Fingolimod (Gilenya®) – Preisfindung auf Basis der frühen Nutzenbewertung


Jürgen Fritze, Pulheim

Zu diesem Beitrag existiert ein Korrekturhinweis

Korrekturhinweis

In diesem Beitrag wurde Extavia® irrtümlich als Beispiel eines Biosimilars genannt. Korrekt ist, dass der in diesem Präparat enthaltene Wirkstoff (Interferon beta-1b) identisch ist mit dem Wirkstoff, der im Originalpräparat Betaferon® enthalten ist. Beide Arzneimittel werden in derselben Fabrik hergestellt. Extavia® ist daher bioidentisch zu Betaferon®.

Die beiden Fertigarzneimittel unterscheiden sich jedoch in der Verpackung und im mitgelieferten Zubehör, das für die Zubereitung und Applikation der Injektionslösung benötigt wird. Unterschiede in der Handhabung – etwa bei der Rekonstitution der Lösung oder beim Aufziehen der Lösung in die Spritze – können für motorisch beeinträchtigte MS-Patienten aber durchaus relevant sein. (Red.)

Im März 2011 hat die Europäische Kommission Fingolimod (Gilenya®) als „krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver schubförmig-remittierend verlaufender multipler Sklerose“ sinngemäß bei erwachsenen Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Beta-Interferon oder mit zwei oder mehr Schüben mit Behinderungsprogression in einem Jahr und Zunahme Gadolinium-anreichernder oder T2-Läsionen im MRT zugelassen (bezüglich weiterer Details wird auf die Formulierung der Fachinformation verwiesen). Dies nimmt die Psychopharmakotherapie zum Anlass, das seit 1. Januar 2011 in Kraft befindliche gesetzliche Verfahren der frühen Nutzenbewertung und Rabattvereinbarung exemplarisch zu skizzieren.

Gilenya® wird ein hochpreisiges Arzneimittel: Die orale Tagesdosis, eine Einmalgabe von 0,5 mg, kostet 83,79 Euro (Apothekenverkaufspreis einer Packung mit 28 Hartkapseln: 2346,16 Euro), die Jahrestherapiekosten belaufen sich also auf 30583,87 Euro und liegen damit 40 bis 60% über denen der Beta-Interferone und des Glatirameracetats (Copaxone®). Sie liegen etwa 20-fach über denen von Mitoxantron und etwa 30-fach über denen von Azathioprin. Nur die Kosten von Natalizumab (Tysabri®) liegen in derselben Größenordnung wie die Kosten von Fingolimod. Postuliert man, dass nur 10% der etwa 100000 an schubförmig remittierender multipler Sklerose leidenden Kranken (85% der MS-Kranken) in Deutschland die diagnostischen Kriterien erfüllen und sich für Fingolimod entscheiden, so wären damit Ausgaben der Krankenversicherung in Höhe von etwa 300 Millionen Euro verbunden, wobei die Kosten der dann gegebenenfalls nicht verordneten anderen Arzneimittel (z.B. Beta-Interferone, Glatirameracetat) gegenzurechnen wären. Die Einführung von Fingolimod ist also gesundheitsökonomisch relevant.

Zusatznutzen oder Festbetrag?

Gemäß §35a SGB V Absatz 1 hat der pharmazeutische Unternehmer – hier Novartis Pharma – spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens (bzw. im Falle einer Indikationserweiterung zum Zeitpunkt von deren Zulassung) dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein Dossier einschließlich aller klinischen Prüfungen zur Bewertung des medizinischen Nutzens und des medizinischen Zusatznutzens im Verhältnis zu einer zweckmäßigen Vergleichstherapie zu übermitteln. Gemäß §35a SGB V Absatz 2 kann sich der G-BA dabei der Unterstützung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder Dritter bedienen. Legt der pharmazeutische Unternehmer die erforderlichen Nachweise trotz Aufforderung durch den G-BA nicht rechtzeitig oder nicht vollständig vor, gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt. Die Nutzenbewertung hat der G-BA spätestens drei Monate nach Inverkehrbringen (bzw. Zulassung einer Indikationserweiterung) abzuschließen und zu veröffentlichen.

