Generalisierte Angststörung

Als eigenständige Krankheitsentität bestätigt


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Das Krankheitskonzept der generalisierten Angststörung (GAD) besitzt trotz einiger Kritikpunkte eine valide neurobiologische und klinische Basis und ermöglicht eine reliable Diagnose. Ob eine Kombinationstherapie einer Pharmako- oder Psychotherapie allein vorzuziehen ist, ist im Einzelfall zu entscheiden. Zu diesem Ergebnis kamen die Teilnehmer eines Streitgesprächs unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München, auf dem DGPPN-Kongress 2011.

Seit der Konzeptualisierung der GAD im DSM IV wird von Kritikern bezweifelt, ob es sich dabei um eine eigenständige Entität handelt. Für Prof. Dr. Ulrich Wittchen, Dresden, ist die GAD neurobiologisch, psychologisch, epidemiologisch und klinisch von anderen psychischen Störungen abgrenzbar. Ein weiteres Indiz ist für ihn, dass die aus diesen Erkenntnissen abgeleiteten pharmakologischen und psychologischen Therapiekonzepte hinreichend spezifisch und wirksam sind. Die Arbeitsunfähigkeit von GAD-Patienten liegt im Langzeitverlauf mit knapp 28% deutlich höher als unter unipolaren Depressionen. Anders als bei Depressionen handelt es sich auch meistens um langfristige oder lebenslange und nicht um episodische Verläufe.

Prof. Dr. Michael Linden, Berlin, bewertete die psychopathologische Abgrenzbarkeit der GAD kritisch. Diagnostisch wegweisend sind für ihn die grundlosen Sorgen, die im DSM 5 als „worrying about minor hassles“ als Diagnosekriterium der GAD aufgeführt werden. GAD-Patienten haben demnach kein Erleben von Angst, sondern Sorgen. Diese Sorgen können so beherrschend werden, dass die Patienten formale Denkstörungen entwickeln.

Pharmako- und/oder Psychotherapie?

Zur Frage, ob eine Kombination aus Pharmako- und Psychotherapie einer Monotherapie überlegen ist, gibt es bei der GAD nur wenig harte Daten, beklagte Prof. Dr. Borwin Bandelow, Göttingen. Die heute verwendeten Medikamente wurden nicht direkt mit Psychotherapien verglichen [1]. Eine eigene, nicht publizierte Metaanalyse von 59 verfügbaren Studien ergab für die Pharmakotherapie eine etwas höhere Prä-Post-Effektstärke (Cohens d) als für eine Verhaltenstherapie (VT) (1,84 vs. 1,50). Bei vielen Studien mit einer kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) war eine Begleitmedikation möglich.

Für eine Kombinationstherapie spricht, dass Psychotherapie und Medikamente im Gehirn an unterschiedlichen Stellen wirken. Die Psychotherapie wirkt vor allem im präfrontalen Kortex. Dort erfolgt eine Bewertung der Angstgefühle und die Planung von Abwehrreaktionen. Medikamente wirken überall im Gehirn, auch auf primitive Angstzentren wie die Amygdala.

Dr. Dr. Reinhard Boerner, Quakenbrück, warnte vor einer Pauschalisierung der Therapieempfehlungen. Dies könne zugunsten eines „viel hilft viel“ falsch verstanden werden. Vor Beginn einer Kombinationstherapie müsse geprüft werden, ob zuvor die Therapiestandards eingehalten wurden und ob Psychotherapieplätze verfügbar sind. Allerdings wollen sich nicht alle Patienten mit ihren Sorgen aktiv auseinandersetzen. Für Boerner ist eine Kombinationstherapie nur bei spezifischen Indikationen begründbar, beispielsweise Therapieresistenz oder ausgeprägter Komorbidität.

Leitlinien-Empfehlungen

Die Therapieleitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) [2] nennen als Medikamente der ersten Wahl mit einer Level-A-Empfehlung Antidepressiva (selektive Serotonin- und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI, SSNRI]) sowie den Calciumkanalmodulator Pregabalin (Lyrica®). Pregabalin wird im Gegensatz zu den meisten Psychopharmaka unverstoffwechselt über die Niere ausgeschieden und eignet sich daher laut Bandelow auch gut als Kombinationspartner ohne erhöhtes Interaktionsrisiko über das Cytochrom-P450-System, beispielsweise bei einer Augmentationstherapie [3]. Eine aktuelle Auswertung mehrerer klinischer Studien mit einer Fixdosis von 150 bis 600 mg Pregabalin zeigt eine annähernd lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Die maximale Wirksamkeit gegen psychische Symptome der Angst wird bei einer Tagesdosis von 450 mg erreicht, bei den somatischen Symptomen der Angst liegt das Maximum bei 600 mg [4].

Für Psychotherapien liegt eine ausreichende Evidenz nur für die manualisierte KVT vor [2]. Bei anderen Interventionen, wie der psychodynamischen Therapie, ist die Datenlage bezüglich der GAD mit negativen und methodisch schwierig zu interpretierenden Studien inkonsistent.

Quelle

Prof. Dr. med. Hans Ulrich Wittchen, Dresden, Prof. Dr. med. Michael Linden, Berlin, Prof. Dr. med. Borwin Bandelow, Göttingen, Dr. Dr. med. Reinhard J. Boerner, Quakenbrück; Satellitensymposium „GAD näher beleuchtet: Gibt es eine reine GAD? Welche Therapie ist die beste?“, veranstaltet von Pfizer Pharma GmbH im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 23. November 2011.

Literatur

1. Bandelow B, et al. Meta-analysis of randomized controlled comparisons of psychopharmacological and psychological treatments for anxiety disorders. World J Psychiatry 2007;8:175–87.

2. Bandelow B, et al. World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for the pharmacological treatment of anxiety, obsessive-compulsive and post-traumatic stress disorders – first revision. World J Biol Psychiatry 2008;9:248–312.

3. Huh J, et al. Treatment of generalized anxiety disorder: a comprehensive review of the literature for psychopharmacologic alternatives to newer antidepressants and benzodiazepines. Prim Care Companion CNS Disord 2011;13:PCC08r00709.

4. Boschen MJ. Pregabalin: Dose-response relationship in generalized anxiety disorder. Pharmacopsychiatry 2012;45:51–6. Epub 2011 Nov 15.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(03)