SSRI in der Schwangerschaft

Kein erhöhtes Risiko für Totgeburten, Neugeborenen- oder Säuglingssterblichkeit


Dr. Dr. Tanja Neuvians, Ladenburg

Sowohl Depressionen als auch deren Behandlung mit Antidepressiva in der Schwangerschaft können mit Risiken für das Kind verbunden sein. Die Ergebnisse einer nordeuropäischen Kohortenstudie mit über 1,6 Millionen Schwangeren zeigen, dass das Risiko für Totgeburten, Neugeborenen- und Säuglingssterblichkeit durch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) während der Schwangerschaft nicht erhöht wird, wenn Störfaktoren wie Rauchen oder das Alter der Mutter bei der Datenauswertung berücksichtigt werden.

Depressionen während der Schwangerschaft kommen mit 7 bis 19% relativ häufig vor und sind mit Frühgeburten und anderen perinatalen Risiken verbunden. Aber nicht nur Depressionen, auch Medikamente und Lebensstilfaktoren wie Stress, Rauchen oder Alkohol beeinflussen den Ausgang einer Schwangerschaft. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) werden häufig zur Behandlung von Major Depressionen eingesetzt. Sowohl ein Abbruch der Therapie als auch die weitere SSRI-Einnahme während der Schwangerschaft können das Kindeswohl gefährden. Es gibt Hinweise, dass SSRI zu angeborenen Fehlbildungen, Spontanaborten, zum Entzugssyndrom beim Neugeborenen und dauerhaftem Lungenhochdruck führen können. Eine Therapie ist also sorgfältig abzuwägen.

Studiendesign

Die nordeuropäischen Verschreibungs-, Geburten- und Patientenregister liefern eine gute Grundlage für bevölkerungsbasierte Studien, in denen unerwünschte Effekte einer Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft untersucht werden. Die vorliegende Kohortenstudie berücksichtigt Registerdaten aus den nordeuropäischen Ländern Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden in einem Zeitraum von 1996 bis 2007. Untersucht wurden alle Ein-Kind-Schwangerschaften ab einer Schwangerschaftsdauer von 154 Tagen.Eine Schwangere galt als Medikamenten exponiert, wenn sie ein- oder mehrmals SSRI in einem Zeitraum von drei Monaten vor Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt verschrieben bekam. Die SSRI waren folgende: Fluoxetin, Citalopram, Paroxetin, Sertralin, Fluvoxamin und Escitalopram. Die primären Endpunkte waren:

  • Totgeburt (intrauteriner Tod nach 22 bzw. 28 Wochen Schwangerschaftsdauer),
  • Neugeborenensterblichkeit (Tod innerhalb von 27 Tagen nach Lebendgeburt) und
  • Säuglingssterblichkeit (Tod innerhalb von 28 bis 364 Tagen nach Lebendgeburt).

Als mögliche Störfaktoren wurden untersucht: Alter der Mutter, Anzahl der Schwangerschaften, Raucherstatus, mütterliche Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes mellitus sowie Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken.

Studienergebnisse

Insgesamt wurden die Daten von 1633877 Ein-Kind-Schwangerschaften analysiert. 29228 Schwangere (1,79%) haben ein Rezept über SSRI eingelöst. Dabei nahm die Verschreibungshäufigkeit für SSRI während der Studie zu. Mit 6,49/1000 Verordnungen wurde Citalopram am häufigsten verschrieben. Frauen, die SSRI während der Schwangerschaft einnahmen, hatten ein signifikant höheres Risiko für Totgeburten und Säuglingssterblichkeit (Tab. 1). Die Neugeborenensterblichkeit blieb unbeeinflusst. Frauen mit SSRI-Einnahme waren aber auch älter, häufiger Raucherinnen, öfter wegen psychiatrischer Erkrankungen im Krankenhaus, und hatten eher Diabetes mellitus oder Bluthochdruck als Frauen, die keine SSRI einnahmen. Nachdem die Ergebnisse um diese Faktoren bereinigt worden waren, war die SSRI-Einnahme nicht mehr signifikant assoziiert mit Totgeburt oder Säuglingssterblichkeit (Tab. 1). Erhöhte Raten für Totgeburten ergaben sich weiterhin, wenn Frauen SSRI nur vor Beginn der Schwangerschaft und im ersten Trimester eingenommen hatten (adjustiertes OR 1,56; KI 1,06–2,30; p=0,03). Diese erhöhten Raten ergaben sich nicht, wenn SSRI auch noch im zweiten oder zweiten und dritten Trimester eingenommen wurden. Eine Hospitalisierung wegen psychiatrischer Erkrankungen schien das Risiko für Totgeburten zu senken, die Unterschiede waren aber nicht signifikant.

