Schizophrenie und bipolare Störungen

Neue Therapieoption beim psychiatrischen Akutfall


Dr. Claudia Heß, Mainz

Eine akute Agitation gilt bei psychiatrischen Erkrankungen als Krisensituation, die eine rasche Deeskalation erfordert. Wird keine baldige Rückführung in die Therapiefähigkeit erreicht, sind sowohl der Patient als auch seine Umgebung stark gefährdet. Mit der Möglichkeit der nichtinvasiven Gabe des Wirkstoffs Loxapin als inhalative Akuttherapie (Adasuve®) steht ab dem dritten Quartal 2013 eine neue Therapieoption zur Vermeidung von Eskalationen bei agitierten Patienten zur Verfügung [1].

Hintergrund

Akute Agitation tritt beispielsweise bei Patienten mit Schizophrenie oder bipolaren Störungen auf. Solche Krisensituationen, die mit gestörtem Verhalten einhergehen, stellen in der psychiatrischen Notaufnahme oder für den Notarzt vor Ort eine große therapeutische Herausforderung dar, denn oft wird von den Betroffenen aus mangelnder Einsicht orale Medikation abgelehnt. Ohne frühzeitige Intervention kann der Zustand aber schnell hin zu unkontrolliertem gewalttätigem Verhalten eskalieren, das sich auf die gesamte Umgebung auswirken kann. Eine schnellstmögliche Stabilisierung des Patienten ist deshalb das oberste Ziel des behandelnden Arztes. Invasive Zwangsmaßnahmen – besonders bei der Erstversorgung durch den Notarzt – sind oft die Folge daraus, wenn die Gabe oraler Präparate nicht möglich ist.

Das widerspricht den generellen Empfehlungen aus der Projekt-BETA-Konsensus-Erklärung, die die Einbeziehung der Patienten in den therapeutischen Prozess vorsieht und vom Einsatz von Medikamenten zur Ruhigstellung abrät [2]. Neben nichtpharmakologischen Maßnahmen wie Reizabschirmung, ruhiger Gesprächsführung sowie dem Entfernen potenziell gefährlicher Gegenstände wird ein beruhigendes, aber nicht Schlaf-induzierendes Medikament angezeigt; orale Präparate sind möglichst zu bevorzugen.

Eigenschaften von inhalativem Loxapin

Inhalatives Loxapin (Abb. 1) als neue Therapieoption könnte hier eine Lücke schließen. Es wirkt als Antagonist mittelpotent auf D2- und hochpotent auf 5-HT2A-Rezeptoren, ist aber nicht selektiv für D2-Rezeptoren; des Weiteren wirkt es auch antagonistisch an H1-, α1- und Acetylcholinrezeptoren. Unter anderem in Nordamerika war Loxapin bereits seit den 70er-Jahren zur antipsychotischen Therapie zugelassen. Im Einmal-Inhalator wird die als dünner, hilfsstofffreier Film aufgetragene Substanz hocherhitzt (ca. 400°C), verdampft und gelangt als Aerosol in die Lunge. Auslöser des thermischen Prozesses ist der Atemzug des Patienten. Die Absorption des Wirkstoffs liefert maximale Wirkstoffspiegel im arteriellen Kreislauf nach <2 min und ist vergleichbar mit intravenöser Gabe (Abb. 2). Oral oder intramuskulär verabreichte Antipsychotika benötigen dagegen zwischen 12 und 60 Minuten bis zum Erreichen von therapeutischen Wirkstoffspiegeln.

Abb. 1. Molekülstruktur Loxapin

Abb. 2. Anfluten von inhalativem Loxapin [6]

Der Wirkstoff wird über die Leber verstoffwechselt und innerhalb von 24 Stunden wieder ausgeschieden. Bei Mehrfacheinnahmen kam es aufgrund der kurzen Halbwertszeit (6 bis 8 Stunden) nur zu geringer Akkumulation. Die Pharmakokinetik wird weder durch Alter, Geschlecht, Rasse, Körpergewicht noch durch Rauchen beeinflusst [3, 4].

Zulassungsstudien

Die beiden Plazebo-kontrollierten, doppelblinden Zulassungsstudien wurden mit an Schizophrenie Erkrankten (n=344) [3] und Patienten mit bipolaren Störungen (n=314) [4] durchgeführt. In beiden Studien wurden die Dosierungen 5 mg und 10 mg mit Plazebo verglichen; die Dosierungen entsprechen einer abgegebenen Menge von 4,5 mg bzw. 9,1 mg Loxapin. Den Patienten wurden bei Bedarf nach der ersten Dosis zwei weitere verabreicht. Der primäre Endpunkt war die Änderung des PANSS-EC-Scores (Positive and negative syndrome scale–excited component; 5–35 Punkte) zwei Stunden nach der ersten Dosis. Zu Beginn lagen die Werte im Mittel zwischen 17,3 und 17,8 Punkten.

