Neue Ära der Depot-Antipsychotika?


Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Haag i. OB/München

Das vorliegende Schwerpunktheft der PPT gibt eine Übersicht zur aktuellen Situation der Behandlungsmöglichkeiten der Schizophrenie mit Depot-Antipsychotika. Mit der jetzt erfolgenden Einführung von Aripiprazol-Depot liegen in Deutschland neben den konventionellen Depot-Neuroleptika Flupentixol, Fluphenazin, Haloperidol und Zuclopenthixol vier sogenannte atypische, Zweitgenerations-Depot-Antipsychotika vor: Risperidon, Paliperidon, Olanzapin und Aripiprazol.

Die Historie der Depot-Neuroleptika ist eine bemerkenswerte: Vor allem in den 80er-Jahren wurde Fluspirilen (Imap®) niedrig dosiert als Ersatz für Benzodiazepin-Tranquilizer vor allem von Allgemeinärzten als „Wochen-Tranquilizer“ injiziert. Gerne als „Aufbau-Spritzen“ oder „Spritzen-Kur“ apostrophiert, wurde die Beliebtheit bei Patienten und Ärzten erst durch das Auftreten von extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen erschüttert. In der Schizophrenie-Behandlung konnten Flupentixol als zweiwöchiges Depot, Haloperidol mit drei- bis vierwöchigem Injektionsintervall einen gewissen Stellenwert erreichen. Die Einführung der sogenannten atypischen Neuroleptika war mit der Annahme verbunden, dass das Problem der Adhärenz/Compliance, also der Einnahmetreue, aufgrund der besseren Verträglichkeit dieser Substanzen (weniger EPMS im Vergleich zu den konventionellen [Depot-] Neuroleptika) deutlich verbessert werden könnte. Es zeigte sich aber, dass die Compliance bei den Antipsychotika der zweiten Generation auch nicht höher ist als unter älteren Neuroleptika. Mit den ersten Depotpräparaten der zweiten Generation ging die Entwicklung in Richtung Verlängerung des Injektionsintervalls auf vier Wochen und die Möglichkeit der deltoidalen Verabreichung weiter. Das Auftreten von sogenannten Postinjektionssyndromen unter Olanzapin und aktuelle Berichte von bis dato ungeklärten Todesfällen unter Paliperidon-Depot in Japan tragen derzeit zur Verunsicherung bezüglich atypischer Depot-Antipsychotika bei.

Die Rezidivprävention ist zweifelsohne ein therapeutisches Schlüsselziel der Schizophrenie-Behandlung. Dass mangelhafte Therapieadhärenz das Rezidivrisiko schizophrener Patienten erheblich steigert, ist bekanntes Basiswissen – ohne eine adäquate Erhaltungstherapie erleidet die Mehrzahl der Patienten psychotische Rückfälle und vor allem Rehospitalisierungen mit entsprechenden negativen psychosozialen Folgen. Mit jedem neuen Rezidiv sinkt das Funktionsniveau der Patienten, Therapieresistenz und Residualsymptome nehmen zu. Depot-Antipsychotika reduzieren das Rückfallrisiko signifikant (relativ um etwa 30% [Risk-Ratio 0,70], absolut um etwa 10% [NNT 10]), ebenso die Dropout-Rate wegen Ineffektivität (RR 0,71) [7].

Methodologisch wird übrigens derzeit (erneut) diskutiert, wie Rezidiv/Rückfall/Relapse zu definieren ist. Eine Literaturanalyse von 150 Publikationen und Guidelines zeigte jüngst, dass Hospitalisierung ein häufiges Kriterium ist, dieses variiert aber unter anderem bezüglich der Dauer erheblich. Das Kriterium Reduktion von Skalenwerten differiert beträchtlich, ein akzeptierter Konsens steht aus [8].

Bieten nun die neuen Depot-Antipsychotika Vorteile gegenüber den oralen Antipsychotika der zweiten Generation? Dieser Frage sind in jüngster Zeit mehrere Studien nachgegangen. In der Spiegelstudie von Kishimoto et al. waren Depot-Antipsychotika (Long-acting injectable antipsychotics – LAIs) oralen Antipsychotika hinsichtlich der Verhütung von Rehospitalisierungen signifikant überlegen [5]. In der retrospektiven Beobachtungsstudie von Bitter et al. war Risperidon-Depot sieben verschiedenen oralen Zweitgenerations-Antipsychotika bezüglich Absetzdauer signifikant überlegen [2]. In randomisierten klinischen Studien zeigte sich demgegenüber keine Überlegenheit der Depotmedikation [4, 6] oder die positiven Depot-Ergebnisse wiesen methodische Limitierungen auf [7]. Diese divergierenden Resultate weisen auf die Bedeutung unterschiedlicher Methodologien hin – vergleichende naturalistische Effektivitätsstudien sind aussagekräftiger und klinisch relevanter („real world study“) als der „Goldstandard“ randomisierte, kontrollierte Studie (RCT). Bei Letzteren ist beispielsweise in den oralen Behandlungsgruppen von im Vergleich zu Praxisbedingungen deutlich höheren Adhärenzraten auszugehen [3, 4].

