Depression bei älteren Patienten

Vortioxetin ist wirksam und gut verträglich


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer achtwöchigen Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Vortioxetin bei älteren Patienten mit einer rezidivierenden Depression untersucht. Referenzsubstanz zur Kontrolle der Sensitivität des Studiendesigns war Duloxetin. Der primäre Wirksamkeitsparameter war die Änderung des Scores der 24-Item Hamilton Depression Rating Scale (HAMD-24) ab Einschluss bis Woche 8. Vortioxetin zeigte nach Woche 8 eine signifikant größere Verbesserung des Scores als Plazebo. Auch Duloxetin war Plazebo signifikant überlegen. Sowohl die Response- als auch die Remissionsraten waren unter Vortioxetin höher als unter Plazebo. Vortioxetin war gut verträglich. Nur Übelkeit trat signifikant häufiger auf als unter Plazebo.
Mit einem Autorenkommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach

Nur relativ wenige kontrollierte Studien belegen die Wirksamkeit neuerer (nichttrizyklischer) Antidepressiva bei älteren Patienten. Insgesamt zeigen sie, dass diese Antidepressiva zwar wirksamer sind als Plazebo, die Erfolge aber oft nur bescheiden ausfallen und beträchtlich variieren. In der vorliegenden Studie wurden bei älteren depressiven Patienten über acht Wochen Wirksamkeit und Verträglichkeit von Vortioxetin (5 mg/Tag) mit Plazebo verglichen [1].

Vortioxetin (LuAA21004) zeigt mehrere molekulare Angriffspunkte:

  • Antagonist an 5-HT3- und 5-HT7-Serotoninrezeptoren
  • partieller 5-HT1B-Rezeptoragonist
  • 5-HT1A-Rezeptoragonist
  • Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

Die Zulassung für Vortioxetin zur Behandlung der Major Depression wurde 2012 bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA und der amerikanischen FDA beantragt.

In die vorliegende Studie wurde Duloxetin (60 mg/Tag) als aktive Kontrolle mit einbezogen, da es eine antidepressive Wirksamkeit bei älteren Patienten gezeigt hatte und zudem einige kognitive Parameter verbesserte. Die Studie wurde in der Zeit von Februar 2009 bis Februar 2010 von 81 psychiatrischen bzw. geriatrischen Zentren in einigen europäischen Ländern (darunter Deutschland) sowie in Kanada und den USA durchgeführt.

Studiendesign

Patienten

Eingeschlossen wurden Patienten von 65 Jahren mit der Diagnose einer Major Depression nach DSM-IV-TR und einer akuten depressiven Episode einer Major Depression. Die Episode bestand seit mindestens vier Wochen und es trat wenigstens eine Episode vor dem 60. Lebensjahr auf. Der Score der Montgomery Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) war 26 (wenigstens moderate Depression) beim Screening und Einschluss in die Studie. Ausschlusskriterien waren unter anderen ein Punktwert im Mini-Mental-Status-Test von <24 (wenigstens leichte Demenz), andere psychiatrische Begleiterkrankungen, sowie manische/hypomane Episoden, Schizophrenie oder andere psychotische Störungen in der Vorgeschichte. Ausgeschlossen waren auch Patienten mit einem Engwinkelglaukom, mit einem Herzinfarkt innerhalb der letzten sechs Monate, einem abnormalen TSH-Wert und abnormalen Vitalparametern.

Intervention

Geeignete Patienten wurden randomisiert (1:1:1) einem der folgenden Behandlungsarme zugeteilt:

  • Vortioxetin (5 mg/Tag)
  • Duloxetin (60 mg/Tag)
  • Plazebo

Studienziele

Die Visiten fanden bis Woche 2 wöchentlich und danach alle zwei Wochen statt. Das primäre Studienziel war die Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von Vortioxetin im Vergleich zu Plazebo. Mithilfe prospektiv festgelegter Tests wurde zudem der Effekt von Vortioxetin auf die kognitive Funktion untersucht.

Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung des Scores der HAMD-24 vom Einschluss bis Woche 8 (LOCF: last observation carried forward). Sekundäre Parameter waren Response- (Abfall des Scores der HAMD-24 um 50%) und Remissionsrate (HAMD-17-Score 7; Score der Clinical Global Impression Scale, Teil Schweregrad der Erkrankung, [CGI-S] 2). Die kognitiven Effekte (verbales Lernen und Gedächtnis sowie die kognitive Leistung) wurden beim Einschluss und der letzten Visite beurteilt. Es wurden angewendet:

  • Der ReyAuditory Verbal Learning Test (RAVLT), bei dem 15 Wörter in drei Durchgängen nach Vorlesen jeweils frei reproduziert werden mussten. Auswertungsparameter waren die Anzahl der behaltenen Begriffe aus allen drei Durchgängen und die Anzahl der behaltenen Worte nach einer Latenz von 30 Minuten.
  • Der Digit Symbol Substitution Test (DSST), bei dem die Probanden gemäß einer vorgegebenen Tabelle einzelnen einstelligen Zahlen einer Liste ein zugehöriges Symbol zuordnen mussten. Ausgewertet wurde die Anzahl korrekter Symbole innerhalb einer Periode von zwei Minuten.