Tab. 1. Einnahme von SSRI drei Monate vor der Schwangerschaft bis zur Geburt und das Risiko für Totgeburten, Neugeboren- und Säuglingssterblichkeit

SSRI-Einnahme

Keine SSRI-Einnahme

OR
(95%-KI)

p-Wert

Adjustiertes OR1 (95%-KI)

p-Wert

Totgeburten [n/1000]

4,62

3,69

1,25
(1,06–1,49)

0,01

1,17
(0,96–1,41)

0,12

Neugeborenensterblichkeit [n/1000]

2,54

2,21

1,15
(0,91–1,45)

0,24

1,23
(0,96–1,57)

0,11

Säuglingssterblichkeit [n/1000]

1,38

0,96

1,43
(1,04–1,96)

0,03

1,34
(0,97–1,86)

0,08

OR: Odds-Ratio, 95%-KI: 95%-Kondidenzintervall

1: Adjustiert nach: Alter und Geburtsjahr, Alter der Mutter, Rauchen in der Frühschwangerschaft, Gestationsdiabetes und Bluthochdruck

Kommentar

Selbst für seltene Ereignisse wie Totgeburt oder Tod eines Neugeborenen oder Säuglings ist die Studie genügend groß, um statistisch aussagekräftig zu sein. Die beobachteten Unterschiede vor der rechnerischen Elimination von Störvariablen erklären sich die Autoren zum einen durch die ungünstige Verteilung mütterlicher Charakteristika wie Rauchen oder höheres Alter. Zum anderen scheinen sich auch weniger schwere psychiatrische Erkrankungen, die keine Krankenhauseinweisung erfordern, auf Risiken für Totgeburt, Neugeborenen- und Säuglingssterblichkeit auszuwirken. Die Subanalysen zu den Trimestereinflüssen müssen vorsichtig interpretiert werden, da die beobachteten Ereignisse insgesamt sehr selten waren. Sollten SSRI in der Schwangerschaft tatsächlich ein Grund für angeborene Fehlbildungen sein, könnte das die erhöhte Rate an Totgeburten erklären, wenn SSRI nur bis zum ersten Trimester eingenommen wurden. Da die Abortraten in dieser Studie nicht berücksichtigt wurden, könnte die Anzahl negativer Ereignisse unterschätzt worden sein. Weitere denkbare Störvariablen sind Alkoholgenuss und Drogenmissbrauch, die beide sowohl mit dem Gebrauch von Antidepressiva als auch mit dem Risiko von Totgeburten und Kindersterblichkeit assoziiert sind. Da die Information über verkaufte, rezeptpflichtige Medikamente noch nichts über die Einnahme der Medikamente aussagt, könnte das die Ergebnisse ebenfalls verfälschen. In einer schwedischen Studie wurde herausgefunden, dass nur 60% der Frauen, die Antidepressiva verschrieben bekommen hatten, beim ersten Gespräch der Schwangerenvorsorge angegeben haben, SSRI einzunehmen. Ob das damit zusammenhing, dass die Frauen das nicht zugeben wollten, oder ob sie tatsächlich die verschriebenen Antidepressiva nicht einnahmen oder vielleicht selbstständig geringer dosierten, war nicht festzustellen.

Fazit

Nach rechnerischer Elimination von Störvariablen besteht bei Einnahme von SSRI während der Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko für Totgeburt, Neugeboren- oder Säuglingssterblichkeit. Dennoch sollte eine Verschreibung von SSRI in der Schwangerschaft immer sorgfältig abgewogen werden.

Quelle

Stephansson O, et al. Selective serotonin reuptake inhibitors during pregnancy and risk of stillbirth and infant mortality. JAMA 2013;309:48–54.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(03)