Stabile koronare Herzerkrankung

Escitalopram reduziert Rate von Stress-induzierten Ischämien


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Bei Patienten mit einer klinisch stabilen koronaren Herzerkrankung kann der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Escitalopram die Rate von Myokardischämien, die durch psychischen Stress induziert wurden, reduzieren. Die Rate von körperlich induzierten Ischämien bleibt nach sechswöchiger Therapie im Vergleich mit Plazebo dagegen unverändert.

Emotionaler Stress ist ein potenzieller Triggerfaktor der koronaren Herzkrankheit und anderen kardiovaskulären Ereignissen. In kontrollierten Untersuchungen ließ sich durch experimentell provozierten emotionalen Stress die Herzfunktion beinträchtigen. Basierend auf verschiedenen Studien wurde daraufhin das Konzept der durch psychischen Stress induzierten Myokardischämie entwickelt (MSIMI; mental stress-induced myocardial ischemia).

Unter Laborbedingungen kann eine MSIMI bei bis zu 70% der Patienten mit einer klinisch stabilen koronaren Herzkrankheit induziert werden. Das Risiko für Tod und kardiovaskuläre Ereignisse ist erhöht. Die Kausalkette zwischen emotionalem Stress und Myokardischämie ist allerdings komplex und umfasst eine ganze Reihe von zentralen und peripheren Veränderungen, die durch Emotionen und Verhaltensmuster hervorgerufen werden können. Daher liegen bisher auch nur vergleichsweise wenige Studien zur therapeutischen Beeinflussung einer MSIMI vor. Eine therapeutische Option könnten selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bieten. Studien zeigen, dass SSRI eine durch psychischen Stress hervorgerufene Verschlechterung von Hämodynamik, metabolischen Risikofaktoren und Thrombozytennaktivität vermindern können. In der REMIT-Studie (Responses of mental stress induced myocardial ischemia to escitalopram treatment) sollte der Einfluss einer sechswöchigen SSRI-Therapie mit Escitalopram auf die MSIMI und andere psychologische, stressinduzierte und physiologische Parameter untersucht werden.

Studienziel und -design

In die randomisierte, doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie wurden an einem US-amerikanischen Zentrum 127 Patienten mit einer klinisch stabilen koronaren Herzkrankheit und einer nachgewiesenen MSIMI rekrutiert und einer Behandlung mit Escitalopram oder Plazebo (1:1) über sechs Wochen zugewiesen. Escitalopram wurde innerhalb von drei Wochen von 5 mg/Tag auf 20 mg/Tag auftitriert. Der MSIMI-Nachweis erfolgte experimentell, indem die Patienten drei Stress-induzierende Aufgaben wie Kopfrechnen, Mirror-Tracing (Nachzeichnen einer über einen Spiegel präsentierten Figur) und öffentliches Sprechen mit missbilligenden Zwischenrufen erfüllen mussten. Betablocker wurden ein bis zwei Tage vor diesen Tests abgesetzt. Im Anschluss an die Stressexperimente absolvierten die Probanden eine Fahrradergometrie.

Primärer Endpunkt war das Auftreten einer experimentell hervorgerufenen MSIMI, bestimmt durch echo- bzw. elektrokardiographisch nachgewiesene Veränderungen der Herzfunktion (Veränderung der lokalen Herzwandbewegung, Veränderungen der linksventrikulären Ejektionsfraktion oder Veränderungen der ST-Strecke im EKG). Weitere Endpunkte waren die Konzentration des Serotonin-Transporters sowie die Serotonin-Aufnahme der Thrombozyten. Physiologische Parameter wie Blutdruck und Herzfrequenz wurden ebenfalls bestimmt.

Studienergebnisse

Von den 127 randomisierten Teilnehmern absolvierten 112 (88,2%, n=56 in jeder Gruppe) die Abschlussuntersuchungen.

Nach Abschluss der sechswöchigen Behandlung erlitten weniger Patienten aus der Escitalopram-Gruppe eine experimentell hervorgerufene MSIMI im Vergleich mit den Patienten aus der Plazebo-Gruppe (34,2%; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 25,4%–43,0%)vs. 17,5%; 95%-KI 10,4%–24,5%), berechnet anhand einer nichtadjustierten Intention-to-treat-Analyse. Es bestand ein signifikanter Unterschied zugunsten von Escitalopram (Odds-Ratio 2,62 [95%-KI 1,06–6,44]; p=0,04). Nach der Berücksichtigung von Geschlecht und der linksventrikulären Ejektionsfraktion war der Unterschied nicht mehr signifikant (Tab. 1).