In beiden Studien wurde die Agitation durch Loxapin signifikant gegenüber Plazebo reduziert. Bei den Patienten mit Schizophrenie wurde der PANSS-EC-Score mit Plazebo um knapp 6 Punkte gesenkt; mit Loxapin in beiden Dosierungen um mehr als 8 Punkte. Tabelle 1 zeigt exemplarisch dier Ergebnisse der Anwendung bei Patienten mit bipolaren Störungen.

Tab. 1. Ergebnisse der Anwendung von inhalierbarem Loxapin bei Agitation im Rahmen einer bipolaren Störung [4]

PANSS-EC-Score

Plazebo (n=105)

5 mg Loxapin (n=104)

10 mg Loxapin (n=105)

  • Baseline

17,7

17,4

17,3

  • Nach 2 h

12,5

9,31

9,27

Differenz

–5,2

–8,09*

–8,03*

PANSS-EC: Positive and negative syndrome scale –excited component; *p<0,001 vs. Plazebo

Häufigste unerwünschte Wirkungen unter inhalativem Loxapin waren Geschmacksstörungen und Sedierung bzw. Schläfrigkeit und Schwindel. Dagegen wurden der Blutdruck und kardiologische Parameter (QTc-Intervall) nicht beeinflusst. Extrapyramidale Symptome waren eher selten; sie traten bei weniger als 2% der Patienten auf [3, 4].

Zulassung

Das Präparat ist für die Anwendung bei leichter bis mittelschwerer Agitation bei Patienten mit bipolaren Störungen oder Schizophrenie zugelassen [5]. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 10 mg (9,1 mg). Ist die Agitation unter Kontrolle, sollen die Patienten möglichst rasch mit der Standardmedikation weiterbehandelt werden. Falls erforderlich, kann die Loxapin-Gabe einmalig nach zwei Stunden wiederholt werden.

Nebenwirkung Bronchospasmen

Bronchospasmen traten unter der Behandlung bei Patienten ohne Atemwegserkrankungen relativ selten auf [3, 4]. Bei Patienten mit Asthma bronchiale oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) war diese Komplikation jedoch häufiger [3, 4]. Daraus resultierten Sicherheitsbedingungen, die die breite und einfache Anwendung des Präparats einschränken. Sie darf nur im Krankenhaus unter Aufsicht von medizinischem Personal erfolgen. Eine bronchodilatatorische Therapie mit einem kurzwirksamen Beta-Sympathomimetikum (z.B. Salbutamol) muss verfügbar sein. Die Patienten sollen bis zu einer Stunde nach der Verabreichung auf das Auftreten von Bronchospasmus-Symptomen hin beobachtet werden.

Sind bereits Symptome wie Keuchen und Kurzatmigkeit oder Lungenerkrankungen wie Asthma bronchiale oder chronisch obstruktive Lungenerkrankung bekannt, ist der neue Wirkstoff kontraindiziert. Gleiches gilt für Patienten mit Demenz-assoziierter Psychose.

Fazit

Wegen der genannten Anwendungseinschränkungen kann inhalatives Loxapin nicht breit eingesetzt werden. So sind beispielsweise Anwendungen durch den Notarzt vor Ort bei einer akuten Agitation on-Label zurzeit praktisch ausgeschlossen. Gerade in solchen plötzlich auftretenden Krisensituationen, die rasches Handeln verlangen, wäre aber eine leicht zu verabreichende, nichtinvasive Therapieoption von Vorteil und könnte Zwangsmaßnahmen zum Wohle des Patienten effektiv ersetzen. Obwohl das Präparat hierfür günstige pharmakokinetische Eigenschaften besitzt (rasches Anfluten, schnelle Metabolisierung, keine Wirkungseinschränkung, z.B. bei Rauchern), muss sein Einsatz aus Sicherheitsgründen auf das stationäre Umfeld beschränkt bleiben. Die Kooperation des Patienten vorausgesetzt, kann hier eine rasche Dämpfung der Agitation erreicht werden.

Quellen

1. Prof. Dr. Georg Juckel, Bochum, Prof. Dr. Dr. Michael Bauer, Dresden, Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Werneck; Launch-Pressekonferenz „Agitationstherapie im Umbruch: Adasuve® – erstes und einziges inhalatives Antipsychotikum“, Frankfurt/M., 21. Juni 2013, veranstaltet von Trommsdorff Arzneimittel.

2. Wilson, et al. The psychopharmacology of agitation: Consensus Statement of the American Association for Emergency Psychiatry Project BETA Pharmacology Workgroup. Western Journal of Emergency Medicine Volume XIII, NO. 1: February 2012.

3. Lesem MD, et al. Rapid acute treatment of agitation in individuals with schizophrenia: multicentre randomised placebo-controlled study of inhaled loxapine. Br J Psychiatry 2011;198:51–8.

4. Kwentus J, et al. Rapid acute treatment of agitation in patients with bipolar I disorder: a multicenter, randomized, placebo-controlled clinical trial with inhaled loxapine. Bipolar Disord 2012;14;31–40.

5. Fachinformation ADASUVE® – Stand Februar 2013.

6. Spyker DA, et al. Pharmacokinetics of loxapine following inhalation of a thermally generated aerosol in healthy volunteers. J Clin Pharmacol 2010;50:169-79.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(05)