Diagnose und Pharmakotherapie der Alzheimer-Demenz in der klinischen Praxis


Ergebnisse einer Befragung in bayerischen Fachkrankenhäusern

Gerd Laux, Wasserburg a. Inn/München, Wolfgang Janetzky, Hamburg, und Jörg Schnitker, Bielefeld

In den letzten Jahren wurden Antidementiva durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einer Nutzenwertung unterzogen und in Leitlinien neu bewertet. Auch wenn sich beispielsweise in der S3-Leitlinie wissenschaftliche Evidenz und praktische Erfahrung ergänzen, sollte das Bild durch Angaben zur klinischen Routine bei der Behandlung speziell der Alzheimer-Demenz (AD) abgerundet werden. Hierzu wurde mittels Fragebogen eine Befragung von Klinik-Fachärzten zu Diagnostik und Pharmakotherapie der Alzheimer-Demenz durchgeführt. Die Angaben von 30 Ärzten weisen bei Einweisung in die Klinik nur auf einen geringen Anteil diagnostizierter und behandelter AD-Patienten hin. Als wichtigste Gründe für die Einweisung werden Verhaltensstörungen (v. a. Aggression, Reizbarkeit und Unruhe) und eingeschränkte Alltagsfähigkeiten (v. a. Hygiene, Pflegebedürftigkeit und Unselbständigkeit) angegeben. In der klinischen Diagnostik der Alzheimer-Demenz sind neuropsychologische Tests und bildgebende Verfahren Standard, während Liquoruntersuchungen eine untergeordnete Rolle spielen. Sowohl bei der Diagnosestellung als auch bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz zeigt sich eine differenzierte, Schweregrad-abhängige Vorgehensweise: Im leichten Stadium stehen eher kognitive Fähigkeiten im Vordergrund, im schweren Stadium dagegen Verhaltensauffälligkeiten. Zu den Erwartungen an die Pharmakotherapie, die sich vorwiegend auf Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantin stützt, zählen Verbesserung der Symptome im leichten, Stagnation im mittleren und Verzögerung im schweren Stadium. Als Nutzen der Therapie werden vorwiegend die Verbesserung von Verhaltenssymptomen und die Verlangsamung der Progression angesehen.
Schlüsselwörter: Alzheimer-Demenz, Therapieerwartung, Therapieverlauf, Antidementiva
Psychopharmakotherapie 2012;19:163–8.

Die ambulante Verordnung von Antidementiva ist nach den Daten des Arzneimittel-Verordnungsreports insgesamt rückläufig, obwohl es aufgrund der sich verschiebenden Alterspyramide mit einem sich erhöhenden Anteil älterer und alter Menschen zu einer Zunahme der Fälle von Demenz kommt. Während 1992 rein rechnerisch 1,4 Millionen Patienten mit Nootropika/Antidementiva (vor allem Ginkgo biloba, Piracetam und Nicergolin) behandelt wurden, waren es im Jahre 2009 lediglich rund 280000 Patienten. Das Verordnungsspektrum hat sich in diesem Zeitraum zu den eigentlichen Antidementiva (Acetylcholinesterase-Hemmern [AChE-I], und Memantin) hin verschoben – mit diesen wurden rein rechnerisch etwa 211000 Patienten in Deutschland ambulant behandelt –, während Nootropika und Ginkgo biloba wesentlich seltener verordnet wurden [14]. Angesichts von schätzungsweise einer Million Demenz-Patienten [1, 2, 18] ist die Aussage des Arzneimittelreports, dass die Fehlversorgung verringert wird, kritisch zu hinterfragen. Die Zahlen deuten eher auf eine noch immer bestehende und zunehmende Unterversorgung von Patienten mit Demenz hin. Sowohl in der aktuellen S3-Leitlinie zur Demenz-Therapie, die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) herausgegeben wurde [2], als auch in der Leitlinie des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) [10] werden Acetylcholinesterase-Hemmer bei leichter bis moderater und Memantin bei moderater bis schwerer Demenz vom Alzheimer-Typ empfohlen. Das NICE empfiehlt, dass eine Behandlung durch Psychiater, Neurologen und geriatrisch tätige Ärzte mit ausreichender Erfahrung begonnen wird [10].

