Depression

Vortioxetin (Lu AA21004) wirksam in der Akutbehandlung


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer Plazebo-kontrollierten Parallelgruppenstudie erhielten depressive Patienten doppelblind über acht Wochen 1, 5 oder 10 mg/Tag Vortioxetin (Lu AA21004). Primärer Messparameter war die Änderung des Gesamtscores auf der 24-Item Hamilton Depression Rating Scale (HAMD-24) ab Einschluss bis zur Woche 8. Die Reduktion des HAMD-Scores war unter allen drei Dosen von Vortioxetin signifikant größer als unter Plazebo (p<0,05, bzw. p<0,001). Auch die HAMD-Remissions- und -Responseraten waren im Vergleich zu Plazebo signifikant höher (p<0,05). Die Scores der Sheehan Disability Scale (SDS) änderten sich nicht signifikant. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Übelkeit, Kopfschmerzen und Benommenheit.
Mit einem Autorenkommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach

Die Responseraten bei einer pharmakologischen Behandlung der Depression sind mit etwa 50% eher niedrig. Antidepressiva mit mehreren selektiven Wirkungsmechanismen könnten Behandlungsvorteile gegenüber bisherigen Substanzen mit nur einem oder zwei selektiven Mechanismen haben. Vortioxetin (Entwicklungsname LuAA21004; Abb. 1) ist ein Serotonin-Antagonist an 5-HT3- und 5-HT7-Rezeptoren, ein partieller 5-HT1B-Rezeptoragonist und ein Hemmer des Serotonintransporters. Die Substanz erhöht die Spiegel von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin und Histamin in spezifischen Gehirnarealen der Ratte.

Abb. 1. Vortioxetin

Vortioxetin befindet sich in der Entwicklung zur Behandlung der Depression. In der vorliegenden Phase-III-Studie wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit dreier Dosen (1, 5, 10 mg/Tag) im Vergleich zu Plazebo über einen Zeitraum von acht Wochen untersucht [1]. Die Studie wurde im Zeitraum von August 2008 bis August 2009 in 14 Ländern (Europa, Asien, Australien und Südafrika) durchgeführt.

Studiendesign

Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren mit der Diagnose einer depressiven Episode nach DSM-IV-TR und einem Gesamtscore auf der Montgomery Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) 26 waren studiengeeignet. Ausgeschlossen blieben Patienten mit einem erhöhten Suizidrisiko, Patienten mit bekannter Therapieresistenz, Patienten mit einer psychischen Erkrankung in der Vorgeschichte (einschließlich Depression, falls diese psychotische Merkmale hatte) und Patienten mit einer schweren körperlichen Erkrankung.

Nach einer zwei- bis zehntägigen Screeningphase wurden geeignete Patienten randomisiert einer Behandlung mit drei festen Dosen von Vortioxetin (1, 5, 10 mg/Tag) oder Plazebo zugeteilt. Primärer Zielparameter war die Änderung des HAMD-24-Scores vom Einschluss bis zur Woche 8 (1, 5, 10 mg/Tag Vortioxetin vs. Plazebo). Sekundäre Parameter waren unter anderen Änderung des MADRS-Gesamtscores, Responserate nach HAMD und MADRS (Abfall des Gesamtscores um 50%), Remissionsrate (Gesamtscore der HAMD-Items 1 bis 17 von 7) und Änderung des SDS-Scores vom Einschluss bis Woche 8.

Zur Beurteilung der Verträglichkeit wurden unerwünschte Ereignisse registriert, Vitalparameter untersucht, EKGs abgeleitet und Laborwerte bestimmt. Die Visiten fanden beim Einschluss und nach den Wochen 1, 2, 4, 6 und 8 statt. Eine abschließende Sicherheitskontrolle wurde vier Wochen nach Einnahme der letzten Dosis der Studienmedikation vorgenommen.

Ergebnisse

Patienten. Insgesamt wurden 560 Patienten randomisiert den vier Behandlungsgruppen zugeteilt (n=140 pro Behandlungsgruppe). Die Anteile der Patienten, die nach Protokoll die Studie beendeten, waren 90,7%, 92,1% und 87,1% unter den Vortioxetin-Dosen 1, 5 und 10 mg/Tag sowie 90,7% unter Plazebo.

