Progressive multifokale Leukenzephalopathie

Abhängig von der Natalizumab-Serumkonzentration?


Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Das Risiko für eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) bei Behandlung mit Natalizumab (Tysabri®) steigt mit zunehmender Plasmakonzentration des Antikörpers. Eine Verlängerung des Dosierungsintervalls könnte das PML-Risiko möglicherweise verringern.

Die PML ist eine schwere demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems, die durch das JC-Virus (JCV) verursacht wird. Bei der Natalizumab-Behandlung von Patienten mit multipler Sklerose ist sie die am meisten gefürchtete Komplikation, weil die Erkrankung bei bis zu 20% der betroffenen Patienten tödlich verläuft oder schwere Behinderungen verursacht. Verschiedene Risikofaktoren werden bei der Entstehung einer PML unter Natalizumab-Therapie diskutiert, unter anderem das Körpergewicht und die Natalizumab-Serumkonzentration.

Demographische und klinische Daten einer Kohorte von 301 Natalizumab-Patienten des Rocky Mountain MS Clinic Registry (RMMSC) und von Natalizumab-Patienten aus verschiedenen anderen Registern wurden analysiert. In den ersten zwei Behandlungsjahren stieg die Plasmakonzentration von Natalizumab von etwa 16 auf 32 µg/ml. Die Plasmakonzentration von Natalizumab nahm in der AFFIRM-Studie (Natalizumab safety and efficacy in relapsing remitting multiple sclerosis) vom 6. bis zum 24. Monat um 30%, in der SENTINEL-Studie (Safety and efficacy of natalizumab in combination with Avonex® [IFN alfa-1a] in patients with relapsing-remitting MS) um 24% zu (Abb. 1). Patienten mit einem Körpergewicht bis zu 75 kg hatten höhere mittlere Plasmakonzentrationen und eine stärkere VLA-4-Lymphozyten-Sättigung als schwerere Patienten.

Abb. 1. Natalizumab-Plasmaspiegel steigen im Verlauf der Therapie [Foley et al.]

Hieraus wurde folgende Hypothese generiert: Wenn eine Erhöhung der Plasmakonzentration und Sättigung bei Personen mit niedrigerem Körpergewicht das PML-Risiko erhöht, müsste die PML häufiger bei Personen mit niedrigerem Körpergewicht auftreten. Damit könnte auch der Befund erklärt werden, dass in Europa trotz geringerem Einsatz von Natalizumab um 54% mehr PML-Fälle auftraten als in den USA, weil das durchschnittliche Körpergewicht der Europäer niedriger als das der Amerikaner ist. Eine Verlängerung des Dosierungsintervalls könnte möglicherweise zu einer Senkung der Plasmaspiegel und zu einer Verringerung des PML-Risikos beitragen.

Fazit

Hohe Natalizumab-Plasmakonzentrationen aufgrund eines niedrigen Körpergewichts oder einer langen Therapie erhöhen möglicherweise das PML-Risiko, indem die Immunüberwachung des JC-Virus im zentralen Nervensystem vermindert wird. Möglicherweise kann dieses Risiko durch eine Verlängerung des Dosierungsintervalls von Natalizumab verringert werden. Dies muss jedoch noch in weiteren Studien untersucht werden.

Quelle

Foley S, et al. Natalizumab related PML: An evolving risk stratification paradigm. 65th AAN Annual Meeting, San Diego, 16.–23. März 2013, S30.002.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(04)