Die zunehmende Bedeutung speziell der Alzheimer-Demenz (AD) spiegelt sich indirekt auch in einer zunehmenden Zahl von Studien und Publikationen wider, in denen die Sichtweisen von Patienten, Angehörigen, Ärzten und Krankenkassen auf verschiedene Aspekte der Demenz (u.a. in Hinblick auf „typische“ Symptome, Erwartungen an die Therapie) erfasst werden. Für Deutschland liegen neben den Ergebnissen der IMPACT-Umfrage (http:// www.alz.co.uk/impact-study, [7, 13]) Daten aus Sicht der Angehörigen [3], von niedergelassenen Fachärzten [12] und Pflegediensten [4] vor. Sie sollen durch die vorliegende Umfrage bei Klinikern ergänzt werden.

Methodik

Die Daten entstammen einer Umfrage mittels elektronischem Fragebogen an 21 psychiatrischen Versorgungskliniken in Bayern. Die Befragung erfolgte über den Verteiler der Konferenz der Bayerischen Direktoren im Jahre 2011.

Die in vorliegender Publikation dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf folgende Fragenkomplexe:

  • Allgemeine Angaben der antwortenden Ärzte (u.a. zur fachlichen Tätigkeit)
  • Basisdaten der Patienten (u.a. Anzahl der Patienten mit vorbestehender Diagnose und Therapie, Einweisungsgrund, Begleiterkrankung und -medikation)
  • Diagnose (u.a. diagnostische Verfahren, Gewichtung der Domänen und Leitsymptome bei der Diagnose in Abhängigkeit vom Schweregrad)
  • Therapie (u.a. Einschätzung der Wirksamkeit von Antidementiva, Kriterien zur Beurteilung des Therapieverlaufs in Abhängigkeit vom Schweregrad der AD)

Der Fragebogen kann unter www.ppt-online.de eingesehen werden.

Die statistische Auswertung erfolgte als beschreibende Statistik und basiert im Wesentlichen auf Häufigkeitsverteilungen und der Berechnung prozentualer Anteile bzw. visueller Analogskalen.

Soweit in verschiedenen Fragestellungen und Analogskalen klassifiziert werden sollte (u.a. zwischen den Polen „unwirksam“ und „sehr wirksam“), wurden Rankings erstellt. Auf dieser Basis wurde der Friedman-Test eingesetzt, um die einzelnen Ränge miteinander zu vergleichen. Bei statistisch signifikanten Unterschieden zwischen den Rängen wurde mit Nachfolgetests zum Friedman-Test auf Signifikanz geprüft.

Ergebnisse

Der Fragebogen wurde an 21 Kliniken versandt. Aus zehn Institutionen (48%) liegen insgesamt 30 ausgefüllte Bögen vor. Die beteiligten Ärzte waren – soweit angegeben – Neurologen (n=6) und Psychiater (n=22, mit Mehrfachnennungen).

Vier Neurologen tragen die Zusatzbezeichnung Psychotherapie, acht Psychiater die Zusatzbezeichnung Gerontopsychiater. Die fachliche Tätigkeit wird im Median seit 15 Jahren (min. 1, max. 34 Jahre) ausgeübt.

Stationärer Bereich

Für die Einweisung von Patienten mit Alzheimer-Demenz in den stationären Bereich wurden Verhaltenssymptome und Beeinträchtigungen der Aktivitäten als die wesentlichsten Gründe genannt (Verhalten: 76,7% sehr wichtig, Alltagsaktivitäten: 26,7% sehr wichtig, 50,0% wichtig), während Beeinträchtigungen der Kognition oder andere Gründe als weniger oder nicht wichtig eingestuft wurden (Kognition: 53,3% weniger wichtig, andere Gründe: 80,0% nicht wichtig).

