Bipolare Störungen

Lithium in der Suizidprävention nicht wirksamer als Valproinsäure


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer randomisierten Studie erhielten 98 Patienten mit einer bipolaren Störung, die kürzlich einen Suizidversuch unternommen hatten, über 2,5 Jahre doppelblind ein Lithiumsalz oder Valproinsäure. Primäres Studienziel war die Untersuchung der Zeit bis zu einem Suizidversuch und der Zeit bis zu einem damit zusammenhängenden Ereignis (Suizidversuch oder Krankenhauseinweisung bzw. Medikamentenwechsel wegen suizidaler Absichten). Es gab 45 Suizidereignisse bei 35 Teilnehmern, darunter 18 Suizidversuche von 14 Teilnehmern. Sechs von ihnen gehörten zur Lithium- und acht zur Valproinsäure-Gruppe. Die gefundenen Unterschiede waren statistisch nicht signifikant.

Daten aus randomisierten Studien, naturalistischen Untersuchungen und Studien mit einer offenen Behandlung sprechen dafür, dass Lithium einen antisuizidalen Effekt hat. Die Autoren der vorliegenden Studie weisen allerdings darauf hin, dass die Daten aus einigen dieser Studien mit Vorsicht betrachtet werden sollten. So könnten Ärzte Lithiumsalze wegen der Toxizität höherer Dosen bei suizidgefährdeten Patienten besonders zurückhaltend eingesetzt haben. Wegen der Toxizität von Lithium erfolgten außerdem häufige Kontrollen, die eine Intervention bei Non-Compliance ermöglichten. Schließlich könnten die Daten insbesondere von Patienten stammen, die ihre Erkrankung und die Notwendigkeit der Behandlung akzeptieren und deshalb eventuell eine bessere Compliance aufweisen. Die vorliegende Untersuchung ist nun die erste doppelblinde, randomisierte Parallelgruppenstudie mit suizidgefährdeten bipolaren Patienten, die zeigen sollte, ob die Lithium-Therapie einer Behandlung mit Valproinsäure in der Prävention suizidaler Ereignisse überlegen ist. Die Studie wurde von 2000 bis 2007 an der Columbia Universität, New York, durchgeführt.

Studiendesign

Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren mit der Diagnose einer bipolaren Störung (Bipolar I oder Bipolar II) nach DSM-IV, die an einer depressiven oder gemischten Episode litten und wenigstens einen Suizidversuch unternommen hatten. Ausschlusskriterien waren unter anderen: unbehandelte Begleiterkrankungen, Kontraindikation für Lithium oder Valproinsäure, Kontraindikation für die begleitend gegebenen Antidepressiva (Paroxetin, Bupropion und Venlafaxin) oder Antipsychotika (Olanzapin, Perphenazin und Haloperidol) sowie bekannte Non-Response auf Lithium oder Valproinsäure. Die Patienten wurden randomisiert einer Behandlung mit Lithium (Serumspiegel: 0,6–1,0 mmol/l) oder Valproinsäure (Serumspiegel: 45–125 µg/ml) zugeteilt. Nach Kontrolle der Serumspiegel informierte ein nicht unmittelbar an der Studie beteiligter Arzt die Apotheke über notwendige Dosisanpassungen. Der doppelblinde Charakter der Studie blieb gewahrt.

Depressive Patienten wurden randomisiert einer Behandlung mit Lithium plus Paroxetin (bis 60 mg/Tag) oder Valproinsäure plus Paroxetin zugeteilt. Bei Non-Response war die Gabe von Bupropion (bis 400 mg/Tag) oder Venlafaxin (bis 375 mg/Tag) möglich. Depressive psychotische Patienten erhielten zusätzlich Olanzapin (bis 25 mg/Tag). Patienten mit einer gemischten Episode wurden randomisiert entweder mit Lithium plus Olanzapin oder Valproinsäure plus Olanzapin behandelt. Nonresponder von Olanzapin erhielten entweder Perphenazin (bis 64 mg/Tag) oder Haloperidol (bis 20 mg/Tag).