Wirksamkeit. Im Vergleich zu Plazebo nahm der mittlere HAMD-Score unter allen drei Dosen von Vortioxetin signifikant ab (Abb. 2; 10 mg: p<0,001; 1 und 5 mg: p<0,05, jeweils am Endpunkt). Ebenso sank der mittlere MADRS-Score unter allen Dosen signifikant (jeweils: p<0,05).

Abb. 2. Mittlere Änderung des HAMD-24-Gesamtscores während der 8-wöchigen Behandlungszeit; * p<0,05 für alle Vortioxetin-Tagesdosen im Vergleich mit Plazebo [1]

Die HAMD-24-Responserate und die HAMD-17-Remissionsrate waren in den Vortioxetin-Gruppen signifikant höher als in der Plazebo-Gruppe (jeweils: p<0,05; Tab. 1). Die SDS-Scores unter Vortioxetin änderten sich gegenüber Plazebo nicht signifikant.

Tab. 1. Response- und Remissionsraten nach acht Wochen (sekundäre Endpunkte) [1]

Behandlungsgruppe

1 mg/Tag

5 mg/Tag

10 mg/Tag

Plazebo

Responserate [%]

47,5*

45,3*

49,6*

23,0

Remissionsrate [%]

20,9*

24,5*

23,7*

11,5

* p<0,05 vs. Plazebo

Verträglichkeit. Von den 559 Patienten in der Verträglichkeitsanalyse berichteten 252 (45,1%) insgesamt 511 unerwünschte Ereignisse (39,3% der 1-mg-Gruppe, 56,4% der 5-mg-Gruppe, 41,7% der 10-mg-Gruppe und 42,9% der Plazebo-Gruppe). Häufiger als unter Plazebo traten unter der Behandlung mit Vortioxetin Übelkeit (15,7%), Kopfschmerz (11,4%) und Benommenheit auf (6,5%; unter Plazebo: 4,3%, 7,9% und. 2,1%).

Sexuelle Dysfunktionen wurde kaum berichtet (ein Bericht über verminderte Libido in der 10-mg-Gruppe). Die Vitalparameter, das EKG und die Laborwerte änderten sich nicht klinisch signifikant. Die Gewichtsänderungen waren gering (bis zu 2,2% unter Vortioxetin und 2,9% unter Plazebo). Es traten sechs ernsthafte unerwünschte Ereignisse auf (Pankreatitis und Suizidversuch in der 10-mg-Gruppe, Tachykardie in der 5-mg-Gruppe, hypertensive Krise in der 1-mg-Gruppe sowie Pankreatitis und starker Schwindel in der Plazebo-Gruppe). Aufgrund der Ergebnisse folgerten die Autoren, dass die Testsubstanz in dieser Studie wirksam und gut verträglich war.

Kommentar

Vortioxetin war in nahezu allen Zielparametern der Plazebo-Behandlung überlegen, wobei die Reponse- und Remissionsraten mit unter 50% eher durchschnittlich waren. Zur statistischen Signifikanz des Wirksamkeitsunterschieds mögen die niedrigen Plazebo-Werte beigetragen haben. Die vorliegende Studie gibt allerdings keinerlei Hinweise auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. So gab es zwischen den drei Dosen keine Unterschiede, weder in der Wirksamkeit noch in der Verträglichkeit. Inzwischen sind weitere Studien mit Vortioxetin durchgeführt worden, deren Ergebnisse jedoch noch nicht vollständig publiziert sind. Einem Medscape-Bericht vom Oktober 2012 zufolge wird im Fall einer Zulassung die empfohlene Dosis nach Aussage eines Prüfarztes (Prof. Cornelius Catona)wahrscheinlich zwischen 5 und 20 mg/Tag liegen [2].

Quellen

1. Henigsberg N, et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled 8-week trial of the efficacy and tolerability of multiple doses of Lu AA21004 in adults with major depressive disorder. J Clin Psychiatry 2012;73:953–9.

2. Brauser D. Depression im Alter: Neues Antidepressivum mit Mehrfach-Wirkung und günstigem Risikoprofil. www.medscapemedizin.de/artikel/4900418 (24.10.2012).

Psychopharmakotherapie 2013; 20(01)