Bei der Frage nach den jeweils wichtigsten Leitsymptomen bei Einweisung wurden am häufigsten Aggression/Reizbarkeit, Unruhe, Beeinträchtigung der Hygiene und Pflegebedürftigkeit/Unselbständigkeit genannt.

Auch wenn für die Einweisung in den stationären Bereich Demenz-typische Symptome wesentlich waren, gab lediglich ein Drittel der befragten Ärzte (33,3%) an, dass der Anteil der Patienten mit bei Einweisung bestehender Diagnose über 50% liegt; knapp 50% bezifferten den Anteil der bereits diagnostizierten Patienten auf 20% oder 0% (Abb. 1).

Abb. 1. Anteil der Patienten mit Diagnose (links) und antidementiver Behandlung (rechts) bei stationärer Aufnahme

Entsprechend den Angaben zur vorbestehenden Diagnose war der Anteil der Patienten mit adäquater antidementiver Behandlung gering. Die Mehrzahl der Ärzte gab an, dass der Anteil der vorbehandelten Patienten unter 50% lag (in 43,3% der Fragebögen wurde die Quote mit <50%, bei weiteren 43,3% mit entweder <20% oder 0% angegeben) (Abb. 1).

Soweit Patienten eine Vorbehandlung hatten, war diese vorrangig ein Acetylcholinesterase-Hemmer oder Memantin, gefolgt von Ginkgo biloba oder einer Kombination aus verschiedenen Antidementiva. Andere Arzneistoffe (z.B. Piracetam) spielten dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

Ambulanter Bereich

Die stationäre Versorgung von Patienten mit Alzheimer-Demenz wird bei knapp drei Viertel durch ambulante Angebote ergänzt – in der Regel durch Gedächtnissprechstunden und/oder Selbsthilfegruppen für Angehörige (15 bzw. 13 Nennungen, Mehrfachnennungen möglich).

Im ambulanten Bereich war der Anteil der Patienten mit vorbestehender Diagnose geringer als im stationären Bereich (22,7% der Ärzte gaben den Anteil der diagnostizierten Patienten mit<50% an; 50% der Ärzte gaben an, dass keine Diagnose vorlag).

Soweit eine Diagnose bestand, waren die Patienten im ambulanten Bereich vorwiegend im leichten oder moderaten Stadium der Alzheimer-Demenz (39,1% bzw. 39%), während sich die Patienten im stationären Bereich eher in einem fortgeschritteneren Stadium befanden (33,1% moderate, 29,6% schwere AD). Im Gegensatz zum stationären Bereich gaben mehr Ärzte (31,8%) an, dass der Anteil der im ambulanten Bereich vorbehandelten Patienten über 50% lag. Allerdings war im ambulanten Bereich auch der Anteil nichtbehandelter Patienten sehr hoch (40,9% der Ärzte gaben an, dass keine Vorbehandlung bestand).

Diagnose der Alzheimer-Demenz

Bei der Diagnose der Alzheimer-Demenz werden im Median bei allen Patienten neuropsychologische Testverfahren verwendet. Die Mehrzahl der Patienten (85,5%) wird außerdem mittels bildgebender Verfahren (vorwiegend CT, MRT) untersucht. Dagegen spielen Liquoruntersuchungen (Median: 20%) eine untergeordnete Rolle.

Bei den Antworten auf die Frage „Welches sind für Sie die wichtigsten Domänen bei der Diagnose der Alzheimer-Demenz?“ ergibt sich ein differenziertes Stadien-abhängiges Bild (Abb. 2). Kognitive Defizite sind bei leichter Alzheimer-Demenz stärker wegweisend für die Diagnosefindung als bei schwerer Alzheimer-Demenz (Kognition: 60% „sehr wichtig“ bei leichter AD, 16,7% bei schwerer AD), während die Bedeutung der Verhaltenssymptome mit dem Schweregrad der Demenz zunimmt (16,7% „sehr wichtig“ bei leichter AD, 63,3% bei schwerer AD).

