Kongressbericht

165th Annual Meeting of the American Psychiatric Association


Abdol A. Ameri, Weidenstetten

Vom 5. bis 9. Mai fand in Philadelphia/USA der Kongress der American Psychiatric Association (APA) statt. Gemäß dem Kongressmotto „Integrated Care“ richtete sich die wissenschaftliche und klinische Perspektive der Organisatoren auch auf andere medizinische Fachgebiete und insbesondere auf die Kooperation mit Allgemeinmedizinern – eine Sichtweise, die im Hinblick auf den kontinuierlich steigenden Anteil älterer und komorbider Patienten in der Psychiatrie nicht genug gewürdigt werden kann.

In diesem Jahr präsentierte sich der APA-Kongress unter der Leitung von Prof. Dr. Kenneth R. Sitte von der University of Michigan mit einem breiten Themenspektrum. Die verschiedenen Veranstaltungen – Vorträge, Symposien, Kurse, Workshops, Fallkonferenzen und Posterpäsentationen – widmeten sich unter anderem den Themen Neurowissenschaften, Schizophrenie, bipolare Störungen, Persönlichkeitsstörungen, rechtliche Aspekte in der Psychiatrie und Militärpsychiatrie. Nicht fehlen durfte natürlich das Thema DSM-5: Im Rahmen von zehn Symposien, einem Forum und einem Hauptvortrag wurden die anstehenden Veränderungen im DSM-5-Manual intensiv beleuchtet, aber auch kontrovers diskutiert.

Zum ersten Mal präsentierte der APA-Kongress auch einen Ethik-Track bestehend aus zwei Symposien, zwölf Workshops, einem Seminar und einem Hauptvortrag rund um all die vielschichtigen ethischen Herausforderungen und Dilemmata in der Psychiatrie, angefangen von der Übermittlung der Diagnose bis hin zu Zwangseinweisungen.

Auf großes Interesse der Teilnehmer stieß außerdem der in Kooperation mit dem National Institute on Alcohol and Alcoholism (NIAA) veranstaltete Kongress-Track zum Thema „Integrating treatment for alcohol problems and co-occurring conditions in psychiatric care“ mit fünf Symposien, einem Forum, fünf Workshops und zwei Vorträgen zu den Fortschritten und Rückschlägen in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit.

Impression aus dem Ausstellungsbereich [Foto: Ameri]

Nichtmedikamentöse Therapieansätze in der Psychiatrie

Dass psychotherapeutische Interventionen eine relevante Rolle in der Psychiatrie spielen, zeigte sich in Philadelphia in zahlreichen Kongressbeiträgen. So berichtete Prof. Dr. David J. Miklowitz, Los Angeles/USA, dass psychotherapeutische Verfahren in Kombination mit einer adäquaten Pharmakotherapie vor allem bei bipolaren Störungen – sowohl in der Therapie akuter manischer Episoden als auch in der Erhaltungstherapie – zu einer affektiven Stabilisierung der Patienten und der Vermeidung von Krankenhausaufenthalten beitragen können. Neben Psychoedukation, kognitiver Verhaltenstherapie, interpersoneller und sozialer Rhythmustherapie favorisiert Miklowitz vor allem die Familien-fokussierte Therapie (FFT). Auch die FFT-Programme umfassen psychoedukative Ansätze. Eine intensive FFT befähigt die Familienangehörigen, den Patienten bei der regelmäßigen Einnahme seiner Medikamente zu unterstützen und erste Anzeichen für eine neue Episode rechtzeitig zu erkennen.

In einem viel beachteten Vortrag referierte Prof. Dr. Helen Mayberg von der Emory Universität in Atlanta/USA über die klinische Relevanz der tiefen Hirnstimulation (DBS, deep brain stimulation) in der Behandlung therapieresistenter Depression. Mayberg, die zu den Pionieren der DBS bei Depressionen gehört, stellte die Ergebnisse einer aktuellen Studie bei 17 Patienten mit schweren therapierefraktären unipolaren Depressionen oder Bipolar-II-Störungen vor. Zielort der Stimulation war die Area subcallosa des Gyrus cinguli. Der aktiven Stimulation ging eine vierwöchige Plazebo-Periode mit einer Scheinstimulation voraus. Nach zwei Jahren aktiver Stimulation lag die Responderrate bei 92% und die Remissionsrate bei 58%. Nach den Worten von Mayberg war die Wirksamkeit der DBS bei Patienten mit unipolarer und bipolarer Depression ähnlich.

Kontrovers: das geplante DSM-5

Ein Schwerpunktthema, das in verschiedenen Veranstaltungsreihen heftig diskutiert wurde, war die bevorstehende Publikation der fünften Auflage des Diagnosehandbuchs „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“, DSM-5. Das Diagnosesystem der APA für psychische Erkrankungen soll voraussichtlich im Mai 2013 erscheinen und dann das noch geltende DMS-IV ablösen. Bislang sind allerdings noch keine DSM-5-Kriterien endgültig definiert. Die Befürworter der Revision kritisieren, das DSM-IV sei unwissenschaftlich und weise symptomorientierte, reduktionistische Fehler auf. Für sie liegt der entscheidende Vorteil des DSM-5 in der Einführung dimensionaler Diagnosekriterien. Diese sollen die bisherigen Krankheitskategorien zwar nicht ersetzen, aber doch zunehmend ergänzen. Die Grundidee: Psychopathologische Phänomene wie Angst, Depressivität oder Hyperaktivität können nicht in klar voneinander abgrenzbare Kategorien eingeteilt werden.

Genau an diesem dimensionalen Ansatz entzündet sich jedoch die Kritik der DSM-5-Gegner. Sie befürchten, die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit könnte verschwimmen. Der Widerstand der Kritiker richtete sich insbesondere gegen die „Mixed Anxiety Depressive Disorder“, eine vage definierte Mischung aus Angst und Depression, und gegen das „Attenuated Psychosis Syndrome“, das Menschen mit Wahnvorstellung, Halluzinationen und Kommunikationsstörungen umfasst, die aber nicht das Vollbild einer Schizophrenie entwickeln. Beide Diagnosen werden nun wohl doch nicht in das DSM-5 aufgenommen werden. Auch die heftig umstrittene Trauer-Depression wird fallengelassen. Bis zum 15. Juni 2012 konnte der aktuelle Entwurf des DSM-5-Manuals mit den revidierten Diagnosekriterien zum dritten und letzten Mal kommentiert werden. Auf dem 166. APA-Kongress, der vom 18. bis 22. Mai 2013 in San Francisco stattfindet, soll das neue Diagnose-Handbuch offiziell vorgestellt werden.

Quelle

165. Kongress der American Psychiatric Association (APA), Philadelphia/USA, 5. bis 9. Mai 2012.

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Psychopharmakotherapie 2012; 19(04)