Psychopharmaka und Verkehrssicherheit

Antidepressive Behandlung verbessert Fahrleistung depressiver Patienten signifikant


Michael Koczorek, Bremen

Schließt eine Behandlung mit Antidepressiva die Teilnahme am Straßenverkehr aus? Wie stark beeinflusst eine Therapie mit Neuroleptika die Fahrsicherheit? Antworten auf diese Fragen gaben Experten bei einem Symposium auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin.

Die Verordnungshäufigkeit von Antidepressiva hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Gleichzeitig bedingt der demographische Wandel einen zunehmenden Anteil älterer Führerscheininhaber. Studien zufolge gilt, dass eine Depression das Risiko für Verkehrsunfälle fast verdoppelt und dass vor allem ältere Patienten ein erhöhtes Unfallrisiko insbesondere unter sedierenden Antidepressiva haben. Das unterstreicht die Relevanz des Themas „antidepressive Behandlung und Verkehrssicherheit“ und die Notwendigkeit, sich mit der Problematik systematisch auseinanderzusetzen. Insgesamt ist die Datenlage jedoch dünn und entsprechende Studien zeigen methodische Schwächen, etwa weil überwiegend junge, gesunde Probanden eingeschlossen und häufig nur Akuteffekte unter Einmaldosen untersucht wurden. Einige in Deutschland durchgeführte Studien belegen, dass sich die Fahrtüchtigkeit depressiver Patienten unter einer Behandlung deutlich bessert.

Signifikant bessere Fahrleistung schon nach kurzer Behandlungsdauer

In einer naturalistischen Studie wurde die Fahrtüchtigkeit von 100 depressiven Patienten gemäß den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung untersucht. Alle Patienten standen unter pharmakologischen Steady-State-Bedingungen kurz vor der stationären Entlassung. Insgesamt waren 16% von ihnen in verkehrsrelevanten Leistungsbereichen deutlich eingeschränkt, knapp über 20% erfüllten die Kriterien uneingeschränkt. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und noradrenerge spezifisch serotonerge Antidepressiva (NaSSA) zeigten hier tendenzielle Vorteile gegenüber Trizyklika und Venlafaxin. Eine randomisierte Studie mit 40 Patienten zeigte, dass vor Behandlungsbeginn zwei Drittel die gesetzlichen Mindestanforderungen zur Kraftfahrereignung nicht erfüllten. Bereits nach 14 Tagen medikamentöser Behandlung (Mirtazapin und Reboxetin) stellte das Autorenteam signifikante Verbesserungen in den Leistungsparametern und der Fahrsimulation fest. Dieses Ergebnis bestätigte sich in einer weiteren randomisierten Studie, wiederum mit 40 depressiven Patienten: Auch hier ergaben sich 14 Tage nach Behandlungsbeginn bereits signifikante Verbesserungen gegenüber vor der Behandlung. Nach vier Wochen stuften staatlich geprüfte Fahrlehrer nach einer praktischen Fahrprobe 72,5% der Patienten als „zumindest gute Fahrer“ ein – gegenüber 85% in der gesunden Kontrollgruppe. Lediglich 5% wurden leichte Bedenken hinsichtlich der Fahrkompetenz bescheinigt. Eine Querschnittsstudie zur Polypsychopharmakotherapie zeigte bezüglich der Fahrtüchtigkeit keine statistisch signifikanten Nachteile im Vergleich zu einer antidepressiven Monotherapie. Als besonders gefährlich hat sich die Kombination mit Alkohol erwiesen: Schon geringe Mengen verschlechterten die Fahrleistung und erhöhten insbesondere bei sedierenden Substanzen das Unfallrisiko deutlich. Neben Alkohol stellen Aufdosierung und Umstellung der Therapie sowie ein höheres Lebensalter besondere Risiken dar.

Neuroleptika: Vorteil für Atypika

Ein Großteil der Patienten mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis erreicht die gesetzlichen Mindestanforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht – trotz Behandlung mit Neuroleptika in antipsychotisch wirksamer Dosierung, pharmakologischer Steady-State-Bedingungen und gebesserter Klinik. Studien zur Fahrtüchtigkeit unter neuroleptischer Therapie – immer mit stabil eingestellten Patienten mit Schizophrenie oder schizoaffektiven Störungen kurz vor der stationären Entlassung – zeigen aber immerhin bessere Ergebnisse für Atypika als für Typika. Einer Studie mit 40 Patienten zufolge war unter dem klassischen Neuroleptikum Haloperidol nur einer von 20 Patienten uneingeschränkt fahrtüchtig gegenüber sieben von 20 unter Risperidon. In der gesunden Kontrollgruppe waren es 16 von 19. In einer Studie mit 120 Patienten erfüllten 40% die Mindestanforderungen für Fahrtauglichkeit unter neuroleptischer Monotherapie mit Atypika, unter Typika waren es nicht einmal 20%. Auch in einer Untersuchung mit 80 Patienten am Fahrsimulator schnitten Patienten unter Haloperidol am schlechtesten ab: 40% blieben schwer beeinträchtigt, unter Quetiapin beziehungsweise Amisulprid waren es 20% beziehungsweise 16%. Eine aktuelle, noch in Auswertung befindliche Studie von Segmiller und Brunnauer mit 159 Patienten zeigte auch unter den Atypika deutliche Unterschiede (Abb. 1): Insgesamt 40% erfüllten unter Therapie die Anforderungen vollständig; differenziert betrachtet waren es unter Quetiapin und Amisulprid jeweils 70%, unter Risperidon und Clozapin weniger als 40% und unter Olanzapin nur knapp über 20%. Die mit Haloperidol behandelten Patienten erreichten in weniger als 20% eine uneingeschränkte Fahrtüchtigkeit, in der gesunden Kontrollgruppe alle 20 Probanden.

Abb. 1. Antipsychotika und Verkehrssicherheit [Segmiller und Brunnauer]

Fazit

Bei Depressionspatienten geht eine wirksame antidepressive Behandlung im Allgemeinen mit einer Verbesserung der Fahrleistung einher.

Bei schizophrenen Patienten ist unbedingt eine Testung auf Fahrtüchtigkeit anzuraten, bevor sie wieder ans Steuer gelassen werden.

Quelle

Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Alexander Brunnauer, Wasserburg am Inn; Dr. med. Felix Segmiller, München; Symposium „Verkehrsmedizin – Psychopharmaka und Fahrtauglichkeit“, Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 28. November 2013.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(04)