Die Studie verlief in drei Behandlungsphasen: Akutbehandlung, Fortführungsbehandlung und Erhaltungsbehandlung. Die Akutbehandlung wurde bis zum Erreichen eines Depressions-Scores unter 7 auf der Hamilton Depression Rating Scale (HAMD) und einem Manie-Score unter 10 auf der Schedule of Affective Disorders and Schizophrenia – Change (SADS-C) durchgeführt. Danach wurde die Behandlung weitere sechs Monate fortgesetzt (Fortführungsphase). Die begleitend gegebenen Antidepressiva/Antipsychotika wurden nach zwei Monaten ausschleichend abgesetzt. In der Erhaltungsphase wurde versucht, die Patienten mit den Stimmungsstabilisatoren allein stabil zu halten. Die gesamte Behandlungsdauer war 2,5 Jahre.

Primäre Wirksamkeitskriterien waren die Zeit bis zum Suizid, die Zeit bis zum Suizidversuch und die Zeit bis zu einem Suizidereignis (Suizidversuch oder Krankenhauseinweisung bzw. Medikamentenwechsel wegen suizidaler Absichten). Die Instrumente zur Beurteilung der Psychopathologie waren neben der HAMD und der SADS-C außerdem die Global Assessment Scale. Zur Beurteilung der Suizidalität wurden die Beck Scale for Suicidal Ideation und das Columbia Suicide History Form herangezogen. Unter optimalen Bedingungen wurden die Patienten 4-mal in der Akutphase, einmal in der Fortführungs- und 6-mal in der Erhaltungsphase beurteilt.

Ergebnisse

Patienten. Insgesamt wurde die Eignung von 646 Patienten geprüft, von denen 98 an der Studie teilnehmen konnten (Lithium: n=49; Valproinsäure: n=49). Bei Beginn der Studie waren 83 Patienten in einer depressiven und 15 in einer gemischten Episode. Der mittlere HAMD-Score war 34. In der Lithium-Gruppe beendeten 23 Patienten und in der Valproinsäure-Gruppe 25 Patienten die Studie vorzeitig. In die Analyse wurde 46 Lithium- und 48 Valproinsäure-Patienten eingeschlossen.

Suizidprävention. Es gab keine Suizide in der Studie, jedoch 45 mit Suizidalität zusammenhängende Ereignisse bei 35 Patienten, 16 in der Lithium- und 19 in der Valproinsäure-Gruppe. Darunter waren 18 Suizidversuche durch 14 Patienten. Alle von ihnen waren Frauen, sechs in der Lithium- und acht in der Valproinsäure-Gruppe. Die Intention-to-treat-Analyse zeigte keine Unterschiede zwischen den Gruppen in der Zeit bis zu einem Suizidereignis oder in der Zeit bis zu einem Suizidversuch. Es gab auch keinen Unterschied im Anteil der Patienten, der eine Remission erreichte.

Ernsthafte unerwünschte Ereignisse. Neben den Suizidereignissen wurden als ernsthafte unerwünschte Ereignisse noch Schwangerschaft (n=2) und Hautausschlag (n=1) gemeldet. Die Autoren weisen in ihrer Diskussion darauf hin, dass die Remissionsraten sehr niedrig waren und die mittlere Abnahme des HAMD-Scores nur 10 Punkte betrug, sodass in beiden Behandlungsgruppen ein sehr hohes Suizidrisiko während der gesamten Studie bestanden habe.

Kommentar

Es gab häufiger Studien, die die erwarteten Ergebnisse nicht zeigen konnten. Die Ursachen für die fehlende Überlegenheit von Lithium in dieser Untersuchung sind schwer zu beurteilen. Eine mögliche Ursache könnte die geringe Gruppenstärke sein. Möglich ist aber auch, dass Lithium und Valproinsäure tatsächlich vergleichbar wirksam in der Prävention suizidaler Ereignisse sind.

Quelle

Oquendo MA, et al. Treatment of suicide attempters with bipolar disorder: A randomized clinical trial comparing lithium and valproate in the prevention of suicidal behavior. Am J Psychiatry 2011;168:1050–6.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(06)