Parästhesien und sensible Polyneuropathie unter Olanzapin und Valproinsäure


Martin Heinze, Dominik Dabbert und Svenja Happe, Bremen

Wir berichten von einem Fall einer sensiblen demyelinisierenden Polyneuropathie, den wir als Arzneimittelnebenwirkung von Olanzapin bewerten können. Unseres Wissens ist diese unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) in der Literatur noch nicht beschrieben. Als klinische Konsequenz wird empfohlen, Patienten bei Anwendung von Olanzapin auf Störungen ihrer Sensibilität hin zu befragen.
Schlüsselwörter: Polyneuropathie, Parästhesien, Olanzapin, Valproinsäure
Psychopharmakotherapie 2011;18:38–9.

Fallbericht

Wir berichten über einen Fall aus dem AMSP(Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie)-Meldesystem, einem Erfassungs- und Bewertungsprojekt für unerwünschte Arzneimittelwirkungen in Europa, vornehmlich im deutschsprachigen Raum [4].

Die 67-jährige Patientin, Frau G., leidet seit vielen Jahren an einer bipolaren Störung, die über lange Zeit ambulant, gelegentlich auch stationär behandelt worden ist. Sie bekam für mehr als 20 Jahre eine Behandlung mit Lithium und zeigte einen relativ stabilen klinischen Verlauf bis zu einer erneuten Exazerbation der manischen Symptomatik im Mai 2009. Bei dem nun notwendig werdenden Krankenhausaufenthalt stellte sich heraus, dass bei der Patientin eine nicht mehr kompensierte Niereninsuffizienz vorlag, so dass nach internistischer Konsultation eine Weiterbehandlung mit Lithium kontraindiziert war. Daher wurde die Patientin auf eine Phasenprophylaxe mit Valproinsäure (Ergenyl® chrono) 1200 mg/Tag eingestellt. Weiterhin wurde die manische Symptomatik ab Anfang Juni 2009 mit 10 mg Olanzapin (Zyprexa®) pro Tag behandelt. Mit Unterbrechungen wurde die Patientin bis Mitte August weiter stationär behandelt. Unter der Kombinationsmedikation von Olanzapin und Valproinsäure remittierte dann die manische Symptomatik fast vollständig. Aufgrund eines Hypertonus erhielt Frau G. Valsartan/Hydrochlorothiazid (CoDiovan®) 1 Tablette 160/12,5 mg am Tag sowie Allopurinol (Zyloric®) 100 mg pro Tag wegen einer bekannten Gicht.

Die Patientin wurde anschließend regelmäßig in unserer Ambulanz gesehen. Sie nahm die Medikation unverändert bis zum Januar 2010, also für etwa sieben Monate, ein. Bei einer Ambulanzkonsultation im Januar 2010 berichtete Frau G. erstmals von fluktuierenden Schmerzen und Missempfindungen beider Fußsohlen, seltener auch in den Fingerspitzen. Weiterhin berichtete sie von einer Kraftlosigkeit sowie über einen schleppenden Gang und schilderte ein Zittern der Hände. Bei genauer Exploration konnte sie den Beginn der Symptomatik auf den Sommer 2009 zurückdatieren, etwa vier Wochen nach der medikamentösen Umstellung auf Valproinsäure und Olanzapin. Aufgrund dieser Schilderung wurde eine neurographische und elektromyographische Untersuchung durchgeführt unter der Fragestellung, ob eine Polyneuropathie vorläge. Im klinisch-neurologischen Befund zeigte Frau G. ein etwas unsicheres Gangbild. Fersen- und Zehenstand waren gut möglich. Sie zeigte eine ungerichtete Fallneigung im Romberg-Stehversuch und einen unsicheren Seiltänzergang. Es bestanden keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe der Arme waren lebhaft, der Patellarsehnenreflex normal, der Achillessehnenreflex beidseits nur schwach auslösbar. Es bestanden keine Pyramidenbahnzeichen und auch kein sensibles Defizit bis auf eine grenzwertige bimalleoläre Pallhypästhesie von 5/8. Neurographisch zeigte sich eine demyelinisierende sensible Polyneuropathie (Abb. 1). Myographisch fand sich ein unauffälliger Befund.

Abb. 1. Neurographie des N. suralis links (a) und rechts (b) mit verminderter Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) bei Diagnosestellung. a) NLG: 30 m/s, Amplitude: 6,6 µV; b) NLG: 33 m/s, Amplitude: 3,1 µV

Während für einen Teil der Symptome von Frau G. andere Risikofaktoren ausfindig gemacht werden konnten (die Vorbehandlung mit Lithium zum Aspekt des Zitterns und eine langjährig bestehende Anämie zum Aspekt der Kraftlosigkeit), waren auch bei genauer klinischer Exploration keine Risikofaktoren für die Polyneuropathie mit Ausnahme der Medikation ersichtlich. Es erfolgte eine ausführliche Labordiagnostik einschließlich des HbA1c-Werts (Normalbereich) sowie rheumatologischer Kennwerte. Eine diabetische oder immunologische Ursache der Polyneuropathie konnte damit weitgehend ausgeschlossen werden.

