Prof. Dr. Jürgen Fritze, Pulheim

Gegenstand aktueller Debatte auch in Laienmedien und für den Kranken wie den verordnenden Arzt bedeutsam: Mit dem „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG)“ wird GKV-Versicherten in §129 Absatz 1 SGB V die Möglichkeit eingeräumt, bei Verordnung eines Generikums ad hoc Kostenerstattung zu wählen, um das Fertigarzneimittel ihrer Wahl zu erhalten. Damit versucht der Gesetzgeber, der Verunsicherung der Versicherten, möglichen unerwünschten Ereignissen und möglicher Non-Compliance zu begegnen, wenn der Arzt aut idem nicht ausgeschlossen hat und der Apotheker zur Abgabe eines preisgünstigen oder gemäß Vertrag nach §130a Absatz 8 SGB V rabattierten Arzneimittels gezwungen ist. Wählt der GKV-Versicherte die Kostenerstattung, so beschränkt sich diese auf denjenigen Preis, den das rabattierte bzw. gemäß Rahmenvertrag nach §129 Absatz 2 preisgünstige Arzneimittel gekostet hätte. Der Erstattungsbetrag ist gemäß §13 SGB V um Verwaltungskosten zu reduzieren. Der Preis des Rabattarzneimittels und die Verwaltungskosten können dem Apotheker und damit dem Patienten nicht bekannt sein. Folglich kann der Erstattungsbetrag vorab nur grob geschätzt werden. Falls diese ökonomische Unsicherheit für den Patienten relevant sein sollte – was bei psychisch Kranken nicht die Ausnahme sein dürfte – und die Aut-idem-Verordnung medizinische Risiken birgt, sollte der Arzt also aut idem ausschließen.

Mit dem AMNOG werden Privatversicherten und Beihilfeberechtigten erstmals dieselben – gesetzlichen – Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel (6%, befristet bis 31.12.2013 16 % für patentgeschützte, 10 % für patentfreie) gewährt wie der GKV. Abweichend von der GKV (Sachleistungsprinzip) werden die Rabatte nicht in der Apotheke gewährt, sondern werden von einer gemeinsamen „zentralen Stelle“ („Zesar“) der privaten Krankenversicherung und der Träger der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften (d.h. Beihilfestellen) von den pharmazeutischen Unternehmen eingezogen; dabei wird auch der mit dem GKV-Änderungsgesetz der GKV ab 1. August 2010 eingeräumte, zum 31. Dezember 2013 befristete Sonderrabatt von 10% nachvollzogen. Damit anerkennt der Gesetzgeber grundsätzlich, dass wegen der mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) seit 2009 bestehenden Pflicht zur Versicherung alle Bürger unabhängig vom Versicherungsstatus gleichermaßen vor unangemessenen Arzneimittelpreisen zu schützen sind.

Neu sind auch Regelungen des AMNOG zur Preisvereinbarung gemäß §130b SGB V zwischen pharmazeutischem Unternehmen und GKV-Spitzenverband im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung für neue Arzneimittel, sofern die frühe Nutzenbewertung gemäß §35a SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, in der Regel wohl unterstützt vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), einen Zusatznutzen ergeben hat. Grundlage der Nutzenbewertung bildet die Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung nach §35a Absatz 1 SGB V (AM-NutzenV). Danach ist der Nutzen eines Arzneimittels der patientenrelevante therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität; der (quantitative oder qualitative) Zusatznutzen wird im Vergleich zu einer – unter Beratung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss – zu definierenden zweckmäßigen Vergleichstherapie ermittelt. Gemäß §5 Absatz 7 AM-NutzenV kann ein Zusatznutzen im Ergebnis der Nutzenbewertung erheblich (bisher nicht erreichte große Verbesserung) sein, oder beträchtlich (deutliche Verbesserung) oder gering oder nicht quantifizierbar oder fehlend oder gar negativ (Unterlegenheit).

Wenn sich die Parteien nicht auf einen Preis verständigen, entscheidet die Schiedstelle nach §130b Absatz 5 SGB V. Erst dann kann gemäß §130b Absatz 8 jede Vertragspartei beim Gemeinsamen Bundesausschuss eine Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG nach §35b SGB V beantragen, oder der pharmazeutische Unternehmer, wenn kein Zusatznutzen festgestellt wurde. Dass damit Deutschland als eine der weltweit letzten Bastionen der freien Preisfestsetzung durch den pharmazeutischen Unternehmer fällt, bedeutet eine Art Zeitenwende – herbeigeführt durch den liberalen Gesundheitsminister Rösler, nachdem sich seine sozialdemokratische Vorgängerin Schmidt hier nicht herangetraut hatte.

Prof. Dr. Jürgen Fritze, Asternweg 65, 50259 Pulheim

Psychopharmakotherapie 2011; 18(01)