Ist das Arzneimittel pharmakologisch-therapeutisch mit Arzneimitteln vergleichbar, für die eine Festbetragsgruppe existiert, und ergibt die Nutzenbewertung keine therapeutische Verbesserung entsprechend §35 Absatz 1b SGB V (therapierelevanter höherer Nutzen bezüglich patientenrelevanter Endpunkte, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, oder Verringerung der Häufigkeit oder des Schweregrads therapierelevanter Nebenwirkungen), so fällt der G-BA nach weiteren drei Monaten (in denen Gelegenheit zur auch mündlichen Stellungnahme zu geben ist) einen Beschluss nach §92 SGB V, das Arzneimittel der Festbetragsgruppe zuzuordnen.

Fingolimod ist der erste als Arzneimittel verfügbare Sphingosin-1-phosphat (S1P)-Rezeptor-Modulator. Fingolimod als Prodrug wird durch die Sphingosin-Kinase 2 zu Fingolimod-Phosphat als aktivem Wirkstoff phosphoryliert. Der Fingolimod-Phosphat-S1P-Rezeptorkomplex wird von den Zellen internalisiert, so dass die Rezeptoren nicht für die Bindung von Sphingosin-1-Phosphat zur Verfügung stehen. Fingolimod wirkt also funktionell wie ein Antagonist an S1P1-Rezeptoren. Über diese Rezeptoren induziert Sphingosin-1-phosphat das Auswandern von T-Lymphozyten aus dem Thymus und von B-Lymphozyten aus den Lymphknoten. Im Ergebnis wirkt Fingolimod also immunsuppressiv, indem es insbesondere die B-Lymphozyten in den Lymphknoten sequestriert, erkennbar an einem Abfall der Lymphozytenzahl im peripheren Blut auf etwa 30%.

Der Wirkungsmechanismus von Fingolimod ist damit innovativ. Fingolimod bietet darüber hinaus – abgesehen von Azathioprin – erstmals eine orale Therapieoption der multiplen Sklerose mit der oben benannten Indikation (orale Glucocorticoide sind nur für die Behandlung des akuten Schubs zugelassen). Fingolimod ist mit keinem der für die Therapie der multiplen Sklerose verfügbaren Wirkstoffe pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar. Nur für Azathioprin existiert derzeit eine Festbetragsgruppe (auch wenn grundsätzlich gemäß §35 Absatz 1a SGB V eine Festbetragsgruppe für mindestens drei patentgeschützte Arzneimittel gebildet werden könnte). Biosimilars sind für Interferon beta-1b verfügbar (Extavia®), nicht für die anderen Beta-Interferone. Folglich kann Fingolimod keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden (könnte Fingolimod einer Festbetragsgruppe zugeordnet werden, bliebe das pharmazeutische Unternehmen in der Preisgestaltung frei, aber der gesetzlich [nicht der privat] Versicherte müsste die Differenz zwischen Apothekenverkaufspreis [AVP] und Festbetrag selbst tragen).

Zweckmäßige Vergleichstherapie?

Gemäß §35a Absatz 7 hat der G-BA das pharmazeutische Unternehmen zur Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu beraten und kann hierüber Vereinbarungen mit dem pharmazeutischen Unternehmer treffen. Zugrundezulegen sind die Grundsätze der Rechtsverordnung (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung) des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gemäß §35a Absatz 1 SGB V. Gemäß §6 dieser Rechtsverordnung ist die zweckmäßige Vergleichstherapie regelhaft zu bestimmen nach Maßstäben, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben. Bei mehreren Alternativen ist die wirtschaftlichere Therapie zu wählen, vorzugsweise eine Therapie, für die ein Festbetrag gilt. Die zweckmäßige Vergleichstherapie muss eine nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet sein.

