Depression

Interpersonelle Psychotherapie erhöht die Rate anhaltender Remission


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer kontrollierten randomisierten Studie wurde die Wirksamkeit einer Kombination aus Pharmakotherapie und interpersoneller Psychotherapie (IPT) mit einer Pharmakotherapie plus üblicher klinischer Betreuung (clinical management, CM) bei stationären Patienten mit einer Major Depression verglichen. Primärer Wirksamkeitsparameter war der mittlere Score auf der Hamilton-Depressionsskala, 17-Item-Version (HAMD17). Am Ende der fünfwöchigen Behandlung sowie drei und zwölf Monate danach war der mittlere HAMD17-Score bei Patienten mit interpersoneller Psychotherapie signifikant stärker reduziert als bei Patienten ohne Psychotherapie. Nach fünf Jahren war der Unterschied im HAMD17-Score nicht mehr signifikant, jedoch waren nach dieser Zeit noch signifikant mehr IPT- als CM-Patienten stabil. Ein Vergleich der HAMD17-Scores der Patienten mit und ohne frühes Trauma zeigte, dass nur Patienten mit einem Trauma von der interpersonellen Psychotherapie profitierten. Bei Patienten ohne Trauma unterschieden sich die HAMD17-Scores der IPT- und der CM-Gruppe nicht signifikant.
Mit einem Autorenkommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach

Bei einer depressiven Erkrankung wird in vielen Fällen eine Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie für wirksamer gehalten als eine Pharmakotherapie allein. Bisher gibt es allerdings kaum Untersuchungen über die Langzeiteffekte der kombinierten Behandlung. Gerade die Langzeitwirkung ist bei dieser häufig rezidivierenden und oft lebenslangen Erkrankung ein wichtiges Kriterium für den Erfolg einer Therapie. Es gibt Untersuchungen, die dafür sprechen, dass psychologische Interventionen prophylaktische Wirkungen haben, indem sie den Patienten Bewältigungsstrategien zur Verzögerung oder Verhinderung eines Rezidivs anbieten. Einige Langzeitstudien ergaben allerdings, dass der Einfluss einer kombinierten Pharmakotherapie und Psychotherapie auf die Rückfallraten über einen Beobachtungszeitraum von ein bis zwei Jahren eher mäßig ist. In diesen Untersuchungen wurde generell eine kognitive Verhaltenstherapie mit der medikamentösen Behandlung kombiniert.

Die Wirksamkeit einer interpersonellen Psychotherapie (IPT) bei ambulanten Patienten ist bekannt, kontrollierte Studien bei stationären Patienten liegen dagegen noch nicht vor. In der vorliegenden Studie überprüften die Autoren ihre Hypothese, dass bei stationären Patienten unter einer Kombination von interpersoneller Psychotherapie und Pharmakotherapie die Symptome stärker reduziert werden und die Response- und Remissionsraten höher sind als unter einer Pharmakotherapie mit üblicher klinischer Betreuung (clinical management, CM) [1, 2].

Ein Faktor, der nach neueren Analysen vorhandener Daten den Langzeiteffekt einer Behandlung beeinflussen könnte, ist ein frühes Kindheitstrauma. Dieser Einfluss wurde auch in der vorliegenden Studie bei der Abschlussuntersuchung fünf Jahre nach der Behandlung ausgewertet.

Methoden

Patienten. Alle im Zeitraum zwischen November 2000 und August 2003 in die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg überwiesenen Patienten wurden auf ihre Eignung für eine Studienteilnahme untersucht. Einschlusskriterien waren die Diagnose einer Major Depression oder Bipolar-II-Störung nach DSM-IV (erste Episode oder rezidivierend) und ein Score von ≥16 auf der Hamilton-Depressionsskala, 17-Item-Version (HAMD17). Ausgeschlossen waren unter anderen Patienten mit einer psychischen Störung aus organischen Ursachen, einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, mit antisozialem Verhalten und schweren kognitiven Störungen.

Behandlungen. Die interpersonelle Psychotherapie wurde in 15 Einzelsitzungen mit einer Dauer von jeweils etwa 50 Minuten durchgeführt, verteilt auf drei Sitzungen pro Woche über fünf Wochen. Hinzu kamen acht Gruppensitzungen mit interpersoneller Psychotherapie.