Angesichts der inzwischen offenkundigen Nebenwirkungen einer Langzeitmedikation mit oralen Antipsychotika der zweiten Generation (Gewichtszunahme, metabolisches Syndrom, Herz-Kreislauf-Risiken u.a.) wurde erneut der Frage nachgegangen, ob anstelle einer kontinuierlichen Langzeitmedikation eine intermittierende Einnahme ausreichend ist. Die Analyse der Cochrane-Schizophrenia-Group kam jüngst erneut zu dem eindeutigen Ergebnis, dass intermittierende Medikation im Vergleich zur kontinuierlichen Applikation das Rückfallrisiko signifikant erhöht – sie war zwar effektiver als Plazebo, ging aber mit deutlich höheren Hospitalisierungsraten bei geringen Unterschieden hinsichtlich des Auftretens von tardiven Dyskinesen einher [11]. Intermittierende antipsychotische Therapie ist also nicht so effektiv wie die kontinuierliche Medikation.

Trotz plausibel klingenden Vorzügen werden Depot-Antipsychotika in Europa, Australien und den USA nur bei einem Viertel bis einem Drittel der schizophrenen Patienten eingesetzt [1], in Deutschland sogar nur bei <10%. 40 bis 60% der schizophrenen Patienten sind bezüglich der Medikation partiell oder total non-adhärent. Die Gründe, weshalb trotzdem Depot-Präparate relativ selten eingesetzt werden, sind komplex und noch nicht ausreichend untersucht. Relevante Faktoren betreffen sowohl die Patienten als auch Wissens- und Einstellungsdefizite der verordnenden Ärzte. Letztere nehmen zum Beispiel – angesprochen auf niedrige Compliance-Raten – irrtümlich an, dass ihre eigenen Patienten wesentlich complianter wären als die von Kollegen [9].

Es wurde versucht, das typische Profil eines Patienten für Depot-Antipsychotika zu eruieren. Rossi et al. reviewten hierzu 80 nichtrandomisierte Versorgungsstudien. Sie konnten lediglich ein Durchschnittsalter von knapp 40 Jahren und das Überwiegen von Männern als konstante Charakteristika finden. Des Weiteren konstatierten sie eine verbesserte Compliance unter Depots [10].

Im vorliegenden Heft geben zunächst Kohl et al. eine klinische Übersicht zu Zielsymptomen, Phasen der Behandlung und zur leitliniengerechten Therapie. Müller, Worms, stellt dann in anschaulichen Grafiken Genetik und Wirkungsmechanismus von Aripiprazol-Depot einschließlich Befunden zu Plasmaspiegeln und zur Rezeptorbindung im Vergleich zu anderen Depot-Antipsychotika dar. Spittler, Krefeld, präsentiert anschließend eine Übersicht zu den klinischen Studiendaten von Aripiprazol-Depot. Bienentreu, Zülpich, versucht angesichts der oben geschilderten unklaren empirischen Datenlage aus der klinischen Praxis heraus eine Depot-Patienten-Typologie. Dies könnte und sollte zur Diskussion im Leserkreis anregen.

Wie immer wird das Heft abgerundet durch Beiträge zur Arzneimittelsicherheit. Aus dem ASMP-Projekt wird der Fall einer Sedierung berichtet, der zur stationären Aufnahme führte und sich als interaktionsbedingte unerwünschte Arzneimittelwirkung entpuppte. Dazu passend wird die Serie zur Analyse von Wechselwirkungen mit der Darstellung des Interaktionspotenzials der immer häufiger verordneten niederpotenten Opioide fortgesetzt.

Es dürfte interessant sein, ob mit der in diesem Heft zusammengefassten Palette neuer Depot-Antipsychotika diese Therapie eine größere Verbreitung finden wird. Immerhin ist für diese im Übergang stationär-ambulant kostenintensive Therapie im neuen Entgeltsystem der Kliniken (PEPP) ein Zusatzentgelt in Form eines neuen OPS-Schlüssels vorgesehen. Mitentscheidend ist hierbei sicherlich die Preisgestaltung im Rahmen von Rabattverträgen. Das Thema Zusatznutzen-Belege wird weiterhin eine methodische Herausforderung bleiben.

Literatur

1. Barnes TR, Shingleton-Smith A, Paton C. Br J Psychiatry 2009;52:S37–42.

2. Bitter I, Katona L, Zambori J, et al. Eur Neuropsychopharmacology 2013;23:1383–90.

3. Kane JM, Kishimoto T, Corell CU. J Clin Epidemiol 2013; 66(Suppl 8):37–41.

4. Kirson NY, Weiden PJ, Yermakov S, et al. J Clin Psychiatry 2013;74:568–75.

5. Kishimoto T, Nitta M, Borenstein M, et al. J Clin Psychiatry 2013;74:957–65.

6. Kishimoto T, Robensadh A, Leucht C, et al. Schizophr Bull 2014;40:192–213.

7. Leucht C, Heres S, Kane JM, et al. Schizophr Res 2011; 127:83–92.

8. Olivares JM, Sermon J, Hemels M, Schreiner A. Ann Gen Psychiatry 2013;12:32.

9. Patel MX, Taylor M, David AS. Br J Psychiatry 2009; 52:S1–4.

10. Rossi G, Frediani S, Rossi R, Rossi A. BMC Psychiatry 2012; 12:122.

11. Sampson S, Mansour M, Maayan N, et al. Cochrane Database Syst Rev 2013;7:CD006196.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(03)