierung der teuren Forschungsmittel ist nahezu unmöglich in Anbetracht eines relativ kurz angesetzten, häufig durchlöcherten Patentschutzes einer globalisierten Welt.

Die Gesundheitspolitik in Deutschland zeichnet sich durch ständige gesetzliche Reglementierungen und Verordnungsmodifizierungen aus, von einer ausreichenden Planungssicherheit können die Akteure nicht mehr ausgehen. Sehr fragwürdige Kostendämpfungsversuche führen zu einer immer weitergehenden Einschränkung der Therapiefreiheit der Ärzte. Als jüngstes Beispiel kann das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) dienen, das medizinischen Fortschritt und Weiterentwicklungen eindeutig blockiert. Hier stellt sich die Frage, welche Bedeutung eine Gesellschaft der Entwicklung neuer, verbesserter Medikamente zuschreibt – „neue Energien“ werden z.B. in erheblichem Maße steuerfinanziert, also durch Staat und Verbraucher gefördert. Könnte oder muss dies auch ein Modell für die Entwicklung wichtiger neuer Medikamente sein? Der Kostendruck im deutschen Gesundheitswesen entsteht nicht durch Forschung und Entwicklung, sondern entsprechend einer kaum beachteten Studie von A.T. Kearney von 2010 durch Verwaltungskosten in Höhe von 40,4 Mrd. Euro. Dies bedeutet, dass von jedem Euro nur 77 Cent für direkt am Patienten wertschöpfende Tätigkeiten ausgegeben werden konnten. Somit ist die 23%ige Verwaltungskostenquote um den Faktor 3,8 höher als der durchschnittliche Wert in deutschen Industrieunternehmen mit 6,1%.

Psychische und neurologische Erkrankungen zählen zu den häufigsten und bekanntermaßen kostenträchtigsten Krankheiten, Psychopharmaka stehen auf Platz 2 oder 3 der meistverordneten Medikamente. Nicht nur „Volkskrankheiten“ wie Demenzen, schwere Depressionen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Bewegungsstörungen wie Parkinson oder Schlaganfälle lassen die Entwicklung neuer Medikamente mit verbesserter Wirksamkeit und Verträglichkeit dringend geboten erscheinen. Auch die Rolle der Neuro-Psychopharmakotherapie in einer Zeit ausufernder Psychotherapie muss dringend neu justiert werden.

GESENT möchte durch das Zusammenführen von Grundlagenforschern, Klinikern mit Interesse und Erfahrung an der Durchführung von Studien, Vertretern der pharmazeutischen Industrie, der Patientenverbände, der Zulassungsbehörden und von gesundheitspolitisch Verantwortlichen dazu beitragen, konstruktive Lösungen zu finden.

gez. Vorstand der GESENT e.V., April 2014

Literatur

Hegerl U, Friede M. Psychische Erkrankungen in Deutschland. Optimierungsspielräume und Handlungsbedarf. Nervenheilkunde 2013;32:762–5.

Kearney AT. Deutsches Gesundheitssystem auf dem Prüfstand. Kostenfalle Komplexität. Dezember 2011.

Laux G. Psychopharmakologie im Abseits. Die neue Berufsrolle des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Psychopharmakotherapie 2012;19:271–4.

Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.). Arzneiverordnungs-Report 2013. Heidelberg: Springer, 2013.

Szegedi A. Klinische Psychopharmakologie – nur noch Stiefkind der Psychiatrie? NeuroTransmitter 2011;22(Sonderheft 2):34–42.


* Prof. Dr. Peter Riederer (Würzburg), Prof. Dr. Gerd Laux (Haag i. OB/München), Prof. Dr. Thomas Müller (Berlin), Prof. Dr. Manfred Gerlach (Würzburg)

Für den Vorstand der GESENT e.V.: Prof.Dr. Peter Riederer, Schwanenhof 4, 97070 Würzburg, E-Mail: peter.riederer@gesent.de

Psychopharmakotherapie 2014; 21(04)