Bipolare Störung

In Europa größere Behandlungserfolge als in den USA


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer Studie des Stanley Foundation Bipolar Network (SFBN) wurden klinische Merkmale, Wahl der Medikamente und Behandlungserfolg bei Patienten mit einer bipolaren Störung in den USA und in Europa untersucht. Nahezu alle Merkmale, die bekanntermaßen mit einem geringen Behandlungserfolg zusammenhängen, traten in den USA häufiger auf als in Europa. Lithium wurde in Europa häufiger und mit größerem Erfolg eingesetzt als in den USA. Valproinsäure wurde dagegen in den USA häufiger verordnet, zeigte jedoch in Europa eine tendenziell bessere Wirksamkeit. Andere Substanzen wurden in beiden Kontinenten ebenfalls unterschiedlich häufig angewandt, jedoch meist mit größerem Erfolg in Europa.

In mehreren Studien wurden klinische Merkmale gefunden, die mit einem erschwerten Krankheitsverlauf und geringem Behandlungserfolg bei bipolaren Störungen zusammenhängen. Dazu gehören Rapid Cycling, komorbide Angststörungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch/-abhängigkeit, das Auftreten affektiver Störungen in der Familie, ein früher Beginn der bipolaren Erkrankung (<13 Jahre) und eine Vorgeschichte als Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewaltanwendung.

Die Autoren der vorliegenden Studie untersuchten

  • das Auftreten klinischer Merkmale, die mit einem geringen Behandlungserfolg verbunden sind, in den USA und in Europa,
  • die medikamentöse Therapie und
  • die Erfolgsraten der Behandlung in beiden Kontinenten.

An der Studie waren vier Zentren in den USA sowie zwei Zentren in Deutschland (München, Freiburg) und eines in den Niederlanden beteiligt.

Methodik

Insgesamt wurden die Daten von 429 ambulanten Patienten mit einer akuten Episode erfasst, die im Zeitraum von 1996 bis 2002 zum Netzwerk kamen. Die demographischen Daten und die psychosoziale und familiäre Vorgeschichte wurden mit einem Fragebogen erhoben und die Diagnose einer bipolaren Störung wurde in einem klinischen strukturierten Interview für DSM-Erkrankungen bestätigt. Die Substanzen zur medikamentösen Behandlung wurden in fünf Gruppen zusammengefasst:

  • Stimmungsstabilisierende Arzneistoffe (Lithium, Carbamazepin, Valproinsäure, Lamotrigin),
  • andere Antikonvulsiva (Gabapentin, Topiramat; Oxcarbazepin),
  • Antidepressiva,
  • Antipsychotika und
  • Benzodiazepine.

Als erfolgreich galt eine Medikation, wenn sie über zwei Monate innerhalb der Responsezeit eingenommen wurde. Sie war nicht erfolgreich, wenn sie von einem Nonresponder eingenommen wurde oder vor Einsetzen der Response abgesetzt wurde.

Response war definiert als starke oder sehr starke Verbesserung im klinischen Gesamteindruck, Teil Zustandsänderung (CGI-I). In der vorliegenden Studie wurden der Einsatz von Medikamenten und die Erfolgsraten nur bei den Patienten untersucht, die beim Eintritt in das Netzwerk krank waren und bei denen deshalb die bisherige Therapie verändert werden musste.

Ergebnisse

Die meisten der klinischen Merkmale, die in der Literatur mit einem geringen Behandlungserfolg in Verbindung gebracht werden, treten in Europa signifikant seltener auf als in den USA (Tab. 1). Lediglich Wahnvorstellungen und Arbeitsunfähigkeit kamen bei den europäischen Patienten häufiger vor als bei den amerikanischen.

Tab. 1. Auftreten nachteiliger klinischer Merkmale bei bipolaren Patienten in den USA im Vergleich zu Deutschland und den Niederlanden [Post et al.]

