Progressive multifokale Leukenzephalopathie

Erhöhtes Risiko bei langer Natalizumab-Therapie und positivem JCV-Antikörperstatus


Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Das Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) bei Behandlung mit Natalizumab ist im Allgemeinen gering. Es steigt jedoch deutlich bei Patienten mit positivem JC-Virus-Antikörpernachweis, vorheriger immunsuppressiver Therapie und bei einer länger als zwei Jahre dauernden Natalizumab-Behandlung. Dies ergab eine Analyse von Daten aus Postmarketing-Untersuchungen, klinischen Studien und einem schwedischen Register.

Die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) ist eine gefürchtete Komplikation bei der Behandlung von Patienten mit Natalizumab (Tysabri®). In einer Analyse der Herstellerfirma wurde nun das PML-Risiko von Patienten mit multipler Sklerose (MS) in Abhängigkeit von verschiedenen Risikofaktoren quantifiziert. Weil die PML selten auftritt, wurden für die Analyse Daten aus unterschiedlichen Quellen verwendet, und zwar aus Postmarketing-Untersuchungen, klinischen Studien und einem unabhängigen schwedischen Register. Untersucht wurde, ob die Häufigkeit der PML mit dem Vorliegen von Antikörpern gegen das JC-Virus, mit einer früheren Immunsuppressiva-Behandlung und mit der Behandlungsdauer (1 bis 24 Monate versus 25 bis 48 Monate) assoziiert war. Zum Zeitpunkt der Analyse Ende Februar 2012 waren weltweit 212 bestätigte Fälle einer PML unter Natalizumab-Therapie bekannt. 99571 Patienten waren mit Natalizumab behandelt worden, was 209123 Patientenjahren und einer PML-Inzidenz von 2,1 Fällen/1000 Patienten entsprach.

Das PML-Risiko war umso höher, je länger die Patienten mit Natalizumab therapiert worden waren. Zudem waren Patienten mit PML zuvor häufiger mit Immunsuppressiva behandelt worden, als Patienten ohne PML. Zwischen der Dauer der immunsuppressiven Therapie und der Pause zwischen Immunsuppressiva- und Natalizumab-Behandlung ließ sich jedoch kein Zusammenhang mit der PML-Häufigkeit erkennen.

5896 Patienten waren vor der Natalizumab-Behandlung auf JCV-Antikörper getestet worden, wobei 54,9% positiv waren. Hieraus wurde eine PML-Inzidenz von 3,87/1000 Patienten bei positivem JCV-Antikörper-Nachweis und von 0/1000 Fällen bei Patienten ohne JCV-Antikörper errechnet. Das PML-Risiko ist also bei Patienten ohne JCV-Antikörper gering, allerdings können sie sich auch jederzeit während der Natalizumab-Behandlung mit dem Virus infizieren.

Besonders stark gefährdet sind nach dieser Analyse Antikörper-positive Patienten, die zuvor mit Immunsuppressiva behandelt worden waren und die mindestens 25 Monate Natalizumab erhalten haben. Die Inzidenz betrug hier 11,1/1000 Patienten, also 1 von 90 Patienten erkrankte an einer PML (Tab. 1).

Tab. 1. Risiko (Rate/1000 Patienten) einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie bei JCV-Antikörper-positiven MS-Patienten in Abhängigkeit von der Natalizumab-Behandlungsdauer und dem vorangegangenen Einsatz von Immunsuppressiva [nach 2]

Dauer der Natalizumab-
Behandlung

Keine Vorbehandlung mit
Immunsuppressiva

Vorbehandlung mit
Immunsuppressiva

1 bis 24 Monate

<1

2

25 bis 48 Monate

5

11

Ähnliche Ergebnisse zum JCV-Antikörper-Status erbrachte eine aktuell publizierte deutsche Studie, in der 58,8% von 2253 mit Natalizumab-behandelten MS-Patienten JCV-Antikörper-positiv waren. Alle zehn Patienten mit PML als Komplikation waren ebenfalls Antikörper-positiv.

Quellen

1. Bloomgren G, et al. Risk of natalizumab-associated progressive multifocal leukencephalopathy. N Engl J Med 2012;366:1870–80.

2. Ropper A. Predicting risk of progressive multifocal leukoencephalopathy from natalizumab. N Engl J Med 2012;366:1938–9.

3. Trampe AK, et al. Anti-JC virus antibodies in a large German natalizumab-treated multiple sclerosis cohort. Neurology 2012;78:1736–42.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(04)