Antidepressiva bei Kindern

Kein erhöhtes Suizidrisiko durch SSRI und SNRI?


Rosemarie Ziegler, Albershausen

Die Ergebnisse einer großen retrospektiven Kohortenstudie zeigen, dass Kinder und Jugendliche durch die Einnahme von Sertralin, Paroxetin, Citalopram, Escitalopram oder Venlafaxin nicht stärker suizidgefährdet sind als durch das First-Line-Medikament Fluoxetin.

Schwere depressive Störungen kommen auch bei Kindern und Jugendlichen vor. Als Mittel der Wahl für Heranwachsende gilt der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Fluoxetin. Vor der Anwendung der anderen SSRI und der neueren Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) bei unter 18-Jährigen wird gewarnt, da sie im Verdacht stehen, aggressives Verhalten zu fördern und das Suizidrisiko zu erhöhen.

Um den besorgniserregenden Sachverhalt zu überprüfen, wurde in den USA eine retrospektive Studie mit 36842 Heranwachsenden zwischen 6 und 18 Jahren durchgeführt. Gesammelt wurden Behandlungsunterlagen aus der Gesundheitsfürsorge von Tennessee (Medicaid) von Neuanwendern (d.h. im vorangegangenen Jahr ohne antidepressive Medikation) der interessierenden Medikamente zwischen 1995 und 2006. Die Jugendlichen in der Vergleichsgruppe (mit Fluoxetin) und den Untersuchungsgruppen (mit Sertralin, Paroxetin, Citalopram, Escitalopram, Venlafaxin und Mehrfach-Medikation) waren hinsichtlich Alter, Geschlecht, demographischen und klinischen Merkmalen einigermaßen vergleichbar.

In der Studienkohorte ereigneten sich 419 Suizidversuche, die in vier Fällen tödlich endeten. Die Rate der bestätigten Suizidversuche für die untersuchten Medikamente bewegte sich zwischen 24,0 und 29,1 pro 1000 Personenjahre. Die adjustierten Suizidversuchsraten unterschieden sich nicht signifikant zwischen denjenigen, die die untersuchten SSRI oder SNRI eingenommen hatten, von der Gruppe mit Fluoxetin. Allerdings trugen Kinder, die gleichzeitig mehrere Antidepressiva einnahmen, ein höheres Risiko für Suizidversuche (adjustiertes relatives Risiko 1,70; 95%-Konfidenzintervall 1,10–2,62).

Quelle

Cooper WO, et al. Antidepressants and suicide attempts in children. Pediatrics, published online January 6, 2014; doi: 10.1542/peds.2013–0923.


Limitationen in der Umsetzung

Die vorgestellte Studie zeigt auf einer ansehnlichen Datenbasis, dass Sertralin&Co. das Suizidrisiko von Kindern und Jugendlichen, die eine antidepressive Behandlung benötigen, im Vergleich mit dem Standard Fluoxetin vermutlich nicht erhöhen. In der Praxis ist aber zu beachten, dass die genannten Antidepressiva für die Depressionsbehandlung bei unter 18-Jährigen keine Zulassung haben. Die betreffenden Fachinformationen weisen auf vermehrte suizidale Verhaltensweisen bei mit Antidepressiva behandelten Kindern und Jugendlichen im Vergleich mit Plazebo-behandelten hin. Dieser Hinweis findet sich allerdings auch bei den für Kinder und Jugendliche zugelassenen Fluoxetin-Präparaten. Die Antidepressiva-Behandlung von Patienten dieser Altersgruppe erfordert nach wie vor besondere Vorsicht. (Red.)

Psychopharmakotherapie 2014; 21(02)