Es ist nicht öffentlich bekannt, ob sich G-BA und Hersteller bereits auf eine „zweckmäßige Vergleichstherapie“ verständigt haben. Grundsätzlich wären als „zweckmäßige Vergleichstherapie“ die Beta-Interferone (Betaferon®, Rebif®, patentfrei seit 2008; Avonex®, patentfrei 2013) zu prüfen, außerdem die patentgeschützen Wirkstoffe Glatirameracetat (Copaxone®), Natalizumab (Tysabri®) und Mitoxantron (Ralenova® und Generika), schließlich auch das patentfreie Azathioprin (einige, aber nicht alle Generika sind für die Therapie der multiplen Sklerose zugelassen). Cyclophosphamid wird zwar aufgrund einer schwachen Evidenz [3] gelegentlich eingesetzt, ist aber für multiple Sklerose nicht zugelassen.

Vermutlich sind zur Identifikation der zweckmäßigen Vergleichstherapie zunächst die Formulierungen der zugelassenen Indikationen der entsprechenden Fertigarzneimittel sorgfältig zu prüfen, sie sind sinngemäß in Tabelle 1 wiedergegeben; ergänzend wären wissenschaftliche Leitlinien und die zugrunde liegenden Studien heranzuziehen.

Tab. 1. Zugelassene Indikationen verschiedener Fertigarzneimitel, die zur Therapie der multiplen Sklerose (MS) eingesetzt werden [Fachinformationen, Stand April 2011]

Wirkstoff
(Fertigarzneimittel)

Zugelassene Indikationen

Fingolimod (Gilenya®)

Krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver schubförmig-remittierend verlaufender MS bei erwachsenen Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Beta-Interferon oder bei erwachsenen Patienten mit zwei oder mehr Schüben mit Behinderungsprogression in einem Jahr und Zunahme Gadolinium-anreichernder oder T2-Läsionen im Magnetresonanztomogramm (MRT)

Interferon beta-1a (Avonex®)

Behandlung von Patienten mit schubförmiger MS;

Behandlung nach einem einmaligen demyelinisierenden Ereignis mit entzündlichem Prozess, wenn dieses Ereignis eine intravenöse Glucocorticoidtherapie rechtfertigt, alternative Diagnosen ausgeschlossen wurden und ein hohes Risiko für die Entwicklung einer klinisch gesicherten MS besteht

Interferon beta-1a (Rebif®)

Behandlung von Patienten mit schubförmiger MS

Interferon beta-1b
(Betaferon®, Extavia®)

Behandlung von Patienten mit erstmaligem demyelisierendem Ereignis mit aktivem entzündlichem Prozess, wenn dieses Ereignis schwer genug ist, um eine intravenöse Glucocorticoidtherapie zu rechtfertigen, wenn mögliche Differenzialdiagnosen ausgeschlossen wurden und wenn bei diesen Patienten der Beurteilung zufolge ein hohes Risiko für das Auftreten einer klinisch gesicherten MS besteht;

Behandlung von Patienten mit schubweise verlaufender MS, die in den letzten zwei Jahren zwei oder mehr Schübe durchgemacht haben;

Behandlung von Patienten mit sekundär progredient verlaufender MS, die sich in einem akuten Krankheitsstadium befinden, d.h. klinische Schübe erfahren

Glatirameracetat (Copaxone®)

Behandlung von Patienten mit einer klar definierten ersten klinischen Episode und einem hohen Risiko, eine klinisch gesicherte MS (Clinically definite multiple sclerosis, CMDS) zu entwickeln;

Reduktion der Schubfrequenz bei ambulanten Patienten (d.h. solche, die ohne Hilfe gehfähig sind) mit schubförmig remittierender MS

Natalizumab (Tysabri®)

Krankheitsmodifizierende Monotherapie von hochaktiver, schubförmig remittierend verlaufender MS (RRMS) bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität (≥1 Schub im vorangegangenen Jahr) trotz Behandlung mit einem Interferon beta und bei Patienten mit rasch fortschreitender schubförmig remittierend verlaufender MS (≥2 Schübe mit fortschreitender Behinderung im vorangegangenen Jahr).
Hinweise: Voraussetzung für die Therapie mit Natalizumab sind ausgeprägte MRT-Befunde; Patienten, die mit Natalizumab behandelt werden, muss ein spezieller Patientenpass ausgehändigt werden

Mitoxantron (Ralenova®)