Diskussion

Wir fassten die Polyneuropathie zunächst als UAW der Valproinsäure auf, da es hier in der Literatur einen Einzelfallbericht gibt [1] und Parästhesien als UAW in der Fachinformation [6] von Ergenyl® chrono erwähnt werden. Auch zu Gabapentin gibt es eine Fallschilderung [3]. Wir fanden weiterhin eine Arbeit, die bei verschiedener psychotroper Medikation einen Kumulationseffekt von psychotropen Substanzen nahe legt [2]. Insofern wurde auch diskutiert, ob eine Vorschädigung mit Lithium und später die Parallelmedikation mit Olanzapin eine Rolle spielten. Da die Symptomatik auch nach über sechs Monaten ohne Lithiumeinnahme anhielt, sahen wir aber einen Lithiumeffekt nicht als wahrscheinlich an. Nach ausführlicher Diskussion behielten wir die Medikation mit Valproinsäure trotz der bestehenden Polyneuropathie unverändert bei, da die Patientin psychiatrischerseits stabil war und die Gefahr einer erneuten manischen Dekompensation nicht in Kauf genommen werden konnte. Aufgrund der mittlerweile eingetretenen ständigen Stabilisierung der manischen Symptomatik im Rahmen der Grunderkrankung setzten wir allerdings die Olanzapin-Medikation in mehreren Schritten bis zu 2,5 mg im Januar 2010 herunter; schließlich setzten wir Mitte Februar Olanzapin vollständig ab. Bereits bei einer Nachuntersuchung im März berichtete die Patientin, dass sich die Pallhypästhesien komplett zurückgebildet hätten und auch der Gang wieder sicherer geworden sei. Eine neurophysiologische Nachuntersuchung steht noch aus.

Aufgrund dieses Zeitverlaufs und der Tatsache, dass die Valproinsäure-Medikation in keiner Weise geändert wurde, kamen wir nun zu der Auffassung, dass die Polyneuropathie ausschließlich der Olanzapin-Gabe zuzuordnen war. Bisher ist in der Literatur eine sensible Polyneuropathie mit Olanzapin noch nicht beschrieben und in der Fachinformation sind weder Polyneuropathien noch Parästhesien erwähnt. Dass die frühere Lithiumbehandlung zu einer Vorschädigung der Nerven beigetragen haben könnte und somit ein vorbestehendes Risiko für die Behandlung mit Olanzapin darstellte, kann nicht ausgeschlossen werden und wäre in Übereinstimmung mit der zitierten Arbeit von Bogliun et al. [2]. Wegen des remittierenden Verlaufs und der blanden Symptomatik wurden keine Liquordiagnostik und keine Biopsie des N. suralis durchgeführt, die eine mögliche entzündliche Ursache hätten vollständig ausschließen können.

Als klinische Konsequenz sollten Patienten mit langjähriger Olanzapin-Behandlung oder Kombinationsbehandlungen genau auf Änderungen der Sensibilität hin befragt werden und im Zweifelsfall sollte apparativ geklärt werden, ob sich eine Polyneuropathie entwickelt hat.

Literatur

1. Bono A, Beghi E, Bogliun G, Cavaletti G, et al. Antiepileptic drugs and peripheral nerve function: a multicenter screening investigation of 141 patients with chronic treatment. Epilepsia 1993;34:323–31.

2. Bogliun G, Di Viesti P, Monticelli ML, Beghi E, et al. Anticonvulsants and peripheral nerve function – results of prospective monitoring in patients with newly diagnosed epilepsy. Clinical Drug Invest 2000;20:173–80.

3. Gould HJ. Gabapentin induced polyneuropathy. Pain 1998;74:341–3.

4. Grohmann R, Engel RR, Rüther E, Hippius H. The AMSP drug safety program: methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11.

5. Fachinformation Zyprexa, Stand Dezember 2009.

6. Fachinformation Ergenyl chrono, Stand Januar 2010.

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Heinze, Dr. med. Dominik Dabbert, Klinikum Bremen-Ost, Psychiatrische Behandlungszentren Mitte und West, Züricher Straße 40, 28235 Bremen, E-Mail: m.heinze@immanuel.de Prof. Dr. med. Svenja Happe, Klinikum Bremen-Ost, Institut für Klinische Neurophysiologie, Züricher Straße 40, 28325 Bremen

Paraesthesia and sensory polyneuropathy in a patient treated with olanzapine and valproc acid

We report a case of a sensory demyelinizing polyneuropathy which we suppose to be an adverse side effect of olanzapine treatment. According to our knowledege this is the first case of its kind reported in literature. As a clinical consequence we suggest to query for disturbances of sensory functions in patients treated with olanzapine.

Key words: Polyneuropathy, paraesthesia, olanzapine, valproic acid

Psychopharmakotherapie 2011; 18(01)