Abb. 2. Einstufung der Domänen bei der Diagnose der Alzheimer-Demenz nach „Wichtigkeit“

Alltagsaktivitäten wird eine eher gleich bleibende Bedeutung in allen Schweregraden der Alzheimer-Demenz zugeschrieben.

Bei der Frage nach den jeweils wichtigsten Leitsymptomen wurden Gedächtnisstörungen eher bei der Diagnose im leichteren Stadium und Orientierungs- und Sprachstörungen im fortgeschritteneren Stadium genannt. Bei den Alltagsaktivitäten stehen die Beeinträchtigungen der Hygiene sowie Pflegebedürftigkeit und Unselbstständigkeit im Vordergrund, bei Verhaltensauffälligkeiten vor allem Störungen des Sozialverhaltens, Apathie, Depression, Angst, Reizbarkeit und Aggression.

Insgesamt sind bei der Diagnose der Alzheimer-Demenz Beeinträchtigungen der kognitiven und alltagspraktischen Fähigkeiten wichtiger als Verhaltensstörungen, denen wiederum für die stationäre Einweisung Bedeutung zugeschrieben wird.

Therapie der Alzheimer-Demenz

Entsprechend der differenzierten Betrachtung der Alzheimer-Demenz bei der Diagnose-Stellung unterscheiden sich auch die Erwartungen an eine Therapie in Abhängigkeit vom Stadium der Erkrankung (Abb. 3).

Abb. 3. Erwartungen an die Therapie der Alzheimer-Demenz differenziert nach Schweregrad der Erkrankung am Beispiel des klinischen Gesamteindrucks

Während bei der leichten Alzheimer-Demenz durchgängig eine Verbesserung der Symptome in den Bereichen Kognition, Alltagsaktivitäten, Verhalten und klinischer Gesamteindruck (73,1%/88,5%/83,3%/88,0%) erwartet wird, zielen die Erwartungen bei der Therapie der moderaten Alzheimer-Demenz auf eine Stagnation und im schweren Stadium auf eine Verzögerung der jeweiligen Symptome (Kognition 64,0% bzw. 77,3%; Alltagsaktivitäten: 48,0% bzw. 56,5%; klinischer Gesamteindruck 58,3% bzw. 40,9% für Stagnation im moderaten bzw. Verzögerung im schweren Stadium). Eine Ausnahme bildet das Verhalten, bei dem auch im moderaten und schweren Stadium vorwiegend eine Verbesserung (54,2% bzw. 43.5%) erwartet wird.

Bei der medikamentösen Therapie der Alzheimer-Demenz werden vier Präparate(-gruppen) eingesetzt, deren Wirksamkeit in Abhängigkeit vom Schweregrad beurteilt werden sollte (Abb. 4).

Abb. 4. Einschätzung der Wirksamkeit von Achetylcholinesterase-Hemmern (AChE-I), Memantin, Ginkgo und Nootropika in Abhängigkeit vom Schweregrad der Alzheimer-Demenz

Bei leichter und moderater Alzheimer-Demenz sind Acetylcholinesterase-Hemmer Arzneistoffe der ersten Wahl, während Memantin – besonders bei moderater Alzheimer-Demenz – als Medikament der zweiten Wahl eingesetzt wird. Häufig sind aber auch Präparatewechsel innerhalb der Acetylcholinesterase-Hemmer. Bei schwerer Alzheimer-Demenz ist Memantin Medikament der ersten Wahl, Acetylcholinesterase-Hemmer sind Medikamente der zweiten Wahl. Dagegen werden Nootropika und Ginkgo biloba als weniger wirksam eingestuft.

Soweit neben der Monotherapie auch eine Kombinationstherapie zur Behandlung der Alzheimer-Demenz eingesetzt wurde, stand die Kombination aus einem Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantin im Vordergrund. Die Wirksamkeit der Kombinationstherapie wurde auf einer Skala von 0 (keine Unterschiede zur Monotherapie) bis 100 (deutlich wirksamer) mit einem mittleren Effekt (Median 52,1) eingeordnet.