Die Patienten der CM-Gruppe erhielten dreimal pro Woche in Sitzungen zu je 20 bis 25 Minuten eine psychoedukative und empathische Intervention von didaktisch trainierten Psychiatern.

Beide Gruppen bekamen eine offene Pharmakotherapie mit Sertralin (50 bis 250 mg/Tag; mittlere Enddosis 90,2 mg/Tag). Patienten mit bekannter Nonresponse auf Sertralin erhielten Amitriptylin oder Amitriptylinoxid (75 bis 360 mg/Tag; mittlere Enddosis 175,43 mg/Tag).

Beurteilung der Wirksamkeit. Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung des Gesamtscores der HAMD17. Sekundäre Messparameter waren unter anderen das Beck-Depressions-Inventar und die Skala zur globalen Erfassung des Funktionsniveaus (Global assessment of functioning scale, GAF).

Bei der abschließenden Beurteilung nach fünf Jahren wurde zudem das Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) eingesetzt. Das CTQ ist ein 28 Items umfassender retrospektiver Selbstbeurteilungsfragebogen, der körperlichen, sexuellen und emotionalen Missbrauch sowie körperliche und emotionale Vernachlässigung in vier Schweregrade unterteilt. Ein „frühes Trauma“ wurde angenommen, wenn bis zu einem Alter von 17 Jahren eine diese Erfahrungen „häufig“ bis „sehr häufig“ gemacht wurde.

Ein Ansprechen auf die Behandlung (Response) war definiert als Reduktion des HAMD17-Scores um ≥50% und eine Remission als ein Score von ≤7 auf der HAMD17. Ein anhaltendes Ansprechen war definiert als Response auf die Behandlung und Anhalten der Response ohne Rückfall während der Nachbeobachtungszeit. Eine anhaltende Remission war definiert als ein Score von ≤7 auf der HAMD17 nach der initialen Remission ohne Rückfall während der Nachbeobachtungszeit.

Die Wirksamkeit der Behandlung wurde fünf Wochen nach Beginn der Behandlung sowie drei Monate, zwölf Monate und fünf Jahre nach der Behandlung beurteilt. Die Beurteilungen wurden von unabhängigen Ratern (klinischen Psychologen) durchgeführt, die nicht an der Versorgung der Patienten beteiligt und auch nicht an der Klinik beschäftigt waren. Die Patienten waren angewiesen, bei der Beurteilung keine Angaben über ihre Behandlungsgruppe zu machen.

Ergebnisse

Patienten. Insgesamt wurden 124 Patienten randomisiert behandelt (IPT: n=63; CM: n=61). Von ihnen beendeten 105 die Studie (IPT: n=53; CM: n=52). 95% der Patienten wurden mithilfe des klinischen Gesamteindrucks (Clinical global impression, CGI) als deutlich bis ernsthaft krank beurteilt. Der mittlere HAMD17-Score lag bei 23,6 Punkten und der mittlere GAF-Score bei 46,4 Punkten (ernste Symptome, Beeinträchtigung der sozialen Funktion und der beruflichen Leistungsfähigkeit). 83% der Patienten waren ambulant und 44% der Patienten stationär vorbehandelt.

Wirksamkeit nach der Behandlung (Woche 5). Der HAMD-Score fiel in der Gruppe mit interpersoneller Psychotherapie signifikant stärker als in der Gruppe mit üblicher klinischer Betreuung: Nach fünf Wochen lag der mittlere HAMD17-Score in der IPT-Gruppe bei 8,9 Punkten und in der CM-Gruppe bei 11,8 Punkten (p=0,009; Abb. 1).

Abb. 1. Mittlere Scores auf der Hamilton-Depressionsskala (HAMD), 17-Item-Version, vom Einschluss bis zum Ende der Nachbeobachtungsphase bei Patienten mit einer Major Depression unter einer interpersonellen Psychotherapie oder einer üblichen klinischen Betreuung, jeweils in Kombination mit einer Pharmakotherapie (mit Darstellung des 95%-Konfidenzintervalls für den Behandlungsunterschied zwischen den Studiengruppen) [Zobel et al.]

Die Responseraten unterschieden sich im Anschluss an die Behandlung signifikant (70% ITP vs. 51% CM; p=0,043), während sich die Remissionsraten nicht signifikant unterschieden (49% ITP vs. 34% CM; p=0,105). Der GAF-Score verbesserte sich in beiden Gruppen, jedoch in der IPT-Gruppe signifikant mehr als in der CM-Gruppe (p=0,041). Im Beck-Depressions-Inventar zeigte sich kein signifikanter Unterschied.