Zur Beurteilung der Verträglichkeit wurden die von Patienten spontan berichteten und die vom Arzt beobachteten unerwünschten Ereignisse erfasst. Weiterhin wurden die Ergebnisse der Laboruntersuchungen, Körpergewicht, BMI, EKG und die Befunde der körperlichen Untersuchung ausgewertet.

Studienergebnisse

Patienten

Insgesamt wurden 452 Patienten eingeschlossen (Vortioxetin: n=156, Duloxetin: n=151, Plazebo: n=145). Sie waren im Mittel 71 Jahre alt und hatten bei Einschluss einen mittleren MADRS-Score von 30 sowie einen mittleren CGI-S-Score von 4,7 (mäßig bis deutlich krank). Die akute Episode begann etwa 7 bis 8 Monate vor dem Einschluss. Insgesamt brachen 13% der Patienten die Behandlung vorzeitig ab (Vortioxetin 13%, Duloxetin 15%, Plazebo 12%); der häufigste Grund hierfür waren unerwünschte Wirkungen.

Wirksamkeit

Vortioxetin war nach einer Behandlungszeit von acht Wochen signifikant wirksamer als Plazebo (p=0,0011). Der Unterschied im HAMD-24-Score betrug 3,3 Punkte (Abb. 1). Auch nach sechs Wochen war der Unterschied statistisch signifikant (p=0,024; Behandlungsunterschied: 2,1 Punkte). Auch der CGI-S-Score sank im Vergleich zu Plazebo bis zur Woche 8 signifikant (p<0,001).

Abb. 1. Mittlere Änderung des HAMD-24-Gesamtscores vom Einschluss bis Woche 8; LOCF: last observation carried forward; **p<0,01, ***p<0,001, jeweils im Vergleich zu Plazebo [mod. nach 1]

Die Responder- und Remitter-Raten waren unter Vortioxetin (53,2% bzw. 29,2%) signifikant höher als unter Plazebo (35,2% bzw. 19,3%; p<0,01 bzw. p<0,05). Duloxetin war ebenso in allen Wirksamkeitsparametern einer Plazebo-Behandlung signifikant überlegen.

Im DSST zeigte Vortioxetin eine Verbesserung im Vergleich zu Plazebo (p<0,05). Im RAVLT waren die Patienten unter Vortioxetin sowohl direkt nach dem Lernen als auch nach einer Latenzzeit erfolgreicher als die Plazebo-Patienten (p<0,05). Duloxetin war nur im RAVLT der Plazebo-Behandlung überlegen (p<0,01).

Verträglichkeit

Wenigstens ein unerwünschtes Ereignis hatten 62% der Vortioxetin-Patienten, 78% der Duloxetin- und 61% der Plazebo-Patienten. Am häufigsten traten Übelkeit, Kopfschmerz, Schwindel, Müdigkeit und Obstipation auf. Unter Vortioxetin war nur ein unerwünschtes Ereignis (Übelkeit) signifikant häufiger als unter Plazebo (21,8% vs. 8,3%; p<0,01). Unter Duloxetin waren dies mehrere (6). Sexuelle Dysfunktion, wie Orgasmus- oder Erektionsstörungen, trat nur unter Duloxetin auf. Wegen unerwünschter Ereignisse beendeten die Studie 3% der Plazebo-, 6% der Vortioxetin- (p=0,26) und 10% der Duloxetin-Patienten (p=0,016). Es gab sechs ernsthafte unerwünschte Ereignisse: vier in der Plazebo-Gruppe, je eines in der Vortioxetin- und Duloxetin-Gruppe. Bei den Laborwerten, den Vitalparametern, im Gewicht und im EKG traten keine Veränderungen auf.

Nach Ansicht der Autoren war Vortioxetin bei älteren Patienten wirksam und gut verträglich.

Kommentar

Die vorliegende Studie ist im Hinblick auf Design (Plazebo-Kontrolle, Referenzsubstanz, Behandlungsdauer) und Kohortenstärke eine solide Untersuchung. Sie zeigt, dass die Pharmakotherapie der Depression älterer Patienten langsamer zum Erfolg führt und daher mehr Zeit beansprucht als die jüngerer Patienten. In Studien mit Patienten ab 18 Jahren war die Wirksamkeit von Vortioxetin der von Plazebo bereits nach zwei Wochen signifikant überlegen [2]. In der vorliegenden Studie wirkte die Substanz erst nach sechs Wochen besser als Plazebo. Auch waren die Responder- und Remitter-Raten bei jüngeren Patienten höher als bei der älteren Population.

Auch wenn in der vorliegenden Studie der Vergleich mit der Referenzsubstanz nicht beabsichtigt war, hat es doch den Anschein, dass Duloxetin etwas wirksamer war als die Prüfsubstanz. Das könnte an der relativ niedrigen Dosis von Vortioxetin gelegen haben. Zugelassen wird Vortioxetin vermutlich auch zum Einsatz mit höheren Dosen.

Quellen

1. Katona C, et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled, duloxetine referenced, fixed dose study comparing the efficacy and safety of Lu AA21004 in elderly patients with major depressive disorder. Int Clin Psychopharmacol 2012;27:215–23.

2. Henigsberg N, et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled 8-week trial of the efficacy and tolerability of multiple doses of Lu AA21004 in adults with major depressive disorder. J Clin Psychiatry 2012;73:953–9.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(04)