Behandlung von nicht rollstuhlpflichtigen Patienten mit sekundär-progredienter oder progressiv-schubförmiger MS mit einem EDSS (Kurtzke expanded disability status scale) von 3 bis einschließlich 6 mit und ohne überlagernde Schübe bei Versagen oder Unverträglichkeit einer Vortherapie mit Immunmodulatoren, die sich in einem aktivem Krankheitsstudium, definiert durch zwei Schübe oder eine EDSS-Verschlechterung um mindestens einen Punkt in 18 Monaten, befinden

Azathioprin (z.B. Azaimun®, Azamedac®)

Schubförmige MS, wenn eine immunmodulatorische Therapie angezeigt und eine Therapie mit Beta-Interferonen nicht möglich ist oder wenn unter einer bisherigen Therapie mit Azathioprin ein stabiler Verlauf erreicht wurde

Die Analyse der Texte legt nahe, dass wahrscheinlich alle diese Wirkstoffe als „zweckmäßige Vergleichstherapie“ grundsätzlich infrage kommen. Gegen Mitoxantron kann das Risiko einer kongestiven Kardiomyopathie ab einer kumulativen Gesamtdosis von etwa 160 mg/m² Körperoberfläche sprechen, gegen Natalizumab das Risiko einer – wenn auch seltenen – progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) durch Infektion mit dem JC-Virus (JCV).

Unklar erscheint, welche Bedeutung der Darreichungsform des Arzneimittels bei der Entscheidung, ob eine Vergleichstherapie zweckmäßig ist, zukommt. Mitoxantron und Natalizumab sind intravenös zu infundieren. Glatirameracetat und die Beta-Interferone sind subkutan (Betaferon®, Extavia®, Rebif®) oder intramuskulär (Avonex®) zu injizieren. Kommt der Darreichungsform Bedeutung zu, dann wäre die „zweckmäßige Vergleichstherapie“ am ehesten Azathioprin, zumal Azathioprin die Vorgabe (§6 der Rechtsverordnung), als zweckmäßige Vergleichstherapie „vorzugsweise eine Therapie, für die ein Festbetrag gilt“ heranzuziehen, erfüllt. In einem Cochrane-Review [2] wurden fünf Plazebo-kontrollierte randomisierte Studien mit Behandlung über mindestens ein Jahr mit einer relativen Reduktion der Schubrate um 20% identifiziert. Der Einsatz von Azathioprin wird aber limitiert durch die Möglichkeit eines mit Azathioprin assoziierten, erhöhten Karzinomrisikos, weshalb eine Behandlungsdauer von zehn Jahren und eine kumulative Dosis von 600 g nicht überschritten werden sollten.

Die klinischen Daten zu Fingolimod wurden kürzlich zusammengefasst [1]. Danach liegen eine Phase-II- und zwei Phase-III-Studien vor. In der doppel-blinden, Plazebo-kontrollierten, multizentrischen Phase-II-Studie, in der zwei Dosierungen von Fingolimod mit Plazebo über sechs Monate verglichen wurden, betrug die Schubrate unter Fingolimod dosisunabhängig etwa die Hälfte derjenigen unter Plazebo (inzwischen wurden auch 3-Jahres-Daten berichtet). In der Phase-III-Studie „FTY720 Research Evaluating Effects of Daily Oral therapy in MS“ (FREEDOMS) wurden zwei andere Dosierungen mit Plazebo über 24 Monate verglichen, dabei wurde die Halbierung der Schubrate bestätigt. In der Phase-III-Studie „Trial Assessing Injectable Interferon versus FTY720 Oral in Relapsing Remitting MS“ (TRANSFORMS) wurden dieselben Dosierungen über 12 Monate mit Interferon beta-1a intramuskulär (30 μg/Woche) verglichen, wobei die Schubrate unter Fingolimod dosisunabhängig etwa halb so hoch war wie unter dem Interferon. Etwa 10% der Patienten brachen die Therapie unter der niedrigen, schlussendlich zugelassenen Dosis (0,5 mg/Tag) vorzeitig ab, etwa 14% unter der höheren Dosis. Details sollen hier keine Rolle spielen, da es – letztlich nur exemplarisch – um die Grundsätze des Verfahrens der Nutzenbewertung gehen soll.