Wirksamkeit in der Nachbeobachtungsphase. Sowohl drei als auch zwölf Monate nach der Behandlung war der mittlere HAMD17-Score der IPT-Gruppe noch signifikant niedriger als der der CM-Gruppe (Abb. 1, 3 Monate: p=0,016; 12 Monate: p=0,008). Eine nachhaltige Response nach drei Monaten zeigten 73% der initialen Responder in der IPT-Gruppe verglichen mit 47% der initialen Responder der CM-Gruppe (p=0,012). Zwölf Monate nach der Therapie war der Anteil der Patienten mit nachhaltiger Response in der IPT-Gruppe immer noch signifikant höher als in der CM-Gruppe (69% vs. 36%; p=0,002). Der Anteil der Patienten mit nachhaltiger Remission war zu beiden Zeitpunkten in den beiden Gruppen nicht signifikant verschieden.

Bei den mit interpersoneller Psychotherapie behandelten Patienten zeigte die GAF-Skala drei und zwölf Monate nach der akuten Behandlung ein signifikant höheres Funktionsniveau als bei den Patienten ohne Psychotherapie (3 Monate: p=0,034; 12 Monate: p=0,026).

Die Rückfallraten unterschieden sich nach drei Monaten signifikant (ITP: 2,6%; CM: 25%; p=0,008), sie waren aber nach zwölf Monaten nicht mehr statistisch signifikant verschieden.

Nach fünf Jahren hatten sich die mittleren HAMD-Scores beider Gruppen angeglichen (Abb. 1). Auch die GAF-Scores waren nicht mehr signifikant verschieden. Dagegen zeigten nach diesem Zeitraum noch signifikant mehr IPT- als CM-Patienten eine nachhaltige Remission (28% vs. 11%; p=0,032).

Die Analyse der CTQ-Daten ergab, dass 58% der IPT-Patienten und 42% der CM-Patienten ein kindliches Trauma erlebt hatten (Unterschied nicht signifikant); die häufigsten Ursachen waren emotionale und körperliche Vernachlässigung. Bei Patienten mit frühem Trauma ergab die Analyse der HAMD17-Scores eine Überlegenheit der interpersonellen Psychotherapie gegenüber der üblichen klinischen Betreuung (p=0,043). Bei Patienten ohne Trauma waren die Unterschiede dagegen nicht signifikant. Die Autoren schlagen vor, stationäre depressive Patienten routinemäßig auf ein frühes Trauma zu testen, um die Behandlung zu verbessern.

Kommentar

Die Ergebnisse dieser Studie sprechen dafür, dass die Kombination von interpersoneller Psychotherapie mit einer Pharmakotherapie nur bei Patienten mit einem frühen Trauma einer Pharmakotherapie plus üblicher Betreuung überlegen ist. Wenn die Autoren vorschlagen, bei der Anamnese stationärer depressiver Patienten stets nach einem frühen Trauma zu fragen, dann wollen sie damit vermutlich auch sagen, dass eine interpersonelle Psychotherapie vorzugsweise bei Patienten mit frühem Trauma eine aussichtsreiche Zusatztherapie sein kann. Immerhin wurde ein frühes Trauma bei etwa der Hälfte der eingeschlossenen Patienten angenommen. Eine solche Empfehlung muss man allerdings vor dem Hintergrund sehen, dass das Children Trauma Questionnaire als Screening-Instrument bei der Konzipierung dieser Studie nicht vorgesehen und die Untersuchung des Einflusses eines frühen Kindheitstraumas auf den Behandlungserfolg kein Studienziel war. Mehr Gewissheit sollten Studien geben, in denen diese Fragestellung ein primäres Studienziel ist.

Quellen

1. Schramm E, et al. An intensive treatment program of interpersonal psychotherapy plus pharmacotherapy for depressed inpatients: acute and long term results. Am J Psychiatry 2007;164:768–77.

2. Zobel I, et al. Long-term effect of combined interpersonal psychotherapy and pharmacotherapy in a randomized trial of depressed patients. Acta Psychiatr Scand 2011;123: 276–82.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(01)