Bei der Frage nach der geeigneten antidementiven Therapie spielt neben dem Schweregrad der Alzheimer-Demenz die Komorbidität der Patienten eine wichtige Rolle. Als häufigste behandlungsbedürftige Begleiterkrankungen werden arterielle Hypertonie, Arteriosklerose, Herzinsuffizienz und Diabetes mellitus (jeweils 40 bis 68%) genannt.

Bei Bluthochdruck und Diabetes mellitus stellen Acetylcholinesterase-Hemmer die vorherrschende Präparategruppe der ersten Wahl dar, während Memantin bei Herz- und Lungenerkrankungen als Mittel der ersten Wahl gilt.

Psychotrope Begleitmedikation

Neben den Antidementiva wird von der Mehrzahl der Ärzte (86,7%) auch eine psychotrope Begleitmedikation eingesetzt (Abb. 5).

Abb. 5. Psychotrope Begleitmedikation bei Patienten mit Alzheimer-Demenz

Neuroleptika und Antidepressiva erhielt jeder zweite Patient mit Alzheimer-Demenz (49,8% bzw. 46,9%), während andere Medikamente eine geringere Rolle spielen.

Therapieverlauf

Die differenzierte Stadien-spezifische Betrachtungsweise bei der Behandlung von Patienten mit Alzheimer-Demenz findet sich nicht nur in der Diagnose und Therapie, sondern auch bei der Beurteilung des Therapieverlaufs.

Hinsichtlich der Kognition ist auffällig, dass Gedächtnisstörungen nur bei leichter Alzheimer-Demenz als wichtigstes Einzelsymptom (46,7%) zur Beurteilung des Therapieverlaufs genannt werden, während sie bereits im moderaten Stadium eine geringere Rolle (26,7%) spielen. Im letztgenannten Stadium sind daneben auch Orientierungsstörungen wichtig (23,3%), die auch bei der Beurteilung des Therapieverlaufs bei schwerer Alzheimer-Demenz als wichtig (20,0%) eingestuft werden.

Bezüglich der Alltagsaktivitäten zeigt sich, dass Pflegebedürftigkeit/Unselbstständigkeit mit zunehmender Schwere der Alzheimer-Demenz eine abnehmende Wichtigkeit bei der Beurteilung des Therapieverlaufs hat (leichte AD 33,3%; moderate AD 26,7%, schwere AD 10,0%), während Beeinträchtigung der Hygiene bzw. der Bewegung und Motorik nur in den moderaten und schweren Stadien Beurteilungskriterien sind (moderate AD 16,7% bzw. 20,0%, schwere AD 10,0% bzw. 16,7%).

Verhaltenssymptome, die wichtige Beurteilungskriterien darstellen, sind im leichten Stadium Depression und Apathie (33,3%) und im schweren Stadium Aggression/Reizbarkeit (26,7%).

Auf die Frage nach den Gründen für die Beendigung einer antidementiven Therapie wurden unerwünschte Arzneimittelwirkungen (n=25), mangelnde klinische Wirksamkeit (n=19) und Wechselwirkungen (n=13) am häufigsten genannt, während andere Faktoren wie Bettlägerigkeit oder Pflegebedürftigkeit (n=3 bzw. 2) eine vernachlässigbare Rolle spielen.

Kommentare zur Frage nach dem entscheidenden Nutzen einer antidementiven Therapie fanden sich in 16 Fragebögen. Hier standen die Verbesserung der Verhaltenssymptome (n=8) und die Verlangsamung der Progression im Vordergrund (n=6), während die Verbesserung der Lebensqualität und die Stabilisierung der Kognition und des Verhaltens jeweils einmal genannt wurden.