Für Fingolimod in der zugelassenen Dosis (0,5 mg/Tag) liegt also nur eine Studie mit Vergleich gegen Plazebo und eine mit Vergleich gegen Interferon beta-1a vor. Für alle anderen möglichen „zweckmäßigen Vergleichstherapien“ fehlen direkte Vergleiche. Grundsätzlich erlaubt die Rechtsverordnung (§4 Absatz 7) dem pharmazeutischen Unternehmen, im Dossier indirekte Vergleiche vorzulegen, wenn keine klinischen Studien zum direkten Vergleich mit dem zu bewertenden Arzneimittel vorliegen oder diese keine ausreichenden Aussagen über einen Zusatznutzen zulassen. Falls also Interferon beta-1a nicht als „zweckmäßige Vergleichstherapie“ akzeptiert würde und zum Beispiel Azathioprin präferiert würde, wären indirekte Vergleiche vorzulegen. Da Azathioprin in methodisch angemessenen Studien (RCTs) nur mit Plazebo und nie mit Interferonen verglichen wurde (ebenso wenig mit Glatirameracetat, Mitoxantron oder Natalizumab), müssten sich die indirekten Vergleiche auf die Plazebo-kontrollierten Studien (gemäß Cochrane-Analyse relative Risikoreduktion von 20%) beschränken. Auf die methodischen Probleme indirekter Vergleiche sei verwiesen.

Würde Interferon beta-1a als „zweckmäßige Vergleichstherapie“ akzeptiert, so würde für Fingolimod durch die TRANSFORMS-Studie mit signifikant geringerer Schubrate ein Zusatznutzen gegenüber Interferon beta-1a nahegelegt (auf eine Diskussion von Kriterien der Verträglichkeit und Arzneimittelsicherheit wird hier verzichtet). Hier könnte aber die Patientenrelevanz debattiert werden, auch vor dem Hintergrund, dass sich die Anerkennung eines Zusatznutzens auf nur eine Studie stützen würde. Diesem möglichen Einwand wäre durch indirekte Vergleiche mit den Plazebo-kontrollierten Studien zu Interferon beta-1a nachzugehen. Falls der G-BA zu dem Ergebnis käme, dass zum Zeitpunkt der Bewertung valide Daten zu patientenrelevanten Endpunkten noch nicht vorliegen können, erfolgt die Bewertung auf der Grundlage der verfügbaren Evidenz unter Berücksichtigung der Studienqualität mit Angabe der Wahrscheinlichkeit für den Beleg eines Zusatznutzens; der G-BA könnte dann gemäß §5 Absatz 5 der Rechtsverordnung eine Frist bestimmen, bis wann valide Daten zu patientenrelevanten Endpunkten vorgelegt werden sollen. Denkbar wäre auch, darüber hinausgehende indirekte Vergleiche mit anderen der möglichen Vergleichstherapien anzustellen. Dies wäre aber wahrscheinlich mit der Vorgabe des Gesetzes und der Verordnung nicht vereinbar, wonach der Nachweis eines Zusatznutzens nur gegenüber einer einzigen „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ zu führen ist.

Falls der G-BA in seinem Beschluss – sechs Monate nach Inverkehrbringen – einen patientenrelevanten Zusatznutzen von Fingolimod gegenüber Interferon beta-1a anerkennt, hat der G-BA nach §5 Absatz 7 der Rechtsverordnung das Ausmaß des Zusatznutzens und die therapeutische Bedeutung des Zusatznutzens unter Berücksichtigung des Schweregrads der Erkrankung gegenüber dem Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu quantifizieren. Würde die Halbierung der Schubrate unter Fingolimod im Vergleich zu Interferon beta-1a als patientenrelevant anerkannt, so könnte das zum Beispiel als „Abschwächung schwerwiegender Symptome“ und damit als „beträchtlicher Zusatznutzen“ bewertet werden.