US-Patienten

Europäische Patienten

Signifikanz
(p-Wert)

Rapid Cycling [%]

63,54

45,67

0,001

Angststörungen [%]

46,94

32,03

0,004

Alkohol-/Substanzmissbrauch [%]

47,99

29,46

0,000

Körperliche od. sexuelle Gewalt [%]

47,50

29,00

0,001

Familiäre affektive Störungen [%]

41,37

12,80

0,000

>20 bisherige Episoden [%]

73,95

41,13

0,000

Arbeitsunfähigkeit [%]

38,93

55,28

0,003

Bipolar-I-Subtyp [%]

80,89

78,40

0,593

Wahnvorstellungen [%]

53,55

67,46

0,009

Erkrankungsbeginn [Jahre] (Mittelwert)

18,8

24,8

0,000

Die Autoren untersuchten, wie viele der in Tabelle 1 genannten nachteiligen prognostischen Faktoren in den untersuchten Patienten jeweils vorkamen. Die Merkmale affektive Störungen in der Familie, Arbeitsunfähigkeit, Bipolar-I-Subtyp und Wahnvorstellungen wurden dabei nicht in Betracht gezogen, da die Studien über den Einfluss dieser Merkmale auf das Behandlungsergebnis zu uneinheitlichen Ergebnisse kamen. Abbildung 1 zeigt daher die Verteilung von nur sechs Risikofaktoren bei amerikanischen und europäischen Patienten.

Abb. 1. Häufigkeit des Auftretens von Risikofaktoren (Rapid Cycling, komorbide Angststörungen, Alkohol-/Substanzmissbrauch, Opfer körperlicher/sexueller Gewalt, >20 bisherige Episoden und Erkrankungsbeginn im Jugendalter) bei Patienten in den USA und Europa

Die Verteilung zeigt eine stärkere Akkumulation von Risikofaktoren bei amerikanischen im Vergleich zu europäischen Patienten. Der Unterschied in der Häufigkeit des Vorliegens von gleichzeitig sechs Risikofaktoren ist hochsignifikant (p=0,001).

Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Kontinenten zeigte sich in der Wahl der medikamentösen Therapie. So wurde Lithium bei 81,4% der europäischen, aber nur bei 55,3% der amerikanischen Patienten eingesetzt (p=0,001). Valproinsäure dagegen erhielten mehr amerikanische (68%) als europäische Patienten (55,3%; p=0,016). Auch andere Antikonvulsiva wurden in Amerika deutlich häufiger verwendet (60,7%) als in Europa (7,8%; p=0,001). Weitere Unterschiede bestanden im Einsatz von Antidepressiva (häufiger in den USA, p=0,001), Benzodiazepinen und typischen Antipsychotika (häufiger in Europa; p=0,001 bzw. p=0,025) sowie atypischen Antipsychotika (häufiger in den USA; p=0,001).

Der Behandlungserfolg war in der Regel bei europäischen Patienten größer als bei amerikanischen Patienten. Das galt vor allem für die Lithium-Therapie, die bei 28,9% der amerikanischen, aber bei 49,5% der europäischen Patienten erfolgreich war (p=0,001). Der Erfolg der anderen Medikamentengruppe war in Europa tendenziell besser als in den USA. Nur die Therapie mit der Gruppe der „anderen Antikonvulsiva“ war in den USA erfolgreicher (17%) als in Europa (10,0%; p=0,042).

In der Diskussion machen die Autoren darauf aufmerksam, dass es neben den Unterschieden in der Verteilung der untersuchten Risikofaktoren weitere Unterschiede in der Behandlung zwischen beiden Kontinenten gab. So könnte auch der schwierigere Zugang zu den staatlich geförderten Gesundheitsdiensten in den USA und damit verbunden ein verspäteter Behandlungsbeginn zu den geringeren Behandlungserfolgen beigetragen haben.

Kommentar

Im Bericht dieser Studie werden die beiden deutschen und das niederländische Zentrum verkürzt Europa genannt. Es ist jedoch fraglich, ob diese drei Zentren mit ihren Patientenmerkmalen, Behandlungsmethoden und -erfolgen stellvertretend für Europa stehen können und die Studie treffend die Unterschiede zwischen beiden Kontinenten zeigt. Das wesentliche Verdienst der Autoren dürfte eher darin liegen, dass sie die in der Literatur berichteten Risikofaktoren für einen Behandlungserfolg zusammengestellt haben und zeigen können, dass eine Häufung dieser Faktoren tatsächlich eine erfolgreiche Behandlung erschwert. Es ist schwer einzuschätzen, ob die Kenntnis dieser Merkmale dem behandelnden Arzt bei seinen therapeutischen Maßnahmen hilft, oder ob sie eher dazu beiträgt, gute oder weniger gute Behandlungserfolge besser zu verstehen.

Quelle

Post RM, et al. Differential clinical characteristics, medication usage, and treatment response of bipolar disorder in the US versus the Netherlands and Germany. Int Clin Psychopharmacol 2011;26:96–106.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(05)