Diskussion

Die Ergebnisse der vorliegenden Umfrage sind aufgrund der Anzahl an beantworteten Fragebögen als Trend zu bewerten, der die aktuelle Situation der Versorgung von Menschen mit Alzheimer-Demenz widerspiegelt. Die Ergebnisse deuten auf eine Unterversorgung im ambulanten Bereich hin, was sich daran zeigt, dass Menschen zwar aufgrund Demenz-typischer Symptome in den stationären Bereich eingewiesen werden, aber oftmals erst dort diagnostiziert und behandelt werden. Diese Annahme wird durch die Ergebnisse der DIAS-Studie bestätigt [4]. Dort wurden 903 ambulante Pflegedienste, die insgesamt 64970 Patienten betreuten, befragt. Von den betreuten Patienten hatten 12975 eine ärztlich diagnostizierte Demenz (46% der Patienten mit leichter, 36% mit fortgeschrittener und 18% mit schwerer Demenz), bei weiteren 6973 Patienten wurde eine Demenz vom Pflegedienst vermutet, aber nicht ärztlich diagnostiziert. Von den ärztlich diagnostizierten Patienten erhielt die Mehrheit (55%) keine Antidementiva, 16% erhielten „andere“ Antidementiva (vor allem Ginkgo biloba), die bei Hirnleistungsstörungen zugelassen sind, und nur 29% ein Antidementivum im engeren Sinne (18% AChE-I, 11% Memantin). Basierend auf Krankenkassenabrechnungsdaten wurde jüngst publiziert, dass bei der Mehrzahl der neu diagnostizierten Demenz-Erkrankungen in Deutschland kein Antidementivum gemäß den Leitlinien verordnet wurde (Hausärzte mehr als Fachärzte). Bei der Verordnung wurde außerdem häufig nicht adäquat dosiert [17]. Gründe für diese Unterversorgung könnten Unsicherheiten im Umgang mit Patienten mit Alzheimer-Demenz und deren Angehörigen sein, die von den Ärzten selbst als gering eingeschätzte Kenntnisse bei Diagnose und Behandlung der Alzheimer-Demenz oder Zweifel an der Wirksamkeit von Antidementiva [8, 9]. Letztgenannte Einschätzung kann darauf zurückzuführen sein, dass der Therapieverlauf und -erfolg im Einzelfall schwer zu klassifizieren ist [11], da es sich bei Alzheimer-Demenz um eine progressive Erkrankung handelt und sich der Krankheitszustand des Betroffenen im zeitlichen Verlauf verschlechtert. Aus fachärztlicher Sicht zeigte sich, dass mehr als zwei Drittel der behandelnden Fachärzte (Neurologen, Psychiater) den Antidementiva eine mindestens zufriedenstellende Wirkung bescheinigen [12].

Des Weiteren scheinen auch die derzeitigen Budgetbedingungen zur Unterversorgung beizutragen [8, 9]. Der Furcht vor Überschreitung des Medikamentenbudgets und vor einem nicht finanzierbaren Behandlungsaufwand [9] steht die Studie von Kiencke et al. [5] gegenüber. Kiencke et al. analysierten anonymisierte Abrechnungsdaten von Patienten mit Alzheimer-Demenz und konnten zeigen, dass Patienten mit Memantin-Behandlung geringere durchschnittliche Gesamtkosten verursachten als solche, die statt Antidementiva Psychopharmaka bzw. Hypnotika/Sedativa erhielten (7028 Euro bzw. 13549 Euro). Dieser Kostenunterschied war durch einen erhöhten Pflegeaufwand bei der letztgenannten Patientengruppe verursacht.

Als Grund für die Einweisung in den stationären Bereich wurden in vorliegender Umfrage am häufigsten Aggression/Reizbarkeit, Unruhe, Beeinträchtigung der Hygiene und Pflegebedürftigkeit/Unselbstständigkeit genannt. Diese Angaben decken sich mit spezifischen Untersuchungen, die zeigen, dass genannte Symptome, aber auch weitere Faktoren wie das soziale Netzwerk bei der Einweisung in den stationären Bereich ausschlaggebend sind [6, 15, 16].