Rabattvereinbarung

Diese Bewertung bildet eine der Grundlagen für die Verhandlungen gemäß §130b Absatz 1 SGB V des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen mit dem pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung mit dem Ziel der Vereinbarung eines Rabatts auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers, der für gesetzlich und privat Versicherte gleichermaßen vom Apotheker zu gewähren ist. Eine weitere Grundlage bildet die – noch nicht existierende – Rahmenvereinbarung nach §130b Absatz 9, in der Maßstäbe für die Rabattfindung zu definieren sind. Da die Maßstäbe bisher jedenfalls nicht öffentlich bekannt sind, kann nicht erahnt werden, ob und gegebenenfalls mit welchem Rabatt zu rechnen wäre, falls Fingolimod ein „beträchtlicher Zusatznutzen“ gegenüber Interferon beta-1a (oder auch Azathioprin) zuzuerkennen wäre.

Gelingt innerhalb von weiteren sechs Monaten (also 12 Monaten nach Inverkehrbringen) keine Einigung auf einen Rabatt, setzt – das dürfte eher die Regel werden – die Schiedsstelle nach §130b Absatz 5 SGB V den Rabatt innerhalb von drei Monaten fest. Als Besonderheit hat die Schiedsstelle gemäß §130b Absatz 4 die Abgabepreise in anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen. Der Rabatt gilt rückwirkend ab 12 Monate nach Inverkehrbringen. Gegen den Schiedsspruch ist Klage ohne aufschiebende Wirkung möglich. Gemäß §130b Absatz 8 kann nach dem Schiedsspruch jede Vertragspartei beim G-BA eine Kosten-Nutzen-Bewertung nach §35b SGB V beantragen.

Auch falls der G-BA in seinem Beschluss keinen Zusatznutzen anerkennt, ist nach §130b Absatz 3 SGB V ein Rabatt zu vereinbaren. Für diesen gibt §130b Absatz 3 SGB V vor, dass die Jahrestherapiekosten nicht höher als diejenigen der zweckmäßigen Vergleichstherapie sein dürfen. In diesem Falle kann gemäß §35a Absatz 5a der pharmazeutische Unternehmer eine Kosten-Nutzen-Analyse nach §35b SGB V verlangen, deren Kosten er selbst zu tragen hat. Gemäß §35b Absatz 2 SGB V kann der G-BA mit dem pharmazeutischen Unternehmen als Grundlage für die Kosten-Nutzen-Analyse Versorgungsstudien vereinbaren. Mit Einführung der frühen Nutzenbewertung nach §35a SGB V dürfte die Bedeutung der Kosten-Nutzen-Bewertung nach §35b SGB V für neue Arzneimittel deutlich abnehmen; für vor dem 1. Januar 2011 in Verkehr gebrachte Arzneimittel behält sie ihre Bedeutung, aber entsprechend §35a Absatz 6 in Konkurrenz zur Nutzenbewertung nach §35a.

Im Ergebnis bleibt jetzt „nur“ mit Spannung zu erwarten, welchen Weg Fingolimod durch die frühe Nutzenbewertung tatsächlich nehmen wird. Es sei betont, dass die hier gegebene Skizzierung der Abläufe ungeeignet ist, das Ergebnis der frühen Nutzenbewertung und gegebenenfalls der Rabattfindung vorauszuahnen. Vielmehr sollte ein Eindruck vermittelt werden, mit welchen erheblichen methodischen Problemen diese Bewertung den G-BA, die Kostenträger und das pharmazeutische Unternehmen gleichermaßen konfrontiert.

Literatur

1. Aktas O, Ingwersen J, Kieseier B, Küry P, et al. Orales Fingolimod bei Multipler Sklerose – Therapeutische Modulation des Sphingosin-1-Phosphat-Systems. Nervenarzt 2011;82:215–25.

2. Casetta I, Iuliano G, Filippini G. Azathioprine for multiple sclerosis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007(4):CD003982. DOI: 10.1002/14651858.CD003982.pub2.

3. La Mantia L, Milanese C, Mascoli N, D’Amico R, et al. Cyclophosphamide for multiple sclerosis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007(1): CD002819. DOI: 10.1002/14651858.CD002819.pub2

Psychopharmakotherapie 2011;18:127–30

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Asternweg 65, 50259 Pulheim, E-Mail: juergen.fritze@dgn.de


Psychopharmakotherapie 2011; 18(03)