Tab. 1. Ergebnisse der adjustierten Endpunkte nach sechs Wochen (Auswahl)

Escitalopram
(95%-KI)

Plazebo
(95%-KI)

p-Wert1

MSIMI [%]

35,2 (32,5–37,8)

17,6 (15,5–19,7)

0,06

LVEF-Änderung [%]

–2,0 (–3,2 bis –0,7)

–2,4 (–3,7 bis –1,1)

0,65

Änderung des systolischen Blutdrucks [mmHg]

19,3 (16,7–22,0)

23,6 (20,8–26,4)

0,03

Änderung der Herzfrequenz
[Schläge/min]

6,34 (5,0–7,7)

9,1 (7,8–10,5)

0,005

5-HTT [fmol/mg Protein]

139,7 (126,1–153,4)

160,4 (147,0–173,7)

0,04

Kd100 [nmol/l]

4202,4 (3328,6–5076,2)

210,1 (0,0–1083,9)

<0,001

Vmax
[fmol/107 Thrombozyten pro 5 Minuten]

404,8 (304,2–505,4)

182,2 (81,6–282,8)

0,003

ESIMI [%]

45,8 (36,6–55,0)

52,5 (43,3–61,8)

0,56

LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion, 5-HTT: Serotonin-Transporter, Kd: Serotonin-Bindungsaffinität der Thrombozyten, Vmax: maximale Serotonin-Aufnahmerate, ESIMI: exercise stress-induced myocardial ischemia 1: Die Werte sind adjustiert für Alter, Geschlecht und die entsprechenden Ausgangswerte

In der Escitalopram-Gruppe waren die Raten einer durch die Fahrradergometrie induzierten Ischämie etwas niedriger als in der Plazebo-Gruppe (45,8%; 95%-KI 36,6%–55,0%) vs. 52,5%; 95%-KI 43,3%–61,8%), hier war der Unterschied nicht signifikant (Tab. 1).

Bei den physiologischen Endpunkten traten unter Escitalopram signifikant bessere Ergebnisse auf, beispielsweise bei den hämodynamischen Reaktionen auf den psychischen Stress sowie bei Pulsfrequenz und Blutdruck (Tab. 1). Das Gewicht ging unter Escitalopram im Vergleich mit Plazebo ebenfalls zurück, der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant.

Die Konzentration des Serotonintransporters und auch die maximale Bindungskapazität und Aufnahme von Serotonin in die Thrombozyten waren in der Escitalopram-Gruppe signifikant höher (Tab. 1).

Die Symptomscores für Depression, Angst-Trait und Stress nach der sechswöchigen Behandlung gingen in beiden Gruppen ohne signifikante Differenz zurück. Die Angst-State-Scores verbesserten sich unter Escitalopram und verschlechterten sich unter Plazebo, der Unterschied war aber nach Adjustierung für Geschlecht und Ausgangswerte statistisch nicht signifikant. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen waren relativ moderat, traten aber in der Escitalopram-Gruppe signifkant häufiger auf (71,9% vs. 44,4%; p=0,002).

Diskussion

Bei Patienten mit einer stabilen koronaren Herzkrankheit und einer unter Laborbedingungen nachgewiesenen Stress-induzierten Mykokardischämie wird die MSIMI-Rate unter dem SSRI Escitalopram signifikant stärker reduziert als unter Plazebo. Bei der durch körperliche Aktivität induzierten Ischämie ergab sich dagegen kein signifikanter Unterschied zwischen dem SSRI und Plazebo.

Nicht geklärt werden konnten in dieser Studie der oder die Mechanismen, mit denen sich die Reduktion der MSIMI-Raten unter Escitalopram erklären ließen. Möglicherweise führt die pharmakologisch induzierte Verbesserung der serotonergen Funktionen sowohl auf der zentralen als auch auf der peripheren Ebene (z.B. verminderte Thrombozytenaggregation) zu der beobachteten Verbesserung der Stress-induzierten Myokardischämie. Weitere, möglichst multizentrisch durchgeführte Studien sollten nun folgen.

Quelle

Jiang W, et al. Effect of escitalopram on mental stress-induced myocardial ischemia. Results of the REMIT Trial. JAMA 2013;309:2139–49.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(04)