Bei der Diagnose und Therapie(-erwartungen) der Alzheimer-Demenz und in Beurteilung des Therapieverlaufs zeigte sich in der Umfrage eine differenzierte Herangehensweise, die sich an dem Schweregrad der Erkrankung orientiert. Dieses Ergebnis zeigt sich auch bei den niedergelassenen Ärzten, die in der IMPACT-Studie [7, 13] befragt wurden. So wurde das leichte Stadium der Alzheimer-Demenz mit Gedächtnisstörungen (Vergessen neuer Informationen, Schwierigkeiten, Arbeitsaufgaben zu erledigen) in Verbindung gebracht, das schwere Stadium hingegen mit mangelnder Kommunikation und Schwierigkeiten bei der Selbstversorgung and den Alltagsaktivitäten [13]. Bei der Therapie wurden als häufigste Behandlungsziele die Verlangsamung beim Verlust der kognitiven und alltagspraktischen Fähigkeiten sowie die Verbesserung des Verhaltens genannt [13]. In der vorliegenden Umfrage zeigte sich, dass medizinische Gründe (unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Wechselwirkungen, mangelnde klinische Wirksamkeit) zur Beendigung der Therapie mit Antidementiva führen können. Dies entspricht der Ansicht, dass die medikamentöse Therapie wie bei anderen chronischen Erkrankungen, beispielsweise der Parkinson-Erkrankung, durchgeführt werden sollte [11].

Insgesamt zeigte sich, dass die Ärzte, die sich an der Umfrage beteiligten, eine adäquate und differenzierte Einschätzung der Diagnose und Therapie der Alzheimer-Demenz vor allem im Sinne einer Stadien-abhängigen Sichtweise geben, die einer progressiven Erkrankung angemessen ist.

Interessenkonflikte

Die Erhebung wurde von der Firma Lundbeck GmbH finanziell unterstützt. Die Datenanalyse erfolgte durch ein unabhängiges Institut.

Anmerkung

Der Fragebogen, der für die Datenerhebung verwendet wurde, ist online einsehbar unter www.ppt-online.de, Rubrik „Archiv/Downloads“.

Literatur

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Prof. Dr. med. Gerd Laux, Ärztlicher Direktor des kbo-Inn-Salzach-Klinikums, Gabersee 7, 83512 Wasserburg a. Inn, E-Mail: gerd.laux@kbo-isk.de

Dr. Wolfgang Janetzky, Lundbeck GmbH, Ericusspitze 2, 20457 Hamburg

Dr. Jörg Schnitker, Institut für angewandte Statistik (IAS), Oberntorwall 16, 33647 Bielefeld


Diagnosis and pharmacotherapy of Alzheimer’s disease in clinical practice: Results of a survey in Bavarian specialised hospitals

In the last years, the German Institute for Quality and Efficiency in Healthcare (IQWiG) performed a benefit evaluation on anti-dementia drugs and revaluated them in guidelines. Even though scientific evidence and practical knowledge are complementary, for example in guideline S3, a well-rounded picture should be given by means of information regarding clinical routine in the treatment, especially of Alzheimer’s disease (AD). For this purpose, a survey was conducted by hospital specialists by means of questionnaires on the diagnosis and pharmacotherapy of AD. At hospital admission, the information provided by 30 physicians only refers to a low proportion of diagnosed and treated AD patients. Behavioural disorders (above all aggression, irritability and agitation) and limited activities of daily living (above all hygiene, need for care and lack of independence) are the most important reasons for hospital admission. In the clinical diagnosis of AD, neuropsychological tests and imaging techniques are a standard, while CSF examinations are of minor importance. A differentiated approach depending on the degree of severity appears during the diagnosis process as well as in the treatment of AD: Cognitive functions are rather in the foreground at mild stage in contrast to behavioural abnormalities at severe stage. Improvements in the symptoms at mild stage, stagnation at middle stage and retardation at severe stage are among the expectations on pharmacotherapy, which is mainly based on acetylcholinesterase inhibitors and memantine. Improvement in behavioural symptoms and retardation of progression are mainly considered as benefit of the therapy.

Key words: Alzheimer’s disease, therapy expectations, course of the therapy, anti-dementia drugs

Psychopharmakotherapie 2012; 19(04)