Psychopharmakologie- bzw. Psychopharmakotherapie-Weiterbildung: ein Mangelfach


Prof. Walter E. Müller, Frankfurt/M.

Die Behandlung mit Psychopharmaka ist neben der Psychotherapie eines der beiden wichtigen Standbeine der psychiatrischen Therapie – nimmt man die im Beitrag von Laux (Haag/München) zitierten Daten einer Erhebung der Berufsverbände Deutscher Nervenärzte und Psychiater, offensichtlich sogar das wichtigste. Damit sollte es eigentlich für selbstverständlich gelten, dass bei der Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ein adäquater Umgang mit Psychopharmaka und ein fundiertes Wissen über Psychopharmaka nicht nur einen wesentlichen Stellenwert haben, sondern auch einen breiten Raum im Curriculum einnehmen. Dies ist nach Laux zur jetzigen Zeit schon nicht der Fall und soll in einem neuen Entwurf der Weiterbildungsordnung auch zukünftig nicht geändert werden, wohingegen Psychotherapie einen noch breiteren Raum einnehmen soll. Dies ist letztlich nicht nachvollziehbar, da im Vergleich zu früher nicht nur die alten Psychopharmaka, sondern auch sehr viele neue Substanzen heute, preiswert als Generika verfügbar, zur Wahl stehen, sodass der Psychiater aus einer sehr großen Palette von Substanzen individuell auf den einzelnen Patienten bezogen die richtige Substanz auswählen könnte. Darüber hinaus sind viele, zum Teil auch leitlinienkonforme Therapien heute als Kombinationsbehandlungen anzusetzen, wie beispielsweise für die adäquate Behandlung bipolarer Störungen. Dies erfordert gute Kenntnisse der Psychopharmakologie, und es ist absolut nicht nachvollziehbar, wenn dieses immer kompliziertere, sehr anspruchsvolle, aber auch sehr viel positive Rückmeldung gebende therapeutische Gebiet der Psychiatrie so sträflich in der Ausbildung vernachlässigt wird. Schon heute sind Rückmeldungen über Kolleginnen und Kollegen, die Facharztprüfungen abhalten, zum Teil alarmierend. Die Psychiatrie sollte hier auf viele andere Bereiche der Medizin schielen, wo ein adäquater Umgang mit den Medikamenten einen sehr viel höheren Stellenwert in den einzelnen Ausbildungs-Curricula hat und wo der angehende Facharzt in der Ausbildung sehr viel intensiver mit den Substanzen konfrontiert wird. Will die Psychiatrie wirklich die Wahl des Medikaments den Rabattverträgen der Kassen überlassen? Die Psychiatrie muss hier mehr Kompetenz gewinnen, damit sie auch nach außen sachkompetent die Therapie mit Psychopharmaka vertreten kann. Es ist schon beängstigend, wenn in einem aktuellen Fernsehfilm die medikamentöse Therapie bei einem jungen ADHS-Patienten als die letzte, um nicht zu sagen, allerletzte Möglichkeit dargestellt wurde, ganz kurz vor der absoluten Resignation. So etwas dürfte nicht passieren und so etwas müsste einen Aufschrei der in die Therapie dieser Erkrankung involvierten Fachärzte auslösen.

Die Psychopharmakotherapie hat sich seit ihrem Erscheinen immer wieder die Aufgabe gestellt, kritisch neue, aber auch bestehende Erkenntnisse über den adäquaten Umgang mit Psychopharmaka zu vermitteln, so auch im vorliegenden Heft. Dass eine depressive Erkrankung mit kognitiven Störungen verbunden sein kann, ist gängiges Wissen, wurde aber in den zurückliegenden Jahren konzeptionell, aber auch therapeutisch eher vernachlässigt. Dieses Defizit wird im Beitrag von Otte (Berlin) aufgegriffen, der ausführlich die Symptomatik, die Häufigkeit, den Verlauf und auch das therapeutische Ansprechen von kognitiven Störungen im Rahmen depressiver Erkrankungen zum Thema hat. – Ein Antipsychotikum zum Inhalieren? Eine Arzneiform, bei der man zunächst irritiert hinschaut. Tatsächlich gibt es aber seit einiger Zeit die Substanz Loxapin in einer inhalativen Darreichungsform, mit der erfolgreich kurzfristig agitierte Patienten therapiert werden können, ohne dass man zu einer parenteralen Verabreichung übergehen muss (Volz, Werneck). – Delirante Syndrome bei älteren Patienten gehören schon immer zu den problematischen Konstellationen der psychopharmakologischen Therapie. Drach (Schwerin) beschreibt Ursachen, Verlauf und sehr ausführlich die psychopharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten und was heute obsolet ist. Zwei Beiträge aus dem Bereich Arzneimittelsicherheit und verschiedene Kurzberichte runden wie immer die Palette der Informationen zu wichtigen Aspekten der Psychopharmakotherapie ab.

Wir würden uns freuen, Rückmeldungen unserer Leser zu diesen Artikeln zu bekommen, ganz besonders zu dem Beitrag von Laux. Wie sehen unsere Leser den Stellenwert der Psychopharmakotherapie in der psychiatrischen Tätigkeit, wie sehen sie den vorhandenen Ausbildungsstand und wie wünschen sie sich den zukünftigen Wissensstand der sich in der Weiterbildung befindlichen psychiatrischen Fachärzte, besonders auch im Vergleich zu der immer breiter werdenden Ausbildung in Psychotherapie?

Psychopharmakotherapie 2014; 21(02)